Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 23.09.2022

23.09.2022 - Artikel

Proteste im Iran nach dem Tod einer Iranerin im Polizeigewahrsam in Teheran

HEBESTREIT (BReg): Ich möchte mich kurz zu den Protestwellen im Iran äußern. ‑ Die Bundesregierung hat die Nachrichten über den Tod einer jungen Iranerin, Mahsa Amini, im Polizeigewahrsam in Teheran mit Bestürzung zur Kenntnis genommen, und die Bundesregierung ist gleichermaßen bestürzt darüber, dass bei den landesweiten Protesten wegen des Todes von Frau Amini offenbar zahlreiche weitere Menschen ums Leben gekommen sind. Wichtig ist nun eine rasche und umgehende Untersuchung des Todes von Mahsa Amini, wie sie die kommissarische UN-Menschenrechtskommissarin Nada Al-Nashif bereits am 20. September gefordert hat. Dieser Forderung schließen wir uns als Bundesregierung sehr an.

FRAGE: Herr Hebestreit, Frau Sasse, es gab jetzt ja auch schon Äußerungen beispielsweise aus der FDP und von den Grünen, die jetzt mehr verlangt haben als nur eine Verurteilung auch vonseiten der deutschen Politik in diesem Fall. Beispielsweise könnte Deutschland ein koordiniertes Vorgehen auf EU-Ebene mit vorantreiben. Ist da etwas in Planung, oder soll zunächst einmal alles ausschließlich bei den Vereinten Nationen stattfinden?

SASSE (AA): „Ausschließlich bei den Vereinten Nationen“: Wenn Sie damit die Generalversammlung in New York meinen, dann würde ich Ihnen insofern zustimmen, als das im Moment natürlich das Forum ist, in dem besonders viel über das Thema gesprochen wird. Außerdem wissen Sie, dass der Menschenrechtsrat in Genf läuft. Auch dort steht der Iran als Thema auf der Tagesordnung und wir tauschen uns dort mit unseren Partnern aus. Was das gemeinsame Vorgehen auf EU-Ebene angeht, kann ich Ihnen im Moment noch nicht über konkrete Schritte in dieser Form berichten. Aber selbstverständlich sind wir dazu in engem Austausch mit unseren EU-Partnern.

ZUSATZFRAGE: Gibt es derzeit aus Ihrer Sicht irgendeine Möglichkeit, die Nichtregierungsorganisationen und die Zivilbevölkerung auf iranischer Seite zu unterstützen, sei es symbolisch oder in praktischer Art?

SASSE: Zum einen unterstützen wir beispielsweise die Arbeit des Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage in Iran ganz konkret. Wir setzen uns im Rahmen der Vereinten Nationen im dritten Ausschuss für eine Resolution zur Verurteilung der Menschenrechtsverletzungen in Iran ein. Das sind sehr konkrete Schritte. Wir sprechen natürlich auch mit der iranischen Regierung und setzen uns gegenüber der iranischen Regierung dafür ein, dass Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger nicht verfolgt werden ‑ Gleiches gilt für Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtler ‑ und dass auch diejenigen, die inhaftiert sind, freigelassen werden.

FRAGE: Haben Sie eine Einschätzung zum Vorgehen der Sicherheitskräfte im Iran? Sehen Sie das noch als verhältnismäßig an? Mittlerweile wird übereinstimmend berichtet, dass es mehrere Dutzend Tote gibt.

SASSE: Wir nehmen die Berichte zur Kenntnis. Ich glaube, Sie waren am Mittwoch nicht da, aber wir hatten uns am Mittwoch auf eine Frage Ihres Kollegen hin schon zur Lage insgesamt geäußert und auch deutlich gemacht, dass wir die Lage in Iran mit großer Sorge beobachten und selbstverständlich auch die iranischen Behörden ganz entschieden dazu aufrufen, friedliche Proteste zuzulassen und keine weitere Gewalt gegen friedliche Demonstrierende anzuwenden.

ZUSATZFRAGE: Aber ist die Gewalt aus Ihrer Sicht verhältnismäßig?

SASSE: Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass wir die iranischen Behörden dazu aufrufen, keine Gewalt anzuwenden, von dieser Gewalt abzulassen und friedliche Demonstrationen und Proteste zuzulassen. Ich denke, das spricht für sich.

FRAGE: Wahrscheinlich an Herrn Kall oder auch an Frau Sasse: Angesichts der Verfolgung von Frauen, die kein Kopftuch tragen wollen, wüsste ich gerne, ob das eigentlich irgendeine Konsequenz für Frauen hat, die dann in Deutschland Zuflucht suchen, was Asylgründe angeht.

KALL (BMI): Der wesentliche Asylgrund ist natürlich politische Verfolgung, und unter diesem Gesichtspunkt kann man in Deutschland selbstverständlich Asyl beantragen. Wie in Fällen von iranischen Frauen bisher die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist, frage ich gern nach, und die Antwort werde ich dann gerne nachreichen.

