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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26.06.2023
Situation in Russland
FRAGE: Herr Hebestreit, wie bewertet die Bundesregierung die Ereignisse vom Wochenende in Russland?
Inwieweit sieht die Bundesregierung die Stellung von Präsident Putin jetzt als geschwächt an?
HEBESTREIT (BReg): Die Bundesregierung bewertet diese Ereignisse überhaupt nicht. Wir haben sie eng verfolgt. Ähnlich wird es Ihnen gegangen sein. Das waren sehr aufregende Stunden, die wir erlebt haben. Aber wir verfügen über keine eigenen Erkenntnisse, die wir hier bereitstellen könnten. Was sich dort wirklich zugetragen hat und welche Folgen das haben wird, das wird sich erst in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten zeigen.
ZUSATZFRAGE: Laut Berichten hat der BND die Bundesregierung sehr spät darüber informiert, erst Samstagmittag. Was können Sie dazu sagen?
HEBESTREIT: Sie kennen es schon. Zu geheimdienstlichen bzw. nachrichtendienstlichen Tätigkeiten kann ich von dieser Stelle und diesem Podium nie etwas beitragen. Das ist auch heute nicht anders.
FRAGE: Auch wenn Sie zu inhaltlichen Aspekten nichts sagen können, ist es auffällig, dass jetzt zum zweiten Mal in Verbindung mit der Ukraine Herr Kahl bzw. der BND keine ganz glückliche Figur gemacht haben. Wie zufrieden ist der Bundeskanzler aktuell mit der Leistung von Herrn Kahl?
HEBESTREIT: Hier wird gern die Frage nach Ministerinnen und Ministern gestellt. Dafür hatte ich mir die Antwort zurechtgelegt, dass wir so etwas nie kommentieren. In dem Fall wäre das wahrscheinlich auch eine Nachricht. Insofern würde ich sagen: Der Bundeskanzler arbeitet mit allen Chefs oberster Bundesbehörden eng, vertrauensvoll und gut zusammen.
ZUSATZFRAGE: Meine zweite Frage geht wahrscheinlich an Herrn Wagner, vielleicht auch an Herrn Ata. Im Zuge der Ereignisse ging man davon aus, dass es durchaus Absetzbewegungen aus Russland geben könnte. Sind Ihnen über das Wochenende irgendwelche verstärkten Reisebewegungen aus Russland mit Ziel Deutschlands bekannt geworden?
WAGNER (AA): Über die Medienberichte hinaus, die wir gesehen haben, habe ich dazu keine Erkenntnisse, die ich hier mit Ihnen teilen könnte.
ATA (BMI): Auch ich kann keine Erkenntnisse beitragen.
FRAGE: Herr Hebestreit, Sie sagten, es seien aufregende Stunden am Wochenende gewesen. Hat man in der Bundesregierung also mitgefiebert? Hat man einer Seite die Daumen gedrückt?
HEBESTREIT: Nein. Ich denke, das war eine sehr ernste Angelegenheit. Wir hoffen, dass es eine Stabilisierung der Situation gibt. Aber ich denke, niemand hat auf irgendeiner Seite mitgefiebert, sondern man hat die Situation mit hoher Konzentration beobachtet. Wie Sie auch den Medien entnehmen konnten, gab es verschiedene koordinierende Schalten. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt hat am Samstagmittag getagt. Die Außenministerin hat mit ihren G7-Kollegen telefoniert. Der Bundeskanzler hat sich im sogenannten Quadformat mit dem US-Präsidenten, dem britischen Premierminister und dem französischen Präsidenten besprochen. Man hat sowohl die Erkenntnisse, die man hatte, als auch die Einschätzungen der Lage, die sehr übereinstimmend waren, ausgetauscht und sich ansonsten mit allem sehr zurückgehalten. Das war eine ernste Angelegenheit, und es ist weiterhin ernst.
ZUSATZFRAGE: War man von dem vermeintlich schnellen Ausgang oder der vermeintlich schnellen Beilegung der Angelegenheit auch so überrascht wie von dem Ausbruch?
HEBESTREIT: Ich würde mich wundern, wenn das jemand vorausgesehen hätte.
