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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 10.11.2021

10.11.2021 - Artikel

Lage an der belarussisch-polnischen Grenze

FRAGE: Die Frage geht sowohl an Frau Sasse als auch an Herrn Seibert. Wahrscheinlich ist für November ein Europäischer Rat anberaumt, der darüber diskutieren soll, ob es zu Sanktionen gegen Belarus kommt. Das hat Herr Morawiecki in der letzten halben Stunde verkündet. Jetzt wollte ich fragen, ob Sie einerseits sagen können, ob Frau Merkel das im Gespräch mit Putin schon angesprochen hat, und andererseits, ob Sanktionen auch für türkische Airlines im Raum stehen.

SEIBERT: (BReg) Ein Europäischer Rat muss nicht automatisch einen Europäischen Rat auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs bedeuten. Eine solche Information liegt mir jedenfalls nicht vor. Es wäre dann auch an Ratspräsident Charles Michel, dazu einzuladen. Aber dazu liegen mir, wie gesagt, keine Informationen vor. Über die Thematik der Sanktionen haben ja die europäischen Außenminister sehr oft und auch immer mit klaren Ergebnissen gesprochen.

Die Bundeskanzlerin hat heute tatsächlich mit Präsident Putin wegen der extrem besorgniserregenden Lage entlang der belarussisch-polnischen Grenze telefoniert. Sie hatte dabei noch einmal ganz klar gesagt: Das, was da geschieht, nämlich die Instrumentalisierung von Menschen, von Migranten, gegen die Europäische Union durch das Regime in Weißrussland, ist unmenschlich, ist völlig inakzeptabel. Sie hat den russischen Präsidenten gebeten, auf das Regime in Minsk einzuwirken. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann.

SASSE (AA): Vielleicht ergänzend zum Thema der Sanktionen; Herr Seibert hatte es schon gesagt: Am Montag werden sich die EU-Außenministerinnen und -Außenminister noch einmal treffen, wie immer im monatlichen Rhythmus. Es ist geplant, die EU-Sanktionen gegen Belarus zu erweitern. Das wird am Montag Thema in Brüssel sein. Ziel dabei ist es, neben Personen und Unternehmen in Belarus auch solche Personen und Unternehmen in Drittstaaten zu sanktionieren, die zu der Instrumentalisierung von Flüchtlingen und Migranten durch das Lukaschenko-Regime, auf die Herr Seibert gerade eingegangen ist, Beihilfe leisten. Diesbezüglich streben wir baldige erste Listungen an. Die Verhandlungen und Prozesse hierzu laufen in Brüssel auf allen Ebenen auf Hochtouren, auch heute. Wie üblich können wir an dieser Stelle den Ergebnissen dieser Beratungen noch nicht vorgreifen.

SEIBERT: Der Außenminister, wenn ich das hinzufügen darf, hat heute ja noch auf einen ganz wichtigen anderen Punkt hingewiesen: Es braucht auch Aufklärung in den Herkunftsländern dieser Migranten; denn das, was geschieht, ist ja, dass die mit vollkommen falschen, betrügerischen Versprechungen dazu gebracht werden, Geld einzusetzen, um in eine humanitär unhaltbare Situation entlang dieser Grenze transportiert zu werden.

ZUSATZFRAGE: Es gab ja zu Anfang Zeiten, in denen Herr Borrell einen Ausflugsstopp aus dem Iran oder dem Irak erwirken konnte. Warum war der zeitlich so begrenzt? Könnte das angesichts der Tatsache, dass sich die Lage gerade wieder verschlimmert hat, wieder im Raum stehen?

SASSE: Ein Ausflugsstopp?

ZUSATZ: Ich meine, dass damals auf die Regierung eingewirkt wurde, um eine Unterbindung der Flugroute für zwei Wochen zu erwirken.

SASSE: Das ist nicht zeitlich begrenzt. Sie sprechen da einen guten Punkt an, auf den ich in den vergangenen Wochen schon mehrmals eingegangen bin. Es ist in der Tat so, dass wir mit den Herkunfts- und Transitländern sehr intensive Gespräche führen. Zu diesen Ländern zählt unter anderem der Irak. Wir haben auch beobachten können, dass diese Gespräche gerade mit dem Irak auch tatsächliche Folgen hatten und der Irak das Handeln entsprechend angepasst hat.

VORS. WELTY: [XY] möchte noch einmal wissen: Welche Sanktionen gegen Weißrussland gibt es? Gibt es denn schon Details bezüglich der zu erwartenden Sanktionen?

