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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 06.12.2021

06.12.2021 - Artikel

Ukraine-Konflikt

VORS. FELDHOFF: Dann habe ich eine Onlinefrage von einer Kollegin an Herrn Seibert zu den „Einmarschplänen“ von Herrn Putin in die Ukraine: Verfügt auch die Bundesregierung über eigene Informationen über angebliche Angriffspläne Moskaus gegen die Ukraine bzw. konnten die US-Partner die Bundesregierung von solchen Informationen überzeugen?

SASSE (AA): Zu der ganzen Lage rund um die Ukraine und den russischen Plänen hat sich Herr Burger in der vergangenen Woche ja schon geäußert. Er hat unter anderem gesagt, dass wir die Militäraktivitäten Russlands genau beobachten und sie Anlass zu ernster Sorge für uns sind. Auch der Außenminister hat das in der vergangenen Woche anlässlich des NATO-Außenministertreffens in Riga noch einmal sehr deutlich gemacht. Aus unserer Sicht ist es jetzt sehr wichtig, dass Russland zur Deeskalation und zur Transparenz bezüglich seiner Militäraktivitäten beiträgt.

SEIBERT (BReg): Ich glaube, das Wesentliche ist von Herrn Burger letzte Woche schon gesagt worden. Ich will nur sagen: Russland und Belarus ‑ jetzt sprechen wir nur über Russland ‑ haben natürlich das Recht, ihre eigenen Streitkräfte auf ihrem eigenen Territorium einzusetzen; aber wenn sie das tun, dann sollte es Transparenz geben und dann sollten Provokationen vermieden werden. Was wir jetzt von russischer Seite erleben, ist eben ein Mangel an Transparenz. Wir sehen auch eine zunehmend aggressive russische Rhetorik. Dass wir das nicht akzeptieren können, hat ja beispielsweise der NATO-Generalsekretär am Ende des Treffens in Riga noch einmal deutlich unterstrichen.

FRAGE: Direkt daran anschließend an Frau Sasse: Was bedeutet „mehr Transparenz“, was bedeutet „Deeskalation“? Worüber genau erwarten Sie oder fordern Sie von der russischen Seite Transparenz? Wie können Deeskalationsschritte über die Worte hinaus aussehen?

SASSE: Zunächst möchte ich noch einmal deutlich machen, dass wir die Militäraktivitäten tatsächlich genau beobachten. Es ist aus unserer Sicht so, dass es seit mehreren Wochen russische Truppen und Materialbewegungen in der Nähe der Ukraine gegeben hat. Zusätzlich hat sich die humanitäre und die Sicherheitslage im Donbass in den letzten Wochen und Monaten verschlechtert. Wir erwarten ‑ und ich glaube, diese Erwartungen haben wir in der vergangenen Woche sehr deutlich gemacht ‑ Deeskalation in der Form, dass Russland ‑ und ich muss meine Worte und auch die von Herrn Seibert da noch einmal wiederholen ‑ Transparenz darüber wahrt, was die Ziele dieser Truppenbewegungen sind und was die Vorhaben mit Blick auf die Ukraine sind.

Es gab und gibt weiterhin Gesprächsformate, die dazu dienen, solche Transparenz herzustellen. Das Normandie-Format ist eines dieser Gesprächsformate. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir diese Gespräche in diesen Formaten für sehr wichtig halten. Auch die Minsker Vereinbarungen sind dabei von großer Bedeutung. Wir hoffen, dass auch das morgige Gespräch zwischen Herrn Biden und Herrn Putin dazu beitragen wird, dass man eben zu diesen Gesprächen zurückfindet und innerhalb dieser Gespräche dann auch die nötige Transparenz walten lässt.

ZUSATZFRAGE: Ist die Bundesregierung in die Vorbereitung dieses Gesprächs von Biden und Putin eingebunden gewesen, vor allem vonseiten der US-Regierung?

SASSE: Dazu habe ich Ihnen an dieser Stelle nichts mitzuteilen, weil es ein Gespräch zwischen der US-Regierung der russischen Regierung ist.

SEIBERT: Aber natürlich begrüßen wir es grundsätzlich, wenn in einer Zeit, in der es wirklich kritische Themen gibt und kritische Fragen zu stellen sind, dann auch ein offener Austausch stattfindet.

SASSE: Ich kann vielleicht auch noch ergänzen, dass es letzte Woche natürlich in Riga beim NATO-Außenministertreffen und auch anlässlich des OSZE-Ministertreffens in Stockholm eine Vielzahl von Gesprächen zu diesem Thema gegeben hat, auch mit den Amerikanern.

Nord Stream 2

FRAGE: Herr Seibert, aus dem parlamentarischen Raum ist jetzt mehrfach die Forderung oder Warnung gekommen, dass, wenn sich Russland wirklich aggressiv gegenüber der Ukraine verhalten sollte, dann der Betrieb von Nord Stream 2 keine Option mehr sei. Ich hätte ganz gerne gewusst, ob die Bundesregierung das auch so sieht.

