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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 20.09.2021

20.09.2021 - Artikel

Reise des Bundesaußenministers nach New York

ADEBAHR (AA): Ich möchte Ihnen gern ankündigen, dass Außenminister Maas heute Abend zu einer viertägigen Reise nach New York aufbrechen wird. Anlass dafür ist die 76. Generaldebatte der Vereinten Nationen, der er in den kommenden Tagen beiwohnen wird.

Morgen steht ein Treffen zu Afghanistan, insbesondere zur Lage von Frauen und Mädchen, auf dem Programm, zu dem Italien einlädt und das gemeinsam mit der Organisation UNICEF ausgerichtet wird.

Am Mittwoch ‑ ich nenne Ihnen ein paar Schlaglichter der kommenden Tage ‑ gibt es ein Treffen zu Libyen, das wir gemeinsam mit Frankreich und Italien ausrichten werden und auf dem es darum gehen wird, im Rahmen des Berliner Prozesses weiterzukommen und den politischen Prozess zu Libyen voranzutreiben. Daran schließt sich zum Beispiel ein Treffen der G4-Staaten mit Japan, Brasilien und Indien zur Reform des Sicherheitsrates an. Es wird ein hauptsächlich virtuelles Treffen der G20-Staaten geben sowie ein sogenanntes “transatlantic quad” gemeinsam mit den USA, Frankreich und Großbritannien, so die Planung.

Am Donnerstag wird Außenminister Maas gemeinsam mit Frankreich als Co-Gastgeber zu einem Treffen der Allianz für den Multilateralismus im Deutschen Haus in New York einladen. Themen werden Menschenrechte, internationale Gesundheitspolitik, die weltweite Gesundheitsarchitektur in der Bekämpfung der COVID-Pandemie und die Vorbereitung der Klimakonferenz COP26 in Glasgow sein. Dann wird es auch am Donnerstag noch einmal um das Thema Afghanistans gehen. Der Europäische Auswärtige Dienst, also Herr Borrell als Hoher Vertreter, wird zu einem Treffen zum “Compact for Afghanistan’s Neighbours” einladen. Darin wird es darum gehen, die Nachbarstaaten Afghanistans bezüglich der humanitären Situation, die sich dort darstellt, zu unterstützen und zu besprechen, wie man dort international Hilfe leisten kann und wie man sie koordiniert.

Alle diese Tage werden sicherlich auch mit einer ganzen Reihe bilateraler Gespräche des Außenministers gefüllt sein. Diesen Terminen kann ich hier natürlich nicht vorgreifen. Aber Afghanistan, Libyen, COVID, Multilateralismus, Herauskommen aus der Pandemie, internationale Gesundheitsarchitektur, natürlich auch Klima, wozu heute ja auch die Kanzlerin an einem Event teilnimmt, das sind die großen Themen der diesjährigen Generaldebatte in New York.

Amoklauf in einer Universität in Perm

SEIBERT (BReg): Ich möchte zunächst sagen, dass die Bundesregierung mit Bestürzung von dem Amoklauf an einer Universität in Perm in Sibirien gehört hat. Das ist eine grauenvolle Tat. Ihr sind wohl mindestens acht Menschen zum Opfer gefallen. Zahlreiche mehr sollen verletzt worden sein. Unsere Gedanken und unsere Anteilnahme sind bei den Angehörigen der Ermordeten und natürlich bei denen, die jetzt in den Krankenhäusern mit den Folgen ringen. Ihnen seien von dieser Stelle aus alle Wünsche um gute Genesung übermittelt.

Afghanistan

FRAGE BUSCHOW: Weil wieder Montag ist, möchte ich das BMI fragen, ob es einen aktuellen Stand der Zahlen derjenigen gibt, die evakuiert wurden und jetzt in Deutschland sind, und wer darunter ist.

