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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 09.03.2022
Reise der Außenministerin in verschiedene Westbalkanstaaten und in die Republik Moldau
SASSE (AA): Außenministerin Baerbock wird heute am späten Abend zu einer Reise aufbrechen, die sie in verschiedene Staaten der Region des westlichen Balkans und in die Republik Moldau führen wird. Die Reisestationen sind in folgender Reihenfolge geplant: Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Serbien und Moldau.
In Bosnien und Herzegowina wird die Außenministerin morgen unter anderem Gespräche mit verschiedenen Regierungsvertretern und Politikern ‑ selbstverständlich auch mit der Außenministerin ‑ führen. Sie wird sich außerdem mit dem Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Christian Schmidt, über die Lage vor Ort austauschen und mit Vertreterinnen der Nichtregierungsorganisation „Mütter von Srebrenica“ zusammentreffen.
Morgen Nachmittag wird die Außenministerin weiter in die Republik Kosovo reisen, wo sie unter anderem Gespräche mit der Präsidentin und dem Ministerpräsidenten führen wird. Im Kosovo wird Außenministerin Baerbock außerdem mit der Leitung von KFOR und mit Soldatinnen und Soldaten des deutschen Einsatzkontingents zusammentreffen.
Am Freitagmorgen wird sie einen Windpark einweihen, der mit deutscher Unterstützung zustande gekommen ist und die bislang größte ausländische Einzelinvestition im Kosovo darstellt.
Am Freitag reist die Ministerin dann weiter nach Belgrad, wo sie mit Präsident Vučić, der Außenministerin und der Ministerpräsidentin für weitere Gespräche zusammentreffen wird.
Am Freitagabend schließlich wird Außenministerin Baerbock weiter in die Republik Moldau reisen. Dort wird sie am Samstagvormittag Gespräche mit der Präsidentin und dem Außenminister führen.
FRAGE: Frau Sasse, eine Frage zu Serbien, das sich ja etwas anders positioniert hat als andere Westbalkanländer. Gibt es Kritik der Bundesregierung daran, dass Serbien den russischen Einmarsch in die Ukraine nicht klar kritisiert und sich den Sanktionen nicht angeschlossen hat, und hat das Konsequenzen für das EU-Beitrittsverfahren?
SASSE: Auf das EU-Beitrittsverfahren einzugehen, wäre an dieser Stelle sehr weitgehend und auch spekulativ. Ich kann Ihnen sagen, dass uns selbstverständlich die kulturell-historisch begründeten Beziehungen zwischen Serbien und Russland bewusst sind. Wir haben es in den vergangenen Tagen ausdrücklich begrüßt, dass sich Serbien beispielsweise der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. März angeschlossen hat.
Zum EU-Beitritt kann ich es vielleicht etwas weiter fassen, um so doch noch auf Ihre Frage einzugehen. Serbien hat sich den EU-Beitritt als strategisches außenpolitisches Ziel gesetzt. Wir haben an Serbien ebenso wie an jeden anderen EU-Beitrittskandidaten die klare Erwartung, dass Positionen und Maßnahmen der EU übernommen und auch vertreten werden.
FRAGE: Transnistrien war hier immer wieder einmal Thema. Jetzt reist Frau Baerbock nach Moldau. Was wird sie der Republik Moldau mit auf den Weg geben? Moldau fühlt sich ‑ wahrscheinlich zu Recht ‑ von den in Transnistrien stationierten Soldaten bedroht. Es könnte ja auch ein Kriegsziel sein, dass Putins Armee auch in Moldau einmarschiert.
SASSE: Sie haben völlig recht. Wir haben hier schon in der Vergangenheit über das Thema Transnistrien gesprochen. Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, hierzu etwas ausdrücklich nachzureichen. Dazu hatten Sie ja in der vergangenen Woche gefragt.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich nicht über mögliche Kriegsziele von Herrn Putin spekulieren. Es geht aber, wie Sie zu Recht vermutet haben, bei den Gesprächen, die Außenministerin Baerbock in der Republik Moldau führen wird, selbstverständlich um die Lage in der Ukraine. Sie wissen, dass Moldau eines der Zielländer von Flüchtlingen ist. Das heißt, es geht auch um die Lage der Flüchtlinge vor Ort, und natürlich geht es auch um die politische Situation in der Republik Moldau, ganz speziell auch um die politische Lage in Transnistrien selbst. Sie wissen, dass es seit Langem bereits Verhandlungen gibt, um zu einer Lösung des Transnistrienkonflikts zu kommen. Zu den Vermittlern in diesem Verhandlungsformat gehört neben der OSZE, der EU, den USA und der Ukraine auch Russland. Bisher hat Russland die Unabhängigkeit Transnistriens nie anerkannt, sondern immer eine Lösung auf der Basis der territorialen Integrität der Republik Moldau unterstützt.
VORS. BUSCHOW: Zu diesem Komplex gibt es eine online gestellte Frage, die lautet: Unterstützt Deutschland die Idee, dass der Kosovo der NATO beitritt?
SASSE: Ich kann Ihnen an dieser Stelle keine neue Position der Bundesregierung hierzu mitteilen.
FRAGE: Findet der Besuch alleine in Chișinău statt, oder wird es auch, sagen wir, einen Ortstermin an der Grenze zu Transnistrien geben?
SASSE: Hierzu bin ich im Moment überfragt. Die Antwort müsste ich Ihnen nachreichen.
ZUSATZ: Ja, bitte!
FRAGE: Kurze Verständnisfrage: Wird Frau Baerbock auch Herrn Schmidt, den Hohen Repräsentanten in Bosnien und Herzegowina, treffen, und unterstützt sie dessen Machtfülle? Er kann ja sämtliche demokratischen Entscheidungen vor Ort überstimmen. Findet sie das zeitgemäß?
SASSE: Ich hatte in meinen einführenden Bemerkungen erwähnt, dass auch ein Gespräch der Außenministerin mit Herrn Schmidt geplant ist. Er ist der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. In dieser Funktion unterstützt ihn die Bundesregierung selbstverständlich.
ZUSATZFRAGE: Mir geht es um seine Machtfülle.
