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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 01.09.2021

01.09.2021 - Artikel

Lage in Afghanistan

FRAGE: Herr Seibert, der Papst hat sich heute in einem Interview mit einem spanischen Radiosender zum Abzug aus Afghanistan geäußert und dabei behauptet, die Kanzlerin habe sich kürzlich auf einer Pressekonferenz in Moskau für ein Ende der ‑ Zitat ‑ unverantwortlichen Politik der Intervention von außen ausgesprochen. Eine Durchsicht des Protokolls zeigt aber, dass die Kanzlerin das so nie gesagt hat, sondern Herr Putin.

Hat sich die Bundeskanzlerin schon beim Vatikan beschwert?

Welche Haltung hat die Bundeskanzlerin zum Thema militärischer Interventionen von außen?

SEIBERT (BReg): Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich Äußerungen des Papstes aus großem Respekt vor seinem Amt und seiner Person grundsätzlich nicht kommentiere. Wie Sie selbst es gesagt haben, ist das, was die Bundeskanzlerin in der Moskauer Pressekonferenz gesagt hat, öffentlich und nachlesbar.

ZUSATZFRAGE: Sie hat sich dort ja nicht direkt zum Thema einer Intervention von außen geäußert. Ist es denn nach Afghanistan inzwischen eine rote Linie für die Bundeskanzlerin, dass das nicht zu tun sei, oder sieht man da weiterhin eine ‑ ‑ ‑

SEIBERT: Sie hat eine ganze Regierungserklärung zu diesem Thema, zu den Ereignissen der letzten Wochen in Afghanistan und zu den Auswirkungen, die das auf unser Nachdenken über andere Mission hat, gehalten. Sie hat Fragen gestellt. Sie hat gesagt, dass es jetzt natürlich noch zu früh sei, all diese Fragen zu beantworten, dass wir uns ihnen aber politisch wie auch gesellschaftlich zu stellen hätten. Deswegen verweise ich Sie auf diese sehr ausführliche Regierungserklärung.

FRAGE: Ich habe eine Frage zu den Folgen des Anschlags in Kabul in der Nähe des Flughafens vergangene Woche. Es gibt übereinstimmende Medienberichte, auch westliche Medienberichte, wonach die Mehrzahl der Toten des Anschlags durch amerikanische Soldaten verursacht worden sei.

Was weiß die Bundesregierung darüber?

Wie bewerten Sie diese Berichterstattung?

BURGER (AA): Mir liegen dazu keine eigenen Erkenntnisse vor.

ZUSATZFRAGE: Aber haben Sie diese Medienberichte wahrgenommen?

BURGER: Ich persönlich weiß nicht, auf welche Medienberichte Sie sich dabei beziehen.

FRAGE: Herr Alter, heute Vormittag gab es eine Pressekonferenz von „Luftbrücke Kabul“, in der sehr schwere Vorwürfe gegen Ihr Haus und den Minister erhoben wurden. Wörtlich wurde gesagt, es gebe ein Multiorganversagen aufseiten der Bundesregierung und es habe der politische Wille gefehlt, Menschen da rauszuholen.

Wie steht Ihr Minister zu diesen wirklich schweren Vorwürfen?

ALTER (BMI): Der politische Wille, Ortskräfte aus Afghanistan aufzunehmen, bestand seit jeher. Wir haben uns innerhalb der Bundesregierung darüber abgestimmt, in welchem Verfahren das erfolgt. Als die Lage dort die bis dahin geltenden Verfahren nicht mehr zuließ, hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, jetzt die Priorität darauf zu legen, möglichst viele Menschen im Rahmen der Evakuierung aus Afghanistan auszufliegen.

Wir wissen, dass wir mehrere Tausend Menschen bereits in Deutschland haben. Nur ein Teil davon sind Ortskräfte. Insofern ist dieser Vorwurf sehr schwerwiegend und wird von uns zurückgewiesen.

ZUSATZFRAGE: Herr Alter, haben Sie heute schon einen anderen Stand als vor zwei Tagen ‑ das wurde hier auch erörtert ‑ bezüglich dessen, wer die Menschen sind, die zu uns gekommen sind? Der größte Teil war ja noch nicht zu hundert Prozent geklärt, genau genommen war es noch gar nicht geklärt. Gibt es dazu einen neuen Stand?

