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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 31.05.2023

31.05.2023 - Artikel

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an UNIFIL und an EUFOR Althea

HEBESTREIT (BReg): Die Bundesregierung hat heute die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon, kurz UNIFIL, sowie die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation in Bosnien und Herzegowina mit der schönen Abkürzung EUFOR Althea beschlossen. Sie leitet dem Bundestag entsprechende Anträge zu. Beide Einsätze sollen bis zum 30. Juni 2024 verlängert werden.

Deutschland ist unverändert daran interessiert, einen dauerhaften Frieden und die Stabilität im Nahen Osten nachhaltig zu fördern.

Die VN-Mission UNIFIL bleibt im fragilen sicherheitspolitischen Umfeld und der sich verschärfenden Staats- und Wirtschaftskrise im Libanon ein wesentliches stabilisierendes Element. Der deutsche militärische Beitrag für UNIFIL soll weiterhin die Beteiligung mit einer seegehenden Einheit ‑ für uns Zivilisten: Ich gehe von Schiffen aus ‑ am UNIFIL-Flottenverband, mit Personal im UNIFIL-Hauptquartier sowie bei der Ausbildung der libanesischen Marine umfassen. Es können unverändert bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.

Mit der Fortsetzung der Beteiligung an EUFOR Althea unterstreicht die Bundesregierung ihr fortwährendes Engagement für Sicherheit und Stabilität im westlichen Balkan ebenso wie ihre Unterstützung für die Reformen, die für den Annäherungsprozess Bosniens und Herzegowinas an die EU notwendig sind. Zentrale Aufgabe der Mission ist die Unterstützung der weiterhin andauernden und bisher erfolgreichen Umsetzung des Dayton-Friedensabkommens, welches den Bosnien-Krieg 1995 beendete. Vor dem Hintergrund innenpolitischer Spannungen in Bosnien und Herzegowina ist das deutsche Engagement ein klares Bekenntnis zur nachhaltigen Stabilisierung der Region. Die Operation bleibt als Garant für Stabilität im Land essenziell. Es können unverändert bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.

[…]

FRAGE: Zu UNIFIL: Herr Collatz, Herr Hebestreit sagte, bis zu 300 Soldaten seien einsetzbar. Wie viele sind aktuell im Libanon bzw. auf See?

COLLATZ (BMVg): Derzeit haben wir bei UNIFIL etwa 70 Menschen im Einsatz.

ZUSATZFRAGE: Was war da so der Höchststand in den letzten Jahren?

COLLATZ: Es waren 150. Die Reduzierung liegt daran, dass wir derzeit die seegehende Einheit, also die Korvette, nicht im Einsatz haben, weil sie technisch bedingt in der Werft ist. Wenn sie wieder im Einsatz sein wird, werden es wieder 150 sein.

Lage im Kosovo

FRAGE: Im Kosovo gab es massive Ausschreitungen. Unter anderem sind 25 NATO-“peacekeeping”-Soldaten unter anderen in sogenannten Ausschreitungen verwundet worden. Waren auch Deutsche dabei, und wie sehen Sie die Lage?

BURGER (AA): Nein, es waren keine deutschen Soldaten darunter. Nach meinen Informationen handelt es sich um ungarische und italienische Angehörige von KFOR. Wir als Auswärtiges Amt haben uns zur Lage bereits am Montag geäußert. Ich darf das kurz wiedergeben:

„Wir verurteilen die inakzeptablen gewalttätigen Angriffe im Norden Kosovos heute Nachmittag, bei denen Dutzende von KFOR/NATO-Soldaten sowie mehrere Zivilisten verletzt wurden, auf das Schärfste. Unsere Gedanken sind bei den Verletzten, denen wir eine schnelle Genesung wünschen.

Wir fordern die sofortige Einstellung jeglicher Gewalt und aller Handlungen, die zu weiteren Spannungen führen. Eine Deeskalation der Lage ist jetzt dringend erforderlich. Wir fordern Kosovo und Serbien auf, unverzüglich Gespräche zu diesem Zweck aufzunehmen und weiter an der Umsetzung des im Februar und März erzielten Normalisierungsabkommens zu arbeiten, auch im Hinblick auf den Serbischen Gemeindeverband.

Wir unterstützen den EU-Sonderbeauftragten Miroslav Lajčák voll und ganz in seinen Bemühungen um einen Abbau der Spannungen.“

Soweit der Wortlaut unseres Statements von Montagabend.

Ich kann ergänzend sagen, dass wir den Kommandanten von KFOR, Generalmajor Ristuccia, für seine besonnene Führung der Operation und den NATO-Alliierten und Partnern, die vor Ort im Norden Kosovos im Einsatz sind, sehr, sehr dankbar sind, insbesondere den Kontingenten aus Italien und Ungarn, die hierbei zum Einsatz gekommen sind. Das zeigt, wie wichtig und entscheidend der fortgesetzte Einsatz von KFOR ist, um bei einer plötzlichen Lageverschärfung gemäß dem Mandat des UN-Sicherheitsrates zu Frieden und Sicherheit beitragen zu können.

Dazu gebe ich auch noch den Hinweis, dass der Sondergesandte der Bundesregierung für die Länder des westlichen Balkans, Manuel Sarrazin, bereits am Samstag im Lichte der sich abzeichnenden Spannungen in Kosovo nach Kosovo gereist war. Selbstverständlich unterstützt die Bundesregierung auch weiterhin nachdrücklich alle Bemühungen unter anderem durch den EU-Sonderbeauftragten Lajčák um eine Lösung dieser Spannungen.

ZUSTZFRAGE: Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für diese Eskalation?

BURGER: Ich habe gerade gesagt, dass wir eine Deeskalation der Lage für dringend erforderlich halten. Ich denke, dass es über den Hergang und die politische Situation, die in diese Ausschreitungen geführt hat, in den letzten Tagen eine intensive Berichterstattung gegeben hat. Ich werde jetzt darauf verzichten, das aus Sicht der Bundesregierung zu bewerten. Aus unserer Sicht ist es ganz entscheidend, dass jetzt alle ihrer Verantwortung nachkommen, zu einem Abbau dieser Spannungen beizutragen. Ich habe gerade auch gesagt, worin das besteht, nämlich in der Umsetzung des Normalisierungsabkommens, das im Februar und März erzielt wurde. Dazu gehört eben auch die Frage des Serbischen Gemeindeverbands.

