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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 28.06.2023
Reise der Bundesaußenministerin in die Mongolei
WAGNER (AA): Ich darf Ihnen eine Reise der Außenministerin heute Abend für zwei Tage in die Mongolei ankündigen.
Am Donnerstag wird die Außenministerin in Ulan Bator an einem der von der Mongolei veranstalteten Außenministerinnentreffen teilnehmen. ‑ Ich habe mit Absicht nicht gegendert; denn es handelt sich tatsächlich um ein Treffen von weiblichen Außenminister*innen. Sie ist dort neben der französischen Außenministerin und natürlich ihrer mongolischen Amtskollegin Mitgastgeberin. Es werden Teilnehmerinnen aus Asien, Afrika und Europa erwartet. Dies ist das erste derartige Treffen in Asien.
Der Freitag steht dann im Zeichen der bilateralen deutsch-mongolischen Beziehungen. Die Außenministerin wird zunächst ihre Amtskollegin zum Gespräch treffen. Später ist dann noch ein Treffen mit dem Präsidenten der Mongolei geplant.
Am Nachmittag wird die Außenministerin vor den Toren der Hauptstadt eine Ausbildungsmission der Bundeswehr besuchen. Deutschland trainiert dort ein mongolisches Peacekeeping-Kontingent und unterstützt beim Aufbau einer mongolischen Gebirgsjägereinheit.
Die Mongolei ist als Demokratie und trotz der großen räumlichen Distanz ein enger und verlässlicher Partner Deutschlands nicht nur in den Vereinten Nationen. Sie ist aber auch ein Land in einer komplexen geopolitischen Lage zwischen ihren beiden einzigen Nachbarn Russland und China. Unsere beiden Länder verbindet der Wunsch, Abhängigkeiten abzubauen und die eigene Wirtschaft zu diversifizieren.
FRAGE: Können Sie noch etwas genauer ausführen, was das Ziel dieses Treffens der Außenministerinnen am Donnerstag ist?
Sie haben von einer komplexen geopolitischen Lage gesprochen. Herr Klingbeil war vor Kurzem dort und hat von einer Insel der Demokratie zwischen Russland und China gesprochen. Ist das auch die Überschrift für das strategische Interesse an dieser Reise?
WAGNER: Zu dem Treffen: Dass die Mongolei als erstes asiatisches Land eine solche Konferenz zu feministischer Außenpolitik organisiert, zeigt, dass diese Politik mittlerweile bei Regierungen auf wirklich allen Kontinenten ein Thema ist. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie wir gemeinsam in den VN für eine friedlichere, gerechtere, nachhaltigere und wirtschaftliche Teilhabe wirken können. Dass das eine Priorität unserer Außenpolitik ist, haben wir immer wieder deutlich gemacht. Insofern ist das eine schöne und gute Initiative.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage: Ich habe ja ausgeführt, dass gerade weil die Mongolei eine Demokratie ist, sie dies zu einem besonders engen Partner macht. Wir arbeiten mit der Mongolei besonders eng in den Vereinten Nationen zusammen, zum Beispiel auch beim Peacekeeping. Wir waren lange gemeinsam in Afghanistan engagiert. Insofern ist dies ein wichtiger Aspekt und sicherlich auch Teil dieser Reise.
ZUSATZFRAGE: Gehen Sie davon aus, dass Frau Baerbock ebenfalls ein Pferd geschenkt bekommt?
WAGNER: Ich habe erfahren, dass das zur Tradition dieses Landes gehört, kann aber nicht vorgreifen. Wir werden sehen, was in der Mongolei passiert.
FRAGE: Zwei kleine logistische Fragen:
Wird die Außenministerin mit ihrer französischen Kollegin dorthin fliegen?
Und: Es ist, glaube ich, nicht so einfach, in die Mongolei zu gelangen, ohne über Russland zu fliegen. Über Russland zu fliegen, wird wahrscheinlich notwendig sein, oder?
WANGER: Zum zweiten Teil: Bei allen Reisen ‑ zumindest bei allen, an die ich mich erinnern kann ‑ in Teile der Welt, die von Deutschland aus gesehen, im Osten liegen, sind wir immer um Russland herumgeflogen. Das wird auch dieses Mal der Fall sein. Nach meiner Information ‑ aber das werde ich gleich noch verifizieren ‑ ist die liechtensteinische Außenministerin Gast auf dem Flug. Die französische Amtskollegin reist separat an.
Israelischer Drohnenangriff im Westjordanland
FRAGE: Ich habe eine Frage zur gegenwärtigen Situation in Palästina. Heute Morgen haben die Israelis Militär an der Al-Aksa-Moschee eingesetzt. Man hat viele Gläubige geschlagen und gepeinigt. Ein europäischer Vertreter in Palästina sagte, dass die Siedlungen Terrorakte gegen die Palästinenser seien. Gibt es Gespräche der Bundesregierung mit ihren strategischen Partnern bezüglich einer UN-Resolution hinsichtlich des Schutzes der Palästinenser?
WAGNER (AA): Die konkreten Vorfälle, die Sie jetzt ansprechen, sagen mir nichts. Dazu müsste ich gegebenenfalls nachliefern. Im Übrigen habe ich mich ‑ ich glaube, es war am Montag und auch in der letzten Woche ‑ sehr ausführlich zu dieser Problematik eingelassen und auch noch einmal die grundsätzliche Position der Bundesregierung zu Siedlungspolitik Israels dargelegt. Insoweit verweise ich Sie auf meine Äußerungen vom Montag.