SASSE: Herr Kollege, noch einmal zu Ihrer Frage: Ich hatte vergessen zu erwähnen ‑ weil sich das einfach ständig überholt ‑, dass die Außenministerin sich gestern in einem Auftaktstatement in New York, bevor die ganzen Beratungen in New York begonnen haben, ausführlich zur Lage in Iran geäußert hat. An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich auf diese Äußerungen verweisen, die weiterhin Bestand haben.

FRAGE: Frau Sasse, wie wird die Lage derzeit denn im Auswärtigen Amt beurteilt? Da das ja nun schon tagelang andauert und die Demonstrationen wie auch die Gewalt groß sind: Gehen Sie davon aus, dass die Lage weiter eskaliert? Wie bewerten Sie und Ihre Expertinnen und Experten vor Ort das?

SASSE: Das lässt sich im Moment sehr schwer präzise einschätzen. Wir nehmen die ganzen Berichte zur Kenntnis. Sie wissen, dass beispielsweise der Zugang zum Internet eingeschränkt ist. Dadurch ist natürlich auch die Möglichkeit, zu genaueren Erkenntnissen zu kommen, im Land und vor allem landesweit eingeschränkt. Wir stehen aber selbstverständlich in Kontakt mit unserer Botschaft in Teheran, die, soweit es ihr möglich ist, umfassend berichtet, und ziehen aus diesen Berichten Erkenntnisse. Wie sich die Lage weiterentwickelt, kann man im Moment aber, glaube ich, noch nicht sagen. Das müssen wir weiter verfolgen.

FRAGE: Herr Kall, das Asylgrundrecht bedeutet ja, dass Menschen, die politisch verfolgt werden, Recht auf Asyl haben. Lernfrage: Gehört das, was hier in Diskussion ist, nämlich dass Verfolgung aufgrund von religiösen Kriterien stattfindet, üblicherweise in den Bereich der politischen Verfolgung?

KALL: Ich habe Ihrem Kollegen ja gerade schon versprochen, dass wir dieser Frage noch einmal nachgehen. Ich hoffe, dass ich sie im Laufe der Pressekonferenz noch beantworten kann ‑ auch spezifisch, wie die Praxis mit Blick auf Iran bisher ist.

Teilmobilmachung in Russland

FRAGE: Ich habe eine Frage an das Außen- und an das Innenministerium zur Mobilmachung in Russland und den Möglichkeiten für Russen, in Deutschland Schutz zu suchen. Mich würde interessieren: Welche Möglichkeiten haben diejenigen, die einen Einberufungsbescheid bekommen haben und nicht an dem Krieg teilnehmen wollen, in Deutschland Schutz zu bekommen?

SASSE (AA): Vielleicht fange ich einmal an. ‑ Anknüpfend auch an das, was ich Ihnen auf Ihre Frage am Mittwoch hin schon gesagt hatte: Wir beobachten als Bundesregierung die Lage in Russland sehr genau, auch was die Fälle von Kriegsdienstverweigerern angeht. Wir beobachten, dass viele Menschen in Russland an diesem Krieg und an seinen Auswirkungen, die sich jetzt natürlich in aller Deutlichkeit auch für die russische Bevölkerung zeigen, nicht teilnehmen wollen. Unsere Botschaft in Moskau ist selbstverständlich weiterhin dabei, auch vor Ort genau zu beobachten, wie sich die Lage darstellt. Wie ich am Mittwoch schon dargestellt habe, überlegen wir uns als Bundesregierung in dieser Situation sehr genau, wie wir den Menschen helfen können; denn das ist unser klares Ziel.

Zur Frage, was es dafür Möglichkeiten gibt: Da geht es unter anderem natürlich auch um Asylfragen und um Fragen von humanitären Visa. Dazu würde ich an den Kollegen vom Innenministerium abgeben.

KALL (BMI): Vielen Dank, dann kann ich das gerne ergänzen. ‑ Die Bundesministerin hat sich schon gestern sehr klar dazu geäußert und vor allen Dingen auf das Asylverfahren hingewiesen. Sie hat gesagt: Wer sich Putins Regime mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, der kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen. Putins grenzenlose Menschenverachtung macht vor den eigenen Soldaten nicht halt, die er in diesen mörderischen Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung schickt.

Das bedeutet, wie gesagt, dass von schweren Repressionen bedrohte Deserteure in Deutschland im Regelfall internationalen Flüchtlingsschutz erhalten. Die Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge haben wir schon nach Kriegsbeginn entsprechend angepasst. Gerade für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gilt das im Regelfall, auch wenn wir natürlich immer dazusagen müssen: Asylgewährung ist eine Einzelfallentscheidung, bei der man sich immer die Umstände und die konkrete Gefährdung der jeweiligen Person anschauen muss und in deren Rahmen auch eine Sicherheitsüberprüfung erfolgt. Es ist natürlich auch immer wichtig, tatsächlich einmal zu schauen, was für einen Hintergrund die jeweiligen Personen, die dann aus Russland kommen und hier Schutz erhalten sollen, haben.

ZUSATZFRAGE: Bedeutet das, dass sich diese Kriegsdienstverweigerer jetzt nicht auf § 22 des Aufenthaltsgesetzes berufen können wie zum Beispiel die Dissidenten?

