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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­­pressekonferenz vom 21.02.2022

21.02.2022 - Artikel

Besuch des französischen Außenministers in Berlin

BURGER (AA): Ich darf Ihnen mitteilen, dass am Mittwoch der französische Außenminister John-Yves Le Drian nach Berlin reist, um hier an der Sitzung des Bundeskabinetts teilzunehmen. Diese wechselseitige Teilnahme an den Sitzungen des Bundeskabinetts bzw. des französischen Conseil des Ministres ist im Vertrag von Aachen ausdrücklich vereinbart. Sie ist ein Ausdruck der besonders engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, die durch den Vertrag von Aachen auf eine neue Stufe gehoben wurden. Nach der Kabinettssitzung ist ein Gespräch zwischen Bundesaußenministerin Baerbock und Außenminister Le Drian geplant. Nach dem Gespräch ist zudem eine Pressebegegnung geplant, zu der wir auf dem üblichen Weg einladen.

Russland / Ukraine

DETJEN (Vorsitz): Ich würde einmal sagen, wir fangen mit außenpolitischen Themen an. Es gibt eine Frage von außen von einem Kollegen zum Thema Ukraine an Herrn Hebestreit: Wann ist der Zeitpunkt gekommen, die angedrohten Sanktionen gegen Russland scharfzustellen, erst nach Einmarsch in die Ukraine oder gegebenenfalls auch schon vorher?

HEBESTREIT (BReg): Da ist die Weltgemeinschaft sehr entschlossen: In dem Moment, in dem es eine weitere territoriale Verletzung der Ukraine durch Russland gibt, werden diese Sanktionen durch Russland scharfgestellt werden, aber nicht vorher. Wie gesagt, wir haben von harten Maßnahmen lange schon gesprochen. Parallel dazu laufen weiterhin unter Hochdruck die diplomatischen Bemühungen, diese Krise noch abzuwenden.

Wir befinden uns in einer extrem gefährlichen Situation. Entlang der Grenze der Ukraine sind mehr als 100 000 russische Soldaten zusammengezogen, und anders als zunächst angekündigt hat Russland seine Truppen aus Belarus nicht abgezogen, sondern die dortigen Militärmanöver auch noch auf unbestimmte Zeit verlängert.

Die Bundesregierung begrüßt, dass US-Präsident Joe Biden ein direktes Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin angeboten hat. Die Bundesregierung hofft, dass Russland dieses Angebot auch annehmen wird. Nun wäre es wichtig, die nötigen Vorbereitungen anzugehen, damit ein solcher Gipfel möglichst bald stattfinden kann. Ich kündige auch an, dass der Bundeskanzler dazu heute am späten Nachmittag mit dem russischen Präsidenten telefonieren wird. Das ist auch abgesprochen mit dem französischen Präsidenten und eng eingebunden in all die diplomatischen Bemühungen, die wir im Augenblick alle gemeinsam unternehmen, um dort eine Katastrophe abzuwenden.

FRAGE: Herr Hebestreit, zu den Sanktionen: Sie haben eben kritisiert, dass die russischen Truppen nicht abgezogen werden, auch nicht aus Belarus. Sind eigentlich auch Sanktionen gegen Belarus Teil des Sanktionspaketes?

HEBESTREIT: Davon ist mir nichts bekannt.

ZUSATZFRAGE: Würden Sie befürworten, dass man solche Sanktionen in das Sanktionspaket aufnimmt? Denn offenbar hat Belarus ja zusammen mit Russland entschieden, dass die Truppen sich dort nicht wegbewegen.

HEBESTREIT: Das möchte ich von dieser Stelle und freihändig nicht beurteilen müssen.

FRAGE: Herr Hebestreit, Sie haben eben die Formulierung „territoriale Verletzung“ gewählt. Auf die Gefahr hin, dass Sie das hier schon einmal erklärt haben: Gibt es hier eine präzise Definition, in der die Staatengemeinschaft sich auch einig ist, was eine territoriale Verletzung des ukrainischen Gebiets durch Russland ist?

HEBESTREIT: Ich glaube, die Definition, auf die wir uns alle einlassen können, ist: Wir wissen es, wenn sie passieren.

ZUSATZFRAGE: Präziser ist das auch nicht vorbereitet?

HEBESTREIT: Nicht von dieser Stelle. Wie gesagt, es gibt da sozusagen unterschiedliche Varianten. Wir reden von Cyberangriffen, die befürchtet werden, von False-flag-Operationen, von groß angelegten Invasionsplänen. All das muss man jetzt abwarten, und deshalb sage ich: Erst muss es geschehen und dann können wir es beurteilen. Ich glaube aber, da müssen Sie sich nicht sorgen, das wird dann in großer Schnelligkeit und großer Einigkeit passieren.