FRAGE: Führen die in BBC, CCN und Al Jazeera dargestellten tatenlosen Sicherheitskräfte auf der israelischen Seite gegenüber dem Montag zu einer noch aktuelleren Lagebeurteilung Ihres Hauses? Im „Kölner Stadtanzeiger“ war wohl ‑ ich habe es nicht selbst gelesen ‑ sogar eine etwas bedrohliche oder etwa verstörenden Lage für unseren Botschafter, den Hebestreit-Vorgänger, Herrn Seibert, dargestellt worden. Gibt es dazu irgendwelche aktuellen Erkenntnisse aus Ihrem Haus?
WAGNER: Noch einmal: Ich habe mich ja sehr ausführlich zu den Berichten, zu Siedlungsplänen der israelischen Regierung eingelassen. Das ist etwas, was wir ‑ das haben wir konsistent immer getan ‑ verurteilen, weil wir glauben, dass das einer Lösung des Konflikts und einer Zweistaatenlösung entgegensteht. Ich hatte auch sehr breit und sehr klar ausgeführt, dass wir, wenn es zu Vorfällen kommt, natürlich die Erwartung haben, dass die israelischen Sicherheitskräfte ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und öffentlicher Ordnung sorgen.
Zu der Berichterstattung, den Botschafter betreffend, werde ich Ihnen gleich noch etwas nachliefern.
ZUSATZFRAGE: Dann brauche ich wohl nicht nachzufragen?
WAGNER: Sie können immer nachfragen.
FRAGE: Herr Wagner, was ist denn aus dieser völkerrechtlichen Prüfung geworden, die Sie angekündigt hatten? Es ging ‑ ich glaube, es war in der letzten Woche ‑ um die Siedlungsplanungsprozesse und darum, was der israelische Finanzminister Smotrich damit zu tun hat. Das wollten Sie ja prüfen lassen.
WAGNER: Ich habe gesagt, wir würden uns diese Änderungen in den Planungsverfahren anschauen. Wir haben noch keine Beschlüsse gesehen. Deshalb gibt es keinen neuen Stand, den ich Ihnen mitteilen kann. Wir schauen uns dies aber selbstverständlich nach wie vor an.
ZUSATZFRAGE: Können Sie uns, sobald etwas herauskommt, dies proaktiv mitteilen?
WAGNER: Ich nehme an, dass Sie mich auch fragen werden. Ich beantworte dann die Fragen gern hier in der Bundespressekonferenz.
Verlegung von Soldaten der Wagner-Privatarmee nach Belarus
FRAGE: Herr Hebestreit, Herr Collatz, ist die Bundesregierung beunruhigt über die Verlegung von Soldaten der Wagner-Privatarmee nach Belarus, teilt sie die Auffassung des polnischen Präsidenten, dass das eine harte Antwort auf dem NATO-Gipfel in Vilnius erfordert, und wie könnte eine solche Antwort aussehen?
HEBESTREIT (BReg): Sie haben sicherlich verfolgt, was wir an dieser Stelle am Montag mitgeteilt haben. Wir beobachten weiterhin die Lage sehr genau und beobachten, welche Folgen das, was sich am Wochenende in Russland zugetragen hat, zeitigt, auch was mögliche Truppenverlegungen, Verlegungen von Soldaten, nach Belarus anbelangt.
Dazu gibt es zum aktuellen Zeitpunkt keine verlässliche Lage, auf die wir uns stützen können. Insofern beobachten wir das. Erst muss man wissen, wie die Lage ist, und erst dann kann man mögliche Schlussfolgerungen ziehen. Daher würde ich noch um ein bisschen Geduld bitten. Aber dass wir das sehr ernst nehmen, haben Sie spätestens am Besuch des Verteidigungsministers am Montag in Litauen und an der Ankündigung, die dort ergangen ist, gesehen.
Und dann ist es natürlich so, dass wir uns in engen Konsultationen mit unseren internationalen Verbündeten befinden ‑ über das Wochenende, aber auch seither ‑ und auch zu einer gemeinsamen Lageeinschätzung kommen wollen.
ZUSATZFRAGE: Da Sie schon den Besuch des Verteidigungsministers in Vilnius erwähnt haben: Ist denn die dauerhafte Stationierung von 4 000 Soldaten in Litauen schon eine unmittelbare Antwort auf die Entwicklung in Russland? Kann man also sagen, dass es ohne die Ereignisse in Russland zu dieser Entscheidung nicht gekommen wäre?
HEBESTREIT: Es ist immer schwierig, so etwas am Ende monokausal zu Begründen. Aber natürlich haben die Entwicklungen über das Wochenende eine weitere Dynamik erzeugt. Der Verteidigungsminister hat noch einmal deutlich gemacht, dass Deutschland bereit ist, dort dauerhaft eine Kampfbrigade zu stationieren. Aber es gibt auch gewissen Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Das ist einerseits die Zustimmung des SACEURs, also des NATO-Oberbefehlshabers, was die militärische Seite angeht, und andererseits muss vor Ort auch die Logistik für eine solche Kampfbrigade und alles, was sie begleitet, vorhanden sein. Das ist etwas, was noch ein bisschen Aufwand erfordert. Aber ich glaube, das war durchaus ein Gesamtpaket, das Boris Pistorius am Montag in Litauen verkündet hat.