SASSE: Die Bundesregierung unterstützt Herrn Schmidt, wie gesagt, in seiner Funktion als Hoher Repräsentant.
FRAGE: Meine Frage richtet sich an Sie, Herr Kall. Können Sie ein Update zu den aktuell in Deutschland erfassten Flüchtlingen aus der Ukraine geben? Können Sie auch eine Einschätzung abgeben, wie hoch die Dunkelziffer sein dürfte? Denn es wird ja vermutlich nur ein Bruchteil erfasst werden.
KALL (BMI): Ich kann sagen, dass bis heute Vormittag 80035 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland festgestellt worden sind. Das ist eine Zahl der Bundespolizei, die ihre Kontrollen insbesondere in Zügen und an Bahnhöfen deutlich verstärkt hat. Allerdings finden weiterhin keine Binnengrenzkontrollen innerhalb des Schengenraums, an den Grenzen zu Tschechien, zu Polen statt. Insofern kann die Zahl höher sein. Aber das lässt sich gerade nicht beziffern. Wir wissen von vielen geflüchteten Menschen, dass sie sehr schnell zur Familie, zu Angehörigen, zu Freunden weiterreisen, dass viele solche Verbindungen bestehen. Das ist absolut ihr Recht und ihre Freiheit in Deutschland.
Es gilt eine Visafreiheit von 90 Tagen. Ein genaueres Bild ergibt sich dann, wenn Menschen beispielsweise Sozialleistungen oder einen Schulplatz brauchen, wenn sie sich also bei Behörden registrieren, oder wenn sie in eine Erstaufnahme kommen, dort registriert werden und dort auch Hilfe bekommen. Jetzt ergibt sich von Tag zu Tag ein genaueres Bild. Die genannten 80 035 Kriegsflüchtlinge sind, wie gesagt, jene, die die Bundespolizei bisher registriert hat.
ZUSATZFRAGE: Sie hatten am Montag bezüglich der Verteilung den Königsteiner Schlüssel und die Gespräche, die zwischen dem Bund und den Ländern geführt werden, angesprochen. Können Sie dazu etwas konkreter ausführen? Wie weit ist man, was die Verteilung der Menschen auf die einzelnen Bundesländer betrifft?
Damit verbunden eine weitere Frage. Die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein. Sie „verteilen“ ‑ in Anführungszeichen ‑ von den Menschen, um die es geht, lediglich die registrierten, richtig?
KALL: Im Moment machen wir geflüchteten Menschen, die aus der Ukraine gekommen sind, das Angebot, in andere Bundesländer weiterzureisen, vor allem aus Berlin weiterzureisen. Wir bieten Busverbindungen aus Cottbus, aus Berlin, aus Frankfurt (Oder) an. Allein heute sollen 30 Busse fahren. Busse fahren auch direkt aus Polen Städte in Deutschland an: Erfurt, Leipzig, Magdeburg, Schwerin, Rostock, Frankfurt, Bielefeld. ‑ Das stammt alleine aus einer Übersicht für heute. Das heißt, es gibt große Anstrengungen, Berlin zu entlasten, weil wir natürlich wissen, dass der Berlin-Warszawa-Express dort am Hauptbahnhof ankommt und die primären Zugverbindungen über Frankfurt (Oder) nach Berlin führen, sodass viele Menschen hier ankommen.
Sie werden gesehen haben, dass sich die Bundesinnenministerin gemeinsam mit der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Frau Giffey, am Montag am Hauptbahnhof selbst ein Bild gemacht hat. Alle Anstrengungen sind jetzt darauf gerichtet, bestmöglich zu koordinieren und Berlin zu entlasten, auch durch Manpower, also dadurch zu entlasten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hier in Berlin insbesondere bei der Registrierung helfen, dass das THW, übrigens nicht nur in Berlin, sondern in vielen Städten Deutschlands, massiv hilft. Über 300 Kräfte des THW sind im Einsatz. Auch die Bundespolizei hat, wie gesagt, ihre Anstrengungen deutlich verstärkt. Der Bund unterstützt also durch Koordination, aber auch ganz stark durch Manpower aus den Bundesbehörden.
Die Koordination zwischen Bund und Ländern läuft im Rahmen ständiger Schaltkonferenzen auf allen Ebenen, sowohl auf den Fachebenen zwischen den Stäben, die es im Bund, in den Ländern und in den Kommunen gibt, als auch auf politischer Ebene.
VORS. BUSCHOW: Die folgenden Fragen halte ich für beantwortet. Wenn das nicht der Fall sein sollte, bitte noch einmal melden.
Eine Frage zu diesem Thema: Gibt es einen weiteren zentralen Verteilbahnhof außer Hannover-Messe/Laatzen?
KALL: Die Verteilung erfolgt von verschiedenen Orten aus. Wie gesagt, fahren Busse ab Frankfurt (Oder), es fahren Busse ab Cottbus, es fahren Busse ab Berlin. In Niedersachsen wird tatsächlich von der Messe aus weiterverteilt. Aber das ist nicht der einzige zentrale Ort. Vielleicht kann das Verkehrsministerium diesbezüglich ergänzen.
ALEXANDRIN (BMVg): Ich kann vielleicht noch einmal ganz grundsätzlich ergänzen, wie da die Logistik funktioniert: Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Bahn bereits seit letzter Woche eine Zugverbindung von der Ukraine nach Deutschland kostenfrei für alle flüchtenden Menschen zur Verfügung gestellt. Das funktioniert so, dass sie über die Fernverbindung aus Polen meistens in vier deutsche Bahnhöfe fahren können. Dort erhalten sie nach Vorlage ihres ukrainischen Passes das sogenannte Help-Ukraine-Ticket, mit dem sie sich kostenfrei in ganz Deutschland bewegen können. Diesem Verkehrsverbund hat man sich europaweit angeschlossen, das heißt, die Flüchtlinge können sich mit den Strukturen, die wir da haben, wirklich fast europaweit kostenfrei bewegen.
