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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 17.10.2022

17.10.2022 - Artikel

Bundesaufnahme­programm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen

FRAGE: Meine Frage geht an das Innenministerium und auch das Außenministerium: Es gibt ein neues Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Wann genau wird das denn starten? Wann können die ersten Betroffenen hier in Deutschland erwartet werden?

BURGER (AA): Das Aufnahmeprogramm startet heute. Ich darf Sie da auch auf die Pressemitteilung, die wir heute Morgen dazu gemeinsam herausgegeben haben, und auf die Website www.bundesaufnahmeprogrammafghanistan.de verweisen, wo unter anderem auch die Frage, die Sie gerade gestellt haben, schon in den „frequently asked questions“ beantwortet ist.

Es ist in der Tat so: Das Programm startet heute. Ab sofort können meldeberechtigte Stellen hier Personen zur Aufnahme vorschlagen. Es werden auch weiterhin in den nächsten Wochen auf Basis der bisherigen Verfahren Aufnahmezusagen für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan erteilt werden. Die ersten Aufnahmezusagen nach dem neuen Verfahren werden dann einige Wochen später folgen. Wir sind natürlich bemüht, Menschen, die eine Aufnahmezusage bekommen haben, auch möglichst schnell aus Afghanistan in Sicherheit zu bringen. Dazu bieten wir über Strukturen, die wir dafür aufgebaut haben, den Menschen Unterstützung an und versuchen, dass es so schnell wie möglich geht. Denn es geht hier um Menschen, die akut in Afghanistan gefährdet sind.

Ich kann aber keine neue genaue Prognose abgeben, wann tatsächlich die ersten Menschen, die nach diesem neuen Aufnahmeprogramm ihre Aufnahmezusage bekommen, in Deutschland ankommen werden.

KOCK (BMI): Es war eine gemeinsame Pressemitteilung von unseren beiden Häusern. Sie finden darin auch ein Zitat der Ministerin, die sich dahingehend äußert, dass wir unserer humanitären Verantwortung nachkommen. Im EU-Vergleich ‑ das zeigen auch die Zahlen ‑ hat Deutschland mit Abstand die meisten Personen aufgenommen, ehemalige Ortskräfte und weitere besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Dieser Verantwortung werden wir auch in Zukunft nachkommen, jetzt in einem strukturierteren Rahmen als bisher.

BURGER: Wenn ich vielleicht noch einen Punkt ergänzen darf, einfach noch einmal zur Einordnung:

Dieses Bundesaufnahmeprogramm ist etwas, was es in dieser Form noch nie unter vergleichbaren Umständen gegeben hat, also ohne Arbeitsmöglichkeiten vor Ort, weil wir vor Ort in Afghanistan keine arbeitsfähige Botschaft haben, aber auch ohne die bewährten Strukturen von UNHCR und IOM, mit denen wir in der Vergangenheit bei Aufnahmeprogrammen in anderen Ländern immer zusammengearbeitet haben. Das heißt, wir mussten dieses Programm wirklich völlig neu konzipieren ‑ rechtlich, technisch und auch organisatorisch. Wir sind sehr dankbar für die Mitarbeit und Teilnahme von ganz vielen engagierten Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich im vergangenen Jahr schon unheimlich um die Rettung von Menschen aus Afghanistan verdient gemacht haben, die bei der Erarbeitung der Auswahlkriterien mitgewirkt haben, die uns geholfen haben und weiter helfen, zu identifizieren, wer die bedürftigsten und verwundbarsten Menschen in Afghanistan sind.

Wir glauben, dass wir mit dieser engen Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, die nun vereinbart wurde und für die wir auch einen neuen institutionellen Rahmen geschaffen haben, nämlich eine zivilgesellschaftliche Koordinierungsstelle, die vom Auswärtigen Amt und vom BMI unterstützt wird, die beste Möglichkeit schaffen, unter den extrem schwierigen Umständen tatsächlich Menschen effektiv in Sicherheit zu bringen.

FRAGE: Herr Burger, was ist jetzt an diesem Programm wirklich neu? Ist es diese zivilgesellschaftliche Koordinierungsstelle? Wenn ich mir nämlich anschaue, was die Zielgruppe ist, dann sind das Menschen ‑ bitte korrigieren Sie mich ‑, die auch nach bestehenden Gesetzen Aufenthaltstitel in Deutschland erhalten würden. Wenn hier steht, die Größenordnung betrage 1000 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen, also genauso viel wie der Durchschnitt der besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen der vergangenen Monate, dann klingt das eher so, als ob Sie von der Zahl her und von der Zielgruppe her eigentlich nichts ändern würden. Mögen Sie mir helfen?

BURGER: Ja, das kann ich, glaube ich, schon etwas korrigieren. Zunächst einmal ist es in der Tat so, dass wir schon in der Vergangenheit Menschen, die in Afghanistan besonders gefährdet sind, Aufnahmezusagen erteilt haben. Wir haben das allerdings nach der militärischen Evakuierung aus Afghanistan in einem ersten Schritt zunächst einmal für eine abgeschlossene Personengruppe gemacht, für Ortskräfte und eine Gruppe von Menschen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt schon eine Aufnahmezusage bekommen haben.