BURGER (AA): Ich will vielleicht einfach noch einmal hinzufügen, dass genau das natürlich auch Gegenstand der intensiven Beratungen ist, die es in den letzten Tagen zwischen den Partnern gab, zuletzt beispielsweise am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz beim Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der G7. Es gab auch ein Treffen der Außenministerinnen und Außenminister Großbritanniens, Frankreichs, der USA und Deutschlands, die sich zu diesem Thema sehr, sehr eng abstimmen. Natürlich ist das auch Thema beim Treffen der EU-Außenministerinnen und -Außenminister heute in Brüssel.

FRAGE: Das Auswärtige Amt gründet derzeit ja vor Ort in Kiew ein Wasserstoffbüro und will damit auch Investitionen in die dortige Wasserstoffwirtschaft fördern. Wie schätzen Sie denn derzeit das Investitionsklima ein? Wird die Tatsache, dass die russische Bedrohung das Investitionsklima in Kiew nachhaltig zu stören scheint, mit Blick auf die Sanktionen, die derzeit in Brüssel besprochen werden, mit betrachtet, und merkt das Auswärtige Amt dies in seiner Arbeit zum Aufbau eines Wasserstoffbüros?

BURGER: Da würde ich Sie gerne auf das Kommuniqué der Außenministerinnen und Außenminister der G7 vom vergangenen Samstag verweisen sowie auf die Pressekonferenz, die die Außenministerin in München nach genau diesem Treffen der G7-Außenministerinnen und -Außenminister gegeben hat, denn genau das war Thema dieses Treffens. Es gibt dazu im Übrigen auch ein Kommuniqué der Finanzministerinnen und Finanzminister der G7 von der vergangenen Woche.

Wir sehen - das hat die Außenministerin in ihrer Pressekonferenz am Samstag ja auch in den Mittelpunkt gestellt; ich paraphrasiere das jetzt -, dass schon jetzt allein die militärische Drohung Russlands sehr reale Auswirkungen auf die Lage in der Ukraine hat, insbesondere auch mit Blick auf das, was Sie ansprechen, nämlich das Investitionsklima. Genau deshalb organisieren wir uns im Kreis der G7, im Kreis der stärksten Wirtschaftsnationen unter den Demokratien dieser Welt, um der Ukraine in dieser Situation beizustehen und dafür zu sorgen, dass die Ukraine wirtschaftlich handlungsfähig bleibt, und hier Unterstützung gegen eine wirtschaftliche Destabilisierung zu leisten.

HEBESTREIT: Ich kann das vielleicht mit Zahlen unterlegen. Der Bundeskanzler war ja ziemlich genau vor einer Woche in Kiew und hat da noch einmal die Ausschüttung von 150 Millionen Euro an bereits genehmigten Krediten und weitere 150 Millionen Euro an weiteren Krediten versprochen, um genau das zu schaffen und den Erschwernissen des Investitionsklimas entgegenzuwirken, sodass es da keinen Abriss gibt.

ZUSATZFRAGE: Da würde ich gerne noch kurz nachhaken wollen: Teil des Abkommens zwischen Deutschland und den USA im Rahmen der Beilegung des Nord-Stream-2-Streits war ja auch das Triggern von privaten Investments. Wie schätzen Sie da derzeit die Chancen ein, dass die deutschen Gelder in der Ukraine ausreichen, um die Commitments für private Investments im derzeitigen Klima aufrechtzuerhalten?

BURGER: Wie gesagt, das derzeitige Klima, die derzeitigen russischen Drohungen belasten das wirtschaftliche Klima in der Ukraine. Genau deswegen engagieren wir uns da ja im Moment zusätzlich, um die Ukraine in dieser Situation zu unterstützen.

Wenn Sie fragen: Ist das eine Belastung für die Pläne, in erneuerbare und in Wasserstoff in der Ukraine zu investieren: Natürlich ist es das, aber das betrifft natürlich nicht nur diesen Sektor, sondern das gesamte Wirtschaftsleben. Überall dort, wo Menschen, wo Unternehmen in die Zukunft in der Ukraine investieren, ist das natürlich durch die derzeitigen Spannungen enorm erschwert.

FRAGE: Herr Hebestreit, Sie sagen, dass der Bundeskanzler heute Nachmittag mit Herrn Putin telefoniert. Wird im Anschluss an das Gespräch über den Inhalt des Gespräches informiert?