Zweite Nachfrage: Dürfen Russen, die jetzt in Georgien oder in der Türkei sind, schon geflohen sind, von dort aus nach Deutschland einfliegen und hier dann um Asyl bitten, oder werden sie dann entsprechend wieder nach Georgien oder in die Türkei abgeschoben?

KALL: Sie müssten tatsächlich hier Asyl beantragen. Aber es gibt ja auch weiterhin Wege, nach Deutschland zu kommen.

Was Ihre Frage nach der Unterscheidung zwischen Asyl und humanitärer Aufnahme angeht, ist es tatsächlich so, dass es ein anderes Verfahren für russische Dissidenten, Oppositionelle, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die sich gegen das Regime von Putin gestellt haben, das auch schon länger getan haben und deswegen in Russland akut politisch verfolgt bzw. bedroht sind. Für diese gibt es ein eigenes Verfahren, über das wir bisher 438 Personen in Deutschland eine Aufnahme ermöglicht haben. Das ist jetzt aber nicht mit dem Asylverfahren zu wechseln, das eben zum Beispiel für Deserteure offen stünde.

ZUSATZFRAGE: Entschuldigung, aber das war nicht die Frage! Die Frage war, ob Russen, die nicht direkt aus Russland nach Deutschland einreisen, sondern aus einem Drittstaat, dann die Chance haben, hier ein Asylverfahren zu bekommen.

KALL: Diese Chance haben sie, wenn sie nach Deutschland kommen und hier Asyl beantragen, aber in der Regel noch nicht aus dem Ausland. Dann müssten sie gegebenenfalls dort um Schutz ersuchen. Aber es gibt ja, wie gesagt, auch weiterhin Wege, nach Deutschland zu kommen.

FRAGE: Herr Kall, die Frage schließt sich daran an. Frau Faeser hat sich einem Interview auch dementsprechend geäußert. In Russland gibt es ja 30 Millionen wehrfähige Männer. Mit wie vielen Flüchtlingen rechnen Sie denn? Wie wollen Sie die verteilen? Es gibt ja inzwischen schon 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge. Wenn man die gemeinsam unterbringt, könnte es ja auch zu Schwierigkeiten kommen. Wie bereiten Sie sich also konkret darauf vor, dass jetzt viele Leute zum Beispiel aus der Türkei hier ankommen und dann Asyl beantragen?

KALL: Das ist natürlich ein Grund dafür. Wir kennen die Belastungen, die wir schon haben. Es sind nicht 1,1 Millionen, sondern etwa 990 000 Menschen aus der Ukraine geflüchtet, die wir bisher in Deutschland erfasst haben, bei denen wir aber davon ausgehen, dass einige auch weiter- und zurückgereist sind, was sich in den Zahlen noch nicht abbildet. Aber das ist eine sehr große Zahl. Gleichzeitig nimmt das Fluchtgeschehen bzw. das Migrationsgeschehen ja auch über die Balkanroute und über das Mittelmeer wieder zu. Es gibt ungefähr 18 Prozent mehr Asylanträge in diesem Jahr als im letzten Jahr, und das führt zu einer enormen Belastung der Länder und Kommunen. Dazu befindet sich die Bundesinnenministerin ja auch in einem permanenten Kontakt. Sie wissen, dass sich der Bund aufgrund des Fluchtgeschehens aus der Ukraine in diesem Jahr mit zusätzlichen 2 Milliarden Euro an der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung beteiligt hat. Aber das führt dazu, dass es eben einen großen Druck gibt, was gerade die Aufnahme, Versorgung und Unterbringung angeht. Deswegen betonen wir jetzt gerade auch mit Blick auf das Asylverfahren, das, wie gesagt, für Deserteure aus Russland offen stände, dass Asylentscheidungen Einzelfallentscheidungen sind, und gehen deshalb nach jetzigem Stand nicht von großen Zahlen aus.

ZUSATZFRAGE: Dann würde mich eine Antwort von Frau Sasse interessieren. Der Weg über die Türkei ist der eine. Das wird aber wahrscheinlich nicht viele Menschen betreffen. Der andere Weg wäre ja der über die europäische Außengrenze, sprich über Finnland oder das Baltikum. Die dortigen Regierungen haben ja schon angekündigt, dass sie das nicht so sehen, sondern dass sie die Russen wieder zurückschicken. Die sollten lieber gegen Putin kämpfen. Das wäre ja, wenn ich Herrn Kall richtig verstehe, auch ein Rechtsverstoß, weil Menschen, die ein Asylrecht haben, dann ja auch den Anspruch haben können, dies vor Ort direkt an der Grenze zu bekunden. Wie stehen Sie darüber mit den Regierungen vor Ort im Gespräch? Wirken Sie auf die ein? Wie bewerten Sie die Aussagen, dass man denen dieses Asylrecht offenbar nicht zugestehen möchte?