WEDE: (BMI) Ja, wir haben heute neue Zahlen, die wir Ihnen hiermit für die Woche gern mitgeben. Die Anzahl der eingereisten Personen seit Beginn der Evakuierungsmaßnahmen insgesamt beläuft sich aktuell auf 5429. Davon sind 4584 Afghanen und 522 Deutsche. Zum Stand der eingereisten Ortskräfte habe ich heute ebenfalls neue Zahlen mitgebracht. Es handelt sich in diesem Zeitraum um 272 Ortskräfte, die mit insgesamt 992 Familienangehörigen eingereist sind, also insgesamt um 1264 Personen. Diese Zahlen sind mit Stand des 20. Septembers, also von heute. Eine Ausnahme betrifft die Zahl der eingereisten Ortskräfte; hierfür haben wir ‑ dafür bitte ich um Entschuldigung ‑ nur die Zahlen vom 17. September.

ADEBAHR (AA): Ich kann zu den Zahlen vielleicht noch ergänzen. Zu dem Thema, wie werden Berechtigte, die auf den Listen stehen, kontaktiert? ‑ Über das Wochenende konnten wir in Zusammenarbeit mit bestimmten Organisationen in den letzten Tagen 258 Familien kontaktieren. Mit Familienangehörigen sind dies insgesamt über tausend Personen; ganz genau können wir das noch nicht beziffern. Auf dem Luftweg gab es bislang insgesamt drei Flüge. Ein vierter Flug müsste gerade in der Luft sein. Auf den ersten drei Flügen haben wir 106 deutsche Staatsangehörige herausbekommen. Ein weiterer geht gerade noch ein. Über das Wochenende haben wir über den Landweg ‑ das ist nicht zwingend etwas, was man hier öffentlich „unter eins“ genauer beschreibt ‑ mit einem organisierten Transport in Zusammenarbeit mit einer Organisation 50 Ortskräfte und Familien nach Pakistan bekommen.

Man könnte sich wünschen, es ginge noch schneller. Aber das zeigt, denke ich, die Bemühungen und das langsame Loslegen der Luft- und Landwegausreisemöglichkeiten, an denen wir weiterarbeiten.

ZUSATZFRAGE: Herr Wede, ist das bezüglich der Ortskräfte der letzte Stand? Was können Sie denn mit Stand von heute über die Identität der anderen Menschen sagen? Sind darunter Aktivisten und andere, die den Schutz benötigen, die aber nicht unter den Begriff der Ortskräfte fallen?

WEDE: Damit wären wir bei der Gruppe der Personen, die auf der sogenannten Menschenrechtsliste des Auswärtigen Amtes stehen. Dazu würde ich tatsächlich an die Kollegen und Kolleginnen des Auswärtigen Amtes verweisen.

ADEBAHR: Zur Aufschlüsselung der Einreisen nach Kategorien habe ich im Moment keine Zahlen. Ich hoffe, dass wir Zahlen haben. Vielleicht könnten wir uns dazu auch zusammen mit dem Innenministerium noch einmal kurzschließen, wie wir das dann kommunizieren können.

FRAGE: Wir haben jetzt die Zahlen der Einreisen gehört. Wie groß ist das Delta zur Anzahl der Menschen, die auf Listen stehen?

Wie sind diese Listen weiter gewachsen? Bei mir gehen weiterhin Meldungen von Menschen ein, die um Hilfe ersuchen. Wie weit sind die Listen nach Ende der Evakuierungsoperation angewachsen? Wie viele Menschen stehen jetzt darauf?

WEDE: Ich kann an dieser Stelle nur über die Zahl der Ortskräfte sprechen. Die Information, wie viele Personen sich auf den Listen befinden, habe ich hier nicht. Ich kann sie Ihnen aber gern nachreichen.

Tatsächlich melden sich auch weiterhin Ortskräfte bei uns und machen eine Gefährdung ihrer Person oder ihrer Familienangehörigen geltend.

ZUSATZFRAGE: Mich würden sowohl die Angaben zu den Ortskräften als auch die Gesamtzahl von Menschen, die man jetzt quasi als evakuierungswürdig eingestuft hat, ansieht oder auf Listen führt, interessieren. Denn nur dadurch ergibt sich aus dem Zahlenwerk eine Aussagekraft.