ALTER: Wir haben uns innerhalb der Bundesregierung jetzt zunächst einmal darauf verständigt, dass wir, was die Zahlen derjenigen, die nach Deutschland eingereist sind, angeht, nicht täglich neue Zahlen ins Spiel bringen wollen. Wir haben ja erklärt, dass es mehrere Quellen gibt und es wichtig ist, dass diese Zahlen auch innerhalb der Bundesregierung verlässlich sind. Deswegen werden wir jetzt anstreben, jeden Montag aktuelle Zahlen zur Verfügung stellen zu können, und uns im Laufe der jeweiligen Woche auf diese Zahlen beziehen. Das beantwortet Ihre erste Frage. Wir haben heute also keine anderen Zahlen als am Montag.

Zu dem Teil der Menschen, die keine Ortskräfte oder Familienangehörige waren, kann ich auch noch einmal sagen, dass es im Prinzip nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder waren es Menschen, die eine Einreiseberechtigung für Deutschland hatten, weil sie entweder Deutsche waren, einen Aufenthaltstitel in Deutschland hatten oder EU-Bürger waren, oder es sind Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Andere Möglichkeiten sind im Prinzip nicht denkbar, auch wenn es sich nicht um Ortkräfte handelte.

FRAGE: Es geht ans Auswärtige Amt. Die eine Frage hätte ich gern auch noch an Sie gestellt. Vielleicht können Sie auch noch etwas zu diesen Vorwürfen sagen. Denn sie richteten sich ja an mehrere Ministerien.

Aber die eigentliche Frage ist: Sind Sie bereits in der Vorbereitung, die Botschaften in den Nachbarländern von Afghanistan zusätzlich mit den möglichen anderen Möglichkeiten auszurüsten, dass man aus dem Land herauskommt, dass dort konkret geholfen werden kann?

BURGER: Ich beginne mit Ihrer zweiten Frage. Ja, das hat sogar schon angefangen. Es ist bereits erstes zusätzliches Personal an die Vertretungen entsandt worden. Wir wissen, dass das eine sehr große Aufgabe sein wird, weil es um eine sehr große Zahl von Menschen geht, denen wir die Ausreise nach Deutschland ermöglichen wollen. Deswegen werden auch noch zusätzliche Kapazitäten aufzubauen sein, also nicht nur für die reine Dokumentenprüfung oder Dokumentenausgabe, sondern auch für viele logistische Fragen. Daran arbeiten wir intensiv.

Sie haben mitbekommen, dass der Außenminister in den letzten Tagen in drei Nachbarstaaten Afghanistans Gespräche just über die Frage geführt hat, wie man es organisieren kann, dass Menschen, die eine Schutzzusage von uns haben, sicher zu unseren Vertretungen in diesen Ländern gelangen können. Ein Teil der Delegation ist beispielsweise in Taschkent vor Ort geblieben, um diese Gespräche weiterzuführen und möglichst zu Absprachen zu kommen. Daran werden wir weiterhin sehr intensiv arbeiten.

Zu den Vorwürfen der Initiative „Kabulluftbrücke“ habe ich mich bereits am Montag geäußert. Dem habe ich nicht viel hinzuzufügen. Ich bin froh, dass, soweit ich die Pressekonferenz der „Luftbrücke“ heute Morgen verfolgen konnte, nicht erneut der Vorwurf erhoben wurde, wir hätten diese Initiative aktiv blockiert oder behindert. Denn das Gegenteil ist der Fall. Unsere Mitarbeiter vor Ort am Flughafen haben sich unermüdlich dafür eingesetzt, Menschen dabei zu helfen, das Land zu verlassen, und auch dabei geholfen, dass dieser Charterflug nicht ganz leer zurückgehen musste.

FRAGE: Meine Frage geht an das Auswärtige Amt. Hat die Bundesregierung eine Garantie der USA, alle in Ramstein untergebrachten Afghanen in einer bestimmten Zeit wieder aus Deutschland auszufliegen? Bis zu welchem Datum werden die Afghanen Deutschland wieder verlassen haben?

BURGER: In der Tat ist die Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten, dass alle Personen, die von den Vereinigten Staaten zur Weiterreise in die USA in Ramstein oder auf andere US-Stützpunkte in Deutschland gebracht werden, Deutschland auch wieder verlassen sollen. Entsprechende Zusagen der USA gibt es.