SASSE: Zum einen hat Herr Kall ja deutlich gemacht, dass die Einreise nach Deutschland für russische Staatsangehörige grundsätzlich noch möglich ist. Diesen Grundsatz sollte man vielleicht an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich festhalten. Er hat auch deutlich gemacht, dass für Asylanträge das sogenannte Territorialprinzip gilt, das heißt, dass der Asylantrag hier gestellt werden muss. Das wiederhole ich nur noch einmal, damit das als Grundlage für die Antwort auf Ihre Frage jetzt noch einmal deutlich ist.

Es gilt natürlich ‑ das ist uns völlig bewusst ‑, dass die Zahl der Routen, die nach Europa führen, relativ begrenzt ist. Wir haben natürlich auch die Äußerungen aus Staaten im Baltikum und auch aus anderen Staaten zur Kenntnis genommen. Genau deswegen ‑ das können Sie sich vorstellen ‑ gibt es intensive Abstimmungen eben auch auf EU-Ebene darüber, wie man mit dieser aktuellen Situation umgeht. Ich kann Ihnen sagen, dass es am Montag beispielsweise auf EU-Ebene eine Sitzung im Rahmen der sogenannten IPCR geben wird, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigen wird. Wir sind selbstverständlich in Kontakt mit allen betroffenen Ländern und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden.

Aber ich möchte noch einmal betonen: Die Haltung der Bundesregierung ist da klar. Wir wollen den Menschen helfen. Wir sehen, wie die Lage ist. Wir haben von Anbeginn des Krieges an deutlich gemacht, dass wir gut nachvollziehen können, wenn es Menschen in Russland gibt, die diesen völkerrechtswidrigen Krieg eben nicht unterstützen wollen und sich diesem Krieg entziehen wollen.

FRAGE: Herr Kall, Sie haben gesagt, es gebe nach wie vor Wege, nach Deutschland zu kommen. Wir haben eben von Frau Sasse gehört, dass die Zahl der Routen begrenzt ist. Herr Kall, können Sie noch einmal ganz kurz erklären, wie denn jemand aus Russland tatsächlich nach Deutschland fliehen kann, um hier Asyl zu beantragen?

KALL: Dazu hat sich Frau Sasse geäußert. Ja, die Wege sind begrenzt. Aber ich kann hier jetzt nicht einzelne Reiserouten vortragen.

ZUSATZFRAGE: Dann würde mich noch einmal etwas als Nachfrage an Herrn Hebestreit interessieren. Ich habe jetzt noch nicht ganz verstanden, welche konkreten Erleichterungen die Bundesregierung plant, um russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer einreisen zu lassen. Ich habe noch nicht ganz verstanden, welche konkreten Erleichterungen Sie konkret planen.

HEBESTREIT (BReg): Ich glaube, ich habe mich zu diesem Thema überhaupt nicht geäußert.

ZUSATZFRAGE: Ja, aber das ist die Frage an Sie und die Bitte, dass Sie sich dazu äußern.

HEBESTREIT: Aber dann müssten Sie mir die Frage ja so stellen: Plant die Bundesregierung diese Erleichterungen? – Dazu würde ich Ihnen sagen: Solche Pläne sind mir bisher nicht bekannt. – Aber mir erst die Frage unterzuschieben und dann zu fragen „Wann kommt denn das jetzt?“, ist ein ein bisschen ulkiges Vorgehen.

Nein, wir beobachten das also. Das, was mit der Teilmobilmachung, die der russische Präsident am Mittwochmorgen verkündet hat, für Europa und für uns alle einhergeht, ist eine wahnsinnig ernste Angelegenheit. Wir verurteilen das. Das hat der Bundeskanzler, das hat die Außenministerin und das haben viele andere bereits getan. Wir befinden uns in enger Absprache mit unseren Verbündeten auch in diesen Fragen.

Natürlich zeichnet sich auch ab, dass es eine Fluchtbewegung aus Russland in Richtung Westen, in Richtung Europa geben kann, welche Wege genau sie auch immer finden würde. Deutschland ‑ das haben wir auch gesagt ‑ nimmt bereits seit Monaten russische Regimekritiker auf, neben vielen, vielen Flüchtlingen auch aus der Ukraine, die sich vor dem russischen Angriffskrieg zu uns gerettet haben und auch weiterhin retten. Viele Russen, die nun einberufen werden, wollen sich auch nicht an diesen Krieg beteiligen. Auch das ist erst einmal ein gutes Zeichen.

Der Bundeskanzler hat mehrfach gesagt: Der Angriffskrieg hat Konsequenzen für Deutschland, und die EU steht in ihrer Reaktion zusammen. - Diese gemeinsame Reaktion und das, was man tun kann und wie man helfen kann, muss jetzt in den nächsten Tagen und Wochen miteinander besprochen werden. Wir sollten und können jetzt nicht sehr kurzfristig leichtfertig, sage ich einmal, Hoffnungen wecken, die sich dann im Konkreten nicht erfüllen lassen. Aber darüber sind wir jetzt im Gespräch mit den europäischen Partnern. Es wird in den nächsten Wochen mehrere Runden dazu geben, Anfang Oktober in Prag auch ein informelles Treffen der EU-Staats-und ‑regierungschefs. Das ist sowieso geplant, aber dabei wird das sicherlich auch eine Rolle spielen.