FRAGE: Eine Frage an den Regierungssprecher: Inwieweit ist diese Ankündigung der Stationierung auch als Signal der Bundesregierung vor dem NATO-Gipfel gemeint?
Und eine Frage an Herrn Collatz: Ist diese dauerhafte Stationierung so geplant wie in Frankreich? Insgesamt scheint es, als ob es das noch nicht gebe. Ich meine diese 700 Soldaten in Frankreich. Können Sie einmal beschreiben, was alles dazugehört?
Ich hatte gestern den Eindruck, dass am Montag einige im Bundesverteidigungsministerium von dieser Ankündigung überrascht waren. Ich gehe einmal davon aus, dass es in der Bundesregierung abgesprochen war. Aber inwieweit war es auch im Verteidigungsministerium zumindest kommuniziert?
HEBESTREIT: Ich beantworte den ersten Teil, für den ich sprechen kann. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Litauen im August vergangenen Jahres, was diese Kampfbrigade angeht, schon deutlich gemacht, dass wir bereit sind, dort, sollte es nötig werden, engagiert zu sein. Es gibt das rollierende System in Mecklenburg-Vorpommern. Das wissen Sie. Es ist immer die gleiche Truppe, die sozusagen hineinrotieren und wieder herausrotieren kann.
Der Bundeskanzler hat auch gesagt, dass man immer wieder eine Lagebeobachtung, eine Lageeinschätzung vornimmt und, sollte es zu einer Veränderungen der Einschätzung kommen, auch Konsequenzen zieht. Insofern ist dieser Schritt vielleicht auch als Konsequenz aus der veränderten Bedrohungslage zu sehen. Ob das jetzt in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel in Vilnius in zwei Wochen steht? Ich würde sagen, es ist zumindest eine zeitliche Nähe, was die Äußerungen angeht; aber ich würde keinen kausalen, engen Zusammenhang sehen.
COLLATZ (BMVg): Zur “best practice” in der Bundeswehr kann ich darauf verweisen, dass Ilkirch einen gewissen Hintergrund hat, wenn es um die permanente Stationierung von Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien im Ausland geht. Das ist gute Praxis. Ich habe im Kopf, dass es auch in den USA und in Kanada eine Bundeswehrverwaltungsstelle gibt, die alleine ‑ nageln Sie mich nicht auf die genaue Zahl fest ‑ etwa 2 000 Menschen betreut. Also ist das administrativ und organisatorisch sehr wohl weit verbreitet und auch lange erprobt.
Die genauen Hintergründe für diese Brigade, was Organisation und Administration angeht, müssen sich natürlich noch fügen. Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, auch nicht zur Bezeichnung von Truppenteilen oder Stationierungsorten oder Ähnlichem. Insoweit muss ich Sie tatsächlich noch um Geduld bitten. Aber was die Stationierung von Streitkräften im Ausland abseits der Stabilisierungseinsätze angeht, können wir auf eine sehr gute und bewährte Praxis zurückgreifen.
Jetzt weiß ich nicht, auf wen Sie sich mit Ihrer Frage zur Überraschung beziehen, auf das BMVg oder auf die Truppe. Es gibt ja ein, zwei Medienberichte, die von einer solchen Überraschung berichten. Jetzt mag es sein, dass ich berufsbedingt oft Zeitung lese. Ich war nicht überrascht davon, dass es bei diesem Thema irgendwann zu einer Entscheidung kommt. Sie haben gesehen, dass diese Entscheidung im Beisein der höchsten militärischen Beratung, also des Generalinspekteurs ‑ auch unser politischer Direktor war dabei ‑ kommuniziert wurde. Insofern können Sie davon ausgehen, dass das nicht nur innerhalb der Regierung abgestimmt ist, sondern dass man auch einem Rat aus dem BMVg gefolgt ist und der Minister das alles in seinen Worten reflektiert hat.
ZUSATZFRAGE: Auch im politischen Raum gab es durchaus Überraschung. Es hat den Eindruck gemacht, als sei diese Entscheidung ‑ ich weiß nicht ‑ am Montag auf dem Hinflug gefallen.
COLLATZ: Ob nun der genaue Zeitpunkt einer solchen Entscheidung vorher mit allen abgesprochen sein muss, lasse ich einmal dahingestellt. Aber Herr Hebestreit hat eben darauf hingewiesen, dass der Kanzler schon vor etwa einem Jahr mit dieser Kommunikation begonnen hat. Wir haben ‑ wie ich finde, auch hier an dieser Stelle ‑ die Stimmen, die wir zum Beispiel aus Litauen zu den Forderungen nach einer Verlegung einer Brigade bekommen haben, immer sehr transparent mit unserer Sicht der Dinge belegt. Dass sich dieser Diskussionsprozess mit Vorbereitung auf den Vilnius-Gipfel und auch mit der Konkretisierung der litauischen Planungen dem Ende nähert, kann den genaueren Beobachterinnen und Beobachtern ‑ ‑ ‑ Da ist ein Fundament dahinter.
HEBESTREIT: Vielleicht darf ich ergänzen. Nicht nur Oberst Collatz, sondern auch ich habe sehr aufmerksam Zeitung gelesen. Ich habe gelesen, dass der Bundeskanzler von dieser Ankündigung nicht überrascht gewesen sei. Ich würde diesen Berichten nicht widersprechen.