HEBESTREIT: Wie üblich entscheiden wir das ja nach einem solchen Gespräch. Ich glaube aber, es ist eine gute Regel, dass wir danach eine knappe Mitteilung herausgeben.

ZUSATZFRAGE: Weil mir auch noch nicht ganz klar ist, wann Sanktionen scharfgestellt werden: Müssen Truppen erkennbar als Militärtruppen über die Grenze gehen, oder reicht es zum Beispiel schon, dass Kräfte ohne militärische Kennung einsickern, so wie wir das in der Krim erlebt haben?

HEBESTREIT: Ich glaube, Herr Burger hat gerade ganz gut beschrieben, worum es dabei geht. Im Falle des Eintreffens der ersten, der zweiten oder der dritten Möglichkeit werden dann die Staats- und Regierungschefs die Köpfe zusammenstecken und entscheiden, wie sie damit umgehen wollen. Ich glaube aber, man lernt ja auch aus der Vergangenheit, dass es nicht nur einen Anlass geben kann.

FRAGE: Der Kremlsprecher hat jetzt gesagt, es sei noch verfrüht, von einem Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin zu sprechen. Es hieß aus Frankreich, es gebe quasi eine grundsätzliche Einigung. Wie muss man das bewerten? Gibt es einen Termin? Wie weit ist da der Stand und inwieweit war die Bundesregierung diesbezüglich in die Gespräche gestern eingebunden? Haben sich Herr Macron und der Bundeskanzler abgestimmt?

HEBESTREIT: Herr Macron und der Bundeskanzler haben sich mehrfach abgestimmt; sie haben auch gestern Abend noch einmal länger telefoniert. Ich glaube, so, wie Sie es beschreiben, ist die Lage. Der Elysée-Palast hat davon gesprochen, dass es eine grundsätzliche Einigung gibt, eine grundsätzliche Bereitschaft gäbe. Sie haben heute Morgen die Äußerung des Kremlsprechers wahrgenommen, der das noch für etwas verfrüht hält. Das muss jetzt weiter ausgelotet werden.

Wichtig ist - und das ist ja auch den Äußerungen aus dem Kreml zu entnehmen -, dass es weitere vorbereitende Gespräche geben soll und dass Treffen zustande kommen sollen. Solange geredet wird, ist das immer ein besseres Zeichen, als wenn nicht geredet wird.

JESSEN: Herr Hebestreit, Teil des Narratives sowohl der Russischen Föderation als auch der russischen Gebiete, die sich separieren wollen, ist ja, dass sie sagen, ukrainisches Militär würde Angriffe gegen Objekte/Ortschaften in der Ostukraine fahren und das würde für Vertreibungen sorgen. Haben Sie irgendwelche belastbaren Zahlen, die belegen oder widerlegen, dass dieses Narrativ wahr ist? Kann man das sagen oder ist es eine komplett undurchsichtige Situation, die nur zur Legitimation dient?

BURGER: Es gibt dazu sehr belastbare Zahlen, die auch Ihnen auf der Webseite der OSZE zur Verfügung stehen. Da berichtet nämlich täglich die von der internationalen Gemeinschaft, auch Russland, mandatierte Beobachtungsmission SMM über die von ihr festgestellten Waffenstillstandsverletzungen. Da können Sie sich ein ganz eigenes Bild davon machen.

FRAGE: Eigentlich habe ich eine ganze Reihe von Nachfragen, aber ich fange einmal mit einer an ‑ ich weiß nicht, ob die sich an Herrn Hebestreitet richtet oder an das Finanzministerium ‑: Sind die 150 Millionen Euro Kredit eigentlich schon ausgezahlt? In verschiedenen Konflikten in der Vergangenheit haben wir ja die Erfahrung gemacht, dass es, wenn Geld zugesagt wurde, doch noch einige Monate dauern kann, bis das dann zur Verfügung steht. Ist das für die Ukraine also sofort einsetzbar?

HEBESTREIT: Da das Kreditmittel sind, die ungebunden sind, braucht es doch einen gewissen Vorlauf, bevor sie abgerufen werden können. Meines Wissens sind sie noch nicht abgerufen worden. Es ist jetzt aber auch gerade einmal 164 Stunden her, seitdem sie angekündigt worden sind ‑ das habe ich jetzt einfach im Kopf ausgerechnet.

ZUSATZFRAGE: Beeindruckend. ‑ Können Sie uns sagen, mit was für einem Zeitraum man in etwa rechnen muss?

HEBESTREIT: Das muss ich nachreichen; da weiß ich selbst aus meiner BMF-Zeit nicht, wie lange so etwas in der Regel dauert. Das bekomme ich aber heraus und das liefere ich Ihnen nach.