ZUSATZFRAGE: Bis wann werden diese Afghanen Deutschland wieder verlassen haben?

BURGER: Wenn es ein spezifisches Datum gibt, muss ich es Ihnen nachreichen. Das werde ich sehr gern tun.

ALTER: Für die Abläufe in Ramstein gibt es eine Vereinbarung mit den Amerikanern, nach der diejenigen, die in Ramstein ankommen, eine gewisse Zeit, einige wenige Wochen, dort verbleiben sollen. Wir können im Moment feststellen, dass sich die Amerikaner an dieses Verfahren uneingeschränkt halten.

FRAGE: Herr Burger, Sie haben schon gesagt, dass Sie Ihre Sicht der Dinge hier am Montag ausführlich dargelegt haben. Daraufhin gab es am Abend desselben Tages unter Bezugnahme auf Ihre Ausführungen ein recht langes Video von Herrn Marquardt, der bei der „Luftbrücke“ engagiert ist, Mitglied des Europäischen Parlaments. Darin wiederholt er explizit den Vorwurf, dass Bedingungen, die seitens Katars für den Konvoi gestellt worden seien, nämlich eine konkrete Mail von einem bestimmten Absender mit einer Namensliste an einen bestimmten Empfänger ‑ ‑ ‑ Das sei eine Conditio sine qua non gewesen. Diese Mail sei nie gesendet worden, und es habe von deutscher Seite geheißen, man habe jetzt andere Prioritäten.

Können Sie etwas zu diesen sehr konkreten Vorwürfen sagen?

BURGER: Ja. Das stimmt nicht. Diese Mail ist gesendet worden.

Im Übrigen ‑ das habe ich hier auch schon ausgeführt ‑ waren diese Listen der katarischen Seite bereits Tage vorher auf verschiedenen Kanälen mit einem Begleitschreiben von Außenminister Maas übermittelt worden. Allen Beteiligten war die ganze Zeit klar, dass der politische Wille zur Aufnahme dieser Personen und eine Bitte der deutschen Regierung an die katarische Regierung, diese Initiative zu unterstützen bestanden. Wie ich es schon am Montag gesagt habe: Die Vorstellung, dass in solch einer Situation, in der eine so komplexe Operation über Tage vorbereitet wurde, in enger Abstimmung zwischen allen Beteiligten, dann nur deshalb, weil eine Mail nicht an eine bestimmte Adresse geschickt wurde ‑ wie gesagt, wurde diese Mail geschickt ‑, diese ganze Operation abgeblasen wird, entspricht einfach wirklich nicht den Realitäten in einer solchen Situation.

ZUSATZFRAGE: Der konkrete Vorwurf, dass ein Vertreter des Auswärtigen Amtes gesagt habe, man habe derzeit andere Prioritäten bei der Aufstellung von Listen, wer auszufliegen sei ‑ ‑ ‑ Das war ein sehr konkreter Vorwurf. Können Sie ausschließen, dass es eine solche Aussage gab?

BURGER: Ich kenne den genauen Kontext dieser Aussage jetzt nicht. Richtig ist, dass wir der Initiative von Anfang an gesagt haben, dass unsere Kapazitäten vor Ort in Kabul, bei der Abwicklung dieses Charterflugs behilflich zu sein, begrenzt sind, weil unsere Kolleginnen und Kollegen dort vor Ort einen eigenen Auftrag hatten ‑ der ist gesetzlich bestimmt ‑, nämlich zunächst einmal die Evakuierung von Deutschen und dann der Personen, für die wir in Afghanistan besondere Verantwortung tragen. Das war der eigene Auftrag unserer Kolleginnen und Kollegen dort. Wir haben darauf hingewiesen, dass wir begrenzte Kapazitäten haben, um neben unserer eigenen Evakuierungsaktion auch den privat gecharterten Flug der Initiative dort vor Ort zu unterstützen. Das haben wir von Anfang an transparent kommuniziert.

In diesem Sinne sind auch solche Äußerungen zu verstehen. Sie waren nicht mit einer Weigerung oder Blockade verbunden oder mit irgendeinem Versuch, irgendetwas zu behindern.

Es war, wie gesagt, eine private Initiative. Wir haben sie dort, wo sie angefordert wurde und wo wir es leisten konnten, unterstützt. Aber wir haben immer darauf hingewiesen, dass vor Ort in Kabul das Ausmaß der Unterstützung, die wir leisten können, begrenzt ist.

