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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 02.09.2022

02.09.2022 - Artikel

Mögliche Schließung der Internetplattform Qantara

FRAGE: Die Plattform Qantara soll bis Ende des Jahres dichtgemacht werden. Dazu gibt es jetzt einen großen Aufschrei, sowohl von den Autorinnen und Autoren, die dafür schreiben, als auch von der Community, an die das in der arabischen Welt gerichtet ist. Warum wurde den Mitarbeitern ohne Begründung mitgeteilt, dass dieses Ausnahmeprojekt Deutschlands bis Ende des Jahres dichtgemacht werden soll, Herr Burger?

BURGER (AA): Das kann ich in dieser Form nicht bestätigen. Vielleicht ganz grundsätzlich zum Thema Haushalt: Die Einsparungen, die es auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes in diesem und im kommenden Jahr gibt, stellen einen Einschnitt dar. Wir hätten sie natürlich am liebsten vermieden. Außenministerin Baerbock hat sich in den Haushaltsverhandlungen auch persönlich sehr dafür eingesetzt. Nichtsdestotrotz musste das Auswärtige Amt die rückläufigen Haushaltszahlen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen Deutschland insgesamt im Moment steht, hinnehmen. Fakt ist: Das Auswärtige Amt hat dieses Jahr globale Minderausgaben zu leisten, wie auch andere Ministerien. Davon sind auch die Mittler in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik betroffen.

Zum Thema Qantara: Wir stehen auf ganz vielfältige Art und Weise im Austausch mit den Menschen in der arabischen Welt. Das ist Kern unserer Arbeit. Das ist auch ein wichtiger Teil der Arbeit unserer Botschaften und Generalkonsulate in der Region. Wir sprechen mit unseren Partnern in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik intensiv darüber, wie wir strategische Priorisierungen so vornehmen können, dass diese wichtige Arbeit effizient und zielgerecht fortgesetzt werden kann. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch mit der Deutschen Welle über die Zukunft von Qantara. Meines Wissens sind diese Gespräche noch nicht beendet.

ZUSATZFRAGE: Es gibt Mitarbeiter, denen mitgeteilt wurde, dass die jährliche Förderung des Auswärtigen Amtes von 380 000 Euro eingestellt wird. Ist das falsch?

BURGER: Wie gesagt: Ich kann das in dieser Form nicht bestätigen. Meines Wissens sind die Gespräche, die wir mit der Deutschen Welle über die Zukunft von Qantara führen, noch nicht abgeschlossen.

FRAGE: Wenn Sie so betonen, dass Sie das in der Form nicht bestätigen können, können Sie das überhaupt bestätigen?

BURGER: Ich kann bestätigen, wie ich es eingangs getan habe, dass das Auswärtige Amt in diesen und im nächsten Jahr Haushaltskürzungen hinnehmen musste, so wie auch viele andere Ministerien. Das ist etwas, was wir gerne vermieden hätten, aber was angesichts der Gesamtlage, in der sich das Land im Moment befindet, nicht ganz zu vermeiden war. Deswegen sprechen wir mit den Mittlerorganisationen, die diese wichtige Arbeit der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik leisten, sehr intensiv darüber, wie wir verhindern können, dass strategische Prioritäten in dieser Arbeit mehr als unbedingt nötig dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, und wie wir Mittel so priorisieren und einsetzen können, dass die Prioritäten unserer Arbeit sinnvoll fortgesetzt werden können.

FRAGE: Herr Burger, könnten Sie einmal die Schwerpunkte der Einsparungen nennen, die Sie im Etat vornehmen werden?

BURGER: Da kann ich am besten auf das Bundeshaushaltsgesetz verweisen, in dem das transparent nachlesbar ist. Ich habe jetzt keine Aufstellung dabei. Aber fast nichts in der Politik ist so transparent wie der Bundeshaushalt.

Begräbnis Michail Gorbatschows

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine Frage zum Begräbnis von Herrn Gorbatschow. Herr Hebestreit, ich hätte ganz gerne gewusst, ob sich die Bundesregierung geeinigt hat, ob sie einen offiziellen Vertreter zu diesem Begräbnis schickt.

HEBESTREIT (BReg): Ich kann da nur an das Auswärtige Amt verweisen.