SASSE: Vielleicht noch einmal zu den Maßnahmen, die wir bereits ergriffen haben: Dazu zählen ‑ das muss ich an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich erwähnen ‑ nicht nur Sanktionen, sondern es ist ja ein ganzes Bündel an Maßnahmen, mit dem wir auf die aktuelle Situation reagieren. Herr Seibert hat schon erwähnt, dass sich der Außenminister heute Morgen oder in der Nacht noch einmal zu Wort gemeldet hat und auf einige dieser Bereiche eingegangen ist, in denen wir aktiv sind. Das betrifft unter anderem die Aufklärungsarbeit in den Herkunfts- und Transitstaaten. Das betrifft die humanitäre Versorgung der Migrantinnen und Migranten. Aber das betrifft eben auch die Unterbindung illegaler Schleusung, und diesbezüglich beraten wir, wie gesagt, im Moment über eine Ausweitung der Sanktionen. Diesen Beratungen auf EU-Ebene möchte ich an dieser Stelle nicht vorgreifen.

FRAGE: Professor Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität hat gestern als eine mögliche Sanktion vorgeschlagen, Belarus von den EU-Finanzmärkten abzuschneiden. Ist das eine Option, die Sie mit in die Diskussion am Montag nehmen können oder sich als deutsche Position zu eigen machen können?

SASSE: Wir haben die Äußerungen selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Wie ich gerade schon gesagt habe, ist es eine relativ große Bandbreite an Maßnahmen, über die man spricht. Das betrifft auch das Thema der Sanktionen. Aber auf Details kann ich heute an dieser Stelle noch nicht eingehen. Ich werde das aber gerne bei nächster Gelegenheit tun, dann nach dem Ministertreffen.

FRAGE: Herr Seibert, Sie sprachen ebenfalls von der Instrumentalisierung von Migranten an der Grenze. Der österreichische Kanzler hat sogar davon gesprochen, dass es eine Instrumentalisierung von Migranten als Waffe gegen die Europäische Union gebe. Verwahrte sich die Bundesregierung auch gegen diese Art von Rhetorik innerhalb der EU, in der Menschen mittlerweile als Waffe bezeichnet werden?

SEIBERT: Was da von der Regierung in Minsk, dem Regime in Minsk, veranstaltet wird, ist natürlich staatliches Schleuser- und Schleppertum. Das geht zu 100 Prozent auf Kosten der Menschen, die mit falschen Versprechungen ins Land gelockt werden, die dafür Geld ausgeben, in der Hoffnung, dies sei der Weg in die Europäische Union, und die dann in dieser Situation entlang des Stacheldrahts in einem äußerst menschenabweisenden Gebiet landen. Das kann man gar nicht deutlich genug menschenverachtend nennen. Das ist eine ganz schlimme Haltung, die das Regime in Minsk da an den Tag legt. Das Ganze geschieht als hybrider Angriff auf die Europäische Union.

Wir müssen uns jetzt nicht über einzelne Begriffe unterhalten. Es ist ganz klar, dass auch die Menschen, die jetzt in dieser für sie verzweifelten Lage gelandet sind und manchmal dann zu verzweifelten Aktionen greifen, um über den Stacheldraht zu kommen, eine rechtsstaatliche und humanitäre Behandlung verdient haben. Das ist selbstverständlich. Nichtsdestotrotz steht dahinter das wirklich strengstens zu verurteilende Verhalten des belarussischen Staatschefs.

ZUSATZFRAGE: Ich habe mich aber explizit nicht auf die andere Seite und Herrn Lukaschenko bezogen, sondern auf das Verhalten und die Wortwahl innerhalb der EU, die ja Werte vorgibt, die man hat. Die litauische Innenministerin spricht ja sogar von einer Invasion, obwohl wir hier von ein paar Tausend Menschen sprechen. Verwahrte sich die Bundesregierung gegen diese Art von rhetorischer Kriegsführung, die sie ja offenbar selbst benutzt, also innerhalb der EU, wo Menschen als Waffen bezeichnet werden, Herr Seibert?

SEIBERT: Ich habe dazu jetzt nichts weiter beizutragen. Wir sehen Menschen immer als Menschen an. Aber hier muss man klar sehen, dass ein Staat versucht, die Europäische Union mit diesem Mittel in eine ganz schwierige Situation zu bringen. Es ist dieser Staat und es sind die Schleuser und die, die von diesem Handeln profitieren, die die Menschenrechte in diesem Fall verletzen.

VORS. WELTY: [XY] fragen nach der konkreten humanitären Hilfe der EU und danach, wann die zum Tragen kommt. Vielleicht müssten wir das Innenministerium mit dazu nehmen.