FRAGE: Können sich gefährdete Menschen aus Afghanistan weiterhin beim Auswärtige Amt bzw. Innenministerium melden, und werden sie weiterhin auf Listen aufgenommen? Sind diese Listen noch offen?

BURGER: Ich denke, dabei sind unterschiedliche Fallgruppen zu unterscheiden. Wir haben zum einen natürlich deutsche Staatsangehörige. Für deutsche Staatsangehörige gilt, dass wir für sie eine Verpflichtung haben, uns um sie zu kümmern, egal wann sie sich bei uns melden. Zum Zweiten gibt es die Gruppe der Ortskräfte. Für diese gibt es mit kleinen Veränderungen letztlich seit 2013 eine klare Anspruchsgrundlage, auf die sie sich berufen können. Das ist seither auch erweitert worden. Aber an dieser Anspruchsgrundlage hat sich nichts geändert. Darüber hinaus haben wir die Gruppe der sogenannten sonstigen schutzbedürftigen Menschen. Wir haben klargestellt, dass sich unsere Zusage, diesen Menschen jetzt akut bei der Ausreise aus Afghanistan und der Weiterreise nach Deutschland zu helfen, auf diejenigen bezieht, die bis zum Ende der militärischen Evakuierungsaktion von der Bundesregierung identifiziert und denen eine Evakuierung mit der Luftwaffe in Aussicht gestellt worden war.

FRAGE: Was passiert mit denjenigen, die in den Konsulaten der Nachbarstaaten ankommen, aber nicht auf einer Liste stehen?

BURGER: Für sie gelten die allgemeinen Regeln des deutschen Aufenthaltsrechts. Wenn sie eine Anspruchsgrundlage haben, um ein Visum zu beantragen ‑ es gibt verschiedene mögliche Konstellationen, auf deren Grundlage man ein Visum beantragen kann ‑, dann können sie das tun. Aber es gibt sozusagen keinen Sonderzugang für diese Gruppe, einen Aufenthalt in Deutschland zu bekommen, wenn sie nicht zu den drei Gruppen gehören, die ich vorher aufgezählt habe.

FRAGE: Herr Burger, Ihr Minister hat sich gestern für die Eröffnung einer diplomatischen Vertretung in Afghanistan ausgesprochen. Nun haben mehrere westliche Partnerstaaten ihre Botschaften nach Doha verlegt. Plant die Bundesregierung Ähnliches, oder wird sie die Botschaft in Kabul eröffnen?

BURGER: Ich würde Sie gern auf das verweisen, was der Minister selbst dazu gestern in seiner Pressekonferenz in Katar gesagt hat. Er hat gesagt:

„Wir sind diejenigen, die auch schon während der Friedensverhandlungen in Doha mit den Taliban gesprochen haben. Diese Kontakte helfen uns jetzt, die werden jetzt aktiviert, das macht Botschafter Potzel hier in Doha. Alle weiteren Fragen der diplomatischen Präsenz in Doha werden abhängig sein von der politischen Entwicklung, das heißt, was werden die Taliban für eine Politik machen, und es wird abhängen von den Sicherheitsbedingungen in Kabul, das heißt, ist es aus Sicherheitsgründen verantwortbar, Diplomatinnen und Diplomaten dorthin zu schicken. Aber wenn es politisch möglich wäre und wenn die Sicherheitslage es erlaubt, dann sollte auch Deutschland irgendwann in Kabul wieder eine eigene Botschaft haben.“

Das ist das, was der Minister gestern gesagt hat. Das ist auch ein Thema, zu dem wir uns intensiv mit unseren europäischen Partnern und anderen Partnern absprechen. Von allen Seiten gibt es das intensive Bestreben, gegenüber den Taliban mit einer gemeinsamen Haltung aufzutreten. Das wird auch eines der zentralen Themen für das informelle Treffen der EU-Außenminister sein, das morgen in Slowenien beginnen wird.

SEIBERT: Das ist auch ein Thema, das die Bundeskanzlerin mit zahlreichen ihrer Amtskollegen in Europa in den letzten Tagen diskutiert hat.

FRAGE: Werden Gesprächen mit den Taliban direkt oder über Katar stattfinden? Was sind die Bedingungen dieser Gespräche?