Gleichzeitig hat die DB am Wochenende Entlastungszüge eingesetzt, weil da eben auch Regelverkehr passiert. Wie Herr Kall schon sagte, sitzen die Leute beispielsweise im Warschau-Berlin-Express; das ist eine Regelverbindung, und die war einfach überlastet. Das heißt, da werden dann Entlastungszüge eingesetzt, beispielsweise zwischen Frankfurt (Oder) und Berlin, zwischen Cottbus und Berlin, eben um explizit diese Strecke zu entlasten.
Die Leute haben aber von Anfang an die Möglichkeit, sich in ganz Deutschland zu verteilen. Wir sehen hier einfach unterschiedliche Phänomene. Viele Leute kommen tatsächlich mit einem konkreten Ziel, weil sie Verwandte oder Bekannte in Deutschland haben und wissen, wohin sie möchten. Die nutzen dann das Help-Ukraine-Ticket und kommen dort auch kostenlos mit dem ÖPNV an bzw. werden in den vier Zentren, die ich gerade angesprochen habe, von ihren Bekannten oder Verwandten abgeholt.
Es gibt auch Leute, die ankommen und nach einer Unterkunft suchen, und hier gibt es die von Herrn Kall erwähnten Stäbe gemeinsam mit den Innenressorts der Länder. Hier unterstützt der Bund koordinativ, um zu schauen: Wo bringt man die Leute unter und wie können wir dahin dann die Transporte organisieren? Der entscheidende Punkt ist also, dass die Leute nicht ziellos in Deutschland hin und her fahren, sondern wir am Ende auch sicherstellen müssen, dass auch eine Unterkunft auf sie wartet.
Das sind die Maßnahmen, die gerade laufen. Es geht also darum, dass wir in Verbindung mit den Innenressorts der Länder schauen, wo es Kapazitäten gibt, und dahin dann eben von den Hubs aus Shuttles organisieren.
VORS. BUSCHOW: Zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Kall, gibt es noch eine Nachfrage: Hat die Bundespolizei ihre Kontrollen seit gestern oder vorgestern verstärkt, oder meinen Sie seit Kriegsbeginn?
KALL: Seit Kriegsbeginn und natürlich sukzessive weiter verstärkt ‑ auch in den letzten Tagen, in denen ja auch immer mehr Menschen in Deutschland angekommen sind.
Angriff Russlands auf die Ukraine
FRAGE: Es geht um die Überwachung von Tschernobyl, die ja unterbrochen ist, und die Sicherheit in Europa. Dazu hätte ich mehrere Fragen.
Zum einen: Wie bereitet man sich von BMI-Seite vor, um die Bevölkerung hier zu schützen? Welche Maßnahmen ergreift man da?
Wie versucht man international, die Sicherung der Atomkraftwerke dort zu gewährleisten ‑ durch Verhandlungen, oder welche Ideen oder Maßnahmen gibt es da?
KALL: Dafür ist das Bundesumweltministerium der primäre Ansprechpartner.
STOLZENBERG (BMUV): Diese Meldungen haben uns auch erreicht; die sind relativ frisch. Wir sind gerade dabei, uns ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Deshalb kann ich an dieser Stelle noch keine aktuellen Informationen dazu geben. Die letzten Wochen haben allerdings gezeigt, dass wir über die ukrainische Sicherheitsbehörde vor Ort, aber eben auch über die Internationale Atomenergie-Organisation sehr gut über die Situation der ukrainischen Atomanlagen informiert werden. Das heißt, da bestehen Kontakte und wir hatten bislang immer ein sehr gutes Bild. Diesen Meldungen, die wir jetzt hören, gehen wir nach. Ich glaube, an dieser Stelle bleibt einfach nur zu sagen: Niemand ‑ wirklich niemand ‑ kann Interesse daran haben, dass es da zu einem Unfall mit potenziell desaströsen Folgen kommt.
Insofern versuchen wir, uns mit unserer Expertise und mit unseren Informationskanälen ein Bild zu machen. Wir gehen aber auch davon aus, dass es Kräfte vor Ort gibt, die da entsprechend helfen können. Insbesondere ist natürlich die Besatzung gefragt, die jetzt noch in Tschernobyl gearbeitet hat. Sie haben es vielleicht auch gelesen: Die sind dort seit zwei Wochen vor Ort. Das wichtigste bei solchen Anlagen ist uns immer, dass die Leute, die auf diesen Anlagen geschult sind, tatsächlich auch am besten wissen, wo Gefahrquellen, Schwachstellen und ähnliches sind. Insofern: Wir wissen, dass diese Leute immer noch vor Ort sind, und das sind die Informationen, die wir bislang haben. Sobald wir mehr wissen, werden wir uns an Sie wenden.
ZUSATZFRAGE: Gibt es internationale Bemühungen, da Verhandler reinzubringen, was die Sicherung der Atomkraftwerke angeht?
STOLZENBERG: Da muss ich an die Internationale Atomenergie-Organisation verweisen. Die haben sich ja nun auch in verschiedenster Weise und auch öffentlich gemeldet ‑ Herr Grossi ist da ja sehr aktiv. Mein letzter Stand ist, dass er sich bemüht, auch Tschernobyl zu besuchen. Das sind aber Informationen, die ich sozusagen nur aus zweiter Hand beisteuern kann; insofern sollten Sie sich da auf jeden Fall noch an die Internationale Atomenergie-Organisation wenden.
FRAGE: Herr Stolzenberg, der Schutz über dem Unglücksreaktor ist ja auch nicht ganz unerheblich auch mit deutscher Hilfe in den letzten Jahren aufgebaut worden. Es gab Informationen, dass auch der in Mitleidenschaft gezogen werden könnte oder schon in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Haben Sie spezielle Informationen zu dem Shelter?
STOLZENBERG: Was ich dazu sagen kann, ist, dass wir keine Erkenntnisse dazu haben, dass derzeit radioaktive Stoffe austreten, und dass es bislang nicht zu erhöhten Strahlenwerten gekommen ist. Der Hinweis, dass die Stromversorgung vor Ort unterbrochen sei, hat uns aber auch nur über die Medien erreicht. Wir versuchen, uns ein eigenes Bild von der Situation zu machen. Aber seien Sie sich sicher: Die Internationale Atomenergie-Organisation versucht wahrscheinlich genau das gleiche, ebenso wie die ukrainischen Behörden. Ich würde davon ausgehen, dass wir relativ bald auch wissen, wie es vor Ort aussieht.