ZUSATZFRAGE: Die Lufthansa hat jetzt wie andere Fluggesellschaften den Flugverkehr in die Ukraine eingestellt. Gleichzeitig gibt es die Forderung nach der Ausreise deutscher Staatsbürger. Ist die Bundesregierung deswegen zufrieden oder unzufrieden mit der Entscheidung der Lufthansa? Erschwert das möglicherweise die Ausreise?

HEBESTREIT: Wenn ich Sie an einer Stelle korrigieren darf: Meines Wissens betrifft das nicht die komplette Ukraine, sondern es gibt noch Flüge nach Lwiw/Lemberg. Da fliegt die Lufthansa noch hin.

ZUSATZFRAGE: Also kein Problem?

FRAGE: Herr Hebestreit, ist schon über die Haubitzen entschieden worden?

HEBESTREIT: Nein.

ZUSATZFRAGE: Wann können wir damit rechnen?

HEBESTREIT: Wenn die Prüfung abgeschlossen ist.

ZUSATZFRAGE: Wie lange kann so eine Prüfung dauern?

HEBESTREIT: Da geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. ‑ Nein, wir haben das hier ja mehrfach behandelt, und in dem Moment, in dem wir etwas mitzuteilen haben, teilen wir das mit.

FRAGE: Ich habe eine Nachrage zu der Frage […] mit den 150 Millionen Euro.

Erstens. Welches Ministerium ist da letztlich in der Umsetzung zuständig?

Zweitens. Sie haben ja gesagt, dass das ungebundene Mittel sind. Heißt das dann im Umkehrschluss, dass man damit möglicherweise die Waffen kaufen könnte, die Deutschland nicht zu liefern bereit ist?

HEBESTREIT: Nein, es geht um Investitionen, die gefördert werden sollen. Insofern nennt sich das zwar „ungebunden“, aber es geht um Investitionen in der Ukraine. Es ging ja um das Investitionsklima und darum, dass es diesbezüglich in der Ukraine im Augenblick immer schwieriger wird. Dafür soll das Geld eingesetzt werden. Das ist also keine Umwegfinanzierung.

FRAGE: Eine Frage an das Auswärtige Amt: Es hat jetzt einige Botschaftsverlegungen gegeben. Es gibt andere, die sich aus der Ukraine ganz zurück. Haben Sie eine Entscheidung getroffen, ob die deutsche Botschaft in Kiew bleibt, auch mit dem Personal, das jetzt da ist? Oder ist zu erwarten, dass auch die deutsche Botschaft verlegt wird, so wie etwa die Amerikaner das gemacht haben?

BURGER: Ich kann Ihnen dazu nur dieselbe Antwort geben wie, ich glaube, gestern, dass wir die Lage dort sehr aufmerksam beobachten und alle Maßnahmen ergreifen, um den Dienstbetrieb unserer Botschaft aufrechtzuerhalten. Wir hatten ja bereits in der vergangenen Woche im Interesse der Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen die Zahl unserer Entsandten vor Ort verringert. Demgegenüber habe ich heute keine neuen Schritte mitzuteilen.

FRAGE: Nur eine Frage zur Berichterstattung am Wochenende: Im „SPIEGEL“ und in der „WELT“ gab es Berichte über einen Dokumentenfund über ein Treffen der politischen Direktoren der Außenministerien der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in Bonn am 6. März 1991, und das Dokument belege, dass Briten, Amerikaner, Deutsche und Franzosen übereingestimmt hätten, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Osteuropäer ‑ Zitat ‑ „inakzeptabel“ sei. Wie bewerten Sie diese Berichte? Kennt die Bundesregierung dieses Dokument?

BURGER: Ich glaube, wir sind hier ganz grundsätzlich in der Regierungspressekonferenz keine Historikerkommission. Es gibt im Auswärtigen Amt das politische Archiv; da kann jedermann Akten, die 30 Jahre und älter sind, einsehen und hat dazu Zugang. Sehr viele Historikerinnen und Historiker nutzen diesen Aktenbestand auch.

Ich möchte hier noch einmal festhalten, dass es weder im Zwei-plus-Vier-Vertrag noch in der NATO-Russland-Grundakte eine Zusage an Russland gegen eine NATO-Osterweiterung gegeben hat. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag gibt es dazu überhaupt keine Aussage. Insofern treffen auch gegenteilige Behauptungen nicht zu. Die NATO-Russland-Grundakte wurde 1997 ja gerade vor dem Hintergrund der bevorstehenden NATO-Osterweiterung beschlossen, und darin haben sich Russland und die NATO verständigt, wie bei diesem Prozess auf bestimmte Sicherheitsinteressen Russlands Rücksicht genommen werden kann. Daran halten wir uns bis heute.