[…]
FRAGE: Herr Hebestreit, es würde mich beunruhigen, wenn die Bundesregierung tatsächlich nicht über mehr Kenntnisse verfügen sollte als wir normale Medienkonsumenten. Ich gehe davon aus, dass da doch mehr Expertise und auch internes Wissen über die Abläufe in Russland zur Verfügung steht.
Vor diesem Hintergrund: Schwächt die Tatsache, dass Putin zunächst harte Strafen gegen Prigoschin angekündigt hatte, ohne ihn namentlich zu nennen, und dann über die Vermittlung Weißrusslands, wenn man so sagen darf, ein Ausweg, eine Straffreiheit gefunden wurde, dass also eigentlich Lukaschenko den Makler für Putin gespielt hat, aus Sicht der Bundesregierung die Rolle Putins?
HEBESTREIT: Dazu will ich mich an dieser Stelle überhaupt nicht äußern.
ZUSATZFRAGE: Warum nicht? Kann Herr Wagner das vielleicht tun? Haben Sie keine Einschätzung?
WAGNER: Ich werde mich dahingehend auch nicht ‑ ‑ ‑ Die Außenministerin hat sich eben am Rand des Außenrats zu den Ereignissen eingelassen. Darüber hinaus habe ich hier nichts mitzuteilen.
ZUSATZ: Sie können oder wollen uns also nicht sagen, ob die Abläufe, soweit sie auch öffentlich bekannt sind, die Rolle Putins im russischen Machtgefüge schwächen oder nicht.
WAGNER: Der Regierungssprecher hat sehr deutlich gemacht, dass wir uns das sehr genau anschauen, die Lageentwicklung sehr genau verfolgen und uns mit unseren Partnern abstimmen. Aber darüber hinaus habe ich hier öffentlich keine Erkenntnisse mitzuteilen.
FRAGE: Würden Sie, Herr Hebestreit, sagen, dass die Lage für Deutschland durch die Entwicklung in Russland gefährlicher geworden ist, als sie es vor dem Wochenende war?
HEBESTREIT: Auch das ist Spekulation. Ich habe ja gesagt, dass wir uns die Auswirkungen dieses Putschversuches ‑ oder was immer es gewesen sein mag ‑ jetzt erst einmal genau anschauen müssen. Das muss sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen, bevor wir zu einer belastbaren Einschätzung kommen können.
Richtig ist, dass es gut ist, dass wir uns unter den Verbündeten eng koordinieren, uns gegenseitig ins Bild setzen und unsere Einschätzungen miteinander austauschen.
ZUSATZFRAGE: Meine Nachfrage geht wahrscheinlich eher in Richtung des Verteidigungsministeriums. Sind die Folgen für Afrika, für das deutsche Mali-Engagement schon absehbar? Gibt es innerhalb der Bundesregierung Überlegungen, sich dort neu aufzustellen, weil die Entwicklung ja auch Konsequenzen für die Wagner-Söldner dort haben wird.
COLLATZ (BMVg): Derzeit kann ich von keinerlei Kenntnissen berichten, dass sich die Lage im Sahel durch die Ereignisse vom Wochenende geändert hätte. Insofern ergibt sich daraus keine direkte Folge für unser Auftreten dort.
FRAGE: Hat die Bundeswehr im Laufe des Wochenendes angesichts der Ereignisse in Russland Veränderungen an der eigenen Alarmbereitschaft oder Ähnlichem vorgenommen?
COLLATZ: Ich habe hierzu keine Erkenntnisse, die ich Ihnen mitteilen könnte.
ZUSATZ: Die Einschränkung „die ich Ihnen mitteilen könnte“ haben wir alle zur Kenntnis genommen. Das ist klar.
Vielleicht erläutern Sie mir einfach, ob Boris Pistorius heutige Ankündigung der dauerhaften Stationierung in Litauen irgendetwas damit zu tun hat oder ob das unabhängig davon geplant war.
Wie weit sind diese Planungen in der Praxis schon fortgeschritten? Es sollen ja auch Familien mitgehen, wenn ich es richtig verstanden habe.