FRAGE: An Frau Sasse oder Herrn Büchner: Es gab gestern ja Meldungen, dass Polen angeboten habe, Kampfflugzeuge aus eigenem Bestand im Prinzip nach Ramstein zu bringen und von dort ‑ das ist alles recht abenteuerlich ‑ irgendwie der ukrainischen Armee zur Verfügung zu stellen, worauf die USA dann quasi gesagt hätten, das sei keine gute Idee. Wie finden Sie das? Ist Deutschland an Gesprächen über diesen polnischen Vorschlag beteiligt gewesen?
BÜCHNER (BReg): Bevor der Kollege vom Verteidigungsministerium übernimmt, kann ich hier vorweg vielleicht sagen, dass wir die Maßnahmen von Alliierten und Partnern hier nicht im Einzelnen kommentieren. Ich möchte aber auf die jüngsten Äußerungen des US-Verteidigungsministeriums hinweisen, dass das ja entsprechend abgelehnt hat. ‑ Herr Helmbold, wollen Sie ergänzen?
HELMBOLD (BMVg): Ja, gern. ‑ Wie Herr Büchner schon gesagt hat, handelt es sich um einen Vorgang zwischen den USA und Polen. Uns liegt dazu erst einmal konkret nichts vor. Die Abstimmungen zwischen den USA und Polen kann ich natürlich nicht kommentieren. Von daher gibt es dazu von unserer Seite zum jetzigen Zeitpunkt auch nichts zu sagen.
FRAGE: Herr Büchner, Sie verweisen auf die Pentagon-Äußerungen. Der Bundeskanzler hat ja in den letzten Tagen mehrfach erwähnt, dass man eine rote Linie nicht überschreiten dürfe, die die NATO direkt in den Konflikt hineinzieht. Wird die Lieferung von MiG-29-Kampfflugzeugen vom Bundeskanzler und der Bundesregierung als Überschreiten dieser roten Linie angesehen?
BÜCHNER: Diese hypothetische Diskussion möchte ich hier jetzt gar nicht führen. Fest steht aber, dass Deutschland Defensivwaffen an die Ukraine geliefert hat. Das halten wir auch für legitim. Wir unterstützen an der Stelle sozusagen das Recht auf Selbstverteidigung eines angegriffenen Staates. Ansonsten muss eben alles vermieden werden, was dazu führen würde, dass diese Linie, die Sie gerade erwähnt haben, überschritten wird.
ZUSATZFRAGE: Die polnische Regierung hat ja gesagt, dass das eine einvernehmliche NATO-Entscheidung sein müsse. Die bezeichnen das also nicht als bilaterales Thema, sondern als eins der NATO. Deswegen stellt sich schon die Frage, wie die Bundesregierung sich im Fall dieser MiG-29-Lieferung verhalten würde. Gibt es da schon eine Position?
BÜCHNER: Noch einmal: Es muss keine Position geben, denn es gab sozusagen gar keine Abstimmung in diesem Zusammenhang. Es gab dazu eine Äußerung, die im Raum steht, aber es gab dazu bisher keine internationale Abstimmung. Deshalb müssen wir jetzt auch nicht anfangen, hypothetisch zu diskutieren, wie man sich in so einem Falle verhalten würde.
FRAGE: Ich hätte eine Verständnisfrage an Frau Sasse zu dem Status der Basis in Ramstein: Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages stellt ja klar, dass das kein exterritoriales Gebiet ist, aber eines mit Sonderrechten. Wenn der Fall einträte: Hat Deutschland ein Mitspracherecht bei solchen Verlegungen?
SASSE: Vielleicht noch einmal zur Klarstellung: Ich denke, die Kollegen haben das gerade schon deutlich gemacht, aber wir sollten vielleicht noch einmal betonen ‑ auch Pentagon-Sprecher Kirby hat darauf hingewiesen ‑, dass man zu dieser Frage der Kampfjets mit Polen und mit allen NATO-Verbündeten berät, und diese Beratungen laufen. Das heißt, es ist an dieser Stelle ehrlich gesagt völlig deplatziert, darüber zu spekulieren, was passiert, wenn tatsächlich Kampfjets ausgeliefert würden.
Die Außenministerin hat in der vergangenen Woche in mehreren Interviews immer wieder deutlich gemacht ‑ und das ist allen NATO-Verbündeten bewusst ‑, dass unsere Position in diesem Ukraine-Konflikt eine solche ist, dass wir als NATO verhindern müssen, dass dieser Krieg auf die NATO überschwappt. Das heißt, alle Maßnahmen oder Entscheidungen, die nun anstehen, werden natürlich auch in diesem Lichte gesehen. Das haben die Amerikaner deutlich gemacht, das haben wir als Bundesregierung in der Vergangenheit deutlich gemacht, und dem kann ich an dieser Stelle nichts hinzufügen. Wie gesagt, die Beratungen laufen.
ZUSATZFRAGE: Mir ging es auch gar nicht um die Bewertung, ob Sie das für gut oder falsch halten, sondern um den Status von Ramstein in dieser Situation. Hätte die Bundesregierung ein Mitspracherecht, wenn es um die Verlegung solcher Maschinen geht?
SASSE: Was die Nutzung der Luftwaffenbasis in Ramstein angeht, steht die Bundesregierung in engem, ständigem Kontakt mit der US-Regierung. Das würde selbstverständlich auch für den Fall der Fälle gelten, dass über diese Basis etwaige Maßnahmen abgewickelt werden.
Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal betonen: Wir haben die Haltung der NATO-Partner deutlich gemacht ‑ die USA haben es deutlich gemacht, wir haben es deutlich gemacht ‑, und eine Entscheidung über solche Kampfjets gibt es nicht.
FRAGE: Herr Büchner, weil Sie noch einmal gesagt haben, auch Deutschland habe defensive Waffen geliefert, zum Beispiel Flugabwehrraketen: Verstehe ich es richtig, dass die Bundesregierung einen substanziellen Unterschied zwischen der Lieferung von defensiv einsetzbaren Waffen und MiG-29-Kampfflugzeugen sieht, und dass dieser substanzielle Unterschied eben in der Einsetzbarkeit der jeweiligen Waffensysteme liegt?