BURGER (AA): Ich kann Ihnen dazu sagen, dass die Bundesregierung durch den Geschäftsträger unserer Botschaft in Moskau vertreten sein wird. Dazu als Hintergrundinformation: Der deutsche Botschafter in Moskau, Herr von Geyr, kann aufgrund eines positiven Coronatests nicht selbst teilnehmen. Deshalb wird sein protokollarischer Vertreter anwesend sein.

ZUSATZFRAGE: Es gibt Berichte, dass möglicherweise auch deutsche Prominente wie beispielsweise Herr Schröder an diesen Feierlichkeiten teilnehmen werden. Wäre das dann mit der Bundesregierung abgestimmt, oder würde er das als Privatperson tun?

BURGER: Zu solchen Plänen ist mir nichts bekannt. Wie gesagt: Die Bundesregierung wird durch den Geschäftsträger der Botschaft vertreten sein.

Forderung aus Polen nach Reparationszahlungen aufgrund der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg

FRAGE: Ich wollte fragen, ob es von deutscher Seite eine Reaktion auf die erneute Forderung aus Polen nach Reparationszahlungen für die Zerstörungen und das Unrecht im Zweiten Weltkrieg gibt. Herr Burger oder Herr Hebestreit, ich denke, Sie haben dazu sicherlich etwas vorbereitet.

BURGER (AA): Ich kann Ihnen dazu gerne sagen: Die Bundesregierung hat diese Veröffentlichung zur Kenntnis genommen. Die Haltung der Bundesregierung zu Reparationsforderungen, die wir hier schon vielfach erörtert haben, ist aber unverändert. Diese Frage ist aus Sicht der Bundesregierung abgeschlossen.

FRAGE: Abgeschlossen stimmt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Der Abschluss erfolgte ja auf der Grundlage dessen, dass die damalige Sowjetunion die Zahlungen für abgeschlossen erklärte und dass sich dann die kommunistische polnische Regierung dem anschloss. Das ist nicht unbedingt das, was man eine freie Entscheidung nennen könnte. Möchten Sie wirklich sagen, abgeschlossen auf Grundlage einer nicht freien, sondern unter Druck zustande gekommenen politischen Entscheidung ist die dauerhafte Position der Bundesregierung?

BURGER: Vielleicht noch etwas breiter: Selbstverständlich ist die Verantwortung, die Deutschland für die während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen trägt, niemals abgeschlossen. Dazu stehen wir in politischer und moralischer Hinsicht völlig eindeutig. Diese Fragen werden in dieser Form nie abgeschlossen sein.

Auf rechtlicher Ebene sind diese Fragen abgeschlossen. Der Verzicht auf weitere Reparationen ist, wie Sie erwähnt haben, von Polen im Jahr 1953 erklärt worden. Diesen Verzicht hat die polnische Regierung seither mehrfach erneut bekräftigt, beispielsweise im Rahmen der Verhandlungen über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen vom 7. Dezember 1970 und auch in einer Bekanntmachung des Ministerrats vom 19. Oktober 2004, in der die Mitteilung der Regierung der Volksrepublik Polen vom 23. August 1953 über den Verzicht auf Kriegsreparationen durch die Regierung der Republik Polen als verpflichtend anerkannt wurde. Auch den Zwei-plus-Vier-Vertrag als abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland hat Polen im Rahmen der Charta von Paris am 21. November 1990 ohne Vorbehalte begrüßt.

ZUSATZFRAGE: Ich glaube, im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde dieses Thema gar nicht weiter vertieft. Dennoch die Frage: Die polnische Forderung wird von Beobachtern aus Polen vor allem auch als Forderung an die Bundesregierung und andere deutsche Institutionen angesehen, die Schuld und die Verantwortung Deutschlands für die Verwüstung Polens stärker zu kommunizieren und stärker im deutschen Bewusstsein zu verankern. Nehmen Sie diesen Appell an? Was gedenkt die Bundesregierung, wenn sie ihn annimmt, in dieser Hinsicht zu tun?

BURGER: Das ist ein Thema, das der Bundesregierung sehr am Herzen liegt, nämlich die Erinnerung an die deutsche Verantwortung und die deutsche Schuld für das von Deutschen im Namen Deutschlands, von Deutschland in Polen im Zweiten Weltkrieg angerichtete unermessliche Leid in Deutschland lebendig zu halten. Dazu hat es in der letzten Legislaturperiode eine Entscheidung des Deutschen Bundestages gegeben, dass wir dafür einen Ort in Berlin einrichten, der als ein Vehikel dazu dienen soll.