SASSE: Da müsste ich vor allem erst einmal auf die EU selbst verweisen, die darüber am ehesten Auskunft geben kann.

ALTER (BMI): Ich fange vielleicht einmal so an: Die Freizügigkeit innerhalb Europas können wir auf Dauer nur gewährleisten, wenn der Außengrenzschutz funktioniert. Polen unternimmt seit mehreren Wochen große Anstrengungen, um dies im Interesse aller EU-Staaten zu gewährleisten und zu garantieren. Der Bundesinnenminister hat der polnischen Regierung wiederholt seine Unterstützung angeboten, schon vor zwei Wochen, aber auch diese Woche noch einmal. Dieses Angebot steht.

Wir sehen die Situation der Menschen, die sich vor der polnischen Grenze aufhalten, und wir sind ganz entschieden der Auffassung, dass diese Menschen auch mit Blick auf die Witterungsbedingungen angemessen versorgt werden müssen. Wenn dies nicht von der belarussischen Seite erfolgt, dann muss die Europäische Kommission diese humanitäre Hilfe organisieren. Das ist keine Situation, die nur einen Mitgliedstaat betrifft, sondern die Situation betrifft die EU als Wertegemeinschaft. Deutschland ist bereit, seinen Beitrag an humanitärer Hilfe für die Menschen vor der polnischen Grenze zu leisten. Bundesinnenminister Seehofer hat deutlich gemacht, dass das nicht durch einen Mitgliedstaat allein zu bewältigen ist, sondern nur gemeinsam, und deswegen ist die aktive Rolle und Unterstützung der Europäischen Kommission sehr wichtig.

SEIBERT: Wenn ich das hinzufügen darf: Weil es eine europäische Angelegenheit ist, ist es auch gut, dass die Kommissionspräsidentin gestern angekündigt hat, mit der UN und ihren Sonderorganisationen zu sprechen, erstens darüber, wie eine humanitäre Krise verhindert werden kann, und zweitens darüber, wie sichergestellt werden kann, dass Migranten mit Unterstützung ihrer nationalen Behörden sicher in ihr Heimatland bzw. in ihr Herkunftsland zurückgebracht werden können. Das begrüßen wir.

VORS. WELTY: [XY] fragt auch noch nach. Minister Seehofer habe für Unterstützung Polens auch bei der baulichen Grenzsicherung geworben. Welche konkreten Hilfsmaßnahmen sind dort angedacht?

ALTER: Der Bundesinnenminister hat der polnischen Regierung Hilfe da angeboten, wo diese Hilfe nötig ist, und die polnische Regierung kann darauf zurückgreifen. Ich habe es eben deutlich gemacht, will es aber gerne wiederholen: Wir sind ganz klar der Auffassung, dass die Situation, wie sie von Belarus provoziert wurde und die jetzt viele Menschen betrifft, nicht dazu führen kann, dass der Außengrenzschutz infrage gestellt wird. Ich hatte auch schon in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass die Einreise in die Europäische Union so geschehen muss, dass die Einreisevoraussetzungen erfüllt sind, und dass man nicht durch Wälder und über die grüne Grenze einfach unkontrolliert einreisen kann. Deswegen ist es aus unserer Sicht praktisch und auch notwendigerweise so, dass man in bestimmten Regionen der Grenzen auch bauliche Mittel einsetzen muss, um dies zu gewährleisten. Das ist in dieser Topographie anders nicht möglich.

FRAGE: Herr Seibert, sehen Sie es auch so, dass Deutschland Polen bei der Grenzsicherung helfen muss? Sieht die Bundeskanzlerin das genauso wie das Innenministerium?

SEIBERT: Na ja, zunächst einmal hat die Europäische Kommission den betroffenen Mitgliedstaaten ‑ Polen, aber auch Litauen ‑ die Unterstützung durch unserer Grenzschutzagentur Frontex, durch EASO, also das europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, und durch Europol angeboten. Litauen und Lettland haben diese Hilfe angenommen. Die Kommission hat Polen mehrfach ermuntert, dies auch zu tun. Bisher hat Polen diese Hilfe noch nicht angefordert, aber das könnte eine wichtige europäische Unterstützung sein.

Wie dann der Grenzschutz konkret ausgestaltet ist, ist natürlich Sache des einzelnen Mitgliedstaats, aber natürlich auch immer im Einklang mit dem, was das europäische Recht, das Völkerrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention vorgegeben.