BÜCHNER: Sie sehen die Sache insofern richtig, als die Bundesregierung sich ohnehin schon sehr weit bewegt hat in ihrer Position gegenüber früher, da man in diesem Fall, weil es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriff auf ein Land in Europa handelt, zum ersten Mal auch Waffen in ein Konfliktgebiet liefert. Deutschland hat hier aber eine ganz klare Haltung, dass wir Waffen liefern, die der Selbstverteidigung dieses Landes dienen, und genau das haben wir auch getan.
ZUSATZFRAGE: Position der Ukraine ist ja, dass die MiGs allein diesem Zweck der Selbstverteidigung dienen würden. Diese Einschätzung teilen Sie nicht?
BÜCHNER: Ich möchte diese Diskussion und die Spekulationen über die MiGs hier gar nicht führen, weil sie nicht ansteht. Es gibt auch gar nichts abzustimmen, weil es an der Stelle keine entsprechenden Vorgänge gibt, in die Deutschland involviert ist.
VORS. BUSCHOW: Online wurden zwei Fragen gestellt, die in die gleiche Richtung zielen. Sie bezieht sich darauf, dass die ukrainische Regierung einem internationalen Abkommen zugestimmt habe, wonach die Ukraine ein neutrales Land sein könnte, und fragt: Unterstützt die Bundesregierung diesen Vorschlag?
Die nächste Frage ist ein bisschen ähnlich. Er fragt: Liegt eine am Horizont aus Kiew aufziehende Neutralität als Verhandlungsoption auf der Linie der deutschen Außenpolitik? Könnte ein solches Modell wie bei Schweden und Finnland eine EU-Mitgliedschaft durchaus einschließen?
BÜCHNER: Ich antworte vielleicht eher etwas allgemeiner: Wir haben diese Äußerungen seitens der Ukraine zur Kenntnis genommen. Für uns steht bei diesen Fragen im Vordergrund: Die Ukrainerinnen und Ukrainer müssen die Freiheit haben, selbst über die politische Ausrichtung zu entscheiden. Diese darf ihnen nicht von außen aufgezwungen werden, und schon gar nicht durch einen Angriffskrieg.
FRAGE: An das BMWK zur Energieunabhängigkeit von Russland, konkret zur Kapazitätsplanung: Haben Sie aktuelle Daten, wie viele Gigawatt an Kohle momentan im Netz sind und wie viele in Reserve gehalten werden? Gibt es da irgendwelche neuen Entwicklungen oder Fortschritte, was die Planung der strategischen Reserven angeht?
EINHORN (BMWK): Sie fragen ja vor dem Hintergrund der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Russland, die jetzt seit dem Angriffskrieg natürlich stark zu Buche schlägt. Wir sehen die Priorität jetzt darin ‑ das hat auch Minister Habeck mehrmals betont ‑, die Energieunabhängigkeit von Deutschland und Europa zu stärken. Da ist auf jeden Fall der erste und stärkste Pfeiler, um das zu erreichen, der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das wollen wir jetzt massiv vorantreiben.
Dann gibt es natürlich die anderen Säulen, die dazukommen müssen, und da ist eine wichtige Säule die Diversifizierung des Bezugs von fossilen Energieträgen. Das betrifft vor allem Gas und das betrifft auch Kohle ‑ eben auch die Steinkohle aus Russland ‑ und Erdöl, und es geht darum, dass man versucht, den Bezug zu diversifizieren und die Kohle zukünftig aus verschiedenen Ländern zu beschaffen. Aktuell liegt der Anteil von Kohle aus Russland ja bei 35 Prozent. Die nächste Frage ist dann die der Kohlekraftwerke, die noch in Betrieb sind, und des Kohleausstiegs bis 2030. Der avisierte Kohleausstieg bis 2030 steht hier nicht zur Debatte, das ist auch weiterhin der Plan.
Unabhängig davon gibt es Instrumente, die auch jetzt schon bestehen, um zukünftig die Versorgungssicherheit abzusichern, solange wir auf dem Weg sind, uns vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Ein wichtiges Instrument dabei ist, die Kohlekraftwerke in der Reserve zu halten. Hier ist es so, dass es im Zuge der aktuellen Entwicklungen natürlich sein kann, dass man dieses Instrument noch stärker nutzt, dass also zukünftig vielleicht mehr Kohlekraftwerke als ursprünglich geplant in die Reserve genommen werden. Das heißt, die laufen dann nicht, aber sie stehen zur Verfügung, falls es zu Engpässen kommt. Das ist der aktuelle Plan.
Aktuell ist es so, dass sich in der Sicherheitsbereitschaft Braunkohlekraftwerke in einem Umfang von 1,9 Gigawatt befinden. Zuletzt wurden zum 1. Oktober 2019 Kraftwerke in die Sicherheitsbereitschaft überführt. Ich hätte dazu auch noch eine Liste von Kraftwerken, aber das können wir bei Interesse auch nachreichen. Wenn Sie also die Namen der Kraftwerke wissen wollen, dann können wir das gerne noch mitteilen.
FRAGE: An Herrn Büchner zum selben Thema: Vergangenen Montag hat ja der Bundeskanzler einen Wortlaut verbreiten lassen, aus dem eigentlich hervorgeht, dass die deutsche oder europäische Energieversorgung ohne russische Energiequellen nicht anders gesichert werden kann. Zuvor hatte sich auch schon der Vizekanzler in einer ähnlichen Richtung geäußert und gesagt, dass er sich auf jeden Fall gegen ein komplettes Embargo wenden würde. Kann man daraus folgern, dass Deutschland sich für die anstehenden Verhandlungen beim informellen EU-Gipfel, der morgen beginnt, ganz klar auf die Position zurückzieht, dass man bei einem EU-weiten Komplettembargo gegen Öl und Gas aus Russland praktisch nicht mitmachen wird?