Klar ist auch, aber das hat Herr Kall ausgeführt: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Das ist ein Grundrecht. Das ist ein individuelles Recht. Das muss individuell beantragt werden. Dafür muss man in Deutschland sein. Als Zweites wird jeder Einzelfall geprüft werden müssen.

KALL: Vielleicht mache ich noch eine ganz kleine Ergänzung. Sie fragten ja, welche Erleichterungen es gibt. Deswegen nur eine Erinnerung an einen Satz, den ich am Anfang gesagt habe: Wir haben die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge schon geändert. Im April ist das geschehen, und zwar konkret mit dem Ergebnis, dass die Desertion oder Kriegsdienstverweigerung in Russland im Regelfall ein Schutzgrund ist. Insofern haben wir da schon eine ganz wesentliche Erleichterung und Änderung vorgenommen.

FRAGE: Herr Kall, zu dieser Frage, welche Beschleunigungsmöglichkeiten oder Erleichterungsmöglichkeiten es denn gibt: Es gab ja diverse Stimmen aus der Koalition, die das noch einmal nachdrücklich gefordert haben, unter anderem Herr Roth als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Welche Möglichkeiten sieht Ihr Ministerium ganz konkret, das Verfahren in solchen Fällen noch zu beschleunigen und zu erleichtern, und zwar über das hinaus, was Sie gerade gesagt haben?

KALL: Ich bin sicher, dass diesen Verfahren gerade beim BAMF große Bedeutung beigemessen wird. Wir arbeiten ja an verschiedensten Stellen daran, die Asylverfahren insgesamt zu beschleunigen, und das würde natürlich auf diese Verfahren Auswirkungen haben. Die Erleichterung, die wir schon vorgenommen haben, ist, wie gesagt, dass Desertion im Regelfall ein Schutzgrund ist. Das führt natürlich dann auch dazu, dass solche Fälle schneller geprüft und schneller bearbeitet und dass schneller Asyl erteilt werden kann, wie gesagt unter der Prämisse, dass man sich immer noch den Einzelfall anschauen muss und auch eine Sicherheitsüberprüfung vornehmen muss, weil wir natürlich gerade in Bezug auf Russland Sicherheitserwägungen nicht vergessen dürfen und uns anschauen müssen, wer da nach Deutschland kommt, gerade auch aus dem russischen Militär. Das ist für uns eine wichtige Erwägung. Diese Sicherheitsüberprüfung findet natürlich in jedem Einzelfall statt.

FRAGE: Herr Kall, können Sie beziffern bzw. gibt es überhaupt schon Zahlen dazu, wie viele russische Reservisten bereits Asyl in Deutschland beantragt haben?

Frau Sasse, sind Ihnen denn Repressalien russischer Seite gegen russische ausreisewillige Reservisten bekannt? Wenn ja, welche und in welchem Umfang?

KALL: Ich kann Ihnen die Zahl nicht nennen. Die Asylstatistiken finden Sie ja auf der Webseite des BAMF, ich glaube, bis einschließlich Juli oder August. Dort finden Sie natürlich Gesamtzahlen zu Russland. Sie finden auch Anerkennungsquoten, aber nicht differenziert nach den einzelnen Schutzgründen, die in jedem Fall ‑ ‑ ‑

ZUSATZ: Es ging jetzt mehr um die Folgen der Teilmobilmachung und darum, ob es schon erste Zahlen dazu gibt. Die wären dann ja noch nicht auf der Seite.

KALL: (schüttelt den Kopf)

SASSE: Was Ihre Frage, nach ganz konkreten Repressalien gegen Ausreisewillige angeht, gibt es natürlich ‑ Sie kennen die Berichterstattung ‑ viele Details dazu, was die russische Regierung unternimmt, beispielsweise, dass von denen, die von der Teilmobilmachung betroffen sind, einige ihren Wohnort nicht mehr verlassen dürfen und eine Meldepflicht haben. Es gibt auch bereits, was das größere Bild angeht, seit längerer Zeit eine sehr, sehr repressive Gesetzgebung in Russland, die sich ganz allgemein gegen andersdenkende Oppositionelle richtet und auch die Verfolgung deutlich verschärft hat. Das zählt natürlich alles zum Gesamtbild dazu. Diese Repressionen gibt es also, und unsere Botschaft in Moskau und auch unsere Generalkonsulate in Russland beobachten die natürlich genau.

ZUSATZFRAGE: Ich stelle noch eine Zusatzfrage, wenn ich darf, an Herrn Kall. Wenn es um die Asylgewährung geht, dann geht es ja um drohende Verfolgungshandlungen. Ist im Grunde, wenn Sie sagen, dass Sie im BAMF die Richtlinie geändert haben, die Grundannahme, dass ein Reservist nach der Teilmobilmachung das Land verlassen will und dann schon sozusagen der Grundstein dafür gelegt ist, dass da dann mutmaßlich auch Verfolgung droht?