FRAGE: Herr Seibert, ich habe noch nicht ganz verstanden, wie die humanitären Anstrengungen jetzt eigentlich konkret aussehen würden. Wenn auf Bitten oder Drängen der EU-Kommission auch die Vereinten Nationen usw. dort tätig werden sollen, dann kann das ja in Wahrheit nur im Einvernehmen mit der Regierung in Minsk geschehen, weil die Flüchtlinge sich ja immer noch auf weißrussischem Territorium befinden. Wenn es dazu nicht kommt, wenn die Regierung diese humanitäre Hilfe nicht zulässt, was passiert dann eigentlich?

Jetzt die konkrete Frage: Schließt die Bundesregierung aus, dass im Zuge einer humanitären Lösung Teile der Flüchtlinge oder auch die ganze Truppe nach Deutschland geholt wird?

Dann habe ich noch eine technische Nachfrage, Herr Alter: Inwieweit besteht eigentlich die Möglichkeit für die Migranten, jetzt an der Außengrenze der EU in Polen unter diesen Umständen überhaupt einen Asylantrag zu stellen, was ja nach EU-Recht theoretisch möglich sein müsste, wenn ich richtig informiert bin?

VORS. WELTY: Ich bitte dringend darum, Folgendes zu beachten: Eine Frage, eine Nachfrage! – Danke schön.

SEIBERT: Ich komme noch einmal zur humanitären Unterstützung. Unsere Position ist diese: Da sind Menschen von Belarus in eine Falle gelockt worden, und diesen Menschen muss jetzt ‑ gerade weil es Winter wird, weil es immer kälter wird und weil die Nächte unwirtlich sind ‑ mit Lebensmitteln, mit Kleidung und mit erforderlichen Medikamenten geholfen werden. Ich kann diese Frage nur aus der sich uns heute präsentierenden Situation beantworten.

Polen, Litauen und Lettland sind als Erstankunftsstaaten für möglicherweise ankommende Schutzsuchende zuständig. Es gibt von keinem dieser Staaten bisher Aufnahmebitten. Das wäre auch keine bilaterale Sache, sondern das wäre etwas, das wiederum in europäischer Solidarität zu entscheiden wäre. Aber das ist eine vollkommen hypothetische Frage, die sich jetzt nicht stellt.

Jetzt geht es darum, erst einmal dem belarussischen Regime klarzumachen, dass dieses Vorgehen so nicht bestehen bleiben kann. Auch deswegen hat die Bundeskanzlerin heute mit dem russischen Präsidenten telefoniert, von dem wir wissen, dass er einen nicht unerheblichen Einfluss in Minsk hat. Dann geht es darum, eine humanitäre Krise abzuwenden. Ich habe gesagt, was auch die Kommissionspräsidentin jetzt mit der UN und ihren Organisationen versucht.

ALTER: Zu Ihrer technischen Nachfrage: Asylanträge können an jeder Stelle der europäischen Außengrenze gegenüber den jeweiligen Behörden formuliert werden. Die zuständigen Behörden müssen dann entscheiden: Ist das ein ernstzunehmender Antrag? Ist das eine Äußerung, die nicht zu einer Prüfung des Asylverfahrens führt? - Für diese Fälle sind dann natürlich die europäischen Vorschriften einschlägig.

VORS. WELTY: Online-Frage von [XY]: SPD-Bundestagsmitglied Schmid schlägt vor, die Migranten in der Ukraine unterzubringen. Sieht die Bundesregierung auch solche Möglichkeiten?

SEIBERT: Ich möchte Kommentare und Forderungen aus dem parlamentarischen Raum hier jetzt nicht kommentieren.

FRAGE: Nun sind ja nach Schätzungen bis zu 4000 Menschen an dieser Grenze. Von den Menschen, die an der Grenze im Prinzip in dieser schrecklichen Situation gefangen sind, gibt es ja auch einige Aufnahmen, in denen sie sagen, dass sie gerne nach Deutschland möchten. Was sagt die Bundesregierung eigentlich diesen Menschen?

SEIBERT: Das ist keine bilaterale Frage zwischen Polen, Belarus und Deutschland, sondern das ist eine gesamteuropäische Herausforderung. Wir werden mit dieser Methode des belarussischen Regimes als Europäer bzw. als Europäische Union gemeinsam und gesamt herausgefordert, und alle Antworten, die darauf zu geben sind, müssen europäische Antworten sein.

ALTER: Ich würde gerne ergänzen, dass es ja selbst für den Fall, dass es sich um Menschen handelt, die in Europa einen Asylantrag stellen wollen, Vorschriften innerhalb der Europäischen Union gibt, denen der Gedanke zugrunde liegt, dass man sich nicht aussuchen kann, in welchem Land innerhalb der Europäischen Union man seinen Asylantrag stellt, sondern es ist im Prinzip das Land für die Prüfung des Asylantrags zuständig, in dem man zuerst ankommt, in dem man zuerst Schutz gefunden hat. Das heißt also, die Tatsache, dass jemand einen Wunsch äußert, nach Deutschland zu kommen, führt noch längst nicht dazu, dass Deutschland auch für die Prüfung dieser Anträge zuständig ist oder wäre.