ZUSATZ: Davon, dass der Bundeskanzler überrascht war, war ich auch nicht ausgegangen.
FRAGE: Herr Collatz, ich weiß nicht, ob sich Deutschland noch der NATO-Russland-Grundakte verpflichtet fühlt. Aber sie schließt eigentlich aus, dass dauerhaft Verbände auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion stationiert werden. Falls dem so ist: Hat man damit die NATO-Russland-Grundakte aus deutscher Sicht beerdigt?
COLLATZ: Ich kann nur so einleiten, dass das in dem Sinne kein völkerrechtlicher Vertrag ist, sondern ein Einigungspapier. Aber zu den Details würde ich gern die Unterstützung von Herrn Wagner erbitten.
WAGNER (AA): Die gebe ich gern. Die NATO-Russland-Grundakte bezieht sich ausdrücklich auf das Sicherheitsumfeld, in dem sie geschlossen wurde. Dieses Sicherheitsumfeld hat Russland in den vergangenen Jahren immer weiter beschädigt bis hin zu einem Angriffskrieg heute in Europa in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Deshalb kann die NATO-Russland-Grundakte in der jetzigen Lage sicherlich kein beschränkender Faktor für den notwendigen Ausbau der NATO-Ostflanke sein.
ZUSATZFRAGE: Herr Collatz, Sie haben hier um Geduld ersucht. Aber wie schnell wäre die Bundeswehr in der Lage, 4000 Leute abzustellen? Sie haben ja massive Schwierigkeiten, überhaupt anderthalb Divisionen zusammenzukratzen. Sie müssen jetzt bis 2027 oder bis 2025, glaube ich, eine Division aufstellen. Wird die Brigade Teil dieser Division sein oder nicht?
COLLATZ: Genau das sind die Fragen, die es noch im Detail abzustimmen gibt. Ob nun eine Brigade aufgestellt oder verlegt wird, und wo die Truppenteile herkommen, die diese Brigade dann bilden, genau das ist jetzt Teil der Beobachtungen und Analysen. Wir benötigen auch noch die Zeitläufe, die sich aus den infrastrukturellen Vorbereitungen in Litauen ergeben, und müssen auch die Ergebnisse des Gipfels in Vilnius abwarten und sehen, was sich aus dem NATO New Force Model ergibt. Darauf, dass es diese Bedingungen noch zu beobachten gilt, haben sowohl der Kanzler als auch der Minister hingewiesen. Aber die Rahmenbedingungen sind zu klären, und es wird dann so schnell wie möglich zu einer öffentlich mitteilbaren Lösung kommen.
FRAGE: Herr Hebestreit, Herr Collatz hat nebenbei gemeint, es müssten nicht immer alle zustimmen. Es ist schon eine krasse Kehrtwende der Bundesregierung, jetzt eine dauerhafte robuste Brigade nach Litauen zu schicken. Wann wurde das denn von wem entschieden?
HEBESTREIT: Ich würde das nicht als krasse Kehrtwende bezeichnen, sondern wir finden uns in einer Situation, in der es im Baltikum bei einem engen NATO-Partner, bei drei, um genau zu sein, Estland, Lettland, Litauen, massivste Sicherheitssorgen gibt. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis, ein Bündnis der kollektiven Verteidigung. Dass die NATO klar dafür da ist ‑ das haben verschiedene Vertreter der Bundesregierung immer wieder deutliche gemacht ‑, jeden Quadratzentimeter Territoriums gegen einen Angriff zu verteidigen ‑ ‑ ‑ Das ist gegen niemanden gerichtet im Sinne einer aggressiven Tat, sondern das ist eine Sicherungsmaßnahmen, wenn man es so nennen will. Es ist im vergangenen Jahr vom Bundeskanzler natürlich in Abstimmung mit der Bundesregierung schon angekündigt worden, dass man sich das anguckt und bereitsteht, die Partner zu unterstützen. Das ist auch Teil unserer Bündnisverpflichtung, die wir haben und die wir auch zu erfüllen bereit sind. Jetzt gibt es eben dieses Angebot. Ich habe die beiden Vorgaben sozusagen auch noch einmal klar benannt, nämlich: Es muss sowohl die militärische Zustimmung seitens der NATO-Führung kommen ‑ das ist der Supreme Allied Commander Europe ‑, und gleichzeitig muss die infrastrukturelle Voraussetzung für eine solche Stationierung geschaffen werden. Das dauert sicherlich auch noch eine Weile. Das ist nichts, was innerhalb weniger Wochen oder Monate entstehen kann. Das ist aber ein wichtiges Zeichen bzw. Signal an die sich dort massiv bedroht fühlenden NATO-Partner, dass man sie nicht alleinlässt. Unter genau diesem Rubrum ist es zu sehen.
Im Übrigen: Wenn es eine Attacke, einen Angriff auf NATO-Territorium gäbe, dann wären wir gehalten, dort auch mit allem, was wir haben, zu helfen.
ZUSATZ: Die Kehrtwende bezieht sich darauf, dass das Kanzleramt und das Verteidigungsministerium bisher die Auffassung vertreten hatten, dass es genüge, in Deutschland eine Brigade vorzuhalten, die im Ernstfall in Litauen eingesetzt würde.
HEBESTREIT: Aber in den letzten Tagen hat es ja auch noch einmal eine deutliche Lageveränderung gegeben. Das nur zur Erinnerung und für das Gesamtbild!