KALL: Ja, wer sich der Mobilmachung entzieht und aus der russischen Armee desertiert, bei dem wird aufgrund der, wie gesagt, jetzt angepassten Praxis des BAMF im Regelfall davon ausgegangen, dass ihm politische Verfolgung droht und sehr ernsthafte Repressalien drohen.

FRAGE: Herr Kall, es gibt die Forderung, dass man im Rahmen dieses Asylverfahrens den Antragstellern eine Frage vorlegt, die sie schriftlich beantworten müssen, nämlich ob sie gegen den Krieg in der Ukraine sind. Ist das eine Forderung, von der Sie finden, dass die sinnvoll ist und dass man die im Asylverfahren umsetzen sollte?

KALL: Es fällt mir schwer, das ad hoc zu bewerten. Es gibt ganz konkrete Regularien und Dienstanweisungen, anhand derer die Entscheiderinnen und Entscheider des BAMF die Befragungen im Asylverfahren durchführen. Da kann man, glaube ich, jetzt nicht irgendeine spezifische herausgreifen. Das folgt natürlich gesetzlichen Regeln.

ZUSATZ: Na ja, so eine konkrete Frage wird ja gesetzlich nicht geregelt sein. Aber der Verdacht wurde ja teilweise geäußert, dass einige von den Männern, die jetzt Russland verlassen, gar nichts gegen den Krieg in der Ukraine haben, aber das persönliche Interesse haben, daran nicht selbst teilnehmen zu müssen.

KALL: Genau deshalb betonen wir ja, dass die Asylgewährung weiterhin eine Frage des Einzelfalls ist. Es gibt, wie gesagt, eine Linie für den Regelfall. Aber man muss sich weiterhin jeden anschauen, jeden auch einzeln bewerten und sich dabei auch die Sicherheitsaspekte hinsichtlich des Hintergrunds der jeweiligen Person anschauen.

ZUSATZFRAGE: Was ist eigentlich mit Ukrainern, die desertieren wollen? Das ist eine reine Fachfrage. Haben die eigentlich auch Anrecht auf Asyl in Deutschland?

KALL: Die sind auf das Verfahren nicht angewiesen, weil für Ukrainer ja die schnelle und unbürokratische Aufnahme ohne das Asylverfahren möglich ist. Darauf haben wir uns ja innerhalb der gesamten Europäischen Union geeinigt, und das gilt auch weiterhin.

FRAGE: Ich habe noch eine Nachfrage zum Verfahren: Befürwortet denn die Ministerin humanitäre Visa?

Können Sie das mit den möglichen Sicherheitsbedenken noch einmal ein bisschen ausführen? Um welche Punkte geht es dabei genau?

KALL: Ich habe ja schon die Unterschiede zwischen dem Asylverfahren und dem humanitären Aufnahmeverfahren betont. Die humanitären Aufnahmeverfahren greifen in dem Bereich erst einmal nicht. Die haben wir, wie gesagt, für Dissidenten, Oppositionelle, Journalistinnen und Journalisten und andere, die eben besonders in Russland bedroht sind, geschaffen. Hier geht es um Asylverfahren, und Sicherheitsüberprüfungen bedeuten, dass sich die Sicherheitsbehörden den Hintergrund der jeweiligen Person im Verfahren anschauen, wie das in anderen Fällen auch üblich ist.

FRAGE: Herr Kall, Frau Sasse, ich wäre Ihnen schon sehr dankbar, wenn Sie zumindest einen Weg aufzeigen könnten, auf dem die russischen Kriegsdienstverweigerer auf direktem Wege nach Deutschland kommen könnten.

Zweite Nachfrage: Gibt es überhaupt Überlegungen, § 22 auch auf diese Kategorie von Menschen auszuweiten, sodass die auch nicht auf Asyl, sondern auf humanitäre Visa hoffen können?

KALL: Ich kann nur noch einmal sagen, dass ich mich hier nicht zu konkreten Reisewegen äußern kann.

Diese Überlegung, die humanitären Aufnahmeprogramme dahingehend auszudehnen, gibt es bisher nicht.

SASSE: Auch für das Auswärtige Amt gilt, und dafür muss ich Sie um Verständnis bitten, dass wir uns hier nicht zu einzelnen Routen äußern.

FRAGE: Herr Hebestreit, ich habe die Haltung der Bundesregierung insgesamt noch nicht so ganz verstanden. Es gibt ja aus der Koalition Stimmen, die sagen, man könne dieses Instrument nutzen, um aus dieser Teilmobilisierung ein bisschen den Wind herauszunehmen, weil dann eben viele ermuntert werden, nicht gegen die Ukraine zu kämpfen, sondern lieber nach Deutschland oder nach Europa zu kommen. Es ist also eine strategische Idee, die dahinter steckt. Ist die Haltung der Bundesregierung, dass man jetzt alles dafür tut, dass möglichst viele Menschen oder Deserteure auch nach Europa kommen, damit sie nicht mehr kämpfen können, oder zieht sich die Bundesregierung eher auf das allgemeine Asylrecht zurück und sagt „Wir lassen die Finnen und die Balten damit jetzt allein, im Zweifelsfall können die sich dort an der Grenze melden, wir formulieren allgemeingültige Standards von Menschenrechten, aber mehr kümmern wir uns jetzt nicht darum“? Was ist da die Haltung?