BÜCHNER: Ich glaube, der Bundeskanzler und die Bundesminister, die sich dazu geäußert haben, haben auch deutlich gemacht, dass es hier nicht nur um Energielieferungen für Deutschland geht, sondern ebenso um Energielieferungen für viele andere europäische Staaten. Wie der Bundeskanzler am 7. März gesagt hat, arbeitet die Bundesregierung mit ihren Partnern innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus seit Monaten mit Hochdruck daran, Alternativen zur russischen Energie zu entwickeln. Darüber hinaus ist es wichtig, unsere Abhängigkeit von fossilen Energien insgesamt zu verringern. Der Bundeskanzler hat zudem erläutert, dass die Bundesregierung derzeit wichtige Maßnahmen zur Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit vorbereitet bzw. eingeleitet hat.
ZUSATZFRAGE: Es gibt ja eine Reihe von EU-Staaten, die mittlerweile auch für so ein Embargo sind, nachdem die USA das gestern verkündet haben. Insofern ist es offenbar nicht ganz richtig, dass alle europäischen Staaten ihre Energieversorgung dadurch bedroht sehen, bzw. wenn es so wäre, dann würden sie das anscheinend in Kauf nehmen. Würde Deutschland das auch in Kauf nehmen, wenn es da eine gemeinsame Front gegen Russland geben sollte?
BÜCHNER: Das Letztere hatte ich auch nicht behauptet. ‑ An der Stelle muss ich dann schon sagen: Es ist gute Übung, dass wir solchen Beratungen, wie sie in den nächsten Tagen stattfinden werden, nicht vorgreifen möchten.
VORS. BUSCHOW: Es gibt eine Frage an das BMWK: Findet morgen ein G7-Energieministertreffen statt?
EINHORN: Das müsste ich noch einmal nachschauen; ich habe den Kalender jetzt nicht parat. ‑ Doch, das findet statt, denke ich. Sollte es nicht so sein, melden wir uns noch einmal.
VORS. BUSCHOW: Ich sehe auch Nicken vom Auswärtigen Amt und vom Stellvertretenden Regierungssprecher. Dann ist die Frage wahrscheinlich beantwortet.
Dann gibt es eine Frage zum Stichwort Kohlekraftwerksreserve: Beziehen sich die eben erwähnten Reserveplanungen des BMWK auf Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke oder nur auf Steinkohlekraftwerke?
EINHORN: Mit Blick auf Russland geht es ja um Steinkohle, die importiert wird. Insofern geht es jetzt vor allem um die Steinkohle.
FRAGE: Was kurzfristige Energiealternativen betrifft: Setzt Deutschland dann eher auf vermehrte Ölexporte aus Saudi-Arabien ‑ Diktatur ‑ oder erstmals aus Iran oder Venezuela in relevanter Steigerung?
EINHORN: Zu den Bezügen von konkreten Ländern kann ich mich hier jetzt noch nicht äußern. Klar ist, dass unser Ziel ist, dass wir uns insgesamt breiter aufstellen, und zwar sowohl bei Gas ‑ das ist offensichtlich ‑, aber auch bei Öl und bei der Steinkohle. Ansonsten sind das natürlich auch immer Fragen, die die Unternehmen, die die Energieträger am Weltmarkt beschaffen, beantworten.
ZUSATZFRAGE: Es gibt aber selbstverständlich auch politische Implikationen, wie beim Embargo gegen Russland. Eine Entscheidung für vermehrte Öleinkäufe aus Saudi-Arabien oder aber Venezuela oder Iran hat ja politische Implikationen. Bedeutet das, dass all diese drei genannten Staaten bei Ihnen als Option diskutiert werden?
EINHORN: Wie gesagt, ich kann jetzt von keinen Diskussionen über konkrete Staaten berichten. Klar ist das Ziel, dass wir uns breiter aufstellen müssen, und noch klarer ist das Ziel, dass wir in mittlerer Frist und schneller als ursprünglich geplant auf die erneuerbaren Energien umsteigen müssen, um genau diese Diskussionen um verschiedene Länder dann nicht mehr führen zu müssen bzw. nicht mehr in diesem Ausmaß führen zu müssen und um selber souveräner zu werden, was die Energieversorgung angeht.
FRAGE: Aus Russland kam neulich die Drohung, möglicherweise Nord Stream 1 abzuschalten. Was würde das für Deutschland bedeuten? Gibt es Planungen, das zu ersetzen, wenn es zu diesem Fall käme?
EINHORN: Wir haben diese Drohung zur Kenntnis genommen. Dazu kann ich mich jetzt aber im Einzelnen nicht äußern. Klar ist ‑ das hat auch Minister Habeck in den letzten Tagen bzw. leider fast schon Wochen immer wieder betont ‑: Wir sind für den Fall, dass von jetzt auf gleich die Importe fossiler Energieträger aus Russland ausfallen sollten, gut aufgestellt mit Blick auf den Rest des Winters, auf den Frühling, auf den Sommer.
Mit Blick auf den kommenden Winter müssen wir aber eben genau das umsetzen, was ich gerade auch schon angesprochen habe: Wir müssen uns da breiter aufstellen, wir müssen unabhängiger werden von den Energieimporten aus Russland, und wir müssen Maßnahmen vorantreiben, die zum Beispiel die
Gasspeicherfüllstände betreffen. Da haben wir ja jetzt schon in der Ressortabstimmung ein Gesetz zum Thema Gasspeicher und die Gasspeicherbefüllung. In Zukunft wollen wir eben bestimmte Füllstände zu bestimmten Stichtagen im Jahr vorschreiben, sodass wir dann im Dezember 2022 mit den Gasspeichern so gut aufgestellt sind, dass wir dann auch sicher durch den Winter kommen.
ZUSATZFRAGE: Wie schnell kann das mit diesen Vorschriften zu den Gasspeicherfüllständen gehen?
EINHORN: Das ist jetzt in der Ressortabstimmung, und das Ziel ist, dass es möglichst bald vom Kabinett beschlossen wird, damit die Gasspeicher eben auch im Sommer befüllt werden können.