FRAGE: Herr Seibert, noch einmal zu dem heutigen Telefonat: Warum hat die Bundeskanzlerin nicht versucht ‑ vielleicht hat sie es ja versucht ‑, direkt mit Herrn Lukaschenko zu sprechen? Das wäre ja sozusagen erst einmal der direkte Weg, zumal der russische Präsident ‑ das hört man jedenfalls aus dem Kreml ‑ ja beschieden hat: Dafür muss sich die EU bitte an Herrn Lukaschenko wenden. Da kann ich jetzt nichts für Sie tun. – So war die Antwort im Grunde genommen.

SEIBERT: Gut. - Die Einschätzung auf deutscher Seite ist, dass die russische Regierung bzw. die russische Führung durchaus erheblichen Einfluss in Minsk und auf das Regime von Herrn Lukaschenko hat. Die Bundeskanzlerin hat mit dem russischen Präsidenten telefoniert. Das, was sie dabei über die Instrumentalisierung von Menschen, von Migranten, gesagt hat und was wir hier vielfach gesagt haben, würde sie sicherlich auch jedem weißrussischen Vertreter direkt sagen. Ich kann einmal daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin schon zu Beginn des belarussischen Konflikts nach den Wahlen versucht hat, mit dem belarussischen Präsidenten in direkten Kontakt zu treten. Das ist damals von dessen Seite aus nicht möglich gemacht worden bzw. nicht gewünscht worden. Mehr habe ich Ihnen heute dazu nicht zu sagen. Aber ein Gespräch mit Präsident Putin ist sicherlich ein Gespräch mit jemandem, der in Minsk Gehör finden.

FRAGE: Ich habe eine Frage Herrn Seibert, vielleicht auch an das Auswärtige Amt und das BMI. Unter den Menschen, die an der polnischen Grenze ausharren, sind auch Jesiden, die einen Genozid überlebt haben, jahrelang in irakischen Flüchtlingscamps ausgeharrt haben und dort keine Perspektive sehen. Gibt es aktuell in Deutschland bzw. in Europa nur die Abwehrstrategie oder gibt es auch Überlegungen, zumindest Angehörigen dieser religiösen Minderheit legale Möglichkeiten anzubieten, nach Deutschland zu kommen, wie zum Beispiel über ein Resettlement-Programm?

ALTER: Das ist jetzt ein Thema, das nicht unmittelbar ‑ ‑ ‑ Es gibt Bezüge zu der Situation an der polnisch-belarussischen Grenze. Es ist aber eher eine abstraktere Frage, die Sie stellen, nämlich nach einem Aufnahmeprogramm für Jesiden. Ich muss mich erkundigen, ob es bei uns im Hause solche Überlegungen gibt.

SEIBERT: Ich kann das jetzt auch nicht im Detail beantworten. Aber das ist doch genau der Punkt – die Bundeskanzlerin hat es neulich auch gesagt ‑: In dem Maße, in dem wir in einer solchen eindeutig illegalen Weise als Europäische Union herausgefordert werden, kommen wir nicht dazu, über sinnvolle humanitäre legale Wege der Migration nachzudenken und diese zu fördern. Diese würden natürlich zum Beispiel solchen Bevölkerungsgruppen auch zugutekommen.

Ich glaube aber, die Antwort kommt dann am besten aus dem BMI.

ZUSATZFRAGE: Ich würde gerne noch einmal nachhaken, weil Sie von der Herausforderung vonseiten Lukaschenkos sprechen. Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung 2018 über die Fluchtbewegung drei Jahre zuvor gesagt: „Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass wir zu lange weggesehen haben, dass ... Schlepperbanden auf dem Rücken der Flüchtlinge illegale Fluchtmöglichkeiten gefunden hatten, die diese Menschen in ihrer vollkommenen Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit genutzt haben.“ Haben Sie dieses Mal auch zu lange weggesehen, gerade bei dieser Gruppe?

SEIBERT: Es sind ja eine ganze Menge Jesiden glücklicherweise in Deutschland angekommen und haben hier Schutz und Sicherheit gesucht.