HEBESTREIT: Ich glaube, beides, was Sie da gerade als mögliche Alternativen skizziert haben, ist falsch. Erstens lassen wir niemanden allein. Das hat ja gerade die Situation, die wir in der Ukraine sehr gemeinsam europäisch gelöst haben, gezeigt. Ich erinnere mich noch an heftige Diskussionen hier von vor wenigen Wochen, als es um die Frage ging, wie die Haltung der Bundesregierung dazu ist, eine Visaverweigerung für russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in ganz Europa zu erlassen. Das sind Positionen, zu denen wir gesagt haben: Wir wollen keinen generellen Visabann. – Es gab andere Länder in Europa wie im Baltikum oder wie Finnland, die eine andere Betroffenheit haben und die an dieser Stelle auch aus nachvollziehbaren nationalen Beweggründen anders gehandelt haben. Aber auch da haben wir immer wieder gesagt: Es muss ein Weg auch dafür offenbleiben, dass Russen nach Europa und auch nach Deutschland kommen können.

Insofern ist das jetzt ein Umdrehen, nicht von Ihnen persönlich, sondern die Diskussion dreht sich um und fragt: Wieso sind die Finnen und die Balten denn so böse, dass sie da die Grenzen zu machen? – Auch da gilt: Wir bleiben weiterhin bei der Position, dass wir das jetzt ‑ das war ja vorhin mein Hinweis ‑ in dieser Situation, die seit Mittwochvormittag eine neue Qualität erreicht hat, innerhalb Europas gemeinsam miteinander diskutieren, um dann eine tragfähige Lösung zu finden. Diese tragfähige Lösung ist eben nicht ein allein auf das Asylrecht beharrendes „Schön, dass keiner zu uns kommen muss; wir sind ja fein raus!“, sondern das ist eine sehr besondere Situation, auf die wir jetzt eine gute Antwort geben müssen. Diese Antwort wird nicht lauten: Wir verweisen einfach auf das Asylrecht, und wer nicht zu uns kommt, der kann uns, in Anführungszeichen, hier auch nicht stören. – Aber Herr Kall hat auch darauf hingewiesen, dass wichtige Sicherheitsaspekte damit einhergehen und wir dann natürlich auch bei jedem Einzelnen, der beantragt, nach Europa kommen zu können, schauen müssen, ob das die tatsächlichen Beweggründe sind, die ihn hierherbringen, oder ob er sich womöglich im Auftrag der russischen Staatsmacht nach Europa bewegen soll. Das sind Punkte, die miteinander diskutiert werden. Dazu werden die Innenminister und Innenministerinnen in Europa tagen. Das wird sicherlich auch bei den Außenpolitikern eine Rolle spielen. Das wird uns in den nächsten zwei, drei Wochen auch noch weiter heftig beschäftigen, bevor wir dann zu einer Position kommen, die dann ‑ hoffentlich europaweit abgestimmt ‑ eine gute Lösung bringt.

ZUSATZFRAGE: Heißt das, wenn ich Sie richtig verstehe, im Zweifelsfall, wenn jetzt Zehntausende Russen an die finnische Grenze kommen und Finnland damit auch überfordert ist, dass Deutschland dann schon sagen würde, dass die auch hierhin kommen können?

HEBESTREIT: Es ist ganz clevere Übung hier, dass wir uns zu hypothetischen Fragen ungern äußern, weil in der anschließenden Berichterstattung nachvollziehbarerweise der hypothetische Teil ein bisschen zu kurz kommt und man Meldungen mit „Deutschland wird“ oder „Deutschland hat“ produziert. Insofern bleibt es dabei, dass wir die gute Übung innerhalb der Europäischen Union, die sich gerade in den letzten Monaten mit Blick auf die Ukraine eingespielt hat, auch in diesen Fragen beibehalten wollen ‑ das war auch in der Vergangenheit so; das hat einmal besser, einmal schlechter geklappt ‑ und dass wir kein einzelnes Land innerhalb Europas mit den Problemen, die sich aus der Migration und aus solchen Fluchtbewegungen ergeben, alleinlassen wollen.

FRAGE: Was tut die Bundesregierung auch im Kontakt mit der ukrainischen Regierung, um zu verhindern, dass russische Deserteure, die die Armee auf dem Boden der Ukraine verlassen wollen, dessen ungeachtet von Racheaktionen oder Rachemaßnahmen seitens Zivilisten oder auch ukrainischen Militärs betroffen sein können? Es gibt solche Befürchtungen.

HEBESTREIT: Geht die Frage an mich?

ZUSATZ: Ja.

HEBESTREIT: Dazu sind mir keine Initiativen der Bundesregierung bekannt.