SEIBERT (BReg): Sie wissen ja, dass es zwischen Deutschland und den USA eine, wenn Sie so wollen, Abmachung zum Thema Nord Stream 2 gibt. In dieser Abmachung sind natürlich sozusagen auch Maßnahmen für den Fall besprochen worden, dass beispielsweise Gas in einer aggressiven Weise als Mittel der aggressiven Auseinandersetzungen genutzt werden würde. Insofern wird man sehen, was die Situation sein wird, und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Das ist, glaube ich, nicht etwas, worüber ich hier jetzt ‑ schon gar nicht als Sprecher einer Regierung, die in zwei Tagen aus dem Amt scheiden wird ‑ detailliert Auskunft geben kann.

ZUSATZ: Der Zusammenhang mit dem Einsatz von Gas als politischer Waffe ist mir klar. Das steht in dem Papier drin. Aber hier geht es ja um den Zusammenhang zwischen einer militärischen Aggression gegen die Ukraine, unabhängig vom Gas, und den Auswirkungen auf die Pipeline.

SEIBERT: Es bleibt trotzdem bei dieser gemeinsamen Erklärung. Sie fragen ja nach Nord Stream 2, und die gemeinsame Erklärung von Ende Juli legt eben die gemeinsamen Überzeugungen und Ziele Deutschlands und der Amerikaner in der Frage der Unterstützung der Ukraine und der europäischen Energiesicherheit in Bezug auf Nord Stream 2 fest.

Zu der Frage, wie zugespitzt die Situation entlang der russisch-ukrainischen Grenze ist und was hinter den Truppenaufmärschen steckt, die wir beobachten, ist ja bereits im NATO-Rahmen sehr klar gesagt worden, dass dies nicht zu einer Aggression oder einer weiteren Aggression führen darf und dass dafür Preise zu bezahlen wären. Ich will das jetzt nicht weiter ausbuchstabieren. Aber auch mit solchen Szenarien haben sich die Partner befasst.

FRAGE: Herr Seibert, welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es denn, Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen, wenn der Betreiber alle Auflagen erfüllt? Gibt es überhaupt eine rechtliche Möglichkeit, Nord Stream 2 zu stoppen?

SEIBERT: Vielleicht sollten wir an dieser Stelle das Wirtschaftsministerium hinzuholen. Dieses wirtschaftliche Projekt, das jetzt nach einem Zertifizierungsantrag zunächst einmal suspendiert worden ist, wenn das der richtige Ausdruck ist, ist ja in einer Situation, in der es gerade noch nicht weitergeht. Vielleicht müsste also das BMWi noch einmal seine Kenntnisse teilen.

GÜTTLER (BMWi): Aktuell ist das Zertifizierungsverfahren bei der Bundesnetzagentur ja unterbrochen. An dieser Stelle möchte allerdings auch ich, anschließend an Herrn Seiberts Äußerungen, heute nicht darüber spekulieren, was wäre, wenn.

ZUSATZFRAGE: Mir geht es nicht darum, was wäre, wenn. Meine Frage ist: Welches Gesetz gibt es, das die Inbetriebnahme einer Industrieanlage verbietet, wenn alle Auflagen erfüllt sind?

GÜTTLER: Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir ja nicht in der Situation, dass das Zertifizierungsverfahren abgeschlossen ist, und solange das nicht der Fall ist, kann Nord Stream 2 auch nicht in Betrieb genommen werden.

FRAGE: Frau Güttler, das heißt, ich verstehe es richtig, dass Sie uns keine konkrete Rechtsgrundlage dafür nennen könnte, gegebenenfalls eine Betriebsuntersagung zu veranlassen.

GÜTTLER: Was ich Ihnen hier an dieser Stelle sagen kann, habe ich gesagt. An weiteren Spekulationen kann ich mich hier jetzt nicht beteiligen. Wenn ‑ ‑ ‑

ZURUF: Entschuldigung, aber da muss ich nachfragen! Eine Rechtsgrundlage ist ja keine Spekulation. Es geht um die Frage, ob es sie gibt oder ob es sie nicht gibt. Das ist ja eine schlichte Tatsachenfeststellung!

GÜTTLER: Ich führe fort: Wenn wir zu dieser Frage etwas nachreichen können, dann werde ich das gerne machen.

Gespräche über ein Nuklearabkommen mit dem Iran

VORS. FELDHOFF: Dann habe ich eine Frage von einem Kollegen zum Iran an das Auswärtige Amt. Er sagt: Es erstaunt den Westen mit Blick auf die Atomgespräche, dass der Iran die Urananreicherung fortsetzt, ebenso, wie der Westen die Sanktionen fortgesetzt gemindert hat, soweit er es tut. Wie kommt es zu dieser Gegenläufigkeit auf beiden Seiten? Gibt es eine deutsche bzw. europäische Vermittlungsbemühung?