VORS. BUSCHOW: Es gibt eine Onlinefrage zum Thema Nord Stream 2: Wie bewertet die Bundesregierung die Wahrscheinlichkeit von Schadenersatzklagen der am Nord-Stream-2-Konsortium beteiligten Unternehmen, und hat sie diesbezügliche Vorkehrungen getroffen?
EINHORN: Das bewerte ich gar nicht, weil ich nicht darüber spekuliere.
FRAGE: Herr Büchner, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Bürger und Bürgerinnen der EU zum Energiesparen aufgerufen, ist also auf die individuelle Ebene gegangen. Unterstützt der Kanzler diesen Aufruf von Frau von der Leyen?
Was kann die Bundesregierung eigentlich tun, abseits von Appellen an die Bürger, um Energie einzusparen? Was wollen Sie tun? Warum tun Sie nichts?
BÜCHNER: In der Frage sind ja schon wieder eine Menge Unterstellungen enthalten, von wegen „Warum tun Sie nichts?“. Sie hatten ja vorhin von meiner Kollegin vom BMWK den Hinweis erhalten, dass die Bundesregierung schon eine ganze Menge unternommen hat, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten ‑ ‑ ‑
ZURUF: Es geht darum, Energie einzusparen, also beim Verbrauch etwas einzusparen!
BÜCHNER: Es gibt jetzt in erster Linie einmal den Aspekt, dass wir schauen müssen, dass die Bürgerinnen und Bürger mit dieser neuen Situation klarkommen, und darum kümmert sich die Bundesregierung jetzt auch.
ZUSATZFRAGE: Ich wollte ja wissen, wie der Kanzler zum Appell von Frau von der Leyen an die Bürger steht. Unterstützt er den?
Was tun Sie als Bundesregierung dafür? Sie haben ja auch politische Hebel in der Hand, damit Energie eingespart wird. An das Tempolimit will man ja nicht heran.
BÜCHNER: Ich glaube, es ist Ihnen bekannt, dass es insgesamt große Anstrengungen gibt, auch innerhalb der Bundesregierung, nachhaltiger mit Energie umzugehen. Das hatten wir hier in einer der letzten Regierungspressekonferenzen auch schon einmal diskutiert.
Zu der konkreten Aussage kenne ich keine Einschätzung des Bundeskanzlers.
FRAGE: Frau Einhorn, Sie sagen, Sie gingen davon aus, dass Deutschland selbst dann, wenn Russland jetzt praktisch Gas- und Öl- und Kohlelieferungen komplett abschalten sollte bzw. wenn es von westlicher Seite ein Embargo geben sollte, zumindest für den Rest des Winters und das ganze Jahr bis zum nächsten Winter gut aufgestellt sei. Können Sie das irgendwie mit Analysen unterlegen? Gibt es also irgendwelche Zahlen dazu, was das alles für den Benzinpreis, für die Gaspreise etc. heißt? Das muss ja irgendwie mit Zahlen oder Fakten unterfüttert sein, oder ist das jetzt einfach einmal eine Schätzung?
EINHORN: Nein, eine Schätzung ist das nicht, sondern das ist unsere Kenntnis und unsere Überzeugung. Es ist ja so, dass jetzt bald die Heizperiode vorüber sein wird und dass der Gasverbrauch dann natürlich stark sinken wird. Die Füllstände der Speicher liegen jetzt ungefähr bei 30 Prozent. Das war in anderen Jahren zu diesem Zeitpunkt auch so. Wir haben ja auch schon eingegriffen und haben Geld zur Verfügung gestellt, um LNG aufzukaufen. Wir haben in den vergangenen Wochen auch schon sogenannte „long term options“ gezogen, um die Speicher aufzufüllen. Insofern haben wir jetzt schon einen Level erreicht, zu dem wir auf Grundlage dieser Zahlen sagen können, dass das reichen wird. Aber nichtsdestotrotz gilt natürlich: Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Heizperiode wieder beginnen wird, müssen weitere Maßnahmen kommen. Sonst würde es in dem Fall, dass Lieferungen ausblieben, eng werden.
ZUSATZFRAGE: Jetzt sind die Benzinpreise ja schon auf breiter Front auf mehr als 2 Euro gestiegen. Was ist denn da eigentlich die Schmerzgrenze für den Wirtschaftsminister, ab der man sagen würde, dann würde es doch ein bisschen schädlich für die deutsche Wirtschaft werden und dann müsste man dann doch eingreifen? Was heißt „man kommt durch“? Mit welchem Preis kommt man denn eigentlich durch?
EINHORN: Eine Schmerzgrenze in Euro und Cent kann ich Ihnen jetzt nicht nennen. Aber ich kann noch immer wiederholen, was der Minister ja auch gestern gesagt hat, zum Beispiel gestern Abend im „Brennpunkt“. Genau der Aspekt, den Sie jetzt ansprechen, ist der Grund dafür, dass er sagt, dass ein Embargo aus deutscher Sicht aktuell nicht der richtige Weg wäre und dass die Situation dabei zum Beispiel auch eine ganz andere als die in den USA ist. Weil wir eben abhängiger sind ‑ das muss man zur Kenntnis nehmen ‑, würden die Preissprünge bei uns groß sein, und das würde natürlich zu höheren Preisen an der Tankstelle, beim Gas usw. bis hin zu wirtschaftlichen Folgen für die Lieferketten und für die Herstellung in den Unternehmen führen. Das hätte dann Auswirkungen bis hin zu Arbeitslosigkeit; das hat er gestern auch so gesagt. Das wäre dann alles nicht mehr auszuschließen.
Insofern gilt es eben, dem jetzt zuvorzukommen und die Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen, die auf dem Tisch liegen, und dafür gibt es ja Möglichkeiten. Das Gasspeichergesetz befindet sich, wie gesagt, schon in der Ressortabstimmung. Wir sind also dran. Das Ziel ist eben genau, dass die Preise sich auf einem Level bewegen, von dem man sagen kann: Natürlich sind das Kosten, die jetzt mit den Sanktionen verbunden sind, aber das sind eben die Kosten, die zu tragen wir auch bereit sind.