Außerdem ist das ein Thema, das wir sowohl im Auswärtigen Amt als auch in anderen Stellen in der Bundesregierung, beispielsweise im Rahmen der Jugendarbeit, sehr intensiv betreiben. Das ist uns selbstverständlich auch in allen Gesprächen, die wir mit der polnischen Regierung führen, ein großes Anliegen. Dazu kann ich Sie auf die Äußerungen der Außenministerin bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau im letzten Dezember verweisen, bei dem auch dieses Thema eine große Rolle gespielt hat.

FRAGE: Ich würde ganz gern einfach erst einmal verstehen: Wie ist diese Forderung bzw. diese Summe ‑ oder wie auch immer – jetzt überhaupt an die Bundesregierung herangetragen worden? Ist bei Ihnen überhaupt offiziell etwas aufgeschlagen, oder wurde das eigentlich nur in Polen diskutiert?

BURGER: Dort ist gestern eine Veröffentlichung öffentlich vorgestellt worden. Eine offizielle Geltendmachung einer Forderung gegenüber der Bundesregierung ist bisher nicht erfolgt.

FRAGE: Herr Burger, ich möchte nachfragen, was das heißt. Rechtlich haben Sie das jetzt beschrieben. Es wäre ja trotzdem denkbar, dass die Bundesregierung irgendeine Form wählt, um auf die polnische Seite zuzugehen, beispielsweise in Form von freiwilligen Zahlungen, indem man klarmacht, dass das rechtlich nicht bindend oder nicht verpflichtend ist, dass man das aber trotzdem macht, oder neue Initiativen zum gemeinsamen Gedenken. Können Sie sagen, ob in diese Richtung irgendwelche Aktivitäten geplant sind?

BURGER: Wie gesagt: Zur rechtlichen Frage der Reparationen sind aus unserer Sicht keine Gespräche geplant, weil diese Frage aus Sicht der Bundesregierung abgeschlossen ist.

Zu dem Thema Erinnerung habe ich gerade ausführlich berichtet. Ja, das wird ein Thema bleiben, bei dem sich die Bundesregierung sehr engagiert, weil es uns ein Herzensanliegen ist.

ZUSATZFRAGE: Ich habe meine Frage schlecht ausgedrückt. Ich meine über das hinaus, was Sie erwähnt haben, ob neue Initiativen geplant sind, weil die polnische Seite ja erkennbar einen Schritt weitergegangen ist als bisher. Sind neue Initiativen geplant, oder würden Sie sagen, wir haben schon diesen Dialog über das gemeinsame Erinnern, und das reicht?

BURGER: Zum Thema Reparationen sind keine neuen Gespräche vonseiten der Bundesregierung geplant.

Äußerungen der Bundesaußenministerin in Prag zur Ukraine

FRAGE: Auch ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Der Ministerin wird vor allem in sozialen Medien vorgeworfen, als deutsche Außenministerin die ukrainischen Interessen über die der eigenen Bevölkerung zu stellen. Da wird Bezug auf ihre Äußerungen in Prag genommen. Wie verhält sich das Auswärtige Amt zu diesen Vorwürfen?

BURGER (AA): Vielen Dank für die Frage. ‑ Ich darf Sie in diesem Kontext auf einen Tweet unseres Beauftragten für Strategische Kommunikation und Public Diplomacy, Herrn Ptassek, von gestern hinweisen, in dem er dieses Phänomen in den sozialen Medien eingeordnet hat.

Ich glaube, es ist in einer Phase wie jetzt sehr wichtig, dass man, wenn beispielsweise Videos, die erkennbar geschnitten sind, in sozialen Medien massenhaft verbreitet und mit einer gewissen Deutung versehen werden, mit einer nicht wörtlichen Wiedergabe von Dingen, die da gesagt worden sein sollen, sehr genau hinschaut und sich bemüht, Aussagen erst einmal in ihrem ursprünglichen Kontext zu verstehen, bevor man so etwas weiterverbreitet. Dazu hat es gestern eine ganze Reihe von Analysen gegeben, auch von unabhängigen Fact-Checking-Portalen und von anderen, die sich die Entstehungs- und die Verbreitungsgeschichte dieses Videoschnipsels angesehen und dazu erklärt haben, aus welcher Ecke das zunächst einmal verbreitet worden ist.