ADEBAHR: Was die Schutzsuchenden angeht ‑ das ist die sogenannte Menschenrechtsliste, die der Kollege ansprach; das ist eine Liste mit Schutzsuchenden aus dem Zivil-, Kultur- und Menschenrechtsbereich ‑, habe ich in den letzten beiden Regierungspressekonferenzen ausführlich vorgetragen. Diese Liste wurde am Freitag der vorletzten Woche ‑ es sind ungefähr 2600 Personen darauf ‑ dem Bundesministerium des Inneren übergehen. Von dort wurde eine Aufnahmezusage vorbehaltlich einer durchgeführten Visums- oder Sicherheitsüberprüfung, die durchzuführen ist, erteilt. Wie viele Personen sich daraus in der Tat als Einreisen ergeben, lässt sich noch nicht so richtig sagen. Denn jeder von der Liste bringt unter Umständen Familienangehörige mit, deren Anzahl man noch nicht kennt. Diese Liste umfasst 2600.

Was deutsche Staatsangehörige in Afghanistan angeht, gehen wir von einer mittleren dreistelligen Zahl aus. Natürlich kann es auch immer noch sein, dass sich weitere deutsche Staatsangehörige in Afghanistan melden. Wir sind im Moment im Prozess des Ausfliegens.

Das ist der Teil der Gruppe, über den ich für das Auswärtige Amt hier mitteilen kann.

FRAGE: Frau Adebahr, das Pentagon hat am Freitag bekanntgegeben, dass der letzte Drohnenangriff der Amerikaner vor dem Abzug aus Kabul ein ‑ Zitat des Pentagons ‑ tragischer Fehler gewesen sei, der mindestens zehn Zivilisten getötet hatte. Als wir am 1. September dazu nachfragten, hatten Sie darüber noch keine Erkenntnisse. Jetzt hat das Pentagon selbst eingeräumt, dass es ein Drohnenangriff war, und er kann ja auch nur über Ramstein als Relaisstation geflogen worden sein.

Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung? Wie bewerten Sie diese Fehlereinräumung durch das Pentagon?

ADEBAHR: Ich denke, die Aussagen aus den USA darüber, wie man diesen Angriff dort bewertet, stehen für sich. Wir nehmen sie zur Kenntnis.

Was sonstige Fragen betrifft, habe ich Ihnen hier auch heute keine eigenen Erkenntnisse der Bundesregierung mitzuteilen.

ZUSATZFRAGE: Hat sich die Bundesregierung über den völkerrechtlichen Status dieses Drohnenangriffs informiert, wozu Sie ja verpflichtet sind?

ADEBAHR: Wie Sie wissen, stehen wir mit den amerikanischen Partnern in einem regelmäßigen engen Austausch. Aber ich kann Ihnen, was diesen konkreten Angriff betrifft, hier keine Erkenntnisse mitteilen.

FRAGE: Frau Adebahr, die Talibanregierung appelliert an die Bundesregierung, weiterhin Entwicklungshilfe zu leisten. Wird Berlin auf diese Initiative eingehen und auf die Taliban zugehen?

ADEBAHR: Außenminister Maas hat in den letzten Wochen verschiedentlich deutlich gemacht, dass Europa und dass auch Deutschland bereit sind, humanitäre Hilfe zu leisten, zuletzt auf einer Geberkonferenz vergangene Woche in Genf. Wir haben aber als Bundesregierung gemeinsam mit anderen Partnern, die das auch so sehen, immer wieder deutlich gemacht, dass wir auch von den Taliban die Einhaltung bestimmter Kriterien und Bedingungen erwarten. Namentlich sind das die Einhaltung von Menschenrechten und die freie Möglichkeit der Ausreise. Das sind grundlegende Rechte auch für Mädchen und Frauen. Insofern machen uns die Meldungen sehr besorgt, die wir alle in den letzten Tagen über das Vorgehen der Taliban-Regierung in Afghanistan hören.

Wir sehen auf der anderen Seite auch, dass die humanitäre Hilfe eine Hilfe ist, die den Menschen direkt über internationale Organisationen zugutekommen soll, also nichts mit der Regierung der Taliban zu tun hat. Diese ganzen Bemühungen werden europäisch koordiniert. Auch in New York wird die internationale Koordination dazu weitergehen, wie man es bewerkstelligen kann, dass man den Menschen, die ja nichts dafür können, hilft, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern und diese Hilfe direkt über internationale Organisationen und Hilfsorganisationen zu den Menschen bringt.