COLLATZ: Für alle, die vor einer Stunde vielleicht nicht zuhören konnten: Tatsächlich hat der Minister bestätigt, dass wir mit unseren litauischen Partnern jetzt konkrete Planungen vereinbart habe, wie es mit der Präsenz deutscher Kräfte in Litauen weitergehen soll. Sie wissen, dass wir derzeit schon ein Bataillon dort stationiert haben plus Unterstützung im internationalen Rahmen, im Rahmen von Enhanced Forward Presence. Wir haben dort einen Gefechtsstand, der im Rahmen von enhanced Vigilance Activities rotierend Kräfte hereinholt. Die Absicht ist es, diese beiden Truppenkörper in einem noch zu bestimmenden Zeitrahmen so zusammenzuführen, dass wir insgesamt mit einer kampfstarken Brigade in Litauen vor Ort sind, die permanent dort stationiert sein soll.
Permanent bedeutet: natürlich auch mit der entsprechenden Infrastruktur. Das ist eine der beiden Voraussetzungen, die gegeben sein müssen. Zum einen müssen die Litauer tatsächlich dafür sorgen, dass wir diese Truppen dort unterbringen können, gegebenenfalls, wenn es sich so konkretisieren lässt, auch mit deren Angehörigen oder, dem amerikanischen Modell, wie es in Deutschland ist, folgend, denjenigen, die dann mit umziehen. Die zweite Voraussetzung ist, dass die in Kürze bevorstehenden Feststellungen zum New Force Model der NATO dem nicht widersprechen. Das kann man so deuten, dass eine Brigade so nah an der Ostflanke, sozusagen an der Ostfront, natürlich auch eine Festlegung von Kräften ist. Diese muss innerhalb des Bündnisses mitgetragen werden. Das sind die beiden Voraussetzungen.
Die Planungen, die jetzt beginnen, sind allein im Zusammenhang mit den Vorbereitungen des bevorstehenden NATO-Gipfels in Vilnius zu sehen. Die ganz tagesaktuellen Geschehnisse haben zunächst keinen Einfluss auf die heutigen Äußerungen.
FRAGE: Herr Hebestreit, Sie sprachen von einem Putschversuch. Gehen Sie davon aus, dass das jetzt erst einmal der letzte oder vielleicht der erste war?
HEBESTREIT: Da mag ich nicht spekulieren. Hätten Sie mir diese Frage am Freitag gestellt, hätte ich das auch nicht kommen sehen.
ZUSATZFRAGE: Hat die Bundesregierung Befürchtungen, dass das Geschehen Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine haben werde? Es gibt Befürchtungen von Außenpolitikerinnen und Außenpolitikern, die sagen, das könnte jetzt zu einem brutaleren Krieg werden.
HEBESTREIT: Auch das alles ist natürlich Spekulation. Es ist das, was ich unter die Formulierung packen würde: Wie sich das jetzt auswirkt, das müssen die nächsten Tage und Wochen zeigen. ‑ Man kann immer in beide Richtungen argumentieren. Insofern bringt es nichts, zu spekulieren. Wir können beobachten, aber ansonsten wenig anderes tun.
ZUSATZFRAGE: Appelliert man an die russische Seite, dass es jetzt eben nicht noch brutaler wird? Ich meine, dass der Krieg aufhören soll, ist klar usw.
HEBESTREIT: Wir appellieren an die russische Seite, dass sie den Angriffskrieg gegen die Ukraine unverzüglich einstellt, ihre Truppen zurückzieht und zu einem “meaningful peace” ‑ so heißt es im Englischen ‑, also zu einem gerechten Frieden bereit ist.
FRAGE: Herr Hebestreit, ich versuche es mit Blick auf Ihre Aussage auch noch einmal: Das war ja ein Putschversuch. Für wie instabil hält die Bundesregierung oder der Bundeskanzler die jetzige Lage in Russland?
HEBESTREIT: Ich glaube, die Frage wurde schon gestellt, und sie wurde schon nicht beantwortet.
FRAGE: Herr Hebestreit, inwieweit sehen Sie die Sicherheit der nuklearen Anlagen und Waffen in Russland angesichts der etwas instabilen Lage gewährleistet?
HEBESTREIT: Auch darüber kann ich hier keinerlei Aussagen treffen. Das wäre alles Spekulation.