Die Aussage der Bundeskanzlerin bezog sich auf das, was vor der Zeit 2015 lag, als eine sehr hohe Anzahl von Flüchtlingen und Migranten hier bei uns ankam, dass wir nämlich nicht genügend beachtet haben, was sich in den Einrichtungen und Lagern der syrischen Flüchtlinge außerhalb Syriens abspielte, dass dort die Versorgung knapp geworden war und dass dort eine eben zunehmend desaströse Situation entstanden war. Darauf wird man immer wieder achten müssen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Natürlich müssen wir die Lehren von damals ziehen. Ich denke, dass wir sie in vielen Bereichen auch gezogen haben.

FRAGE: Meine Frage hat sich teilweise erledigt. Herr Seibert, Sie sagten, die Kanzlerin hat nach den Wahlen in Belarus versucht, mit Herrn Lukaschenko zu sprechen. Gibt es denn Überlegungen, noch einmal mit ihm zu reden?

Generell: Gibt es auf irgendeiner Arbeitsebene irgendwelche Kontakte zu belarussischen Behörden, meinetwegen zu der belarussischen Botschaft in Berlin?

SEIBERT: Was die Bundeskanzlerin betrifft, berichte ich über ihre Kontakte, nachdem sie stattgefunden haben.

SASSE: Das Gleiche gilt für das Auswärtige Amt.

ZUSATZFRAGE: Die Frage war, ob es auf irgendeiner Arbeitsebene Kontakte gibt.

SASSE: Kontakte zur Regierung in Belarus gibt es selbstverständlich immer. Unsere Botschaft in Minsk arbeitet weiterhin ganz normal und unterhält auch weiterhin Kontakte zur Regierung in Belarus.

FRAGE: Herr Alter, es gibt Medienberichte, wonach die polnische Polizei einen Bus mit deutschen Flüchtlingsaktivisten unweit der Grenze zu Belarus aufgegriffen hat, der offenbar das Ziel hatte, sie illegal nach Deutschland zu bringen. Ist Ihnen das bekannt?

Sind Ihnen andere solche Vorgänge oder Absichten bekannt? Wie gehen Sie damit um? ‑ Vielen Dank.

ALTER: Ja, der Vorgang ist bekannt. Wir haben auch in der vergangenen Woche oder Anfang dieser Woche schon einmal darüber gesprochen, dass es eine private Initiative gibt, die darauf abzielte, zunächst einmal Hilfsgüter in die Region zu bringen und dann auf dem Rückweg Menschen, die über die Grenze gekommen sind, nach Deutschland zu befördern. Wir haben uns dahingehend dazu geäußert, dass das nicht den Verfahrensmechanismen innerhalb der Europäischen Union entspricht und dass für ein solches Vorgehen unautorisiert auch keine Zustimmung erteilt werden kann.

ZUSATZFRAGE: War das ein Einzelfall oder haben Sie Erkenntnisse, dass es auch andere Organisationen gibt, die das planen?

ALTER: Es gibt im Moment diesen Fall, von dem wir Kenntnis erlangt haben. Ob es darüber hinaus Aktivitäten gibt, ist mir explizit nicht bekannt.

FRAGE: Frau Sasse, Sie hatten vorhin positiv auf Irak verwiesen. Es geht noch einmal um die Flüge, die die Menschen nach Belarus bringen. Es gibt aber ja gleichzeitig Berichte, dass zig neue Flüge von Istanbul aus angeboten werden. Wie ist Ihre Einschätzung, was die Kooperationsbereitschaft der türkischen Regierung angeht? Nutzt sie diese Lage ebenfalls aus oder ist sie kooperativ?

SASSE: Über die Türkei hinausgehend möchte ich vielleicht noch einmal den Punkt machen, dass wir tatsächlich in enger Abstimmung mit der EU-Delegation bereits seit September sehr intensive Gespräche mit allen Herkunfts- und Transitländern führen. Dabei ist unser Ziel, dass die angesprochenen Regierungen die Reisezwecke von Ausreisenden nach Minsk genauer prüfen und natürlich auch die eigene Tourismus- und Airline-Industrie in den Blick nehmen.

Gespräche haben wir beispielsweise mit Vertretern von Pakistan geführt, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Irak, der Demokratischen Republik Kongo, Kamerun, Nigeria und Tunesien. Ich zähle diese Länder auf, damit Sie sehen, dass wir da tatsächlich sehr umfassend tätig sind. Ich hatte mich ja an dieser Stelle schon am Freitag, dem 28. Oktober, ganz präzise zu Irak und Jordanien geäußert.

ZUSATZFRAGE: Die Frage zielte speziell auf die Türkei und neue Flüge, die von dort aus angeboten werden. Interpretieren Sie das als unfreundlichen Akt? Haben sie die Bitten der Bundesregierung nicht befolgt oder wie erklären Sie sich das?