ZUSATZFRAGE: Aber der Ernstfall scheint noch nicht da zu sein.
Herr Collatz, verfügt die Bundeswehr aktuell über eine komplette Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen?
COLLATZ: Sie wissen, wie wir in die Reaktionskräfteplanungen der NATO eingebunden sind. Sie wissen, dass wir in den aktuellen VJTF-Aufstellungen fünfstellig Kräfte eingemeldet haben, die in bestimmten Reaktionszeiten in der Lage sind, auch auf eine aktuelle Bedrohung zu reagieren. Das ist auch etwas anderes als das, wozu Sie jetzt eine Verbindung herzustellen versuchen, nämlich die Verlegung eines Brigadeäquivalents nach Litauen. Die Zeitläufe dazu sind auch noch nicht vollständig definiert. Sie ergeben sich im Wesentlichen ‑ auch das ist bereits gesagt worden ‑ aus den von uns mitgetragenen Forderungen des NATO New Force Model. Diese Rahmenbedingung inklusive ‑ ich sage es noch einmal ‑ der infrastrukturellen Voraussetzungen werden den Rahmen bestimmen, wann wir diese Brigade dort stationieren.
Es ist jetzt nicht von der Bundeswehr gefragt, noch eine zusätzliche Brigade verlegebereit ad hoc im Stundenrhythmus vorzuhalten. Das können wir natürlich nicht, ist aber auch nicht von uns gefordert und macht auch keinen Sinn.
Im Übrigen, um Ihre vorherige Frage noch einmal aufzugreifen: Ich glaube, dass das auch in keiner Weise eine Kehrtwende ist, sondern im Gegenteil eine konsequente Umsetzung der Zeitenwende, wie wir sie aus Erkenntnis der Folgen des Angriffskrieges, des Raubüberfalls Russlands auf die Ukraine gezogen haben.
FRAGE: Herr Collatz, haben Sie überhaupt das Geld und die Leute für diese Brigade? Sie suchen ja Personal, das Sie nicht bekommen. Die Bundeswehr soll auf über 200 000 Leute aufwachsen. Das bekommen Sie nicht. Es zeichnet sich ab, dass das Sondervermögen eigentlich schon überzeichnet ist.
Wie wollen Sie diese Brigade robust ausstatten und mit wem? Wer soll dahin gehen?
COLLATZ: Zum Geld: Da sind wir ja gerade in den Verhandlungen. Dazu kann ich jetzt noch nicht im Einzelnen etwas sagen, außer dass sich die Regierung ‑ das ist inzwischen ja auch Gesetzesform ‑ zum Zweiprozentziel der NATO bekannt hat.
Was das Personal angeht, haben wir jetzt ja eine Nationale Sicherheitsstrategie. Aus ihr werden sich jetzt verteidigungspolitische Richtlinien entwickeln. Daraufhin werden wir unser Fähigkeitsprofil neu definieren. Dann schauen wir, wie sich aus diesem Fähigkeitsprofil auch ein Personalkörper, der unterstützbar ist, herauskristallisiert. Aber auch diese Dinge brauchen noch Zeit.
ZUSATZFRAGE: Sie sprechen immer wieder den zeitlichen Aspekt an. Wie viele Jahre wollen Sie den Litauern versprechen, bis Sie die 4000 Mann dahin stellen?
COLLATZ: Das eine hängt mit dem anderen nicht zusammen. Wir haben zugesagt, dass wir, soweit die Litauer bereit sind, die Infrastruktur bereitzustellen, und wir seitens der NATO erkannt haben, dass es ins Konzept passt, die Kräfte bereitstellen werden. Punkt.
FRAGE: Da eben im Hinblick auf die NATO-Russland-Grundakte ausgeführt wurde, dass sie faktisch obsolet sei: In der vergangenen Woche hat der Bundeskanzler vorm Bundestag aber erklärt, er sei gegen eine Kündigung der NATO-Russland-Grundakte. Warum hält die Bundesregierung an einem Vertragswerk oder einer Verabredung fest, wenn diese inhaltlich doch hinfällig ist und vor allem wenn man sagt: „Na ja, bei der Stationierung müssen wir uns daran nicht mehr halten“?
WAGNER: Ich habe die Wortwahl, die Sie da eben gewählt haben ‑ ‑ ‑ Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass die NATO-Russland-Grundakte sozusagen im Lichte eines Sicherheitsumfeldes abgeschlossen wurde, das heute, wenn man jetzt auf die aktuellen Entwicklungen und auf die aktuelle Bedrohung durch Russland schauen kann, kein beschränkender Faktor mehr sein ‑ ‑ ‑ Die NATO-Russland-Grundakte gibt ja eine ganze Reihe von wichtigen Prinzipien aus, die dort festgehalten sind. Dazu gehört unter anderem auch territoriale Souveränität, und wir fühlen uns natürlich weiterhin an diese Prinzipien gebunden, und die Bundesregierung hat ja im Übrigen auch nicht die NATO-Russland-Grundakte widerrufen oder einseitig aufgekündigt. Insofern gilt das, was ich eben gesagt habe, und ich bitte, das so zur Kenntnis zu nehmen, wie ich es gesagt habe!