Es gab dann im Koalitionsvertrag die Vereinbarung für ein neues humanitäres Aufnahmeprogramm. Das tritt jetzt heute in Kraft. Damit wird auch eine neue Rechtsgrundlage für Aufnahmezusagen für Menschen geschaffen, die bestimmte Kriterien erfüllen. Die Aufnahme wird nun eben auf Basis der Kriterien für diese Aufnahmeentscheidung erteilt.

Wir haben in der Zwischenzeit ‑ darauf beziehen Sie sich wahrscheinlich ‑ bis zum Inkrafttreten dieser neuen Regelung, die wir jetzt geschaffen haben ‑ sozusagen als Überbrückung, weil wir gesehen haben, dass es auch Menschen gibt, die in der Zwischenzeit ganz dringend aus Afghanistan herauskommen müssen, schon bevor wir diese neue Rechtsgrundlage geschaffen haben, sozusagen auf Basis dessen, was wir bereits im letzten Jahr gemacht haben ‑, interimsmäßig solche Aufnahmezusagen erteilt.

Wir machen das jetzt, wie gesagt, auf einer neuen institutionellen Grundlage und mit einer neuen Rechtsgrundlage. Wenn Sie sich die Kriterien anschauen, dann werden Sie auch feststellen, dass wir darin nun auch beispielsweise auf individuelle Faktoren der Vulnerabilität sehr viel deutlicher abstellen, also insbesondere bei der Definition der Zielgruppe, die unter anderem auf der Webseite erwähnt ist. Dabei geht es um Personen ‑ afghanische Staatsangehörige, die sich immer noch in Afghanistan befinden ‑, die sich ‑ das sind jetzt zwei „bullets“ ‑ erstens durch ihren Einsatz für Frauen und Menschenrechte oder durch ihre Tätigkeit in den Bereichen Justiz, Politik, Medien, Bildung, Kultur, Sport oder Wissenschaft besonders exponiert haben und deshalb individuell gefährdet sind. Das ist im Wesentlichen der Personenkreis, für den wir auch bisher schon solche Aufnahmezusagen im Rahmen des Interimsprogramms erteilen konnten.

Jetzt kommt das „oder/und“, das zweite Kriterium: Personen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder ihrer Religion eine sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergebende spezifische Gewalt oder Verfolgung erfahren bzw. erfahren haben und deshalb konkret und individuell gefährdet sind, insbesondere als Opfer schwerer individueller Frauenrechtsverletzungen, homo- oder transfeindlicher Menschenrechtsverletzungen oder als exponierte Vertreterinnen und Vertreter religiöser Gruppen oder Gemeinden. – Das ist auch inhaltlich über das neue und, wie wir glauben, klarere Verfahren hinaus eine Erweiterung dieser Zielgruppe.

FRAGE: Herr Burger, es gibt ja schon erste Reaktionen von Geflüchtetenorganisationen, die scharfe Kritik äußern. Eine Kritik ist, dass nur meldeberechtigte Stellen gefährdete Personen erfassen und melden dürfen. Warum ist das so? Warum dürfen sich betroffene Afghanen quasi nicht selbst melden?

BURGER: Ja, das ist eine ‑ ‑ ‑ Es ist in Aufnahmeprogrammen in der Vergangenheit immer so gewesen, dass der Bundesregierung Menschen zur Aufnahme von Organisationen vorgeschlagen wurden, zum Beispiel dem UNHCR oder der IOM, die die Menschen in den Ländern, in denen die Menschen waren, aus ihrer täglichen Hilfsarbeit kannten und sagen konnten: Diese Person ist in ihrer jetzigen Position besonders gefährdet oder besonders vulnerabel, zum Beispiel aufgrund ihrer Familiensituation, zum Beispiel aufgrund eines individuellen Verfolgungsschicksals. - Das ist ja sozusagen ein Vorschlag oder eine Empfehlung, die man nur mit Kenntnis der Person und ihrer Umstände vor Ort aussprechen kann. Weil uns im Fall Afghanistans diese Zusammenarbeit mit UNHCR und IOM nicht möglich ist, weil die vor Ort nicht in derselben Form arbeiten können, arbeiten wir im Rahmen dieses Programms mit anderen meldeberechtigten Stellen zusammen. Das sind Institutionen und zum Beispiel auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die aus ihrer eigenen Arbeit Kenntnis über die Situation von betroffenen Menschen vor Ort haben und die uns aufgrund dieser Kenntnis, die sie haben, Empfehlungen geben können und Vorschläge unterbreiten können.

Wie gesagt: Die Entscheidung darüber, wer dann am Ende Aufnahme erhält, trifft die Bundesregierung anhand der Kriterien, die in der Aufnahmeanordnung festgelegt sind, die wir hier auch öffentlich gemacht haben. Aber einfach aufgrund der Tatsache, dass wir keine eigenen Arbeitsmöglichkeiten in Afghanistan haben, um dort Menschen zu befragen und der Situation von Menschen nachzugehen, versuchen wir, hier so viel wie möglich mit den Organisationen zusammenzuarbeiten, die eben aus ihrer Arbeit eigene Kenntnisse über mögliche Bedürftige haben.