ZUSATZFRAGE: Hat die Bundesregierung in den letzten 72 Stunden irgendeinen Kontakt mit russischen Behörden zu diesem Thema oder zu dem Putschversuch gehabt?
HEBESTREIT: Auch das kann ich an dieser Stelle und öffentlich nicht mit Ihnen teilen.
FRAGE: An Herrn Collatz zu der Frage, ob die Situation gefährlicher wird: Wie viele einsatzfähige Patriot-Systeme, die für den Schutz Deutschlands zuständig sind, gibt es im Moment eigentlich noch in Deutschland?
COLLATZ: Zu Zahlen der aktuellen Einsatzfähigkeit kann ich Ihnen hier aus Sicherheitserwägungen heraus nichts mitteilen.
ZUSATZFRAGE: Es wird im Moment aber nicht überlegt, dass man bestimmte Patriot-Systeme, die man an befreundete Nationen abgegeben hat, jetzt zurückverlegt?
COLLATZ: Wir haben ja bisher nur ‑ in Anführungsstrichen ‑ ein System an die Ukraine abgegeben. Andere Systeme stehen auf den Territorien von Partnerstaaten, gehören aber weiterhin zu den deutschen Streitkräften.
ZUSATZFRAGE: Und wären auch für den Schutz von Deutschland zuständig?
COLLATZ: Sie sind integriert in die Luftverteidigung der NATO, und das bleiben sie weiterhin.
FRAGE: Herr Hebestreit, da Sie eben sagten, Sie hätten das auch nicht voraussagen können, wenn man Ihnen die Fragen nach dem Putschversuch am Freitag gestellt hätte: Stimmen Sie mir zu ‑ vorausgesetzt, die Antwort trifft inhaltlich zu, wovon ich einmal ausgehe ‑, dass das eigentlich nur den logischen Schluss zulässt, dass die Informationen, die US-Geheimdienste seit etwa zwei Wochen über einen solchen bevorstehenden Putschversuch hatten, zumindest bei Ihnen nicht angekommen sind?
HEBESTREIT: Mit der Einschränkung, dass es zumindest bei mir so ist, würde ich Ihnen da vollkommen rechtgeben.
ZUSATZFRAGE: Der Bundeskanzler legt ja doch Wert darauf, dass es immer wieder auch direkten Kontakt mit Präsident Putin gibt. Beeinflussen die aktuellen Ereignisse die Planungen für ein mögliches weiteres Telefonat?
HEBESTREIT: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht sagen. Ich glaube, das letzte Telefonat war Ende vergangenen Jahres, liegt also schon eine ganze Weile zurück. In den vergangenen Wochen hat der Bundeskanzler auf entsprechende Fragen immer geantwortet, er werde zu gegebener Gelegenheit auch wieder den Kontakt suchen. Sie kennen das: Wenn die Gelegenheit sich ergeben hat, berichte ich darüber.
FRAGE: Noch einmal an das Nuklearthema angeschlossen: Es gibt Forderungen aus dem US-Senat, dass ein möglicher Kernkraftwerksunfall bzw. ‑ ich weiß nicht, ob ich das als einen Kernkraftwerksunfall kategorisieren möchte ‑ eine Sprengung des Kernkraftwerks Saporischja aufgrund des voraussichtlichen nuklearen Fallouts auf NATO-Gebiet gleichbehandelt werden sollte wie der Einsatz einer Nuklearwaffe. Hat die Bundesregierung eine Einschätzung, wie ein solcher vorsätzlich herbeigeführter Unfall im Kernkraftwerk einzustufen wäre?
WAGNER: Auch hier würde ich vor Spekulationen warnen. Wie Sie wissen, verfolgen wir die Lage an dem Kernkraftwerk Saporischja sehr genau, sind in ganz enger Abstimmung mit der IAEO, der da eine tragende Rolle zukommt, und schauen uns das ganz genau an. Über solche Szenarien möchte ich hier jetzt aber nicht spekulieren.
ZUSATZ: Aber es macht ja einen qualitativen Unterschied, ob man der anderen Seite signalisiert, wie ein Ereignis einzuschätzen wäre, das theoretisch im Bereich des Denkbaren liegt.