ZUSATZFRAGE: Ja, ja! Ich finde aber, wenn Sie sagen: „Ja, das hat sich so sehr verändert“, dass dann mindestens für die Frage der Stationierung oder der eigentlich in der Grundakte ausgeschlossenen Stationierung auf ehemaligem Sowjetterritorium, wenn sie da nicht mehr gilt, in anderer Hinsicht aber dann doch wieder gelten soll ‑ ‑ ‑ Das kann man auch als ein inkonsistentes Verhältnis zu dieser Verabredung und ihren Kriterien ansehen. Finden Sie nicht?
HEBESTREIT: Vielleicht darf ich helfen. Das inkonsistente Verhältnis zur NATO-Russland-Grundakte hat im Augenblick Russland. Wenn man einen Nachbarn überfällt und auch gegen die Grundlagen der KSZE bzw. OSZE massiv verstößt, dann verändert sich das, was wir so euphemistisch das sicherheitspolitische Umfeld nennen.
Jetzt ist natürlich die Frage, die Sie stellen: Warum kündigen wir dann die NATO-Russland-Grundakte nicht? ‑ Es ist immer einfacher, über einen Vertrag, den es gibt, als Dokument, als Grundlage zu sprechen als überhaupt wieder in Gespräche einzusteigen, um ein ganz neues Dokument zu verhandeln. Das ist im Augenblick nicht die Sachlage, ist auch im Moment aussichtslos. Deswegen sagen wir, dass, genauso wie Russland im Augenblick Dinge tut, die dem Geist dieser Akte widersprechen, jetzt auch die Reaktion darauf nicht unbedingt sofort mit dem Geist dieser Akte in Einklang zu bringen, allerdings auf die Veränderung zwangsläufig nötig ist.
FRAGE: In der angesprochene Rede von Herrn Scholz im Bundestag letztes Jahr hat er gesagt, es sei unklug, Putin durch eine Kündigung Munition zu liefern. Jetzt ist keine Kündigung im Raum, aber man liefert doch dem russischen Präsidenten tatsächlich Munition, wenn man jetzt Kampftruppen verlegt, die ja in der NATO-Russland-Grundakte ausgeschlossen sind. Räumen Sie das ein?
HEBESTREIT: Nein, das räume ich nicht ein, weil ich ja genau ‑ ‑ ‑ Das bestätigt ja guter Weise genau das, was ich vorher gesagt habe, dass wir diese Akte nicht kündigen. Man hätte ja ‑ darauf bezieht sich die Äußerung des Bundeskanzlers ‑ als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg sagen können: Wir kündigen die NATO-Russland-Grundakte, weil der russische Angriffskrieg in einem eklatanten Gegensatz zu dieser Akte steht. ‑ Aber nein, das haben wir nicht getan, sondern wir sagen: Wir halten weiterhin daran fest. Auf die jetzige Situation müssen wir aber natürlich reagieren. Genauso wie Russland gegen diese Akte und den Geist der Akte verstößt, können auch wir uns an der Stelle nicht daran gebunden sehen. Trotzdem halten wir daran fest, dass es richtig ist. Es umfasst ja eine ganze Menge an gegenseitigen Vereinbarungen, die man sonst in einem Zuge mitkündigen würde. Deswegen hat der Bundeskanzler recht, wenn er sagt, es wäre unklug, sie zu kündigen.
MINUSMA
FRAGE: Herr Wagner, Herr Collatz, das MINUSMA-Mandat der UNO ist wohl gerade umstritten oder wird neu verhandelt, oder es ist unklar, was dabei herauskommt. Vielleicht können Sie uns einmal auf den Stand bringen. Was erwarten Sie, und was wäre Ihnen sozusagen das liebste “outcome”?
Herr Collatz, wie schnell kann die Bundeswehr denn raus sein, wenn es sein muss, und zu welchen Kosten?
WAGNER (AA): In der Tat ist es so, dass das MINUSMA-Mandat gerade im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York auf der Tagesordnung steht. Da laufen jetzt die Gespräche. Frankreich ist da ja der “penholder”. Sie haben ja sicherlich auch die Äußerungen des malischen Außenministers am 16. Juni zur Kenntnis genommen, der einen Abzug von MINUSMA wünscht. Insofern laufen da jetzt unter Hochdruck die Gespräche darüber, wie man sozusagen diese Vorstellungen der Transitionsregierung in Mali, aber natürlich auch die Bedürfnisse der Truppensteller, zu denen wir ja auch gehören, und vor allen Dingen natürlich die Interessen der Menschen vor Ort im Blick behält und dem gerecht wird. Diese Gespräche laufen, und ich kann einem Ergebnis jetzt auch nicht vorgreifen, aber wir führen natürlich auch als Truppensteller Gespräche, stehen mit Partnern in Kontakt und bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor.
COLLATZ (BMVg): Zu den Zeitlinien: Als der Beschluss verkündet wurde, hatten wir den Vereinten Nationen 18 Monate Zeit gegeben, sich auf die Veränderung einzustellen. Das ist genau der Rhythmus, den sich die UN auch idealerweise wünscht und der nicht immer eingehalten wird. Für uns selbst, und das ist ja aus Afghanistan auch eine “lesson identified”, vielleicht sogar eine “lesson learned”, brauchen wir in etwa zwölf Monate, um ein solches Kontingent geordnet abzuziehen. Das geht dann auch einmal schneller. Das kann dann höhere Kosten verursachen. Zum Beispiel haben wir, nur in den Raum gestellt, für Mali zu Beginn der Abzugsplanungen oder auch der Abzugsbewegungen etwa 1500 Containeräquivalente gepackt gehabt, die es zu bergen oder nach Hause zu bringen galt. Dem ist auch immer eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zugrunde gelegt: Muss alles mit heraus? Wie teuer ist der Transport? Kann das vielleicht da bleiben, den Maliern übergeben werden oder vielleicht auch zerstört werden, wenn es nicht übergabefähig ist? - All das sind Dinge, die mit in die Planungen eingegangen sind.