ZUSATZFRAGE: Wie erklären Sie sich dann, dass sich die deutsche Seite mit den Franzosen, Briten und Amerikanern einig war, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Osteuropäer inakzeptabel sei?

BURGER: Ich werde hier nicht versuchen, 30 Jahre alte Dokumente zu deuten. Das ist nicht unser Job.

HEBESTREIT: Aber vielleicht kann man in Bezug auf das Schreiben aus dem 1990, glaube ich, das Sie anführen, ergänzen: Wenn man sieben Jahre später einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag miteinander schließt, dann geschieht das ja im Lichte all der Erkenntnisse, die es bis dahin gegeben hat, und wenn Russland dem zustimmt, dann ist das ja eine Grundlage.

FRAGE: Wo sind denn eigentlich die Helme bzw. wann kommen die an?

COLLATZ (BMVg): Die Helme stehen schon seit mehreren Tagen zur Abholung bereit. Wir warten auf ein Zeichen der ukrainischen Regierung, wohin sie die Helme geliefert haben möchte. Wir haben auch bereits ein Unternehmen unter Vertrag, das die Lieferung für uns übernimmt. Sobald wir ein Signal der ukrainischen Regierung haben, kann die Lieferung innerhalb von drei Tagen geschehen.

DETJEN: […]

Wir gehen noch einmal zurück, um die Fragen von außen zum Thema Ukraine einzureichen, die ich eben nicht sehen konnte. Ich fange an mit Herrn von der Burchard von POLITICO: Der Bundesfinanzminister hat am Wochenende gewarnt, die Gasversorgung sei im Fall weiterer Verschärfungen des Konflikts nicht mehr gewährleistet. Ähnliche Warnungen gibt es vom BDI. Welche Maßnahmen zur Diversifizierung von Gasimporten werden nun getroffen? An das Auswärtige Amt: Ist die Strategie „Wandel durch Handel“ mit Russland endgültig gescheitert? ‑ Den ersten Teil der Frage kann wahrscheinlich das Wirtschaftsministerium beantworten.

GÜTTLER (BMWK): Zur Gasversorgung: Wir beobachten die Lage weiter sehr genau. Die Versorgung in Deutschland ist aktuell weiter gesichert. Die Bundesregierung tut aber auch das Notwendige ‑ und daran arbeiten wir aktuell ‑, um die Vorsorgemechanismen für den kommenden Winter weiter zu verstärken. Das trifft einerseits den regulatorischen Rahmen, also die Frage Speicher, auf der anderen Seite aber auch infrastrukturelle Maßnahmen. Hier geht es beispielsweise um LNG-Anlandepunkte und auch um die über diese Anlandepunkte hinaus erforderliche Infrastruktur.

DETJEN: Herr Burger, ein Kollege fragte, ob die Strategie „Wandel durch Handel“ mit Russland gescheitert sei.

HEBESTREIT: Ich glaube, da kann ich Herrn Burger beispringen und sagen: Nein, das ist sie nicht. Wir sollten uns auch jetzt davor hüten ‑ im Augenblick befinden wir uns in einer sehr kritischen Phase ‑, das schon zu bewerten. Wir versuchen aber, diese sehr kritische Phase zu deeskalieren. Ob uns das gelingen wird, das muss sich zeigen. Aber ich wäre jetzt im Augenblick noch sehr zurückhaltend, solche doch sehr umfassenden Wertungen an dieser Stelle abzugeben.

BURGER: Ich kann vielleicht noch einmal an das erinnern, was die Außenministerin dazu bei ihrem Besuch in Moskau gesagt hat, dass wir natürlich als Deutschland ein Interesse daran haben, einen engen wirtschaftlichen Austausch mit Russland zu haben. Unsere Wirtschaft ist mit der russischen eng verbunden, gerade auch im Energiebereich. Es gibt ein riesiges Potenzial für eine noch viel engere Zusammenarbeit, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien. Aber die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass es einen gegenseitigen Respekt des Völkerrechts, der Spielregeln der internationalen Gemeinschaft und der europäischen Friedensordnung gibt. Genau deshalb hat sie auch deutlich gemacht, dass wir natürlich, weil am Erhalt dieser Friedensordnung das fundamentalste Interesse ist, was wir überhaupt haben, bereit sind, entsprechend scharfe Maßnahmen zu treffen für den Fall, dass es zu einer erneuten Verletzung der ukrainischen Souveränität kommt ‑ wohlwissend, dass das auch für Deutschland einen hohen Preis bedeuten könnte.