Die Ministerin hat am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion in Prag gesprochen. Da waren auch viele Journalistinnen und Journalisten anwesend. Sie hat dort auf die Frage nach der deutschen Politik gegenüber der Ukraine ausführlich drei Argumente vorgetragen, die diejenigen von Ihnen, die die Außenministerin ein bisschen enger verfolgen, sehr gut kennen, nämlich erstens, dass es wichtig ist, gegenüber der Bevölkerung offen und klar zu kommunizieren und keine falschen Erwartungen zu wecken, dass diese Krise schnell vorbei sein wird, sondern ehrlich zu sein. Es kann sein, dass dieser Krieg noch lange dauert. Wir müssen in der Lage sein, die Unterstützung, die wir für richtig halten, so lange durchzuhalten, wie es erforderlich ist.

Zum Zweiten müssen wir bei der Gestaltung von Sanktionen sehr darauf achten, dass sie so sind, dass wir sie auf Dauer durchhalten können und dass wir nicht nach kurzer Zeit sagen müssen: Russland setzt seinen Angriffskrieg zwar unvermindert fort, aber trotzdem müssen wir jetzt diese Sanktionen beenden.

Zum Dritten ist es wichtig, um die Unterstützung in der Bevölkerung zu erhalten, dass wir die sozialen Härten, die sich beispielsweise aus der Tatsache ergeben, dass Russland Energie als Waffe gegen uns nutzt, abfedern, gerade mit Blick auf die Zusatzbelastungen, die jetzt auf alle in Deutschland zukommen und die natürlich besonders diejenigen, die einkommensschwächer sind, mit besonderer Härte treffen. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass wir jetzt schlagkräftige Entlastungsmaßnahmen für die Menschen auf den Weg bringen.

Das sind die drei Punkte, die sie im Wesentlichen ausgeführt hat. Das ist in der Sache nicht neu.

ZUSATZFRAGE: Steht der Satz der Ministerin: „Egal, was meine deutschen Wähler denken“, auch zwei Tage danach noch so?

BURGER: Ich habe gerade versucht darzustellen, in welchem Kontext dieser Satz steht. Die Bundesaußenministerin ist überzeugt davon, dass wir die Unterstützung der Ukraine fortsetzen müssen, dass es im Interesse Deutschlands und auch im Interesse der Bevölkerung Deutschlands ist, dass wir uns in der jetzigen Situation von Russland nicht noch erpressbarer machen, sondern dass wir das, was wir für richtig halten, nämlich der Ukraine beizustehen in ihrem Kampf um ihre Unabhängigkeit, auch in ihrem Kampf zur Verteidigung der europäischen Friedensordnung, auch dann fortsetzen müssen, wenn es in Deutschland daran Kritik gibt.

Zugleich hat sie sehr klar unterstrichen, dass Teil dieser Politik sein muss, die sozialen Folgen, beispielsweise hohe Energiepreise, die sich aus der Tatsache ergeben, dass Russland Energie als Waffe gegen uns einsetzt, abzufedern und alles Notwendige zu tun, um die Menschen mit dieser Belastung nicht alleinzulassen, sondern ihnen klarzumachen, die Bundesregierung tut alles dafür, um den Menschen in dieser Situation beizustehen.

FRAGE: Herr Burger, würden Sie der Einschätzung widersprechen, dass die Formulierung, die sie da gewählt hat, zumindest unglücklich war?

BURGER: Ich würde noch einmal darauf verweisen, dass es sehr wichtig ist, solche Formulierungen nicht aus ihrem Kontext zu reißen, sondern zumindest zu versuchen zu verstehen, in welchem Kontext Äußerungen getätigt werden, und nicht unkritisch und unhinterfragt Interpretationen weiterzuverbreiten, die von sehr interessierter Stelle in die Welt gesetzt werden.

FRAGE: Herr Hebestreit, hat Herr Scholz zu Formulierungen und Anliegen eine andere, eine abweichende Meinung, oder stellt er sich voll hinter Frau Baerbock?