SASSE: Ich kann Ihnen zu dieser Frage nur sagen, dass wir mit der Türkei auch weiterhin in dieser Angelegenheit im Gespräch sind.

FRAGE: Herr Seibert, anknüpfend an Ihre Feststellung, Lukaschenko locke die Flüchtlinge in eine Falle: Der österreichische Migrationsforscher und Architekt des Türkei-Abkommens, Gerald Knaus, warnt davor, dass auch die EU und Deutschland in eine Falle laufen können, wenn sie jetzt an der Grenze eine derartige Härte in den Maßnahmen anlegen, wie es sie 2015 nicht gegeben habe. Knaus sagt, man laufe jetzt Gefahr, das zu machen, was damals die AfD schon gefordert habe. Wer das Halt an der Grenze nicht akzeptiere ‑ so zitiert er AfD-Politiker ‑, werde dann eben als Eindringling oder Feind betrachtet. Wie wehrt man sich gegen diesen Eindruck, der auch propagandistisch verarbeitet werden kann?

SEIBERT: Zunächst einmal nehme ich zur Kenntnis, was der Wissenschaftler gesagt hat. Ich habe ja mit Bedacht darauf hingewiesen, dass der Grenzschutz und das, was dort stattfindet, natürlich rechtsstaatlich, europarechtlich und völkerrechtlich abgesichert im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention geschehen muss.

Nichtsdestotrotz: Niemand sieht ‑ ‑ ‑ Jedenfalls für die Bundesregierung hat niemand von „Feinden“ gesprochen. Da stehen Menschen, die sind durch die Führung in Minsk in eine verzweifelte Lage gelockt worden und hatten auch noch das „Privileg“, für diese Lage zu bezahlen, in dem sie Flüge dorthin gebucht haben oder Reisebüros bezahlt haben. Es ist richtig, dass Europa jetzt mit einiger Intensität darüber berät, gegen diejenigen vorzugehen, die diese Menschen in diese Situation gebracht haben und die davon profitieren, dass Menschen in dieser Situation sind. Es sind Menschen. Dahinter steht dennoch eine staatliche Strategie aus Minsk, Europa in Schwierigkeiten zu bringen.

ZUSATZFRAGE: Herr Alter, Herr Knaus sagt, die EU, auch Deutschland, wisse eigentlich noch nicht einmal, welche Brutalität an der Grenze tatsächlich herrsche, auch weil Frontex nicht zugelassen sei. Wünschen Sie oder fordern Sie den Einsatz von Frontex, damit wenigstens ein Überblick geschaffen werden kann?

ALTER: Der Bundesinnenminister hat bereits vor etwa zwei Wochen schriftlich dem polnischen Innenminister Hilfe angeboten und auch angeregt, dass personelle Unterstützung durch Frontex in Anspruch genommen wird. Diese Position besteht nach wie vor.

Nichtsdestotrotz ist es die Entscheidung des jeweiligen Mitgliedstaates, eine solche Unterstützung anzufordern - oder dies auch nicht zu tun. Wir sehen ja, dass die polnischen Behörden mit erheblichem Personal und mit viel Aufwand im Moment die Situation im Griff haben. Das ist jedenfalls nach unserer Information der Stand. Es gibt auch einen ständigen und intensiven Informationsaustausch mit den polnischen Behörden. Der Bundesinnenminister wird sich zeitnah mit seinem Amtskollegen in Polen zur aktuellen Lage austauschen. Das ist bereits fest geplant und wird möglicherweise noch diese Woche stattfinden. Das heißt, wir sind gut mit Informationen versorgt.

Weil Sie noch einmal nachgefragt haben, will ich deutlich machen: Der Bundesinnenminister hält den Außengrenzschutz für elementar wichtig, damit die Freiheiten, die innerhalb Europas gelten, auch für die Bevölkerung in Europa erhalten bleiben. Aber er sieht schon auch die Wertegemeinschaft der EU. Diese Wertegemeinschaft bedeutet, dass unsere Werte auch zur Anwendung kommen, wenn wir mit Leid konfrontiert werden, so wie das im Moment an der belarussisch-polnischen Grenze der Fall ist. Deswegen auch dieses ausdrückliche Angebot, dass Deutschland einen Beitrag für humanitäre Hilfe leisten wird. Das kann aber kein Staat allein organisieren. Da muss die Europäische Kommission aktiv werden. Wir werden helfen, damit die Menschen, die es im Moment vor Ort betrifft, vernünftig und angemessen versorgt werden können.