BURGER: Dazu möchte ich auf das verweisen, was ich gerade gesagt habe. Das beantwortet die Frage.

FRAGE: Herr Seibert, ist die Bundesregierung mit dem Vorschlag einer Sondersitzung der G20 zu Afghanistan noch im September einverstanden?

SEIBERT: Es ist die Sache des G20-Vorsitzes ‑ das ist zurzeit Italien ‑, über so etwas mit den Partnern zu beraten und dann gegebenenfalls zu einer solchen Sitzung oder Videokonferenz, je nach dem, einzuladen. Ich habe das hier nicht zu kommentieren.

Wir stehen im engen Kontakt mit vielen Staaten, die auch in den G20 vereint sind.

ZUSATZFRAGE: Wie schätzt die Bundesregierung diese Initiative ein?

SEIBERT: Es ist wichtig, dass wir auf der Ebene der G7, aber auch deutlich darüber hinaus ‑ in der G20 sind wichtige Staaten versammelt ‑ zu einer möglichst gemeinsamen Herangehensweise an die neue Situation in Afghanistan, an die Realität der sich abzeichnenden Talibanherrschaft kommen. Dafür sind Gespräche, Beratungen, Konsultationen und Abstimmungen notwendig.

FRAGE: Warum und von wem wurde die Entscheidung zur Evakuierung der Botschaft in Kabul getroffen, die ja sehr, sehr spät war, auch im Vergleich zu anderen Staaten wie beispielweise Dänemark, die das früher getan haben? Wer hat diese Entscheidung letztendlich getroffen?

Waren es politische Überlegungen, dass man sie möglichst lange offenhalten wollte, um kein wie auch immer geartetes Signal zu senden, oder haben dabei Sicherheitsfragen im Vordergrund gestanden?

Ist das vor Ort oder in Berlin entschieden worden?

Welche Lehren zieht man daraus?

BURGER: Für jede deutsche Auslandsvertretung überall auf der Welt gibt es zu jedem Zeitpunkt Krisenpläne und Evakuierungsszenarien. An Krisenorten werden sie auch sehr eng mit der Bundeswehr vorbereitet und immer wieder angepasst und überprüft.

An einem Ort wie Kabul ist dies natürlich ganz besonders der Fall. Auch in der Woche vor dem Fall von Kabul hat es intensive Gespräche über Evakuierungsszenarien für die Botschaft Kabul gegeben.

Am Vormittag des Freitags, den 13. August, wurde ich auch hier in der Regierungspressekonferenz dazu gefragt und habe hier erzählt, dass gleichzeitig mit der Regierungspressekonferenz gerade der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt tagte. Eine der Entscheidungen des Krisenstabs war es, eine Evakuierung der Botschaft konkret vorzubereiten. Daraufhin begann in der Botschaft die Vorbereitung für die Evakuierung. Das ganze Wochenende über wurden Dokumente zerstört, Datenträger, Waffen etc. Dafür gibt es in jeder Botschaft Checklisten, die abzuarbeiten sind.

Über das Wochenende ‑ das haben Sie mitbekommen ‑ hat sich die Lage in Afghanistan und insbesondere in Kabul extrem schnell weiterentwickelt. Freitagvormittag, als der Krisenstab tagte, gab es beispielsweise noch Linienflüge von Masar-e Scharif nach Kabul. Im Verlauf des Wochenendes hat sich die Lage dann in einem rapiden Tempo verschlechtert. Das Krisenreaktionszentrum im Auswärtigen Amt stand über das ganze Wochenende in engstem Kontakt mit der Botschaft, und es gab immer wieder neue Lagemeldungen.

Am Sonntagmorgen gab es dann eine weitere Lageentwicklung, die dazu geführt hat, dass die Botschaft empfohlen hat, das Botschaftscompound sofort zu verlassen und sich über das amerikanische Compound mit Hubschraubern zum militärischen Teil des internationalen Flughafens zu begeben. Als die Botschaft dem Auswärtigen Amt diese Empfehlung übermittelt hat, kam innerhalb weniger Minuten die Zustimmung des Auswärtigen Amtes dafür.

ZUSATZFRAGE: Damit ich es richtig verstehe: Es war eine Entscheidung der Diplomaten vor Ort. Es gibt ja natürlich auch noch Sicherheitsleute in der Botschaft. Die Entscheidung wurde am Sonntag von den Diplomaten in Kabul getroffen, richtig?