FRAGE: Herr Hebestreit, stimmt es, dass der Kanzler morgen am Rande des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft zusammen mit Herrn Macron mit den Regierungschefs oder Präsidenten von Serbien und Kosovo zusammentreffen wird?

HEBESTREIT (BReg): Das ist geplant. Sie wissen, dass morgen die Europäische Politische Gemeinschaft in Chișinău zusammentritt. Das alles ist noch unter größten organisatorischen Herausforderungen zu stemmen. 47 Staats- und Regierungschefs werden dort zusammenkommen. Aber es ist geplant, gemeinsam mit Emmanuel Macron dieses Treffen durchzuführen. Das hat es auch in der Vergangenheit schon mehrfach gegeben, im Übrigen auch beim ersten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft im Herbst in Prag.

ZUSATZFRAGE: Nur um ganz sicherzugehen: Wird Kosovo an dem Treffen teilnehmen? Es ist ja anders als beim Europarat. Dort ist Kosovo nicht Mitglied. Wird Kosovo morgen vor Ort vertreten sein?

HEBESTREIT: So ist die Planung, ja. Kosovo war auch schon Teilnehmer des ersten Treffens der EPG.

FRAGE: Sehen Sie die Vorfälle in Kosovo als einen Rückschlag für die Umsetzung des Normalisierungsprozesses?

BURGER: Ich habe gesagt, für wie besorgniserregend wir diese Entwicklung halten. Dass wir uns jetzt sehr intensiv bemühen, auf allen Ebenen, wie es auch der Regierungssprecher gerade deutlich gemacht hat, für eine Auflösung der Spannungen zu sorgen bzw. dazu beizutragen, zeigt, dass wir das nicht als Schritt in die richtige Richtung bewerten.

FRAGE: Sie haben darauf hingewiesen, dass über die Ursachen der Zusammenstöße oder gewaltsamen Auseinandersetzungen berichtet wurde. Wesentliche Ursache war wohl, dass sich die ethnischen Serben im Kosovo nicht an den Wahlen beteiligt haben, sodass nur albanische Amtsinhaber eingesetzt wurden.

Wie kommt man aus deutscher Sicht aus dieser Situation heraus? Müssen Wahlen wiederholt werden? Appellieren Sie an die Serben, sich an den Wahlen zu beteiligen? Wie sieht der Ausweg aus, den Deutschland favorisiert?

BURGER: All das sind sehr wichtige Themen, über die wir mit den Parteien in einem sehr intensiven Gespräch sind. Ich denke trotzdem, dass hier nicht der richtige Ort ist, um die Rezepte zu verkünden. Aber dafür, genau solche Situationen zu vermeiden, ist das Normalisierungsabkommen da, um dessen Zustandekommen sich Deutschland und Frankreich intensiv bemüht haben.

ZUSATZFRAGE: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, wer für die Verletzung der KFOR-Soldaten verantwortlich ist? War es eher die albanische oder eher die serbisch-ethnische Konfliktpartei?

BURGER: Welche Erkenntnisse dazu im Einzelnen vorliegen und in welchem Detailgrad, müsse ich Ihnen nachreichen.

FRAGE: Herr Burger, können Sie sagen, ob Sie irgendwelche Erkenntnisse darüber haben, dass sich diese wiederaufgeflammten Spannungen auch auf Bosnien-Herzegowina und den serbischen Landesteil dort auswirken? Denn dort hat es früher auch immer einmal Spannungen gegeben.

BURGER: Es ist richtig, dass es auch dort immer einmal wieder Spannungen gegeben hat. Ich denke trotzdem, dass es wichtig ist, die Situation in jedem einzelnen Land für sich zu betrachten. Die Dynamik, die es in den letzten Tagen in diesen Gemeinden im Norden Kosovos gegeben hat, hat sich aus einer ganz lokalen Situation ergeben, wie es sich in der Berichterstattung auch wiederfindet. Das hat keine unmittelbare Entsprechung in Bosnien-Herzegowina. Trotzdem halten wir es nach wie vor für notwendig, uns auch dort für Stabilität und für die Umsetzung des Dayton-Abkommens zu engagieren. Deswegen erfolgte heute im Kabinett auch der Beschluss zur Fortsetzung unserer Beteiligung an der Mission Althea.

Einführung einer Obergrenze von 350 Personen für die Gesamt­präsenz Deutschlands in Russland durch die russische Regierung

BURGER (AA): Ich habe Ihnen eine Mitteilung zum Thema Russlands zu machen. Im vergangenen Monat hat uns die russische Regierung mitgeteilt, dass sie die deutsche Gesamtpräsenz in Russland auf 350 Personen begrenzt. Russland zählt neben unseren Entsandten und lokal Beschäftigten an der deutschen Botschaft in Moskau und an unseren Generalkonsulaten ausdrücklich auch alle Beschäftigten bei unseren Kulturmittlern, also etwa an den deutschen Schulen und Goethe-Instituten zu diesem Personenkreis.

Damit ist die russische Regierung einen Schritt der Eskalation gegangen. Diese ungerechtfertigte Entscheidung zwingt die Bundesregierung zu einem sehr erheblichen Einschnitt in allen Bereichen ihrer Präsenz in Russland. Ziel der Bundesregierung ist es, eine Minimalpräsenz der Mittler in Russland bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung auch der diplomatischen Präsenz sicherzustellen. Dies ist nur möglich, wenn in allen Bereichen die Zahl der Mitarbeitenden teils stark reduziert wird. Betroffen sind die entsandten Mitarbeitenden in unseren Auslandsvertretungen, die entsandten Mitarbeitenden der Mittler und die lokal Beschäftigten Mitarbeitenden der Auslandsvertretungen und der Mittler. Deshalb werden auch strukturelle Veränderungen notwendig.

Um den russischen Vorgaben zur Begrenzung unseres Personals nachkommen zu können, hat die Bundesregierung entschieden, die deutschen Generalkonsulate in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk zu schließen. Der Dienstbetrieb wird schon jetzt erheblich reduziert und bis November eingestellt. Die Botschaft Moskau und das Generalkonsulat in Sankt Petersburg werden aufrechterhalten.