SASSE (AA): Vielleicht kann ich damit einsteigen, dass allen Beteiligten in dieser Situation natürlich bewusst ist, dass es eine komplexe Situation ist, weil Iran auf der einen Seite seine nuklearen Bemühungen weiter vorantreibt, und zwar in sehr massiver Form. Zum anderen bemühen wir uns ja in Wien darum, gerade in diesem Bereich, dem nuklearen Bereich, eine Rückkehr Irans zum JCPOA zu ermöglichen. Sie haben sicherlich auch wahrgenommen, dass es am vergangenen Freitag eine Sitzung der Joint Commission gegeben hat und man sich darin darauf geeinigt oder verständigt hat, die siebte Verhandlungsrunde, die letzte Woche bis zu diesem Zeitpunkt lief, zu unterbrechen. Der EAD als Koordinator dieser Gespräche wird demnächst einen Termin zur Fortführung der Gespräche benennen.

Iran hat in der vergangenen Woche ‑ auch das haben Sie den Medien entnommen ‑ Textvorschläge für die Bereiche „Nukleares“ und „Sanktionen“ vorgelegt. Wir haben diese Textvorschläge, die in den Wiener Gesprächen vorgelegt wurden, gründlich und sehr sorgfältig geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Iran mit fast allen schwierigen Kompromissen bricht, die zuvor in mehreren Monaten harter Verhandlungen vereinbart worden waren. Bei gleichzeitiger Fortentwicklung des iranischen Nuklearprogramms ist dies aus unserer Sicht keine Grundlage, die einen erfolgversprechenden Abschluss der Gespräche ermöglicht. Wir erwarten jetzt, dass die iranische Delegation nach Konsultationen in Teheran mit realistischen Vorschlägen nach Wien zurückkehrt, die sich dann auf der Grundlage dessen bewegen können, was bis Juni in den Gesprächen erreicht worden war. Sie wissen, dass wir da sehr viele Fortschritte gemacht haben, und wir wollen an diese Fortschritte, die bis Juni gemacht wurden, anknüpfen und konstruktiv weiterarbeiten.

Wir selbst, also wir als E3, sind natürlich zu einer umgehenden Fortführung der Verhandlungen bereit und bleiben einem diplomatischen Weg auch weiterhin voll und ganz verpflichtet. Aber man muss auch ganz realistisch sagen: Das Zeitfenster für einen solchen Weg schließt sich immer mehr.

FRAGE: Frau Sasse, die Chinesen hatten letzte Woche angekündigt, dass sie schon Mitte dieser Woche mit der Fortsetzung rechnen. Bei Ihnen klang es jetzt ein bisschen so, dass der EAD sich erst einmal Gedanken darüber macht, wann man überhaupt wieder in die Gespräche einsteigt. Können Sie also bitte noch einmal etwas zu dieser Zeitplanung sagen? Wann könnte es in Wien weitergehen?

SASSE: Ich kann Ihnen im Moment ‑ zumindest heute ‑ noch keinen genauen Zeitpunkt nennen, Herr Rinke. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir alle natürlich mit Hochdruck daran arbeiten, die Wiederaufnahme der Gespräche zu ermöglichen, und zwar die zügige Wiederaufnahme. Der EAD als Koordinator des JCPOA wird einen Terminvorschlag machen, und der wird natürlich mit allen Partnern abgestimmt sein.

ZUSATZFRAGE: Sie haben gesagt, dass sich das Zeitfenster langsam schließe. Nun hören wir es, ehrlich gesagt, über viele Jahre hinweg immer wieder, dass sich ein Zeitfenster schließt. Können Sie noch einmal genau sagen, welches Fenster das bis wann sein soll, das sich da schließt?

SASSE: Einen genauen zeitlichen Rahmen kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht nennen. Es ist aber doch ganz klar so, dass, während Iran konsequent Fortschritte im Nuklearprogramm macht und seine eigenen Ambitionen in diesem Bereich vorantreibt, parallel natürlich auch die Möglichkeiten, in diesem Bereich zu Kompromissen zu gelangen, kleiner werden. Allein aufgrund dieser Tatsache schließt sich das Zeitfenster.

ZUSATZFRAGE: Ich verstehe es noch nicht so ganz. Was ist das geschlossene Fenster ‑, dass Iran die Kapazität hat, eine eigene Bombe herzustellen, oder wo ist das Fenster geschlossen?

SASSE: Wie gerade schon erwähnt, kann und will ich genaue Grenzen an dieser Stelle nicht formulieren. Aber es ist tatsächlich aus unserer Sicht eine ungünstige Entwicklung, eine schlechte Entwicklung und eine Entwicklung, die wir auch sehr scharf kritisieren, dass Iran seine nuklearen Vorhaben und sein Nuklearprogramm konsequent weiter vorantreibt, während wir uns in Wien bemühen, eine Rückkehr zum JCPOA oder ein Wiederaufleben des JCPOA zu ermöglichen.

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