BURGER: Ich habe Ihnen gerade den Ablauf erklärt. Die Botschaft hat, wie gesagt, eine Empfehlung ausgesprochen, und das Auswärtige Amt hat ihr zugestimmt.

ZUSATZFRAGE: Okay. Mit „die Botschaft“ meinen Sie die Diplomaten in der Botschaft, nicht die Sicherheitsleute, oder? Das will ich klarmachen.

BURGER: Mit der Botschaft meine ich: der Leiter der Botschaft, der selbstverständlich die Sicherheitsverantwortung für die Botschaft trägt und der solche Entscheidungen und Empfehlungen selbstverständlich in engster Absprache mit seinem Sicherheitsberater und den Sicherheitskräften der Botschaft, die von der Bundespolizei entsandt sind, trifft.

ZUSATZFRAGE: Und sind Lehren draus gezogen worden?

BURGER: Selbstverständlich werden solche Entscheidungen evaluiert, und selbstverständlich zieht man aus solchen Entwicklungen, gerade auch aus solchen dramatischen Entwicklungen, wie wir sie in den letzten Wochen in Afghanistan erlebt haben, Konsequenzen für die Erstellung von Krisenplänen und Evakuierungsszenarien für andere Dienstorte. Das ist aber nichts Neues. Es hat auch in der Vergangenheit immer wieder stattgefunden, dass beispielsweise nach Anschlägen gegen unsere Vertretungen überprüft wurde, ob Sicherheitsmaßnahmen, Evakuierungsszenarien etc. für andere Standorte zu aktualisieren sind.

FRAGE: Ich habe Fragen zu den amerikanischen Drohnenangriffen in Afghanistan. Es wird ja vielerorts Aufklärung gefordert, weil durch diese Angriffe nicht nur angebliche IS-Terroristen ums Leben gekommen sind, sondern auch zahlreiche Zivilisten in Kabul. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass diese Drohnenangriffe via der Relaisstation Ramstein gelaufen sind? Haben Sie sich ‑ wozu Sie rechtlich verpflichtet sind ‑ bei den Amerikanern über den völkerrechtlichen Status dieser Vergeltungsschläge informiert?

BURGER: Ich habe dazu keine eigenen Erkenntnisse.

ZUSATZFRAGE JUNG: Warum wissen Sie das nicht? Sie sind dazu verpflichtet, bei den Amerikanern nachzufragen, wenn ein Drohnenangriff via Ramstein passiert ‑ und Ramstein ist für die Drohnenangriffe in Afghanistan erforderlich.

BURGER: Das ist eine Behauptung, die Sie aufstellen.

ZUSATZ JUNG: Nein.

FRAGE JESSEN: Herr Burger, auch noch einmal zu den Vorgängen am Flughafen: Verschiedene journalistische Kollegen, die vor Ort gewesen waren ‑ unter anderem Christoph Reuter vom „SPIEGEL“ ‑, haben berichtet, dass ein ranghoher oder der ranghöchste US-General erklärt habe, die Anordnung, dass mit der privat gecharterten Maschine möglichst keine Flüchtlinge ausgeflogen werden sollten, seien in Absprache oder sogar auf Anweisung des Auswärtigen Amtes der deutschen Regierung erfolgt. Können Sie das dementieren? Hat es irgendeine derartige Absprache gegeben?

BURGER: Ja, das kann ich klar dementieren. Eine solche Weisung oder Absprache hat es vonseiten des Auswärtigen Amts nie gegeben. Das stünde ja auch in diametralem Widerspruch zu unserem Handeln in dieser Nacht, denn wir hatten uns ja aktiv zunächst dafür eingesetzt, dass dieses Flugzeug überhaupt nach Kabul fliegen kann, und haben dann auch aktiv dabei geholfen sicherzustellen, dass für die 18 Passagiere ‑ portugiesische Ortskräfte ‑ ein Verfahren gefunden wurde, nach dem die dann auch irgendwo wieder aussteigen konnten. Wenn das nicht in unserem Interesse gewesen wäre, hätten wir wahrscheinlich diese Unterstützung nicht geleistet. Insofern scheint mir das auch ein sehr wenig plausibler Vorwurf.