Für die russische Präsenz in Deutschland gilt unsere Entscheidung reziprok, um eine Ausgewogenheit der beiderseitigen Präsenzen sowohl personell als auch strukturell sicherzustellen. Darum haben wir entscheiden, die Zustimmung zum Betrieb von vier der fünf in Deutschland betriebenen russischen Generalkonsulate zu entziehen. Dies wurde dem russischen Außenministerium heute mitgeteilt. Russland wurde aufgefordert, die Abwicklung der vier Generalkonsulate in der Bundesrepublik Deutschland umgehend zu veranlassen und bis spätestens zum 31. Dezember 2023 abzuschließen.

Aus Sicht der Bundesregierung ist mit der nun hergestellten personellen und strukturellen Parität der Präsenzen diese Thematik abgeschlossen.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal betonen: Unabhängig von der einseitig durch die russische Regierung fixierten Begrenzung der deutschen Gesamtpräsenz in Russland ist die im April erfolgte Ausreise einer bestimmten Anzahl entsandter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter russischer diplomatischer und konsularischer Vertretungen zu sehen. Wie von dieser Stelle aus schon einmal erläutert, waren diese Personen Tätigkeiten nachgegangen, die dem Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen widersprechen. Die Ausreiseaufforderung war daher angesichts der von diesem Personal ausgehenden Gefährdung der inneren Sicherheit und für unsere Interessen alternativlos.

Die russische Seite hatte daraufhin die gleiche Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern deutscher diplomatischer und konsularischer Einrichtungen zur Ausreise aufgefordert, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Mit diesem Schritt mussten wir rechnen, auch wenn wir ihn nicht für gerechtfertigt halten.

Zusätzlich ‑ und hierin liegt der aktuell eskalatorische Schritt der russischen Seite ‑ hat Russland jedoch die erwähnte Obergrenze verhängt. Auch diese Maßnahme halten wir nicht für gerechtfertigt, mussten ihr jedoch auch im Interesse des Schutzes der Bediensteten bei den deutschen Auslandsvertretungen und den Kulturmittlerorganisationen nachkommen.

FRAGE: In welchen Städten werden die russischen Konsulate geschlossen? Will Deutschland die Zahl der russischen Vertreter in Deutschland auch auf 350 begrenzen?

Vielleicht noch zusätzlich eine Frage zum Russischen Haus in Berlin.

BURGER: Russland wird es weiterhin gestattet, reziprok zu unserer Präsenz in Russland die russische Botschaft in Berlin und ein weiteres Generalkonsulat zu unterhalten. Die anderen Generalkonsulate sind bis zum 31. Dezember zu schließen. Dazu, wie das konkret umzusetzen ist, sind wir mit der russischen Seite im Gespräch. Ich habe dazu heute von dieser Stelle aus keine weiteren Informationen mitzuteilen.

ZUSATZFRAGE: Ist auch die Obergrenze von 350 im Gespräch, sodass auch die Zahl russischer Vertreter in Deutschland auf 350 begrenzt wird?

BURGER: Wie gesagt, habe ich dazu jetzt keine weiteren Maßnahmen zu verkünden.

FRAGE: Das wären auch meine Fragen gewesen, ob also diese Zahl von 350 auch die Maßgabe an Russland ist.

BURGER: Dazu wiederhole ich einen Satz, den ich vorher gesagt habe, dass durch diesen Schritt, den ich gerade angekündigt habe, aus unserer Sicht die personelle und strukturelle Parität hergestellt ist.

FRAGE: Wie viele Mitarbeitenden hatten sie vorher in Russland? Sie sagen: Jetzt Obergrenze von 350. ‑ Was bedeutet das? Hatten Sie vorher das Doppelte? Könnten Sie ein paar Zahlen dazu angeben?

Wie viele russische Bedienstete sind insgesamt in Deutschland, und welche russischen Konsulate werden in Deutschland von der Schließung betroffen sein?

BURGER: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich mehr Informationen über die Zahl unserer Bediensteten hier aus grundsätzlichen Erwägungen nicht mitteile. Das erfolgt insbesondere mit Blick auf den Schutz der Betroffenen.

Die Frage, welche russischen Generalkonsulate betroffen sind, hat Ihr Kollege gerade schon gestellt. Ich kann dazu im Moment nichts weiter mitteilen außer, dass der russischen Seite weiterhin der Betrieb der russischen Botschaft hier in Berlin und eines weiteren Generalkonsulats gestattet wird.

ZUSATZFRAGE: Können Sie etwas dazu sagen, wie viele russische Bedienstete momentan insgesamt in Deutschland tätig sind? Sie wollen mit Rücksicht auf den Schutz der Deutschen nichts zu den Zahlen in Russland sagen. Aber umgekehrt: Wie viele Russen sind hier für die Regierung tätig?

BURGER: Auch dazu werde ich jetzt keine Angaben machen.

FRAGE: Wie viele Konsulate betreibt Russland in Deutschland? Ich habe es vorhin nicht mitbekommen.

BURGER: Derzeit fünf.

ZUSATZFRAGE: Und vier werden dann …

BURGER: Richtig.

FRAGE: Ist der Prozess rückgängig zu machen, und, wenn ja, in welchem Verfahren?

BURGER: Das ist eine sehr hypothetische Frage, weil die Entwicklung derzeit bedauerlicherweise in die genau umgekehrte Richtung geht und wir uns leider derzeit nicht unter politischen Ausgangsbedingungen befinden, unter denen wir über eine Intensivierung der Kontakte zu Russland sprechen könnten. Das bedauern wir sehr. Das ist aber die Folge des Handelns der russischen Regierung.

Das förmliche Verfahren, um beispielsweise ein neues Generalkonsulat in einem anderen Land zu errichten, ist im Wiener Übereinkommen über die konsularischen Beziehungen festgelegt. Das erfordert letztlich, dass sich beide Staaten miteinander darüber vereinbaren, dass der Empfangsstaat zustimmt, dass der Entsendestaat eine neue konsularische Präsenz im Empfangsstaat errichtet. Das ist ein förmliches Verfahren, über das es internationale Konventionen gibt und das auf beiden Seite bekannt ist. Aber im Moment befinden wir uns, wie gesagt, bedauerlicherweise in einer Situation, in der wir über eine Reduktion unserer Präsenz sprechen müssen.