FRAGE: Wie viele Ortskräfte in Afghanistan haben ein deutsches Einreise- und Aufenthaltsvisum? Inwieweit setzt sich die Bundesregierung speziell für diese ein? Dieses Visum ist ja zeitlich begrenzt.

WEDE: Ich verstehe Ihre Frage so, dass sie in die gleiche Richtung wie die Frage geht, die bereits von den Kollegen in Bezug auf das Delta gestellt wurde, also wie viele Menschen, die sich auf dieser Liste befinden, bereits eingereist sind und wie viele noch in Afghanistan sind. Ich hatte ja vorhin angekündigt, dass ich diese Zahl nachreichen werde. Ich habe diese Zahlen nicht hier.

ZUSATZFRAGE: Setzen Sie sich besonders für diese Gruppe ein?

WEDE: Es ist unser erklärtes Ziel, dass wir den afghanischen Ortskräften, die uns geholfen haben, auch helfen und alles dafür tun, damit diesen Personen eine Einreise nach Deutschland ermöglicht wird.

ZUSATZFRAGE: Wo halten sie sich überwiegend auf?

WEDE: Über ihren Aufenthalt in Afghanistan bin ich nicht informiert.

ZUSATZFRAGE: Können Sie diese Information nachreichen?

WEDE: Es handelt sich um eine Vielzahl von Personen, und ich kann ja nicht den Aufenthaltsort jeder dieser Personen in Afghanistan ‑ ‑ ‑

ZURUF: Nein, aber überwiegend!

WEDE: Zumal es sich ja dann auch noch um die Familienangehörigen handelt. Wenn wir Informationen darüber haben, wo sie sich überwiegend aufhalten, werde ich das gerne nachreichen. Aber ich bitte um Verständnis, dass wir nicht den aktuellen Aufenthaltsort jeder einzelnen Person in Afghanistan mitteilen können.

FRAGE: Eine Frage ergänzend an das Auswärtige Amt. Sie haben gesagt, wie vielen Leuten es gelungen ist, über den Landweg herzukommen. Haben Sie inzwischen Daten darüber, wie viele Anträge in den Botschaften von Menschen vorliegen, die aus Afghanistan über den Landweg in die Nachbarländer gekommen sind?

ADEBAHR: Wir arbeiten daran, diese Daten zu erfassen. Da eine solche Erfassung neu ist, kann sie erst ab jetzt losgehen. Die normalen Visasysteme sahen bisher eine solche Differenzierung nicht vor. Das ist eine Schwierigkeit, mit der wir bei der Erfassung zu kämpfen haben. Sobald ich Daten darüber habe, wie viele Leute aus diesem Kontext an Botschaften im Ausland ein Visum beantragt haben oder vorstellig werden, liefere ich diese nach.

ZUSATZFRAGE: Es geht mir weniger um eine ganz konkrete Zahl, sondern darum, eine Vorstellung davon zu haben, wie vielen Leuten das überhaupt gelingt. Ich stelle mir das alles nicht so einfach vor. Können Sie zumindest sagen, ob das zum Beispiel Einzelfälle oder Dutzende oder tatsächlich Hunderte sind? Können Sie vielleicht eine Größenordnung nennen?

ADEBAHR: Irgendwo in der Mitte. Ich versuche, das, sobald es geht, zu liefern.

FRAGE: Sind denn die Botschaften in den Nachbarländern so handlungsfähig, wie Sie sich das vorstellen? Sind sie personell so besetzt, wie sie es sein müssen, damit sie die ganzen Anträge bearbeiten können?

ADEBAHR: Wir haben die Botschaften in den Nachbarländern gerade, was den Rechts- und Konsularbereich angeht, verstärkt, um dort dafür gewappnet zu sein, dass wir diesen Aufgaben nachkommen können. “Having said that”: Man wird immer wünschen, dass es noch mehr Personal gäbe. Es wird auch so sein, dass ein Teil der Bearbeitung der Anträge ‑ ‑ ‑ Das heißt, es gibt eine Entgegennahme der Anträge im Ausland, und eine Bearbeitung kann dann hier im Inland erfolgen. Das wird dann übersandt. Das heißt, wir werden schauen, wie weit man auch im Inland Personal verstärken muss. Auch daran wird gearbeitet.