Der Abzugszeitraum diesseits der zwölf Monate richtet sich danach, was operativ opportun ist. Reden wir von einer Gefährdungslage ‑ und wir reden im Moment nicht davon, dass es durch die Resolution, die sich jetzt andeutet, eine Änderung der Gefährdungslage gibt ‑, dann könnte das erfordern, dass es schneller gehen muss, wobei das eine Eventualfallplanung ist. Wenn eine Gefährdung akut ist, dann geht es auch einmal innerhalb von, sage ich einmal, Tagen, dass wir abziehen. Aber das sind dann schon erhebliche und sehr hohe Kosten, die dann entstehen. Aber noch einmal: Davon sind wir weit entfernt. Wir gehen davon aus, dass wir auch mit einer Änderung der Resolution unsere Abzugsplanung einhalten können und einen geordneten Abzug im Rahmen des vorliegenden Bundestagsmandats ‑ das nennt sich ja „strukturiertes Abzugsmandat“ ‑ vollumfänglich einhalten können.
ZUSATZFRAGE: Der Zeitplan dafür, wie schnell man aus Mali herausgeht, war ja innerhalb der Regierung durchaus umstritten. Ich glaube, sogar der Bundeskanzler war in ein entscheidendes Gespräch involviert. Jetzt stellt sich die Situation so dar, dass man quasi nicht selbstständig entscheiden kann, sondern von anderen abhängig ist, natürlich von der malischen Regierung, aber auch von den Verhandlungen in New York. Ist das nicht ein bisschen unbefriedigend? Das BMVg hat, glaube ich, immer für einen früheren Abzug plädiert und wurde vom Auswärtigen Amt ein bisschen herausverhandelt. Würde man es jetzt noch einmal genauso machen?
WAGNER: Ich meine, wir müssen jetzt mit dem Wunsch der Transitionsregierung in Bamako umgehen; denn auch MINUSMA kann nicht gegen den Willen der Transitionsregierung in Mali verbleiben. Insofern laufen da die Gespräche. Ich glaube, für uns hat wirklich höchste Priorität, dass dieser Abzug sicher und verantwortungsvoll und mit Blick auf das Interesse der Menschen dort vonstattengeht. Insofern bringen wir uns in die Gespräche in New York ein. Wir sind ja im Moment nicht selbst Mitglied des Sicherheitsrats, aber wir sprechen natürlich auch mit unseren dortigen Partnern.
FRAGE: Das Kabinett hatte ja beschlossen, dass bis Mai 2024 abgezogen wird. Wenn das jetzt mit dem Entwurf der Franzosen so geht, dann könnte es höchstens noch eine Übergangszeit bis zum Jahresende geben, habe ich verstanden. Das bestätigen Sie auch. Dieses „Mai 2024“ ist damit also obsolet.
WAGNER: Nein, das kann ich eben nicht bestätigen, weil die Verhandlungen in New York ja noch laufen. Denkbar sind da viele Zeitpunkte.
ZUSATZFRAGE: Sie kämpfen für den Mai, oder was?
WAGNER: Nein. Es gibt ein Mandat des Bundestags, das den Zeitpunkt vorsieht, den Sie genannt haben, und es gibt jetzt in New York Verhandlungen über ein Abzugsmandat für MINUSMA, und dafür sind mehrere Zeitlinien denkbar. Aber diese Gespräche laufen.
ZUSATZFRAGE: Herr Wagner, weil ja auch bekannt ist, dass das Militärregime in Mali eng mit der Wagner-Gruppe zusammenarbeitet, wird es jetzt von deutscher oder westlicher Seite noch einmal Versuche geben, der malischen Seite klarzumachen, mit wem man dort eng zusammenarbeitet und dass das vielleicht doch keine gute Idee ist?
WAGNER: Es ist ja etwas, das wir in unseren Kontakten ‑ es gab ja Reisen verschiedener Mitglieder dieser Bundesregierung und immer wieder Gespräche vor Ort ‑ natürlich immer wieder deutlich machen, dass wir der Ansicht sind, dass es anders, als Russland es vielleicht darstellen mag, von Russland keinen nachhaltigen Beitrag für die Stabilität im Sahel gibt. Natürlich wird auch durch den Abzug ‑ das sind ja 12 000 MINUSMA-Soldaten ‑ ein Sicherheitsvakuum entstehen, das sicherlich nicht von den von Ihnen angesprochenen Kräften gefüllt werden wird. Insofern ist das natürlich Gegenstand von Gesprächen. Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die malische Transitionsregierung den Abzug von MINUSMA wünscht.
FRAGE: Herr Collatz, ich würde gerne noch einmal nach den Kosten eines vorzeitigen Abzugs fragen, weil Sie gesagt haben, es brauche zwölf Monate für einen geordneten Abzug. Wenn wir jetzt den hypothetischen Zeitraum „Ende des Jahres“ nehmen, mit dem Sie ja nun vielleicht kalkulieren müssen, dann würde sich dieser Zeitraum ja um fast die Hälfte verringern, jedenfalls um fünf Monate. Sie sagen, trotzdem bliebe es bei einem geordneten Abzug, ohne dass viel Material zurückgelassen oder sogar zerstört werden müsste. Wie bringe ich diesen Widerspruch übereinander?