ZUSATZFRAGE: Genau deswegen frage ich ja.

Wenn Generalkonsulate jetzt geschossen, dicht gemacht werden, würde es dann, wenn sich Möglichkeiten ergeben, sie wiederzueröffnen, ein Verfahren von Null an bedeuten. Man tut so, als sei noch gar keines da gewesen, und müsste dann sagen: Wir planen, würden gerne, und seid ihr einverstanden? ‑ Ist das so, oder könnte man im gegenseitigen Einvernehmen zu einem geeigneten Zeitpunkt sagen: „Wir machen diese Schließungen in einem vereinfachten Verfahren wieder rückgängig und eröffnen die Generalkonsulate wieder“? Die Struktur, die Substanz, letztlich auch das Personal waren ja vorhanden.

BURGER: Ehrlich gesagt, ist das jetzt etwas spekulativ. Meine Vermutung wäre: Der formale Schritt, die sozusagen förmliche Zustimmung zur Errichtung, zum Betrieb einer solchen Vertretung wiederherzustellen, wäre im Zweifelsfall der kleinere praktische Schritt gegenüber all dem, was administrativ, organisatorisch, logistisch, bautechnisch mit so etwas verbunden ist.

Aber wie gesagt: Im Moment sind wir leider nicht in der Situation, dass wir darüber sprechen, sondern im Moment sind wir leider gezwungen, über eine Schließung von Vertretungen zu sprechen.

FRAGE: Herr Burger, was bedeutet eine Schließung? Bedeutet es, nur die Tür für einen bestimmten Zeitraum zuzumachen, oder muss Russland die Liegenschaften komplett aufgeben?

Die Rechtsgrundlage ist ‑ Sie haben es gerade angedeutet ‑ komplett das Wiener Übereinkommen. Gilt das auch für die Schritte, die jetzt eingeleitet wurden?

BURGER: Genau. Das ist das Wiener Übereinkommen, bzw. das sind die beiden Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen.

Eine Schließung bedeutet, dass dort dann keine konsularische Vertretung mehr besteht. Dadurch verschwindet natürlich nicht das Gebäude, und es ändert sich auch zunächst einmal nichts an den privatrechtlichen Eigentumsverhältnissen an diesen Gebäuden. Ich kann Ihnen aus dem Kopf nicht sagen, wem diese Gebäude gehören. Aber dort wird dann ab diesem Moment keine konsularische Präsenz mehr sein.

FRAGE: Gibt es für die Zahl 350 und die geschlossenen Konsulate irgendeine rationale Begründung, oder ist das eine willkürlich gegriffene Zahl?

BURGER: Das ist die Zahl, die uns von der russischen Seite auferlegt wurde. Die Zahl 350 ist uns von der russischen Seite mitgeteilt worden, damals als ein aus unserer Sicht zusätzlicher eskalatorischer Schritt zu der reziproken Ausweisung von deutschem Personal. Die russische Seite hat damals bereits öffentlich gemacht, dass sie eine solche Obergrenze einführt.

Die Schwelle, die Russland gewählt hat, führt bei uns eben zu der Notwendigkeit, sehr, sehr massiv in die bestehenden Strukturen an Personal und eben auch an unserer Vertretung einzugreifen.

FRAGE: Herr Burger, warum lässt man Russland bis Ende des Jahres Zeit? So sagten Sie, glaube ich. Wenn es genau reziprok wäre, dann müsste das ja eigentlich auch jetzt schon Anfang Juni passieren, weil: So ist das ja wohl von der russischen Seite gewollt, was die deutschen Mitarbeiter angeht.

BURGER: Ich habe Ihnen gesagt, dass der Dienstbetrieb an den Generalkonsulaten, die wir schließen, also in Kaliningrad, Jekaterinburg und Nowosibirsk, bis November eingestellt wird. Dementsprechend haben wir uns dazu entschieden, der russischen Seite für die Schließung ihrer Konsulate in Deutschland Zeit bis zum Jahresende einzuräumen.

FRAGE: Was können Sie mit 350 Mitarbeitern noch bewirken? Heißt das zum Beispiel, dass das Goethe-Institut in Russland komplett schließen wird?

BURGER: Sie wissen möglicherweise, dass es ohnehin schon sehr einschränkende, restriktive Maßnahmen der russischen Seite gegen das Goethe-Institut in Form von Kontensperrungen gegeben hat, sodass die Arbeitsfähigkeit insbesondere des Goethe-Instituts sowieso schon massiv infrage gestellt war. Aber es ist in der Tat so, wie ich gerade gesagt habe, dass wir für die Kulturmittler nur noch eine Minimalpräsenz aufrechterhalten können und zugleich weiterhin die diplomatische Präsenz in Russland aufrechterhalten wollen.

FRAGE: Habe ich es richtig verstanden, dass (in Russland) nicht die Anzahl der Konsulate beschränkt wurde, sondern nur die Anzahl der Mitarbeiter, Sie aber in Deutschland die Anzahl der Konsulate beschränken, also nicht reziprok handeln? Ist das richtig?

BURGER: Jein. Richtig ist, dass wir durch die russische Begrenzung unseres Personals, durch die von Russland einseitig verhängte Personalobergrenze gezwungen sind, drei unserer Generalkonsulate in Russland zu schließen, also nur noch zwei diplomatische und konsularische Vertretungen in Russland geöffnet zu halten. Als reziproke Maßnahme legen wir nun eben der russischen Seite auf, ebenfalls die Zahl ihrer Vertretungen in Deutschland auf zwei zu reduzieren.

ZUSATZ: Das würde aber bedeuten, dass zur Wiedereröffnung der deutschen Konsulate keine neuen Anträge gestellt werden müssten, die russische Seite dies aber in Deutschland tun müsste.

BURGER: Das ist mir jetzt zu theoretisch.

ZUSATZ: Na ja, es geht um Konsulate. Das ist nichts Unerhebliches.