VORS. BUSCHOW: Dann nehme ich jetzt eine weitere Frage auf. Es wird fragt das Innenministerium und das Verteidigungsministerium. Ukrainische Regierungskreise sprechen von knapp 1000 Deutschen, die in der Ukraine kämpfen. Können Sie das bestätigen, oder haben Sie mittlerweile eigene Zahlen? Wie viele Rechtsextreme aus Deutschland sind in der Ukraine an Kämpfen beteiligt? – Wer kann oder möchte beginnen?
KALL: Soll ich beginnen?
HELMBOLD: Ja, bitte. Erst einmal habe ich keine Frage an uns erkannt.
KALL: Ich beginne gerne. Die Zahl 1000 kann ich Ihnen nicht bestätigen. Innerhalb des Schengen-Raums reisen Menschen frei und werden dabei erst einmal nicht registriert. Es gibt keine regulären Binnengrenzkontrollen, auch nicht sozusagen in Richtung des Ostens oder in Richtung Polens. Wir gehen davon aus, dass das Ukrainer oder mindestens Menschen mit einem deutsch-ukrainischen Hintergrund sind, aber diesbezügliche Zahlen können wir nicht nennen.
Was die Ausreise deutscher Rechtsextremisten angeht, habe ich mich dazu, glaube ich, ja am letzten Freitag hier geäußert. Die Sicherheitsbehörden haben dieses Bild sehr genau auf dem Schirm und versuchen, Ausreisen auch durch Fahndungen, gezielte Ansprachen und gezielte Maßnahmen zu verhindern. Wir wissen nur von einer sehr kleinen einstelligen Zahl von deutschen Rechtsextremisten, die ausgereist sind.
VORS. BUSCHOW: Kann und möchte das Verteidigungsministerium etwas ergänzen?
HELMBOLD: Ich habe keine Frage an uns gehört.
VORS. BUSCHOW: Dann gibt es eine Online-Frage. Die richtet sich an Sie, Herr Büchner. Der frühere Vizefraktionschef der Union Arnold Vaatz beklage, die Bürokratie behindere die Ausfuhr wichtiger Hilfsgüter in die Ukraine. So seien in Deutschland kugelsichere Westen in großen Mengen vorhanden, würden aber nicht geliefert. Wie stehen Sie zu diesem Vorwurf, lautet die Frage.
BÜCHNER: Ich kenne den Vorwurf erst einmal nicht und werde die Äußerung auch nicht kommentieren.
FRAGE: Die Frage geht wahrscheinlich an das Auswärtige Amt. Frau Sasse, wie bewerten Sie die Äußerung des russischen Außenministeriums von heute, die Militäreinsätze in der Ukraine zielten auf keinen Fall darauf ab, die derzeitige Regierung zu entfernen? Ist das sozusagen der offizielle Abschied vom Ziel des „regime change“?
SASSE: Wir bewerten diese Äußerung gar nicht. Wir haben sie zur Kenntnis genommen.
ZUSATZFRAGE: Hat diese Äußerung für Sie einen besonderen Charakter? Reiht sie sich ein? Sie wissen nämlich besser als ich, dass die Entfernung der derzeitigen Regierung eines der von Russland zunächst genannten Kriegsziele gewesen war. Dazu müssten Sie doch eigentlich eine Meinung haben.
SASSE: Zunächst einmal hat über die Ziel des Krieges am ehesten Herr Putin eine klare Vorstellung. Wir spekulieren weder darüber noch beteiligen wir uns an solchen Spekulationen.
Was das Ziel insgesamt angeht, haben wir an dieser Stelle immer wieder deutlich gemacht, und diese Position kann ich auch heute noch einmal bekräftigen, dass es das Ziel sein muss, diesen Angriffskrieg unverzüglich zu beenden. Das ist unsere Position, und daran halten wir fest. Alles, was dazu beiträgt, begrüßen wir selbstverständlich. Aber das Ziel als solches steht fest.
VORS. BUSCHOW: Dann habe ich noch eine Online-Frage. Sie richtet sich an das Innenministerium. Nach Informationen gäbe es beim Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt eine besondere Aufbauorganisation zu Spionageabwehr russischer Dienste während des Ukrainekriegs. Wie viele Beamte umfasst diese Taskforce?
KALL: Dazu kann ich Ihnen nur antworten: Die Sicherheitsbehörden haben die verschiedenen Aktivitäten russischer Nachrichtendienste in Deutschland genau im Blick. Auch dem jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht können Sie schon entnehmen, dass es eine hohe Gefährdungslage durch russische nachrichtendienstliche Aktivitäten gibt. Zusätzlich zu seinen Spionageaktivitäten ist Russland weiterhin bestrebt, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland durch Desinformation und durch Propaganda zu beeinflussen. Auch darüber haben wir ja hier in der Regierungspressekonferenz schon gesprochen, auch in den letzten Tagen, auch darüber, dass dieses Ausmaß an Desinformation und Propaganda durch russische Staatsmedien und staatsnahe Medien noch einmal sehr deutlich zugenommen hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat deshalb besondere Strukturen geschaffen, um sich dies eben auch genau anzuschauen.
FRAGE: Herr Kall, läuft die Kooperation zwischen deutschen und russischen Geheimdiensten in Sachen „islamistischer Terrorismus“ denn weiter? Vielleicht geht das auch an Herrn Büchner.
BÜCHNER: Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben.
KALL: Ich auch nicht.
ZUSATZFRAGE: Warum nicht?
KALL: Weil ich das ad hoc von hier aus nicht tun kann. Ich kann mich gerne schlaumachen. Aber wie Sie wissen, können wir hier auch nur sehr bedingt Auskunft über nachrichtendienstliche Tätigkeiten geben. Das ist Sache der parlamentarischen Gremien.
VORS. BUSCHOW: Es gibt noch eine Frage zu Terminen des Bundeskanzlers an den Regierungssprecher. Er fragt: Bundeskanzler Scholz wird am Montag in die Türkei reisen. Können Sie Details zu der Reise nennen? Welche Punkte werden auf der Tagesordnung stehen?
BÜCHNER: Reisen des Bundeskanzlers werden ja immer am Ende der Woche angekündigt, und ich kann bisher weder den Reiseplänen noch den Themen, die dort besprochen werden sollen, vorgreifen.