ZUSATZFRAGE: Können Sie uns faktisch darlegen, wie die Aufstockung aussieht? Arbeiten dort jetzt doppelt so viele Menschen wie vor drei Monaten oder vielleicht zehn Menschen mehr?

ADEBAHR: Wenn ich das genau nachreichen kann, will ich das gerne tun. Das Personal wurde aufgestockt.

FRAGE: Was empfehlen Sie den Ortskräften, die ein deutsches Visum haben, ganz konkret? Was sollen sie tun? Sollen sie warten, oder sollen sie über Usbekistan oder Pakistan ausreisen? Was sollen sie tun?

WEDE: Sie werden verstehen, dass das jetzt hier nicht der Ort ist, an dem wir Empfehlungen für die Ortskräfte aussprechen. Allgemein gesprochen kann ich das jetzt hier auch nicht tun. Vielleicht will das Auswärtige Amt ergänzen. Es handelt sich ja immerhin um Vorgänge in Afghanistan

ADEBAHR: Wir kontaktieren die berechtigten Personen auf der Liste der Schutzsuchenden und besprechen mit ihnen, was der günstigste Weg ist. Aus unserer Sicht ist das ein gutes Verfahren. Wir kontaktieren sie und schauen dann gemeinsam, welche Ausreisemöglichkeiten es gibt, die dem speziellen Fall ‑ es sind ja immer Familienschicksale in ganz verschiedenen Konstellationen, die dahinterstehen, also Kinder usw. ‑ bestmöglich gerecht werden.

FRAGE: Wir haben in den letzten sechs, sieben, acht Wochen große Probleme bezüglich der Ortskräfte auf Afghanistan erlebt, was die Erfassung und die Ausstattung mit Visa angeht. Wurde innerhalb der Bundesregierung mit Blick auf andere Einsatzgebiete bereits auf diese Situation reagiert, dass man zum Beispiel die beteiligten Ministerien angewiesen hat, die Personallisten sorgsamer zu führen, eventuelle Freibriefe oder Bescheinigungen direkt bei der Entlassung oder zwischenzeitlichen Entlassung von Ortskräften auszugeben? Geht man gerade irgendwie mit diesen Erfahrungen um, die sich bezüglich der Ortskräfte ergeben? Wie wird das in anderen Situationen künftig gehandhabt werden?

ADEBAHR: Ich weiß nicht, ob das eine Frage an Herrn Seibert wäre.

SEIBERT (BReg): Wenn das eine Frage an mich wäre, würde ich sagen: Der Afghanistan-Einsatz und insbesondere auch das, was nach dem Abzug geschehen ist, ist etwas, das wir auswerten, auswerten müssen. Das ist ja vielfach gesagt worden.

Soweit sich daraus für andere Einsätze Konsequenzen, Lehren ergeben, muss man diese auch ziehen. Ich würde aber vor einer Gleichsetzung in dem Sinne warnen, dass ein Auslandseinsatz der Bundeswehr im Lande x immer auch eine Garantie für alle Ortskräfte nach sich zöge, danach nach Deutschland kommen zu können. Das hielte ich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls für eine viel zu pauschale und weitreichende Antwort. Aber man muss auswerten, was geschehen ist und ob sich daraus Konsequenzen für andere Einsätze ergeben.

ZUSATZFRAGE: Es gibt ja ganz konkrete Mängel, die aufgezeigt worden sind, wie zum Beispiel das Subunternehmertum, dass Menschen mit einer konkreten Gefährdungslage ausgegliedert worden sind. Auch diese Dinge dürften sich in anderen Einsatzländern ergeben, so zum Beispiel in Mali, wo ja auch mit Informanten und Sprachmittlern gearbeitet wird. Dort sind teilweise sehr deckungsgleiche Personalansätze vorhanden, was die Aufgaben angeht. Ich denke, da ist eine frühzeitige Reaktion notwendig, um solche Entwicklungen weiterhin zu vermeiden. Ist so etwas in der Planung, also überhaupt festzustellen, um welches Personal weltweit man sich so kümmern müsste, damit es eben nicht wieder so vorkommt wie in Afghanistan? Meine Frage richtet sich direkt an Herrn Seibert.