BURGER: Es ist nur eine völlig hypothetische Frage, weil wir, wie gesagt, gerade nicht über die Wiedereröffnung sprechen, sondern wir sprechen über die Schließung. Davon, unter welchen Bedingungen eine Wiedereröffnung vorstellbar wäre, sind wir, wie gesagt, weit entfernt. Deswegen lässt sich, glaube ich, die Frage so, wie Sie sie gestellt haben, im Moment nicht seriös beantworten. Davon, unter welchen Bedingungen man überhaupt über eine Wiedereröffnung sprechen könnte, sind wir im Moment eben weit entfernt.

FRAGE: Herr Burger, ich habe verstanden, dass das Konsulat in Sankt Petersburg bleibt.

BURGER: Richtig.

ZUSATZFRAGE: Welche Auswirkungen haben denn die Schließungen der deutschen Konsulate in diesen drei Städten für die Visavergabe? Bleibt es bei dem Plan, dass ab morgen, also ab dem 1. Juni, die Visaantragsannahme durch die VisaMetric-Zentren in diesen Städten ‑ ‑ ‑ Bleibt es bei diesem Plan, dass sich für die Leute, die ein Visum für die Einreise nach Deutschland brauchen, eigentlich nichts bis auf die Tatsache ändert, dass es länger dauert?

BURGER: Ob es länger dauert, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Aber es ist in der Tat so, dass die Visaantragsannahme an externe Dienstleister ausgelagert ist. Die bleiben bestehen. Nur die Bearbeitung der Visaanträge wird von den anderen Generalkonsulaten nach Moskau verlagert.

FRAGE: Herr Burger, wenn Sie von diesen unmittelbaren Maßnahmen einen Schritt zurücktreten, was sagt das denn dann über den Stand der deutsch-russischen Beziehungen diplomatisch, kulturell, wirtschaftlich, sofern sie überhaupt noch bestehen? Gab es schon einmal seit 1945 so eine Situation in Bezug auf Moskau?

BURGER: Ich tue mich mit den historischen Vergleichen jetzt schwer. Ich überblicke das nicht aus dem Stegreif. Aber natürlich sind die Beziehungen zu Russland seit seinem Überfall auf die Ukraine, seit diesem Bruch des Völkerrechts, seit diesem Angriff auf die europäische Friedensordnung massiv belastet. Das zeigt sich in allen Bereichen unserer Beziehungen. Ich habe gerade schon ausgeführt, dass die Arbeit unserer Kulturmittler, unter anderem des Goethe-Instituts, ohnehin in Russland in letzter Zeit massivsten Einschränkungen unterliegt.

Selbstverständlich führt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch in ganz vielen anderen Bereichen dazu, dass für Aktivitäten, Austauschformate, gemeinsame Projekte, die wir vor drei, vier Jahren noch für sinnvoll gehalten und an denen wir gerne mit Russland gearbeitet hätten, heute einfach jegliche Grundlage fehlt. Insofern ist es bedauerlich, dass wir heute über eine solche Reduktion von diplomatischen und konsularischen Präsenzen sprechen müssen. Aber es ist das Verhalten der russischen Seite, das uns in diese Situation gebracht hat. Wir stehen als Bundesregierung vor der Aufgabe, die Interessen Deutschlands hier zu vertreten und darauf zu achten, dass es in diesen Beziehungen und eben auch mit Blick auf die konsularische und diplomatische Präsenz eine Ausgewogenheit gibt – eine echte und nicht nur auf dem Papier.

ZUSATZFRAGE: Haben Sie dort noch genügend Personal, um etwaige Beziehungen oder Diskussionen über den Verlauf des Kriegs und die Beendigung des Kriegs in der Ukraine führen zu können, oder wird das davon auch beeinträchtigt?

BURGER: Wie gesagt, unser Ziel ist, die diplomatische Präsenz in Russland aufrechtzuerhalten. Mit der Art und Weise, wie wir die Reduktion des Personals, die uns Russland auferlegt hat, jetzt ausgestalten, kann aus unserer Sicht die diplomatische Präsenz in Russland sichergestellt werden.

FRAGE: Herr Burger, ich hätte ganz gerne gefragt, ob Sie ähnliche Eskalationen auch im Verhältnis Russlands zu anderen europäischen Ländern oder den USA sehen, oder ist nur Deutschland im Moment von dieser Art der Eskalation betroffen?

BURGER: Ich kann das jetzt nur sehr kursorisch und anekdotisch beantworten. Aber auch im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten und auch bei anderen westlichen Partnern hat es Schließungen von konsularischen Vertretungen gegeben und hat die russische Seite teilweise strengste Restriktionen auferlegt, was die Beschäftigung von sowohl entsandten als auch lokal beschäftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den diplomatischen Vertretungen vor Ort angeht.

ZUSATZFRAGE: Mir ging es ein bisschen mehr um das Ausmaß. Wenn von russischer Seite die Botschaft und ein Konsulat geöffnet bleiben darf, ist das mit der Situation in Großbritannien oder Frankreich vergleichbar?

BURGER: Ich bitte Sie, diesen Vergleich selber anzustellen. Ich glaube, es ist sehr, sehr schwierig, das von meiner Seite aus zu tun, weil sich die Ausgangssituation von Land zu Land völlig unterscheidet. Wenn man zueinander ins Verhältnis setzt, mit wie vielen Konsulaten wir in Russland vertreten sind, mit wie vielen Konsulaten andere Länder möglicherweise vertreten sind, kann man sicherlich seine Schlüsse ziehen. Ich glaube, das können Sie mindestens genauso gut wie ich.

FRAGE: Bayern hat als erstes Bundesland zwei russische Staatsbürger wieder nach Russland abgeschoben. Ich hätte gerne gewusst, wie die Bundesregierung das beurteilt.

BURGER: Mir liegen dazu keine Informationen vor.

KALL (BMI): Das beurteilen wir von hier aus erst einmal nicht, weil für Abschiebungen die Länder zuständig sind. Es ist nach dem Aufenthaltsgesetz Sache der Länder, Abschiebungen vorzunehmen. Deswegen würde ich Sie bitten, sich an die bayerischen Behörden zu wenden.