HEBESTREIT (BReg): Erst einmal ist der Appell, den auch Herr Burger jetzt deutlich gemacht hat, dass man Zitate und Äußerungen immer in einem Kontext sehen sollte, ein ganz wichtiger. Hier sitzen ja lauter Expertinnen und Experten, die Dinge bewerten und auch sehen können, wenn Schnipsel aus längeren Interviewpassagen oder Reden herausgelöst werden, dass sie anders verstanden werden können, als sie gemeint waren. ‑ Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Es ist natürlich auch eine Aufgabe der Bundesregierung ‑ da ist die Außenministerin aus meiner Sicht über jeden Zweifel erhaben ‑, für die Politik, die man vertritt, zu werben, auch in Zeiten, in denen es einmal Gegenwind gibt oder in denen es aufgrund von Härten, die eine solche Politik mit sich bringt, Kritik gibt. Da ist der Bundeskanzler ganz eng an der Seite der Außenministerin, auch alle anderen Ministerinnen und Minister, wenn ich sie jetzt auch vor dem Hintergrund der Kabinettssitzung in Meseberg in den vergangenen Tagen sehe. Da steht man sehr eng beieinander.

Das sind aufregende Zeiten, in denen wir leben. Viele Härten kommen auf uns alle zu. Herr Burger hat das erklärt und auch deutlich gemacht, worüber wir im Augenblick innerhalb der Bundesregierung diskutieren, Stichwort „Entlastung für die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Energiepreise“ und Ähnliches, was viele Leute im Augenblick auch besorgt.

Man muss Verständnis dafür haben, dass Leute das Ganze auch anders sehen. Aber klar ist trotzdem, dass man bei seinen Prinzipien und bei dem bleibt, was man richtig findet. Ich glaube, das ist der Aspekt, den die Außenministerin deutlich gemacht hat ‑ das kam in dem Schnipsel etwas kurz ‑, nämlich dass man auch bei Gegenwind nicht umfällt. Mir ist wichtig, dass das jedem bewusst ist. Deswegen ist das für uns alle die Erinnerung, dass die wörtliche Rede immer in einem Kontext passiert.

Tod des Vorstandsvorsitzenden des russischen Ölkonzerns Lukoil

FRAGE: Noch einmal der Blick nach Russland: Herr Hebestreit und gegebenenfalls Herr Burger, wie bewerten Sie den Tod des Lukoil-Vorstandsvorsitzenden, der aus einem Fenster eines Moskauer Krankenhauses gefallen sein soll?

HEBESTREIT (BReg): Herr Burger und ich gucken uns an. ‑ Dazu liegen mir keine eigenen Informationen oder Erkenntnisse vor; insofern kann ich das nur zur Kenntnis nehmen. Ich nehme ebenfalls zur Kenntnis, dass es in früheren Zeiten bzw. in den letzten Monaten mehrere solche Fälle gegeben hat. Mehr als zur Kenntnis nehmen und mich wundern kann ich aber nicht.

ZUSATZFRAGE: Da es ja mehrere Fälle gab: Halten Sie das für normal? Denken Sie, dass das alles natürliche Tode gewesen sind?

HEBESTREIT: Darüber möchte ich nicht spekulieren.

BURGER (AA): Ich auch nicht.

FRAGE: Herr Burger, einer dieser Fälle war ja in Berlin: Soweit ich mich erinnern kann, ist ein Diplomat letztes Jahr aus der Botschaft gestürzt. Hat es da jemals eine Untersuchung vonseiten der deutschen Behörden gegeben? Sie waren dazu ja sicherlich im Kontakt mit den russischen Behörden, weil das ja auf dem Botschaftsgelände passiert ist. Oder haben die russischen Behörden diese Untersuchung verweigert?

BURGER: Ich bemühe mich jetzt sehr, das aus dem Gedächtnis zusammenzukratzen. Ich glaube aber, es wäre seriöser, wenn ich Ihnen die Antwort auf diese Frage nachliefere. Es würde sich parallel sicherlich lohnen, bei der Berliner Staatsanwaltschaft noch einmal nachzufragen, was dort möglicherweise an Ermittlungen stattgefunden hat.

Zu dem Aspekt davon, den wir als Auswärtiges Amt kennen und beurteilen können würden ‑ das würde ja im Wesentlichen die Kontaktaufnahme mit der russischen Botschaft und die Vermittlung zwischen der Botschaft und den zuständigen Justizbehörden angehen ‑, werde ich gerne etwas nachliefern. Zur Substanz einer möglichen Ermittlung kann nur die Staatsanwaltschaft etwas sagen.

Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte über die Lage in der chinesischen Region Xinjiang

FRAGE: Das Auswärtige Amt hatte sich ja schon zum Bericht der UN-Menschenrechtsbeauftragten Bachelet zur Situation in China und dem Umgang der Volksrepublik China mit den Uiguren verhalten. Mich würde vonseiten der Bundesregierung interessieren ‑ ich weiß nicht, ob Herr Hebestreit, das BMWK oder das Auswärtige Amt etwas dazu sagen wollen ‑, welche Schlussfolgerungen Sie aus diesem Bericht für die wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen in diesem Gebiet ziehen und inwiefern dieser Bericht bei der Abfassung der neuen Chinastrategie, die im Auswärtigen Amt zurzeit erarbeitet wird, Berücksichtigung finden wird.

BURGER (AA): Ich fange vielleicht einmal an. Sie haben schon auf das Statement verwiesen, das wir dazu gestern schriftlich abgegeben haben. Der letzte Satz dieses Statements lautet ja: „Über Konsequenzen aus dem Bericht werden wir mit unseren Partnern in der EU und in den Vereinten Nationen beraten.“ Da gibt es verschiedene Stränge. Einer ist sicherlich die nächste Sitzung des VN-Menschenrechtsrats, die am 12. September beginnt; da wird das sicherlich ein Thema sein. Sie haben selbst schon erwähnt, dass wir als Bundesregierung gerade zum ersten Mal an einer Chinastrategie arbeiten. Da wird natürlich auch das Thema Menschenrechte eine Rolle spielen, und natürlich auch die Frage, wie wir unser Verhältnis zu China insgesamt kalibrieren.

Sie wissen sicherlich auch, dass die EU-Kommission angekündigt hat, unter anderem rechtliche Möglichkeiten zu schaffen, den Import von Produkten aus Zwangsarbeit in den europäischen Binnenmarkt zu unterbinden. Das ist ein Vorhaben, das wir als Bundesregierung nachdrücklich unterstützen. Mein Verständnis ist, dass es dazu bald konkrete Vorschläge vonseiten der EU-Kommission geben wird. Das ist sicherlich ein Teil der Antwort.

Wir werden sicherlich auch im Rahmen der Chinastrategie innerhalb der Bundesregierung darüber beraten, wie wir mit dem Thema wirtschaftlicher Abhängigkeiten in Schlüsselsektoren weiter umgehen, und wir werden im Weiteren sicherlich auch darüber sprechen, wie bei der Nutzung von Förderinstrumenten die Menschenrechtslage zu berücksichtigen ist. Dazu gibt es ja heute schon Möglichkeiten ‑ da kann das BMWK sicherlich noch etwas ergänzen. Das ist sicherlich ein Thema, über das wir weiter beraten werden.

BARON (BMWK): Ich könnte noch kurz etwas zu den Export- und Investitionsgarantien als Instrument der Außenwirtschaftsförderung ergänzen. Auch da gilt das von Herrn Burger Gesagte, dass die Bundesregierung der Einhaltung von Menschenrechten, ILO-Standards und Umweltstandards besondere Bedeutung einräumen. Wir übernehmen grundsätzlich keine Deckung für solche Export- und Investitionsgarantien, wenn ein Verstoß gegen zentrale Umwelt-, Menschenrechts- oder Sozialstandards besteht.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass es schon erste Handlungen der Bundesregierung gab, bei denen wir das angewendet haben. Wir haben in einigen Fällen, in denen eben nicht ausgeschlossen wurde, dass es Bezug zu den besonders schweren Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen autonomen Region Xinjiang gibt, keine Garantien mehr übernommen; das hatten wir auch schon betont. Insofern gilt, dass die Bundesregierung hier schon aktiv ist und diese Standards prüft und einhält.

KRÜGER: Es gibt ja namhafte deutsche Unternehmen, die sich in der Vergangenheit auf den Standpunkt gestellt haben, sie hätten keine Kenntnis von den Vorgängen dort. Würden Sie nach diesem Bericht von der juristischen Einschätzung her sagen, dass man jetzt bei deutschen Wirtschaftsakteuren positive Kenntnis dieser Zustände, die in dem UN-Bericht geschildert werden, voraussetzen kann?