DETJEN: An das Wirtschaftsministerium. Ich habe es jetzt nicht mehr genau im Ohr, ob das schon beantwortet war. Ich lese es deshalb noch einmal vor. Daniel Brössler weist darauf hin: EU-Kommissionspräsidenten von der Leyen hat erklärt, ein möglicher Ausfall russischer Gaslieferungen könne vollständig kompensiert werden. Deckt sich das mit der Einschätzung der Bundesregierung?

GÜTTLER: Die Einschätzung der Bundesregierung habe ich eben schon genannt. Zu der Einschätzung der EU-Kommission müsste ich dann an die EU-Kommission verweisen. Frau von der Leyen hat sich ja auch schon geäußert.

DETJEN: Ein Kollege fragt den Regierungssprecher: Premierminister Johnson sagte, die USA und Großbritannien hätten gemeinsame Sanktionen für den Fall eines Einmarschs beschlossen. Das habe er, Johnson, mit Washington vereinbart. Wissen Sie, warum diese beiden Länder da bilateral handeln? Ist Deutschland nicht eingebunden?

Ich schiebe auch noch eine zweite Frage von ihm an Herrn Burger und Herrn Hebestreit nach: Trifft es zu, dass die deutsche Botschafterin in Kiew erklärte, das Budapester Abkommen sei für die Unterzeichner rechtlich nicht verbindlich? Wenn ja, teilt die Bundesregierung diese Auffassung und warum?

HEBESTREIT: Die Gespräche über die möglichen Sanktionen gegen Russland , sollte es zu einer Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine kommen, laufen eng abgestimmt zwischen den NATO-Partnern, den USA und der Europäischen Union und innerhalb der Europäischen Union. Genau so soll es auch sein.

Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das, was Boris Johnson mit Blick auf die USA und das Vereinigte Königreich gesagt hat, da ein eigener Punkt ist oder ein gemeinsamer innerhalb des Sanktionsregimes. Das werden wir dann erleben, wenn es so weit ist.

Wie gesagt: Es gibt eine sehr enge und breite Abstimmung. Das kann man auch daran sehen, dass der US-Präsident und der Bundeskanzler vor zwei Wochen nebeneinander bei einer Pressekonferenz gestanden und das betont haben. Das kann man auch daran sehen, dass die EU-Staats- und Regierungschefs am vergangenen Donnerstag in Brüssel sich dazu noch einmal klar bekannt haben, und es auch auf allen anderen Ebenen immer wieder darum geht.

BURGER: Und vielleicht noch zur Ergänzung: Der amerikanische Außenminister hat sich auch selbst auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal sehr ausdrücklich dazu geäußert, wie eng die Abstimmung mit den europäischen Partnern und eben ausdrücklich auch mit Deutschland in dieser Frage ist.

Zu der zweiten Frage: Ehrlich gesagt, mir ist eine solche Äußerung nicht bekannt. Wenn es sie geben sollte, dann müsste ich die Antwort nachliefern.

DETJEN: Eine Kollegin bittet um Konkretisierung, ob die enge Abstimmung auch für die Gesprächsvermittlung zwischen Biden und Putin, zwischen Macron und Scholz, gilt?

HEBESTREIT: Das wurde in einem etwas größeren Kreis miteinander besprochen, ja.

DETJEN: Dann fragt einen Kollegen: Die USA sagen, es gebe glaubwürdige Informationen, dass Russland eine Art „kill or capture list“ für die Ukraine im Fall einer Invasion erstellt hat. Hat die Bundesregierung davon Kenntnisse? Nimmt Deutschland diese Behauptung der USA ernst?

BURGER: Ich habe entsprechende Medienberichte gesehen. Ich habe zumindest nicht über Erkenntnisse zu berichten, die geeignet wären, hier von mir vorgetragen zu werden. Es ist, glaube ich, in der jetzigen Situation so, dass man derartige Erkenntnisse grundsätzlich ernst nehmen sollte. Die Lage ist einfach derzeit eine extrem angespannte. Es hat seit vielen Monaten einen systematischen Aufmarsch von Truppen und systematische Vorbereitungen gegeben, die eine Lage schaffen, in der es jetzt jederzeit die Möglichkeit für eine militärische Eskalation gäbe. Deswegen muss man solche Hinweise ernst nehmen. Ich habe aber für die Bundesregierung dazu hier keine eigenen Erkenntnisse vorzutragen.