ZUSATZ: Es gibt aber seitens des BAMF Richtlinien. Es gab auch hier schon die Aussage, dass man mit Abschiebungen aufgrund der Rekrutierungsfrage in Russland zurückhaltend sein wolle.

KALL: Man kann ja nur abschieben, wenn ein Asylgesuch final abgelehnt wurde. Dagegen besteht selbstverständlich Rechtsschutz vor den Gerichten in Deutschland. Nur wenn ein solches Verfahren abgeschlossen ist, finden auch Abschiebungen statt. Das kann ich so generell sagen. Das ist dem natürlich vorgelagert.

In Bezug auf den konkreten Fall müssten Sie sich bitte an die bayerischen Behörden wenden.

FRAGE: Kurz zurück zu den Konsulaten, wenn das geht. Herr Hebestreit, wie bewertet denn der Bundeskanzler diesen doch ziemlich starken Schritt?

Gibt es Pläne oder aktuell Vorhaben, wieder einmal mit Präsident Putin zu telefonieren oder so was?

HEBESTREIT: Ich glaube, der Bundeskanzler ist von dieser Entwicklung, die sich ja abgezeichnet hat ‑ ‑ ‑ Die Diskussion über die Obergrenze, die die russische Seite Deutschland gesetzt hat, gibt es seit einigen Wochen. Insofern haben wir uns innerhalb der Bundesregierung eng abgesprochen, wie wir darauf reagieren können, was das für unsere Präsenz in Russland heißt und was das reziprok für die russische Präsenz in Deutschland bedeutet.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Bundeskanzler hat, glaube ich, das letzte Mal Anfang Dezember mit dem russischen Präsidenten telefoniert und hat in den letzten Äußerungen dazu in den letzten Wochen immer wieder gesagt, er werde das auch wieder tun. Aber konkretere Planungen oder Zeitpunkte sind mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bekannt.

FRAGE: Herr Hebestreit, wie bewerten denn die Bundesregierung und der Bundeskanzler den gestrigen Drohnenangriff auf die russische Hauptstadt und eventuell auch die Attacken auf das russische Kernland in Krasnodar und anderen Gebieten?

HEBESTREIT: Ich glaube, am gestrigen Tag haben wir vor allem sehr heftige Drohnenangriffe und Raketenangriffe auf Kiew erlebt. Der Bundeskanzler hat gestern mit dem ukrainischen Staatspräsidenten telefoniert und hat sich das erläutern lassen. Das waren mit die heftigsten Angriffe, die es auf Kiew gegeben hat. Die Luftverteidigung hat dort gut gearbeitet und reagiert. Allerdings hat es – das wissen Sie ‑ auch Schäden gegeben.

Ansonsten haben wir keine eigenen Erkenntnisse über die Drohneneinschläge, die es über Moskau gegeben haben soll. Grundsätzlich ist es so, dass das Völkerrecht vorsieht, dass ein Land sich verteidigt. Die Verteidigung gegen den Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine ist legitim. Allerdings hat der Bundeskanzler immer wieder deutlich gemacht: Was den Einsatz deutscher Waffen angeht, sind diese dafür da, das ukrainische Territorium zu verteidigen.

ZUSATZ: Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Sie die Angriffe der Ukrainer mit ukrainischen Waffen auf das russische Kernland für legitim halten.

HEBESTREIT: Ich habe nicht den eigentlichen Angriff angeführt, sondern das Völkerrecht. Und das Völkerrecht hält solche Angriffe für legitim.

Visavergabe und Einreise von besonders gefährdeten Personen aus Afghanistan nach Deutschland

FRAGE: Meine Kollegen des NDR berichten heute darüber, dass in zahlreichen Ländern rund um Afghanistan ‑ Iran oder auch Pakistan ‑ Menschen darauf warten, ein Visum für eine Ausreise nach Deutschland zu bekommen. Nach Angaben der Bundesregierung sind es über 14 000 Menschen, die gefährdet sind. Die Frage ist: Wie lange wird man brauchen, bis die Visa an diese 14 080 Menschen – das war die Angabe der Bundesregierung – vergeben werden können? Ist das mit den verschärften Sicherheitsvorkehrungen für die deutsche Botschaft in Islamabad in Pakistan überhaupt zu schaffen, weil in anderen Ländern wie in Teheran gar keine Visa mehr ausgegeben werden? Die Frage richtet sich an das AA und wahrscheinlich auch an das BMI.

BURGER (AA): Ich habe den Eindruck, dass vielleicht bei der Zahl ein kleines Missverständnis besteht. Sie haben von 14 000 gesprochen. Meinem Verständnis nach sind wahrscheinlich mehrere Gruppen zueinander aufaddiert: zum einen Personen, die noch in Afghanistan selbst sind und bereits eine Aufnahmezusage für Deutschland bekommen haben, aber zum anderen eben auch Menschen, die mit einer solchen Aufnahmezusage aus Deutschland schon aus Afghanistan in eines der beiden Nachbarländer Pakistan oder Iran ausgereist sind, dort nun ein Visum bekommen sollten, nun aber durch die Tatsache betroffen sind, dass wir im März gemeinsam entschieden hatten, die Ausreise im Rahmen dieser Aufnahmeprogramme zu stoppen, um neue Sicherheitsverfahren einzuführen.

Insofern muss die Antwort auf Ihre Frage vielleicht mehrteilig sein. Zum einen stellt sich natürlich die Frage: Wann werden wir die Aufnahme und damit eben auch die Visavergabe für Menschen mit Aufnahmeverfahren wieder aufnehmen können? Das werden wir dann tun, wenn die neuen angepassten Sicherheitsverfahren in Kraft sind und funktionieren. Das wird bald der Fall sein. Daran arbeiten wir sehr, sehr intensiv. Ich kann Ihnen aber hier und heute dafür noch kein Datum nennen.

Sie wissen vielleicht, dass wir für das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan eine monatliche Zahl von 1000 Personen vereinbart hatten, die im Rahmen dieses Programms nach Deutschland kommen können. Hinzukommen noch Menschen mit Aufnahmezusage, etwa als ehemalige Ortskräfte. Also gehen Sie einmal davon aus, dass die Kapazitäten zur Bearbeitung an unserer Auslandsvertretung Islamabad entsprechend bemessen sind, um mit dieser Größenordnung auch zurechtzukommen.