COLLATZ: Vielleicht darf ich an die Zeitabläufe erinnern: Mit dem Beschluss, das Kontingent spätestens Ende Mai 2024 abzuziehen, haben die Vorbereitungen für den Abzug begonnen. Das sind 18 Monate. Wenn wir jetzt die noch hypothetisch möglichen fünf Monate abziehen, liegen wir immer noch bei 13 Monate, und auch darin sind schon Reserven eingeplant. Ich sehe Ihre Rechnung nicht.
Reise der Bundesaußenministerin nach Südafrika
FRAGE: Herr Wagner, ich bitte Sie nicht, die Ministerin zu interpretieren, aber vielleicht, ihre Gedanken zu vertiefen. Sie hat ja in Südafrika in den Gesprächen erklärt, hoffnungsvoll und positiv gestimmt, dass sich nun in der Haltung zu dem Angriffskrieg Russlands einiges geändert habe. Ich weiß aber nicht, was genau. Ist der Krieg zum Beispiel von Südafrika nun klar verurteilt worden, oder ist lediglich, was so durchschimmert, quasi gesagt worden „Das sind natürlich Souveränitätsrechte, wie sie in UNO-Papieren stehen, die da verletzt wurden‘“? Was genau hat Frau Baerbock mitgebracht?
WAGNER (AA): Dazu gab es ja gestern eine lange Pressekonferenz, und die Worte der Ministerin stehen für sich. Es gab ja sehr lange Gespräche in Südafrika mit ihrer südafrikanischen Amtskollegin, aber auch mit dem südafrikanischen Präsidenten, bei denen dieses Thema im Zentrum stand. Ich kann Sie deshalb auch nur auf die Äußerungen der Ministerin verweisen.
ZUSATZFRAGE: Zieht denn sozusagen in Ihrem Haus eine Welle auf, die den 141 Gegnern des Krieges in der UNO entspricht, also eine Welle der klaren Ablehnung, oder bleibt es bei diesem schwankenden Kurs, dass man nicht weiß, ob man Sanktionen zustimmen soll oder nicht, nicht nur in Südafrika, sondern sonst wo? Was ist da in Bewegung gekommen, oder etwa nichts?
WAGNER: Ich sehe da keinen schwankenden Kurs, sondern was wir bei unseren Gesprächen in der Welt wahrnehmen, und ich glaube, das gilt auch für andere Mitglieder dieses Kabinetts, ist, dass es in vielen Teilen der Welt eine große Sorge über die globalen Auswirkungen dieses russischen Angriffskriegs in der Ukraine gibt. Insofern kann ich nicht feststellen, dass es da ein Wanken gibt. Die überbordende Mehrzahl und Mehrheit der Generalversammlung hat mehrfach diesen Angriffskrieg verurteilt. Dass wir uns natürlich alle einen schnellen, möglich raschen Weg zum Frieden wünschen, ist klar. Aber dass der natürlich nur auf Grundlage der UN-Charta und der Prinzipien der UN-Charta gefunden werden kann, ist auch allen klar.
HEBESTREIT (BReg): Vielleicht kann man noch etwas ergänzen: Der südafrikanische Präsident war mit einigen seiner afrikanischen Staats- und Regierungschefskollegen vor wenigen Wochen sowohl in Kiew als auch in Sankt Petersburg, hat sich also vor Ort sowohl mit Wolodymyr Selensky als auch mit dem russischen Präsidenten auch über diese Frage unterhalten. Gleichzeitig, und das merken wir alle, die wir in der Welt unterwegs sind, ist die Betroffenheit, was diesen Krieg angeht, sehr unterschiedlich, natürlich auch die Abhängigkeiten, die Länder haben, und die Folgen, die sie als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine zeitigen müssen. Da gibt es Abhängigkeiten, was Waffenlieferungen, was Energielieferungen, was Düngemittel angeht. Es gibt alte Verbindungen, weil man sich ideologisch früher näher war oder so. Allenthalben herrscht Entsetzen über diesen Krieg und über diesen Versuch ‑ Herr Collatz hat das vorhin einen Raubüberfall genannt ‑, Grenzen mit Gewalt zu verschieben. 141 oder 143 Länder in den Vereinten Nationen haben das klar verurteilt. Trotzdem fällt es vielen Ländern nicht einfach, die nächsten Schritte zu gehen, einfach, weil sie auch auf sich selbst schauen müssen und nicht nur das Völkerrecht hochhalten müssen, sondern auch für die Versorgung ihrer Bevölkerung zuständig sind und auch Abhängigkeiten berücksichtigen müssen. Insofern sehe ich da auch keinen schwankenden Kurs.
Das, was wir tun, was die Außenministerin tut, der Verteidigungsminister, der Bundeskanzler und alle, die im Namen der Bundesregierung unterwegs sind, ist, immer wieder deutlich zu machen, wie wir die Lage sehen und wie wir auch darauf blicken, was passieren muss, auch darauf, wie ein fairer Frieden aussehen kann. Alle versuchen, ihre Einflussmöglichkeiten insbesondere auf Russland zu nutzen, dass es damit vorankommt. Aber dass das eine schwierige Situation ist, ist niemandem verborgen geblieben.