DETJEN: Ein Kollege fragt: Deutschland wird laut Medienberichten den Wunsch der Ukraine nach einer eigenständigen militärischen Ausbildungsmission abschlägig beurteilen. Welche Motive waren dabei ausschlaggebend?

BURGER: Vielen Dank, dass Sie danach fragen. Das ist nämlich eine Falschinformation. Es ist nicht so, dass Deutschland irgendetwas verhindert hätte, sondern wir haben uns mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass am letzten Freitag im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee der Europäischen Union beschlossen werden konnte, eine Maßnahme der europäischen Friedensfazilität auf den Weg zu bringen, nämlich zur strategischen Beratung der ukrainischen Streitkräfte in Bezug auf Ausbildungslehrpläne. Wir gehen davon aus, dass diese politische Einigung heute auch beim EU-Außenrat bestätigt wird. Dem kann ich hier aber nicht vorgreifen.

Vielleicht noch einmal zur Klarheit entgegen der heutigen Pressedarstellung. Ein militärisches Training durch die EU in der Ukraine auch an Waffen stand nie zur Debatte. Es ging hier von Anfang an um eine reine Beratungsmaßnahme zur Reform der Ausbildungscurricula der ukrainischen Armee. Genau das war von der ukrainischen Seite erbeten worden, also „professional military education“, nicht „training“. Genau das wird es jetzt auch geben.

Die Diskussion, die es in der EU darüber gegeben hat ‑ ich hatte entsprechende Falschmeldungen hier vor gut drei Wochen auch schon einmal richtiggestellt ‑, ist, auf welcher Rechtsgrundlage, mit welchen institutionellen Instrumentarien man diese angefragte Ausbildungsunterstützung oder Beratungsunterstützung am besten leisten kann. Da gab es zwei verschiedene Positionen innerhalb der Mitgliedsstaaten. Eine Gruppe von Staaten sprach sich dafür aus, das als Mission im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu machen. Eine andere Gruppe von Staaten bevorzugte den Weg, das im Rahmen des Instruments der europäischen Friedensfazilität durchzuführen. Auf den letzteren Vorschlag hat man sich jetzt in einem ersten Schritt geeinigt mit der Möglichkeit, in einem zweiten Schritt zu prüfen, das in eine GSVP-Mission zu überführen. Das ist aus unserer Sicht sinnvoll, weil es auf diese Weise am schnellsten und unbürokratischsten umgesetzt werden kann.

Das sind die Hintergründe dieser Diskussion. Wie gesagt: Die Darstellung, Deutschland hätte da etwas verhindert oder aufgrund einer deutschen Haltung würde es jetzt nicht zu einer militärischen Ausbildung der Ukraine kommen, ist falsch.

DETJEN: Ein Kollege wüsste gern von Herrn Burger: Gibt es bereits einen Termin für ein neues Normandie-Treffen auf Ebene der Außenminister oder auf Ebene der Berater?

BURGER: Für die Außenministerinnen und Außenminister kann ich einen solchen Termin nicht verkünden. Ich weiß nicht, ob Herr Hebestreit für die Berater Neuigkeiten ‑ ‑ ‑

HEBESTREIT: Für die Berater ist, glaube ich, die Voraussetzung, dass sich zunächst die trilaterale Kontaktgruppe trifft. Da ist noch kein Treffen anberaumt, auch wenn es im Augenblick mit Hochdruck verfolgt wird, dass so etwas kommt.

Wenn ich die letzte Äußerung richtig im Kopf habe, ist das nächste Treffen für März auf Ebene der Berater angesetzt. Aber, wie gesagt, wir befinden uns in einer hochdynamischen Situation. Das kann sich noch ändern. Im Augenblick habe ich keinen weiteren Termin dazu.

DETJEN: Ein Kollege fragt das Verteidigungsministerium: Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Bundeskanzler Scholz gesagt, man müsse die Bundeswehr so ausrüsten, dass die Waffensysteme einsatzbereiter werden als sie es heute sind. Die Verteidigungsministerin sagt, sie werde schnell an Grenzen stoßen, wenn es wegen des Ukraine-Konflikts weitere Anforderungen der NATO geben würde. Wird sich der Kanzler bei den laufenden Haushaltsgesprächen aktiv dafür einsetzen, dass der Wehretat wegen der Krise mit Russland und der nötigen Abschreckung erhöht wird? Wird das Thema Verteidigung zu einer echten Priorität der Bundesregierung erklärt?