Eine andere Schwierigkeit ist natürlich für viele Menschen zunächst einmal die Ausreise aus Afghanistan. Die Menschen, die schon eine Aufnahmezusage haben, sich aber noch in Afghanistan befinden ‑ das sind zum Großteil ehemalige Ortskräfte, die dort für deutsche Institutionen gearbeitet hatten ‑, befinden sich zum Großteil noch deswegen in Afghanistan, nicht weil es einen Engpass bei der Visavergabe gegeben hätte, sondern weil sie es bisher nicht geschafft haben, aus Afghanistan auszureisen.

Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der wichtigste ist, dass sowohl die Taliban als auch die Nachbarstaaten für die Ausreise aus Afghanistan verlangen, dass alle Menschen, die ausreisen möchten, einen Pass haben. Viele der Betroffenen hatten bisher keine Pässe. Es ist für Menschen in Afghanistan unter bestimmten Umständen sehr, sehr schwierig, an einen solchen Pass heranzukommen. Dabei unterstützen wir sehr intensiv. Wie gesagt, es ist uns in der Vergangenheit durch Unterstützung bei der Ausreise aus Afghanistan schon gelungen, pro Monat deutlich über 1000 Menschen ‑ sogar 2000, 3000 Menschen pro Monat ‑ aus Afghanistan herauszubekommen. Die Bearbeitungskapazität wird hier zunächst einmal nicht das Nadelöhr sein. Aber es ist richtig: Dort sitzen im Moment Menschen fest. Es sitzen auch Menschen in den Nachbarländern fest, die wir eigentlich schon längst nach Deutschland in Sicherheit gebracht haben wollten. Es ist allerdings aufgrund der Sicherheitsbedürfnisse in Deutschland erforderlich, dass das entsprechende Sicherheitsverfahren in Kraft ist, bevor es damit weitergehen kann. Wenn das angelaufen ist, werden wir natürlich alles daransetzen, diese Menschen so schnell wie möglich und so schnell es irgendwie geht nach Deutschland zu bringen.

ZUSATZFRAGE: Es gab den Vorwurf von Missbrauch, dass also missbräuchlich vorgeschlagen worden ist. Dauert es deshalb so lange, um zu prüfen, ob wirklich jemand berechtigten Anspruch hat, nach Deutschland zu kommen? Ist das neben der Passfrage, die Sie gerade erläutert haben, ein Hintergrund für die längere Dauer?

BURGER: Ein Hintergrund ist, wie ich gerade gesagt habe, dass wir entschieden haben, ein verbessertes Sicherheitsverfahren einzuführen. Der Hintergrund ist dafür in der Tat, dass es einzelne Hinweise auf Missbrauchsversuche gab. Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand sind all diese Missbrauchsversuche im Visaverfahren erkannt und unterbunden worden. Aber das hat uns, die beteiligten Ressorts und Behörden, gemeinsam zu der Schlussfolgerung gebracht, dass wir einen zusätzlichen Sicherheitsschritt brauchen. Diesen einzuführen ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Das führt für diese Menschen zu einer Verzögerung. Aber, wie gesagt, wenn das Verfahren einmal aufgebaut ist, gehen wir davon aus, dass wir vor Ort auch eine entsprechend hohe Bearbeitungskapazität sicherstellen können, damit Menschen zügig in Sicherheit kommen können.

Ja, natürlich ist es so, dass in einem Visumverfahren jeder zusätzliche Prüfschritt mit einer zusätzlichen Bearbeitungsdauer verbunden ist. Es ist aber aufgrund der Tatsache, dass die Situation in Afghanistan so gefährlich und so kompliziert ist, wie sie ist, so, dass wir keine Möglichkeit haben, in Afghanistan selbst zu arbeiten ‑ wir haben keine diplomatische Präsenz vor Ort und können keine Gespräche mit Menschen führen – und es einfach nötig ist, dass wir, um unseren Verpflichtungen in Deutschland gerecht zu werden, sehr, sehr sorgfältig vorgehen.

KALL (AA): Herr Burger hat jetzt schon sehr vieles gesagt. Ich kann nur aus Sicht des Bundesinnenministeriums sagen, dass Sicherheit natürlich die oberste Priorität bei der Frage hat, welche Menschen wir in Deutschland aufnehmen, dass selbstverständlich diese Menschen von den Sicherheitsbehörden überprüft werden und auch in der Vergangenheit schon überprüft worden sind. Herr Burger hat es ja gesagt: Diese Fälle sind im Visaverfahren auch aufgefallen. Aber trotzdem ist es natürlich so, dass, wenn Missbrauchsrisiken bestehen und erkannt werden, man sie abstellen muss und wir deswegen zusätzliche Schleifen und Sicherheitsmechanismen einführen. Das sind insbesondere sehr detaillierte Interviews mit den jeweiligen Personen, um sie noch genauer durch die Sicherheitsbehörden checken zu können. Sobald das eingeführt ist, können die Ausreisen dann wieder erfolgen.

Gratulation des Bundeskanzlers zum 100. Geburtstag von Henry Kissinger

FRAGE: Herr Hebestreit, Herr Scholz hatte am Wochenende Herrn Kissinger zu seinem 100. Geburtstag gratuliert. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Post auf dem Social-Media-Kanal veranlasst hatten. Es gab große Kritik daran, weil er ihn einseitig als Friedensnobelpreisträger bezeichnet hat, dabei gilt Kissinger in weiten Teilen der Welt als Kriegsverbrecher. Es ist unter anderem hauptverantwortlich für die Ausweitung des Vietnamkriegs und des Bombenteppichs auf Laos und Kambodscha. Laut “Human Rights Watch” war Kissinger direkt für 350 000 tote Zivilisten in Laos und 600 000 tote Zivilisten in Kambodscha verantwortlich. Er hat sich dafür auch nie ansatzweise entschuldigt. Blendet der Kanzler die nachgewiesenen Taten und Handlungen von Herrn Kissinger aus, wenn er ihn einseitig als Friedensnobelpreisträger bezeichnet?