WAGNER: Verschiedene Mitglieder dieser Bundesregierung haben in der Vergangenheit immer wieder sehr deutlich gesagt, Was wir davon halten, dass man Kampfhandlungen im Umfeld eines Kernkraftwerkes durchführt. Ich habe angesprochen, dass wir dazu mit der IAEO in ganz engem Austausch stehen und dass wir sehr genau darauf schauen, was da passiert. Ich möchte hier aber nicht über die Szenarien spekulieren, die Sie da ansprechen.
[…]
FRAGE: Herr Hebestreit, die Außenministerin sagte vor dem EU-Rat: „Wir sehen einen innenpolitischen Machtkampf, einen Akt im russischen Schauspiel und Risse in Russlands Propaganda.“ Schließt die Bundesregierung bei dem, was wir da am Wochenende gesehen haben, eine Inszenierung aus?
HEBESTREIT: Auch da müsste ich ja dem widersprechen ‑ was ich ganz selten und ganz ungern tue ‑, was ich vorher gesagt habe, nämlich dass wir das beobachten, gerade aber keinen eigenen Beitrag dazu leisten können, was sich da abgespielt hat oder ‑ um es neutraler zu formulieren ‑ was da vorgefallen ist. Ich glaube, auch die Außenministerin hat das in ihrem Statement nicht getan. Es ist vielmehr so, dass das erst einmal eine innerrussische Angelegenheit ist und dass wir beobachten, was sich da vollzogen hat und sich vollzieht. Was sich am Ende tatsächlich zugetragen hat, wird erst die Zeit zeigen.
FRAGE: Herr Wagner, könnten Sie kurz umreißen, was die Ministerin mit „Risse in Russlands Propaganda“ meinte?
WAGNER: Ich bleibe bei dem, was auch Herr Hebestreit gerade gesagt hat. Die Außenministerin hat ja ihre Reise nach Südafrika um einen Tag verschoben, um eben an diesem Außenrat teilzunehmen und sich mit ihren europäischen Amtskolleginnen und -kollegen abzustimmen und die Lagebilder nebeneinander zu legen. Sie hat auch gesagt, dass wir sehr genau hinschauen und analysieren, was da jetzt passiert ist, und darauf basierend dann die Sache beurteilen werden. Das ist heute aber noch nicht Gegenstand der Tagesordnung.
Bombardierung eines Marktplatzes in der syrischen Region Idlib
FRAGE: Ich habe eine Frage zum Thema Syrien. Gestern haben russische Militärflugzeuge einen Gemüsemarkt in der Stadt Idlib bombardiert. Es sind so viele Menschen getötet worden. Kritisiert die Bundesregierung diese Verbrechen oder nicht?
WAGNER (AA): Ich habe die Berichte auch gesehen. Natürlich handelt es sich dabei um einen schrecklichen Akt. Die Lage in Syrien ist weiterhin ‑ das zeigt ja auch dieser neuerliche Angriff ‑ dramatisch für die Menschen dort. Für uns ist sehr klar, wer dafür die Verantwortung trägt, und zwar das syrische Regime, das sich ja einem politischen Prozess verweigert und weiterhin schwerste Menschenrechtsverletzungen begeht.
Gewaltakte von israelischen Siedlern in besetzten palästinensischen Gebieten
FRAGE: Herr Wagner, zur Eskalation der Gewalt in der Westbank: Beobachter und Betroffene sprechen von pogromartigen Zuständen und pogromartiger Gewalt im Westjordanland gegen Palästinenser. Wie bewerten Sie die letzten Tage dort vor Ort?
WAGNER (AA): Ich hatte mich dazu ja auch schon letzte Woche eingelassen. Wir haben die Gewaltakte von Siedlern in den besetzten palästinensischen Gebieten ja verurteilt. In der Tat ‑ Sie sprechen es an ‑ gab es jetzt am Wochenende noch einmal Vorfälle. Klar ist, dass die Bundesregierung natürlich jede Form der Gewalt verurteilt. Die Akte, die über das Wochenende hinweg von israelischen Siedlern auf palästinensische Gemeinden verübt wurden, bei denen Hunderte Palästinenserinnen und Palästinenser verletzt worden sind, und die Bilder von brennenden Wohnhäusern, Autos und Olivenhainen sind mehr als verstörend, und diese Attacken sind natürlich durch nichts zu rechtfertigen. Wir haben zur Kenntnis genommen, dass ja auch führende israelische Militärs die Vorkommnisse verurteilt haben. Wir würden uns jetzt natürlich wünschen, dass diesen Verurteilungen Taten folgen; denn wir erwarten natürlich von den israelischen Behörden, dass sie konsequent gegen die Täterinnen und Täter vorgehen.