ZUSATZFRAGE: Aber würden Sie sagen, dass die Organisation nicht alle potenziellen Afghaninnen und Afghanen kennen?

Ich habe immer noch nicht verstanden, warum sich die Afghanen nicht selbst Ihnen melden können. Das wäre doch das Naheliegendste von allem!

BURGER: Wie gesagt: Weil wir darauf angewiesen sind, dass uns Institutionen, Organisationen, Initiativen, die eine eigene Einschätzung dazu abgeben können, wie die Situation dieser Menschen eigentlich ist, Vorschläge unterbreiten, mit denen dann auch beurteilt werden kann, inwiefern diese Menschen diese Kriterien erfüllen.

Was ich auch noch hinzufügen möchte: Es ist ja vonseiten der Bundesregierung durchaus beabsichtigt, dass in Zukunft auch die Möglichkeit, neue Fälle zu melden, eröffnet wird. In einer ersten Phase, die heute anläuft, liegt der Fokus auf Fällen, die den meldeberechtigten Stellen schon bekannt sind. Das sind nach unserem Kenntnisstand jetzt schon sehr, sehr viele Fälle, die den Organisationen vorliegen und die sie dringend zur Aufnahme vorschlagen möchten. Für uns ist es einfach wichtig, dass es jetzt so schnell wie möglich losgeht. In einer späteren Phase, wie gesagt, ist unsere Absicht, dann auch die Möglichkeit zu schaffen, dass neue Fälle gemeldet werden können.

FRAGE: Herr Burger, der Mechanismus, den Sie jetzt beschreiben, ist ja im Grunde eine Art von Bürgenprinzip. Damit überhaupt geprüft werden kann, ob jemand hier Aufnahme erhält, muss eine andere Organisation ihn vorschlagen. So verstehe ich Sie. Das heißt, die andere Organisation ist ein Vorfilter, der erst einmal sagen muss „Jawohl, wir halten den oder die für gefährdet“, und dann prüft die deutsche Seite. Die Entscheidung und Verantwortung, sagen Sie selbst, liegt aber immer bei der deutschen Seite. Was spricht aber dagegen, dass sich Menschen, die vermutlich selbst am besten wissen, ob sie gefährdet sind oder nicht, selbstständig bei einer deutschen Institution melden und die dann gegebenenfalls bei anderen Organisationen, bei Partnerorganisationen, nachfragt „Könnt ihr uns etwas über die oder den sagen?“ - Sie schalten mit diesem Verfahren einen Selektionsfilter vor, der im Zweifelsfall verhindert, dass sich Menschen, die in Gefahr sind, direkt melden können. Warum?

BURGER: Ich glaube, ich habe das gerade zu erklären versucht. Es geht nicht um einen Selektionsfilter. Es geht darum, dass wir die Expertise bzw. das Wissen, das es über Menschen, die in Afghanistan hilfsbedürftig bzw. aufnahmebedürftig sind, gibt, dort, wo es vorhanden ist, so gut wie möglich nutzen. Dafür sind wir, weil die Arbeitsmöglichkeiten in Afghanistan so extrem eingeschränkt sind, auf die Unterstützung Dritter angewiesen bzw. glauben, dass wir das dann am besten tun können, wenn sich möglichst viele Partner, die über diese Expertise verfügen, daran beteiligen.

ZUSATZFRAGE: Das habe ich verstanden. Aber genau darauf zielt ja meine Frage ab: Was spricht dagegen, dass diese notwendige Expertise herangezogen wird, nachdem sich Menschen von sich aus individuell gemeldet haben? Was spricht dagegen?

BURGER: Ich habe es ja auch gesagt: Es ist in einer zukünftigen Phase ja durchaus beabsichtigt, auch diese Möglichkeit zu schaffen. Im Moment geht es jetzt erst einmal darum, dieses Programm so schnell wie möglich ans Laufen zu bringen. Das ist eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten, gerade auch für diejenigen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, die sich daran beteiligen, was man denen, glaube ich, nicht hoch genug anrechnen kann. Deswegen liegt in dieser ersten Anlaufphase der Fokus auf Fällen, über die schon Informationen vorliegen, damit wir denen so schnell wie möglich helfen können.

Mittel für die Onlineplattform Qantara

FRAGE: Herr Burger, ist die Streichung der Mittel für die Onlineplattform Qantara weiterhin Stand der Dinge?

BURGER (AA): Ich habe dazu keinen neuen Stand. Ich hatte Ihnen ja letztes Mal gesagt, dass ich diese Meldung in dieser Form nicht bestätigen konnte. Ich muss mich erkundigen, ob es dazu einen neuen Gesprächsstand gibt.

Entsendung von EU-Überwachungs­experten auf die armenische Seite der internationalen Grenze zu Aserbaidschan

FRAGE: Herr Burger, Herr Borrell hat gesagt, dass 40 europäische Experten nach Armenien gesandt werden. Sind darunter auch Deutsche? Wenn ja, wer?

BURGER (AA): Die Antwort dazu muss ich Ihnen nachreichen.

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