HEBESTREIT (BReg): Der Bundeskanzler hat Henry Kissinger zu seinem 100. Geburtstag gratuliert und hat ihn für die Verdienste gewürdigt, für die er gewürdigt gehört. Ich finde, zum 100. Geburtstag gehört sich das auch so. Alle Insinuierungen, die Sie einerseits anbringen, auch die Kritik, ist ihm natürlich nicht verborgen geblieben, ist niemandem verborgen geblieben. Gleichzeitig ist das etwas, was zu einem Geburtstagsgruß gemeinhin nicht unbedingt dazugehört. Wenn Sie das anders sehen, können Sie das auch anders handhaben.

ZUSATZFRAGE: Dem Kanzler sind diese Taten von Herrn Kissinger bekannt und dass er gerade in weiten Teilen Asiens als Kriegsverbrecher gilt?

HEBESTREIT: Ich sage jetzt das, was ich hier sehr ungern sage: Ich bleibe bei dem, was ich Ihnen eben gesagt habe, und habe dem nichts hinzuzufügen.

FRAGE: Herr Burger, es fällt vielleicht auf, dass die Bundesaußenministerin ihrem Amtskollegen quasi nicht Glückwünsche übersendet hat. War das Absicht oder ein Versehen ihrerseits? Herr Kissinger wird ja manchmal als der Forrest Gump der Kriegsverbrechen bezeichnet, weil er überall, wo in den Sechziger- und Siebzigerjahren Kriegsverbrechen begangen wurden, irgendwie seine Finger im Spiel hatte. Herr Hebestreit hat ja gesagt, dass das der Bundesregierung bewusst ist.

BURGER (AA): Der Amtskollege von Außenministerin Baerbock heißt Tony Blinken. Henry Kissinger war meines Wissens auch nie Außenminister der Vereinigten Staaten.

ZURUF: Doch!

BURGER: War er? Pardon. – Dann sehen Sie, wie ungeeignet ich bin, diese historische Einordnung hier vorzunehmen.

Mir wäre nicht bewusst, dass es ein solches Glückwunschschreiben der Außenministerin gegeben hätte. Ich kann aber auch die Existenz oder Nichtexistenz eines solchen Schreibens hier nicht weiter für Sie interpretieren.

Telefonat des Bundeskanzlers mit dem türkischen Präsidenten

FRAGE: Der Bundeskanzler hat mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag telefoniert. Laut der Pressemitteilung wollen beide Seiten an einer guten Entwicklung im östlichen Mittelmeer arbeiten. Was wäre für die Bundesregierung eine gute Entwicklung in Bezug auf Griechenland und auf Zypern?

HEBESTREIT (BReg): Das ist jetzt sehr global-galaktisch. Ich könnte so weit gehen, dass es natürlich um eine friedliche Entwicklung bezüglich der Themen geht, die da im Augenblick mit gewisser Spannung betrachtet werden. Sie wissen, dass die Zypernfrage ‑ wir hatten in der vergangenen Woche den zypriotischen Präsidenten im Kanzleramt ‑ ein Thema ist, das uns beschäftigt hat. Dann gibt es natürlich auch viele bilaterale Themen zwischen Griechenland und der Türkei, die wir auch immer wieder konstruktiv voranzutreiben und zu fördern versuchen. Die Türkei ist dort auch eine wichtige Regionalmacht mit Einfluss auf verschiedene Konfliktherde, die es dort gibt. Diesen Einfluss in konstruktiver, positiver Art zu nutzen, ist etwas, wozu wir die Türkei sehr ermutigen wollen. Insofern gibt es aber eine ganze Bandbreite von Themen, die darunter fallen und die jetzt auch in einem sehr knappen Telefonat, wie es das am Montag war ‑ Präsident Erdoğan hatte eine ganze Reihe von Glückwünschen entgegenzunehmen ‑, nur gestreift und nicht vertieft wurden.

FRAGE Herr Hebestreit, warum hat der Kanzler Herrn Erdoğan überhaupt zu diesem Wahlsieg, wenn man davon sprechen kann, gratuliert? Es gibt ja nämlich die scharfe Kritik von der OSZE und vom Europarat an dieser Wahl in der Türkei, dass sie eben nicht fair gewesen sei. Die OSZE spricht davon, dass die Wahl in vielerlei Hinsicht nicht die Voraussetzungen für die Durchführung demokratischer Wahlen geboten habe. Hat der Kanzler darüber mit Herrn Erdoğan in seinem Telefonat geredet? Hat er auch wie die Kanzlerin ‑ ich habe einmal nachgeschaut ‑ vor fünf Jahren, als sie gratuliert hat, eine demokratische Teilhabe und die Wahrung der rechtsstaatlichen Ordnung eingefordert? Das hatte ich in Ihrer Pressemitteilung jetzt nicht mitbekommen.

HEBESTREIT: Wie der französische Präsident, der amerikanische Präsident und viele andere Staats- und Regierungschefs hat auch Bundeskanzler Scholz am Sonntag per Tweet und am Montag mit einem kurzen Telefonat dem türkischen Präsidenten zu seiner Wiederwahl gratuliert.

ZUSATZFRAGE: Das beantwortet jetzt keine meiner Fragen. Dann probiere ich es bei Herrn Burger. Herr Burger, Sie haben sich letzte Woche der OSZE-Einschätzung zu den Wahlen in der Türkei angeschlossen. Sie haben darauf verwiesen. Sehen Sie es denn jetzt ebenfalls so, dass es eigentlich keine Voraussetzungen oder wenige Voraussetzungen für die Durchführung demokratischer Wahlen bei dieser Stichwahl gab?

BURGER (AA): Die OSZE und OHDIR haben ja gerade das Mandat von den Mitgliedsstaaten und unter anderem von Deutschland erhalten, diese Beobachtung durchzuführen, und deswegen nehmen wir die Ergebnisse dieser Beobachtung natürlich sehr, sehr ernst. Natürlich ist es aus unserer Sicht auch an den zuständigen türkischen Behörden, diese Empfehlungen oder diese Ergebnisse ernst zu nehmen und Verbesserungen herbeizuführen, die den Empfehlungen dieser Mission entsprechen.

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