BURGER: Ich glaube, grundsätzlich ist es so, dass die Inhalte dieses Berichts traurigerweise in der Sache weitgehend nicht neu sind, sondern nur bestätigen, dass Anlass zu größter Sorge besteht, und natürlich verleiht die sorgfältige Recherche durch das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte diesen Erkenntnissen noch einmal einen besonderen Nachdruck, ein besonderes Gewicht.

Was das im Einzelnen beispielsweise in der Anwendung des Sorgfaltspflichtengesetzes für einzelne Unternehmen bedeutet, vermag ich hier nicht zu interpretieren ‑ ich weiß nicht, ob andere Kollegen sich dazu in der Lage sehen.

BARON: Ich kann das vielleicht nur kurz am Beispiel der Investitionsgarantien ergänzen, wo wir jetzt eben Fälle hatten. Da ist es eben so: Wenn es Projekte oder Unternehmen gibt, die in der besagten Region tätig sind oder Geschäftsbeziehungen zu Einrichtungen in der Region haben oder diese nicht ausschließen können, dann können wir eben agieren und sagen, dass keine Deckungen und keine Garantien mehr übernommen werden.

FRAGE: Herr Hebestreit, Herr Burger, die Bundesregierung reist ja auch als Kabinett öfter einmal nach China. Kann das Politbüro dort damit rechnen, dass Sie beim nächsten Besuch Xinjiang besuchen?

HEBESTREIT (BReg): Wie Sie wissen, informieren wir über die Reisen des Bundeskanzlers in der Regel freitags, bevor die Reise losgeht.

JUNG: Aber jetzt geht es ja um eine politische Frage. Interessiert sich Herr Scholz, interessiert sich Frau Baerbock dafür, sich das vielleicht auch einmal selbst vor Ort anzugucken, um die Missstände quasi aufzuzeigen?

HEBESTREIT: Ich bleibe dabei, dass wir über Reisepläne dann berichten, wenn sie konkret sind.

BURGER: Ich würde zur Einordnung noch ergänzen: Wenn Sie es sich genau ansehen, werden Sie feststellen, dass schon ziemlich lange niemand aus der Bundesregierung nach China gereist ist ‑ ich würde vielleicht sogar sagen: seit Januar 2020. ‑ Ich hoffe, das stimmt jetzt auch. ‑ Das hat damit zu tun, dass Reisen nach China seit dem Ausbruch von COVID mit sehr erheblichen Einschränkungen verbunden sind. Selbst wenn man dorthin reisen würde, wären die Möglichkeiten, sich vor Ort zu bewegen, extrem eingeschränkt. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum solche Reisen schon lange nicht stattgefunden haben.

Seenotrettung im Mittelmeer

FRAGE: Meine Frage richtet sich an das BMI und an das AA. Das Thema ist die Seenotrettung im Mittelmeer. Allein im August starben 16 flüchtende Menschen bei Unglücken im Verlauf ihrer Flucht. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung erklärt, sie wolle eine staatlich organisierte Seenotrettung im Mittelmeer ausbauen und unterstützen. Wie weit sind Sie vor dem Hintergrund der Todeszahlen und auch der Klagen von zivilen Hilfsorganisationen darüber, dass Staaten auf Hilferufe nicht reagieren oder Auflagen erhöhen, bezüglich dieser Erklärung im Koalitionsausschuss? Was tut sich da? An welchen Baustellen sind Sie dran? Welche Fortschritte können Sie vermelden?

BURGER (AA): Ich kann anfangen. - Eine gemeinsame europäische, staatlich organisierte Seenotrettung ist, wie Sie richtig sagen, ja ein Ziel, dem sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verschrieben hat. Das ist ein Thema, das wir mit den europäischen Partnern ansprechen. Es ist jetzt allerdings auch, glaube ich, keine Überraschung, wenn ich sage, dass das auf europäischer Ebene ein dickes Brett ist und dass wir deswegen gleichzeitig natürlich auch an den verschiedenen anderen Ansatzpunkten arbeiten, die es gibt, um die Situation im Mittelmeer konkret zu verbessern. Das betrifft zum einen unsere feste Auffassung, dass die Arbeit privater Seenotretter nicht behindert werden darf. Wir haben hier immer wieder in verschiedenen Einzelfällen davon berichtet, dass wir beispielsweise NGOs dabei unterstützen bzw. flankieren, wenn es um die Frage von Aufnahmehäfen geht. Das ist ein Geschäft, bei dem sowohl die Kolleginnen und Kollegen im BMI als auch bei uns im Haus immer wieder Nachtschichten fahren, wenn solche Fälle auftreten.