Atomabkommen mit Iran

FRAGE: Frau Sasse, eine Frage zu den Nuklearverhandlungen mit dem Iran. Der iranische Nuklearverhandlungsführer, Herr Ali Bagheri, ist heute zu Gesprächen in Berlin. Was erhoffen Sie sich von den Gesprächen?

SASSE (AA): Zunächst einmal kann ich bestätigen, dass sich Herr Bagheri Kani heute in Berlin aufhält. Er wird unter anderem auch im Auswärtigen Amt Gespräche führen. Die Gespräche zwischen der iranischen Seite und allen E3+3-Partnern in dieser Woche ‑ er war gestern in Paris, ist heute in Berlin und wird morgen in London sein ‑ finden sozusagen in Vorbereitung der Gespräche statt, die ab Ende des Monats wieder in Wien beginnen werden und die darauf gerichtet sind, den JCPOA wiederherzustellen.

Das ist der Rahmen, den ich Ihnen hier zu den Gesprächen von Herrn Bagheri Kani mitteilen kann. Die Gespräche selber laufen aktuell. Wie immer kann ich ‑ an dieser Stelle sowieso noch nicht ‑ grundsätzlich zu vertraulichen Inhalten der Gespräche keine Stellung nehmen.

ZUSATZFRAGE: Herr Bagheri hat heute in Interviews gesagt, dass der Fokus der Verhandlungen Ende November in Wien nur auf die Aufhebung der Sanktionen gerichtet ist. Wie sehen Sie das?

SASSE: Wir haben unser Ziel der Gespräche in Wien an dieser Stelle immer wieder deutlich gemacht. Das bleibt weiterhin das gleiche Ziel. Es geht darum, den JCPOA möglichst bald vollständig wiederherstellen zu können, also eine vollständige Rückkehr und vollständige Umsetzung des JCPOA zu erreichen. Wir haben hier an dieser Stelle deutlich gemacht, dass wir es begrüßen, dass diese Gespräche nun Ende des Monats wieder in Wien aufgenommen werden. Wir erwarten selbstverständlich, dass Iran an diesen Gesprächen mit einer konstruktiven Haltung teilnimmt. Ziel bleibt es, diese Verhandlungen in Wien zügig abzuschließen.

Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland

VORS. WELTY: Eine Frage von […]: Im Namen der afghanischen Fluglotsen, deren Arbeitsverträge zuletzt weiterhin in der Verteidigungsministeriumsprüfung waren, wird nun geklagt. Das ARD-Magazin „Kontraste“ hat darüber berichtet. Es gibt die Auffassung, die Verträge bestünden fort. Wie ist der Prüfungsstand im Ministerium?

HELMBOLD (BMVg): Ich kann Ihnen mitteilen, die in Rede stehenden Fluglotsen ‑ es sind 13 an der Zahl ‑ werden von unserer Seite in das Ortskräfteverfahren aufgenommen. Die Verträge, die dem zugrunde liegen ‑ das hatte ich ja am vergangenen Mittwoch schon erläutert ‑, waren Werkverträge. Aber bei genauer Prüfung haben wir festgestellt, dass sich hinter diesen Werkverträgen Beschäftigungsverhältnisse verbergen. Das gibt uns auch die Möglichkeit, im Rahmen unseres Ermessungsspielraums die Fluglotsen zu Ortskräften zu erklären und in das Ortskräfteverfahren mit aufzunehmen.

FRAGE: Das war ja in den letzten Wochen anders. Wie ist es jetzt zu dieser Feststellung und dieser Entscheidung gekommen? Wann ist die Entscheidung gefallen?

HELMBOLD: Die Entscheidung ist recht frisch. Die Prüfung hat das ergeben. Wir hatten am vergangenen Mittwoch schon gesagt: Es gibt Werkverträge, die keine klassischen Werkverträge sind ‑ das bedeutet, dass eine bestimmte Leistung geschuldet ist, zum Beispiel eine Handwerkerleistung ‑, sondern hinter denen de facto ein Beschäftigungsverhältnis steckt. Das ist bei den Fluglotsen der Fall. Das ist jetzt ganz frisch entsprechend entschieden worden.

ZUSATZFRAGE: Was ist mit anderen Ortskräften, die auch indirekt beschäftigt waren? Können die jetzt auch von dieser Regelung profitieren?

HELMBOLD: Das ist immer eine Frage der einzelnen Verträge. Die Verträge schauen wir uns genau an. Die Prüfung hat eben bei den 13 in Rede stehenden Fluglotsen ergeben, dass hinter diesen Verträgen Beschäftigungsverhältnisse stecken. Zu allen möglichen Vertragskonstrukten allgemein kann ich hier keine Auskunft geben.


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