ZUSATZFRAGE: Danach wollte ich auch fragen. Wie bewerten Sie denn die scheinbare Unfähigkeit der israelischen Sicherheitskräfte, diese Gewalt einzuhegen? Teilweise wird sie neu entfacht durch Äußerungen von Regierungsmitgliedern selbst.
Schaltet sich der Botschafter vor Ort ein, Herr Seibert?
WAGNER: Zum ersten Teil: Das habe ich ja nicht zu beurteilen. Aber es ist doch klar, dass Israel nach dem Völkerrecht als Besatzungsmacht ausdrücklich in der Pflicht steht, in den besetzten Gebieten die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten.
Der Botschafter hat sich meines Wissens ‑ ich müsste es Ihnen nachliefern ‑ auch eingelassen. Wir stehen natürlich auch mit der israelischen Regierung bezüglich dieses Komplexes und der Lageentwicklung der letzten Wochen und Monate immer wieder in engem Austausch.
FRAGE: Internationale Beobachter stellen fest, dass Israel nur in seltenen Fällen Siedlerstraftaten verfolgt oder bestraft. Es gibt wohl auch Fernsehaufnahmen, die zeigen, dass Soldaten, ohne einzugreifen, neben attackierenden Siedlern stehen. Ist das aus Sicht der Bundesregierung eine mindestens indirekte Unterstützung von solchen Aktionen durch Stillschweigen oder Nichteingreifen?
WAGNER: Ich habe ja eben gesagt, welche Verpflichtungen sich aus dem Status als Besatzungsmacht aus dem Völkerrecht ergeben. Wir pochen darauf und betonen immer wieder, dass wir natürlich erwarten, dass die israelischen Behörden und die israelischen Sicherheitskräfte auch dementsprechend handeln.
ZUSATZFRAGE: Genau deswegen frage ich ja. Wenn das, was Sie zu Recht, denke ich, erwarten, nicht passiert, ist das dann aus Sicht der Bundesregierung eine Duldung durch Nichteingreifen, indirekte Unterstützung?
WAGNER: Diese Einschätzung mache ich mir jetzt nicht zu eigen. Die Haltung der Bundesregierung zur Siedlungspolitik ist ja ganz klar. Die haben wir hier immer wieder vorgetragen. Die hat sich auch nicht verändert. Hinsichtlich dessen, was sozusagen als völkerrechtliche Verpflichtung mit Bezug auf diese Geschehnisse folgt, habe ich ja jetzt sehr ausführlich vorgetragen.
FRAGE: Herr Hebestreit, auf amerikanischer Seite ‑ das ist ja mittlerweile ein Chefthema im Weißen Haus geworden ‑ herrscht sogar Angst, dass es dort zu ethnischen Säuberungen kommen könnte. Das Weiße Haus und damit auch der US-Präsident schalten sich jetzt persönlich ein, damit Herr Netanjahu diese Gewalt deutlich unterbindet. Das könnten die Sicherheitskräfte ja tun. Hat sich der Kanzler in den letzten Wochen und Monaten diesbezüglich mit Herrn Netanjahu verständigt, also proaktiv angerufen? Können Sie davon berichten?
HEBESTREIT: Herr Netanjahu war ja im Frühjahr hier zu Gast. Dabei ist die ganze Bandbreite der bilateralen Themen, aber auch der internationalen Themen behandelt worden, und dabei spielte natürlich auch das eine Rolle. Alles Weitere zu diesem Thema hat Herr Wagner für die Bundesregierung erklärt.
ZUSATZ: Aber seitdem hat der Kanzler mit Herrn Netanjahu keinen Kontakt mehr gehabt.
HEBESTREIT: Nichts, was ich hier mitzuteilen hätte.