Ich glaube, zum Solidaritätsmechanismus kann wahrscheinlich wirklich Max Kall besser und fundierter vortragen und auch alles, was ich zu sagen vergessen habe, sagen.

KALL (BMI): Genau! Erst einmal kann ich alles unterstreichen, was Herr Burger gesagt hat. Das gilt natürlich für die Innenministerinnen und Innenminister und die Beratungen in der Europäischen Union genauso. „Dickes Brett“ ist sicherlich richtig gesagt. Deutschland setzt sich dabei für Fortschritte ein. Uns ist das wichtig. Wir sehen die völkerrechtliche Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten.

Es gab Ende Juni beim Rat der EU-Innenministerinnen und -Innenminister einen sehr wesentlichen Fortschritt ‑ du sagtest es schon ‑, was den Solidaritätsmechanismus angeht, der jetzt endlich in Gang gekommen ist. Deutschland beteiligt sich daran und wird es auch in den nächsten Wochen tun, 3500 Menschen aus den Mittelmeerländern, die aus Seenot gerettet worden sind, per „relocation“ zu übernehmen und in Deutschland aufzunehmen. Endlich gibt es diesen Mechanismus und ist eine lange Blockade im Rat der Innenministerinnen und Innenminister durchbrochen worden, sodass es dabei Fortschritte gibt und es Entlastungen für die Mittelmeeranrainer gibt. Das ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, und wir sind weiter daran und mit den EU-Partnern im Gespräch.

ZUSATZFRAGE: Das Bohren dicker Bretter erfordert ja bekanntermaßen Leidenschaft und Augenmaß. Wann ist der Zustand erreicht, dass Sie sagen können „Wir haben so etwas wie eine staatlich organisierte Seenotrettung“? Wie nah oder wie fern sind Sie von dieser Organisationsform entfernt?

KALL: Aus meiner Sicht sollten Sie diese Frage an die Europäische Kommission und an die europäischen Institutionen richten, die vielleicht insgesamt für die EU sprechen können.

ZURUF: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

KALL: Wir sind einer von 27 Mitgliedsstaaten, ein wichtiger Mitgliedstaat, ein Staat, der seinen humanitären Verpflichtungen nachkommt, Geflüchtete aufnimmt und jetzt die Mittelmeerländer entlastet, gerade, was die Menschen, die aus Seenot gerettet worden sind, betrifft. Was dabei die Rolle der Bundesregierung ist, haben wir, glaube ich, gerade ausgeführt.

FRAGE: Könnte denn nicht in der Zwischenzeit, solange es dieses europäische Rettungssystem nicht gibt, die Bundeswehr aushelfen, damit es eben nicht zu diesen monatlichen Todeszahlen kommt? Man ist ja für eine staatliche Seenotrettung. Dann kann man das auch erst einmal in der Zwischenzeit selbst übernehmen!

BURGER: Deutschland ist halt kein Mittelmeeranrainer. Das ist, glaube ich, einer der ganz wesentlichen Aspekte, den man einfach ganz realistisch –

ZURUF: Es gibt ja trotzdem deutsche Schiffe im Mittelmeer!

BURGER: Die haben sich ja in der Vergangenheit, wenn sie Teil entsprechender Einsätze waren und sozusagen Gelegenheit dazu hatten, im Rahmen der allgemeinen seemännischen Pflicht zur Seenotrettung auch immer wieder daran beteiligt. Nur bleibt es eben dabei, dass die Zuständigkeit für die Seenotrettung zunächst einmal völkerrechtlich geregelt ist. Die trifft eben zunächst einmal die Anrainerstaaten. Ohne sozusagen die Mitwirkung derjenigen, die die Häfen am Mittelmeer kontrollieren, und ohne Mitwirkung und Zustimmung derjenigen, die vor Ort davon betroffen sind, wird sich so etwas de facto nicht durchführen lassen. Das, glaube ich, muss man einfach ganz realistisch sagen. Man kann das nur mit den Mittelmeeranrainern machen.

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