SEIBERT: Ich kann Ihnen an dieser Stelle zu solchen Überlegungen nicht mehr sagen.

Ich glaube, alles spricht dafür ‑ ob in Afghanistan oder jetzt eben erst recht auch in möglichen anderen Einsatzgebieten ‑, die Dinge nicht pauschal, sondern auch nach individueller Gefährdung zu betrachten. Mehr kann ich Ihnen jetzt dazu nicht sagen.

FRAGE: Eine Lernfrage an das Verteidigungsministerium. Herr Collatz, weil es gerade um die Ortskräfte in anderen Einsatzgebieten geht: Wie viele Ortskräfte sind aktuell in Mali beschäftigt? Wie viele waren es insgesamt schon? Können Sie uns vielleicht auch die Gesamtzahl aller Ortskräfte der Bundeswehr weltweit nennen?

COLLATZ (BMVg): Dazu kann ich derzeit keine Angaben machen. Ich würde das nachliefern, falls die Zahlen erhoben wurden.

Bundeswehreinsatz in Mali

FRAGE: Zur Lage in Mali in Richtung Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium: Am Freitag hat die Unterrichtung der Obleute stattgefunden. Könnten Sie einmal darstellen, welche Einschätzung die Bundesregierung dort bezüglich der Lage in Mali übermittelt hat und wie sich das jetzt über das Wochenende entwickelt hat, wie die aktuelle Bewertung der Lage und des Bundeswehreinsatzes in Mali ist?

ADEBAHR (AA): Das war eine gemeinsame Unterrichtung der Staatssekretäre des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes, und selbstverständlich können wir hier nicht das referieren, was dort gegenüber den Mitgliedern des Deutschen Bundestages gesagt wurde. Wir haben, glaube ich, unsere grundliegende Einschätzung hier in der letzten Woche deutlich gemacht. Ich sehe da für das Auswärtige Amt im Moment keine Änderungen.

Wir haben die Äußerungen aus Mali vom Wochenende zur Kenntnis genommen, die ja ein bisschen verschiedene Signale senden. Wir werden weiter mit der malischen Seite sprechen. Wir haben in Bamako schon mit der malischen Seite gesprochen, und werden in den nächsten Tagen noch einmal gemeinsam mit anderen europäischen Staaten unsere Position vortragen. Wir werden, glaube ich, heute Gelegenheit haben, auch der malischen Botschaft in Berlin unsere Position vorzutragen. Wir sind vor allen Dingen auch mit ECOWAS in Austausch, also der Regionalorganisation, die sich dort auch dafür einsetzt, die Transformation voranzutreiben und die Reformfortschritte der Regierung zu koordinieren.

All das läuft weiter, damit wir unsere Position deutlich machen, nämlich, dass ein Einsatz von solchen Söldnern ‑ darum geht es ja ‑, ein sehr besorgniserregendes und kein gutes Signal wäre. Es geht darum, Gespräche zu führen, um zu schauen, wie man vorankommt und wie wir unsere Position da auch ganz klar machen können.

COLLATZ (BMVg): Das ist eine ressortübergreifende Position, die von uns vollständig geteilt wird. Auch die Worte der Ministerin von letzter Woche sind da unverändert gültig.

Ich habe noch eine Ergänzung: Ich kann Ihnen die Zahl für das deutsche Engagement nennen: In Mali werden für das Ressort BMVg derzeit 56 Ortskräfte gezählt. Das ist aber nur der Anteil, der unter das Ressort BMVg fällt.

ADEBAHR: Für das Auswärtige Amt sind wir bei 15.

ZUSATZFRAGE: War die Obleuteunterrichtung in irgendeiner Weise eingestuft? Warum sind die Informationen, die Sie jetzt aus dieser Obleuteunterrichtung öffentlich machen wollen würden, so spärlich?

ADEBAHR: Wir haben unsere Position hier dargelegt und haben es, glaube ich, jetzt noch einmal getan. Eine Obleute-Unterrichtung ist eine Unterrichtung für Mitglieder des Deutschen Bundestags. Die referieren wir nicht öffentlich auf diesem Podium. Wohl aber, und das ist natürlich inhaltlich die gleiche Linie, haben wir hier ja unsere Position dargestellt.