ZUSATZFRAGE: Der Hintergrund der Frage ist auch, dass nach der russischen Teilmobilmachung der ukrainische Oberbefehlshaber wörtlich erklärt hat, die Ukraine werde jeden vernichten, der sich mit Waffen auf ukrainischem Territorium aufhalte. Das ist eine auf Einzelpersonen bezogene finale Formulierung. Ist das mit dem humanitären Völkerrecht, das im Krieg anzuwenden ist, vereinbar?

HEBESTREIT: Die Frage geht wieder an mich? – Ich glaube, in diesem Falle würde ich sagen, dass im Augenblick ein heftiger Krieg in der Ukraine tobt, den Russland vom Zaun gebrochen hat. Ich bin kein Völkerrechtler, und insofern kann ich das gar nicht so beurteilen, wie das rechtlich und juristisch vielleicht von Ihnen gewünscht ist. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich eine sehr martialische Rhetorik, die damit einhergeht, in diesem Falle nicht auf die Goldwaage legen wollen würde. Trotzdem bleibt es dabei, dass wir an alle Kriegsparteien immer wieder appellieren, und das ist das, was uns bleibt, die Bedingungen des humanitären Völkerrechts, also in dem Sinne des Kriegsrechts, bei all dem zu beachten, was sich da in der Ukraine gerade an schrecklichen Dingen zuträgt.

FRAGE: Mich würde noch einmal vom Auswärtigen Amt interessieren, ob seit Bekanntmachung der Teilmobilisierung in Russland die Zahl der Anträge auf humanitäre Visa gestiegen ist.

SASSE: Die genauen Zahlen seit Mittwoch habe ich noch nicht vorliegen. Ich kann Ihnen allerdings ganz grundsätzlich sagen, dass wir eine erhöhte Anzahl von Visaanträgen schon seit einigen Wochen und Monaten verzeichnen.

ZUSATZFRAGE: Dann habe ich noch eine Nachfrage an Herrn Kall. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat, wer desertiert, keinen Anspruch oder kein Anrecht auf ein humanitäres Visum. Vielleicht können Sie das noch einmal kurz darstellen. Kann also jetzt jemand mit der Teilmobilmachung zur Botschaft in Moskau gehen und ein humanitäres Visum beantragen, weil er nicht kämpfen will?

KALL: Für humanitäre Visa für besonders bedrohte Russinnen und Russen haben wir uns in der Bundesregierung auf bestimmte Kriterien ‑ ein sogenanntes Profilraster ‑ verständigt. Das umfasst, wie gesagt ‑ ich kann mich da nur wiederholen ‑, Oppositionelle, Dissidenten, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die eben aufgrund ihrer Kritik am Kurs der russischen Regierung besonders bedroht und politisch verfolgt sind. Das ist ein ganz konkretes Programm. Das steht, wie gesagt, für Deserteure erst einmal nicht offen, sondern für die gibt es das Asylverfahren.

Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan

FRAGE: Zu Armenien und Aserbaidschan: Frau Sasse, ich bin sicher, Sie würden uns informieren, falls Sie neueste Informationen bezüglich unserer Fragen der letzten Tage haben.

Ich habe einen anderen Aspekt anzusprechen. Ihnen wird ja aufgefallen sein, dass hier in Berlin die aserbaidschanische Botschaft an ihren Toren Plakate hängen hat. Unter anderem heißt es dort: Armenien ist ein Terrorstaat. Stoppt die armenischen Angriffe gegen Aserbaidschan. – Ist es eigentlich diplomatische Praxis und völlig in Ordnung, wenn eine Botschaft hier in Berlin solche Unwahrheiten oder Hetze an ihre Tore hängt?

SASSE (AA): Da bin ich, glaube ich, als Sprecherin des Auswärtigen Amtes an dieser Stelle nicht die richtige Ansprechpartnerin.

ZUSATZFRAGE: Sondern wer, das BMI? Herr Kall?

KALL (BMI): Es tut mir leid, das kann ich nicht ad hoc bewerten. Das müssten wir uns anschauen.

SASSE: Das ist, denke ich, auch eine Frage, die Sie vielleicht an die Stadt Berlin oder, ganz konkret, an die Innenbehörden des Landes Berlin richten könnten.

Was die grundsätzliche Position angeht: Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass wir, glaube ich, in der letzten Woche oder Anfang dieser Woche ausführlich Stellung zu dem Konflikt genommen hatten. Die Lage, wie die vereinzelten Schusswechsel der vergangenen Nacht gezeigt haben, ist weiterhin angespannt. Deswegen gilt es auch weiterhin, sich mit aller Kraft für eine Lösung des Konflikts und dafür einzusetzen, dass dann langfristig eine Waffenruhe entsteht, die weiter hält.

ZUSATZFRAGE: Wenn die aserbaidschanische Botschaft aber diese politische Message in Deutschland verbreitet, dass Armenien ein Terrorstaat ist, dann sagen Sie dazu was?

SASSE: Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir zu diesem konkreten Fall in Berlin als Auswärtiges Amt keine Stellung nehmen, weil er nicht in unserem Zuständigkeitsbereich liegt, und zum Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan habe ich die Meinung des Auswärtigen Amtes sehr deutlich gemacht.

Schlagworte

nach oben