HEBESTREIT: Da würde ich jetzt vermuten, dass Herr Collatz dazu gar nichts antworten kann, sondern der Regierungssprecher. Der Regierungssprecher interpretiert die Worte des Bundeskanzlers nicht. Das überlasse ich gern dem Kollegen. Aber in seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister ist der Wehretat deutlich gestiegen. Er hat sich auch immer wieder überzeugt davon gezeigt, dass das auch weitergehen soll.

DETJEN: Dann gibt es eine Frage zur OSZE-Mission: Wie viele deutsche OSZE-Beobachter gibt es an der sogenannten Kontaktlinie? Handelt es sich dabei um Bundeswehrsoldaten?

COLLATZ: Tatsächlich muss ich dort auch passen, weil nach meiner Kenntnis keine deutschen Bundeswehrkräfte an der OSZE-Mission beteiligt sind.

BURGER: Die Zahl der deutschen Entsandten, die im Moment an der Mission beteiligt sind, kann ich Ihnen gern nachreichen. Ich habe sie aktuell nicht dabei. Es handelt sich dabei nach meiner Kenntnis um Personen, die teilweise ehemalige Soldatinnen und Soldaten sind oder andere Menschen mit entsprechender Expertise. Sie werden dorthin über das ZIF in Federführung des Auswärtigen Amts entsandt. Wir stehen derzeit auch mit der OSZE, mit dem ZIF und mit vielen unserer Partner in engem Kontakt zu der Frage, wie die Arbeitsfähigkeit der SMM in dieser extrem kritischen Phase aufrechterhalten und gestärkt werden kann.

Sie haben mitbekommen, dass in den vergangenen Wochen einige Staaten ihr entsandtes Personal aus Sicherheitsbedenken aus der Mission abgezogen haben. Deutschland hat das nicht getan, weil wir davon überzeugt sind, dass gerade in der jetzigen Phase, wo Desinformationen, False-Flag-Operationen, Täuschungsversuche vor Ort Teil einer Eskalation werden könnten, es unheimlich wichtig ist, dass die Beobachterinnen und Beobachter dort als Augen und Ohren der internationalen Gemeinschaft weiter präsent sind.

Wie gesagt: Ich empfehle Ihnen allen sehr die Lektüre der Tagesberichte der SMM, die auf der Webseite veröffentlicht sind. Das ist wirklich ein Schatz an Informationen. Diese Beobachterinnen und Beobachter haben ein Mandat der OSZE, aller 47 Teilnehmerstaaten der OSZE, auch Russlands. Auch russisches Personal ist in ganz erheblichem Maßstab an dieser Mission beteiligt. Auch wir werden unsere Beteiligung darin jetzt noch einmal verstärken, wie gesagt, um die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten zu können.

ZUSATZFRAGE: Herr Burger, einige Nationen haben ihr Personal abgezogen. Deswegen hätte ich ganz gern gewusst, wie aussagekräftig denn diese Tagesberichte eigentlich noch sind. Wenn das Personal ausgedünnt ist, ist ja völlig klar, dass sie nicht mehr dasselbe sehen können, was sie vorher gesehen haben. Dazu kommen noch die Beschränkungen. Hat die Qualität dieser Berichte Ihrer Meinung nach bereits entscheidend gelitten?

BURGER: Sie haben Recht. Die Mission leidet, aber nicht erst seit jüngster Zeit, unter Einschränkungen des Zugangs. Es gibt immer wieder Versuche, beispielsweise Drohnenflüge zu stören, auch durch technisch sehr fortgeschrittenes Equipment. Entgegen dem, was in den Minsker Vereinbarungen festgelegt wurde, hat es auch immer wieder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Beobachterinnen und Beobachter am Boden geben.

Natürlich erschwert das die Arbeit der Beobachterinnen und Beobachter. Trotzdem sind sie aus unserer Sicht auch aufgrund der sehr seit vielen Jahren gesammelten Erfahrungen sehr gut in der Lage, ein Gesamtbild der Zahl und des Ausmaßes der Waffenstillstandsverletzungen zu ermitteln. Das sind sehr, sehr gut geschulte Expertinnen und Experten.

Trotzdem haben Sie Recht, dass, je weiter der Zugang eingeschränkt wird und je mehr Beschränkungen ihnen auferlegt werden, desto größer natürlich auch die Gefahr ist, dass Vorfälle dort nicht so genau beobachtet werden können, dass sich die internationale Gemeinschaft darüber noch ein uneingeschränktes und unbeeinflusstes Bild machen kann. Genau deswegen gibt es unser Engagement, diese Mission jetzt zu stärken.

[…]

BURGER: Ich wurde nach der Zahl der deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der OSZE-Beobachtungsmission SMM in der Ukraine gefragt. Derzeit beträgt sie 43.

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