Parlamentswahl in Russland

FRAGE: Zu den Dumawahlen, Frau Adebahr: Waren die Wahlen frei und fair?

ADEBAHR (AA): Zunächst einmal liegt das Endergebnis dieser Wahl noch nicht vor. Wir bedauern es sehr, und das ist auch angesichts der Berichte des letzten Wochenendes noch einmal angezeigt, dass eine unabhängige internationale Wahlbeobachtung aufgrund der von Russland angeordneten Beschränkungen dort nicht durchgeführt werden konnte. Aus unserer Sicht und vor dem Hintergrund des neuen elektronischen Wahlverfahrens sowie der Wahldauer von drei Tagen wäre dies für eine Transparenz und eine tiefergehende Bewertung des Wahlprozesses sehr hilfreich gewesen. Insofern ist es heute Morgen so, wo die Auszählungen auch noch laufen, dass wir die Berichte unabhängiger Wahlbeobachter in der Russischen Föderation über sehr ernsthafte Verstöße bei der Wahl zur Kenntnis nehmen, dies uns besorgt macht und wir deshalb ganz besonders auch die angekündigten Bemühungen der russischen Behörden, diese gemeldeten Vorfälle aufzuklären, sehr aufmerksam verfolgen werden. Das ist heute Morgen die erste Bewertung zum Ablauf des Wochenendes, die ich Ihnen liefern kann. Ich weiß nicht, Herr Seibert, ob Sie etwas ergänzen wollen.

SEIBERT (BReg): Nein, da liegen wir genau auf einer Linie. Es gibt noch kein offizielles Endergebnis. Es gibt sehr ernst zu nehmende Hinweise von russischen Oppositionspolitikern und auch von Wahlbeobachtern, dass es bei der Durchführung der Wahlen und bei der Stimmauszählung zu massiven Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Das muss man, wie gesagt, ernst nehmen.

Ganz unabhängig davon erfüllt uns mit Sorge ‑ das hatten wir ja vorher auch schon gesagt ‑, dass es im Vorfeld der Dumawahlen wegen des zunehmenden Drucks auf Opposition und Zivilgesellschaft wirklich zu einem Verlust an gesellschaftlicher Vielfalt und demokratischer Partizipation gekommen ist.

ZUSATZFRAGE: Nach dem Ergebnis hatte ich ja auch nicht gefragt, sondern nur danach, ob die Wahlen frei waren. Könnten Sie, Frau Adebahr, vielleicht noch einmal erklären, warum die OSZE konkret darauf verzichtet hat, Wahlbeobachter und Wahlbeobachterrinnen nach Russland zu schicken? Was waren also die Bedingungen, die die OSZE nicht erfüllen wollte?

ADEBAHR: Noch einmal dazu: Es gibt aber noch kein Ergebnis der Wahlen. Man kann eine Sache ja auch erst bewerten, wenn sie vollständig ist. Dies noch einmal zu Ihrem Vorwurf, wir würden hier nicht (akustisch unverständlich).

SEIBERT: Ich würde auch sagen: Wir sind ja nicht die Sprecher von ODIHR, also der für Wahlbeobachtungen zuständigen OSZE-Organisation oder -Agentur. Wir können referieren, aber das können Sie auch bei ODIHR selbst erfragen, was der ODIHR-Chef, Herr Mecacci, zur Begründung angegeben hat, nämlich dass eine Beobachtung der bevorstehenden Wahlen in Russland nicht möglich sei, weil Russland ohne irgendwelche klaren pandemiebezogenen Einschränkungen die Zahl der internationalen Wahlbeobachter so klein habe halten wollen, dass eine effektive Beobachtungsmission unmöglich sei; so weit Matteo Mecacci, Direktor von ODIHR. Aber Fragen sind an ODIHR zu richten.

Ich will nur sagen: ODIHR und die Parlamentarische Versammlung der OSZE haben eine jahrzehntelange Expertise und Erfahrung bei der Beobachtung von Wahlen in den 57 OSZE-Teilnehmerländern. Man kann sagen: Das ist der Goldstandard für Wahlbeobachtung. Wir haben keinerlei Anlass, die Absage der Wahlbeobachtungsmission in Russland durch ODIHR infrage zu stellen.

ADEBAHR: Wenn ich noch etwas anfügen darf: ODIHR hat auch im letzten Jahr unter Pandemiebedingungen sehr erfolgreich Wahlbeobachtungen durchgeführt. In diesem Fall war es eben so, dass Russland das Argument Corona vorgebracht hat. ODIHR hat aber weltweit andere Beobachtungsmissionen durchgeführt. Auf die Begründung und den genauen Ablauf dessen, dass ODIHR das am Ende nicht durchgeführt hat, hat Herr Seibert ja hingewiesen; das kann man nachlesen.

ZUSATZFRAGE: Hat die Bundesregierung ODIHR für die Wahlen am Sonntag hier in Deutschland Bedingungen gestellt? Wie viele Wahlbeobachter der OSZE werden in Deutschland zugange sein?

WEDE: Mir ist keine Wahlbeobachtung durch ODIHR in Deutschland bekannt, aber das werde ich gerne prüfen.

FRAGE: Herr Seibert, Frau Adebahr, liegen ihnen konkrete Hinweise auf Wahlfälschungen in Russland vor?

SEIBERT: Ich glaube, auch das haben wir eigentlich beantwortet. Es gibt Vorwürfe von Wahlbeobachtern bzw. von russischen Oppositionspolitikern, die von massiven Unregelmäßigkeiten sprechen, und die sind ernst zu nehmen. Uns liegen hier keine eigenen Hinweise vor, weil wir dazu keine eigenen Erhebungen durchgeführt haben und weil es bedauerlicherweise keine ODIHR-Wahlbeobachtung gab. Aber die Vorwürfe sind ernst zu nehmen und sollten auch geklärt werden.

AUKUS

FRAGE: An das Auswärtige Amt oder Herrn Seibert: Ist es inzwischen egal, ob NATO-Staaten wie die Türkei bei Nichtmitgliedern wie Russland oder umgekehrt Australien bei den USA und dem Vereinigten Königreich Rüstungsgüter kaufen?

Besorgt der Atom-U-Boot-Deal in Fernost die Bundesregierung geo- und sicherheitspolitisch, oder eher nur handelspolitisch?

ADEBAHR (AA): Wir haben die Initiative dieser Sicherheitspartnerschaft zur Kenntnis genommen. Ich glaube, darüber haben wir hier in der letzten Regierungspressekonferenz Auskunft geben. Es soll jetzt Gespräche zwischen Frankreich und den USA geben. Das ist sicherlich ein gutes Zeichen dafür, dass beide Seiten miteinander sprechen. Es kommt jetzt darauf an, noch einmal herauszufinden oder zu wissen, wie sich diese Sicherheitspartnerschaft genau ausgestalten soll. Sicherlich gibt es darüber Gespräche, jetzt auch insbesondere zwischen Frankreich und Australien sowie Frankreich und den USA, und dann wird man sehen. Das ist ja eine Sicherheitspartnerschaft. - Das war jetzt eine sehr verengte Frage, glaube ich.

FRAGE: Deutschland hat sich ja bei diesem U-Boot-Geschäft sehr zurückgehalten. Was sagt das über die Beziehungen zu dem engen Partner Frankreich aus? Plant Minister Maas beim G4-Treffen in New York, zwischen beiden Seiten zu vermitteln?

SEIBERT (BReg): „Sehr zurückgehalten“, sagen Sie. Es ist ja nicht üblich, dass wir Vergabeentscheidungen internationaler Partner bei Rüstungsvorhaben kommentieren. Das tun wir grundsätzlich nicht. Deswegen haben wir uns in diesem Fall auch so verhalten.

Frankreich hat ja seine Position, eine Position der Verärgerung, durchaus sehr deutlich gemacht. Wie die Kollegin aus dem Auswärtigen Amt gerade gesagt hat: Bei allem Verständnis für die französische Position ist es nun sicherlich gut und sehr zu begrüßen, dass es heißt, es werde bald Gespräche zwischen Frankreich und den USA geben, und zwar hochrangige Gespräche; denn dabei kann dann direkt über möglicherweise entstandene Irritationen gesprochen werden, und das ist unter NATO-Partnern sicherlich der beste Weg.

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