ZUSATZFRAGE: Jetzt gehe ich davon aus, dass die Journalistenkollegen vor Ort diese Sätze tatsächlich aus dem Mund von US-Militärs gehört haben. Wenn diese Sätze so gefallen sind, dann haben die US-Militärs ‑ egal welcher Rang ‑ also die Unwahrheit gesagt?

BURGER: Ich kann Ihnen nicht erklären, warum US-Militärs diese Aussage getroffen haben. Ich würde vermuten, dass sie falsch informiert waren, weil es nicht Teil ihrer Zuständigkeit war, die Kommunikation zwischen der Bundesregierung und der Initiative „Kabulluftbrücke“ abzuwickeln.

FRAGE: Nur eine ganz kurze Nachfrage, Herr Burger: Als Herr Jung gerade eben gesagt hat, dass es Ihre Aufgabe sei, bei den Amerikanern zu Ramstein nachzufragen, haben Sie gesagt, das sei seine Behauptung. Haben Sie damit gesagt, dass das nicht der Fall ist?

BURGER: Was ich gesagt habe, ist, dass ich mich der Behauptung, es sei sozusagen notwendigerweise erwiesen, dass jeglicher Drohnenangriff über Ramstein abgewickelt werde, eine Behauptung ist, die ich hier nicht bestätigen kann.

ZUSATZFRAGE: Können Sie dann gegebenenfalls nachreichen, ob es wahr oder nicht wahr ist, dass Sie da verpflichtet sind, bzw. zu was Sie da verpflichtet sind?

BURGER: Ja, das kann ich gerne tun.

FRAGE: An Herrn Alter: Begrüßt der Innenminister das Engagement der Initiative „Kabulluftbrücke“?

ALTER: Zunächst einmal ist der Bundesinnenminister selbst engagiert. Sie haben ja zur Kenntnis genommen, dass er gestern in Brüssel war und sich mit den EU-Innenministern darüber ausgetauscht hat, wie es jetzt weitergeht, insbesondere für die Menschen, die sich noch in Afghanistan befinden. Da ist ja ein ganz klares Signal ausgesendet worden.

Einmal abgesehen davon, dass wir hier schon Anfang der Woche gesagt haben, dass die Bundesregierung sich für mehrere zehntausend Menschen verantwortlich fühlt, weil sie Ortskräfte waren, Familienangehörige sind oder zu einer besonders gefährdeten Gruppe gehören, haben sich ja gestern die EU-Innenminister ganz klar dazu bekannt, dass das auch im europäischen Rahmen erfolgen soll und dass es jetzt ganz viele Initiative gibt, um zunächst einmal die Evakuierung fortzusetzen ‑ in welcher Weise das geschieht, wird man besprechen ‑, und dass dann auch Initiativen gestartet werden, um die Lage vor Ort zu stabilisieren, damit es eben nicht zu völlig unkontrollierten Migrationsbewegungen kommt. Das ist für die Innenminister in Europa ein wichtiges Anliegen, und die Kommission hat deutlich gemacht, dass sie auch ein Resettlement-Forum eröffnen wird, bei dem sich verschiedene Mitgliedstaaten bereiterklären können, daran teilzunehmen. Das sind ja alles Dinge, die auf behördlicher Ebene existieren.

Wir haben aber durchaus Interesse daran, dass das in einem geordneten Verfahren erfolgt. Das hat nichts mit Bürokratie zu tun. Vielmehr gibt es ganz viele Akteure, und private Unterstützung ist hilfreich, aber das muss in irgendeiner Form konzeptionell eingebettet sein.

ZUSATZFRAGE: Jetzt haben Sie von dem gestrigen Treffen berichtet. Ich habe aber ganz konkret danach gefragt, ob der Innenminister das Engagement der Initiative „Kabulluftbrücke“ begrüßt.

ALTER: Der Innenminister begrüßt Unterstützung in diesem Prozess, wenn sie konzeptionell eingebettet ist.

[…]

BURGER: Ich kann noch etwas nachreichen. Zu der Nachfrage von Herrn Jordans und zu der Äußerung von Herrn Jung möchte ich Ihnen sagen: Es gibt Relaisstationen in US-Basen weltweit, die Daten weiterleiten. Eine solche Relaisstation gibt es auch auf dem Stützpunkt Ramstein, auch in Deutschland, aber eben nicht nur. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal.

Für die Bundesregierung gilt die Zusicherung der US-Seite, bei ihren Aktivitäten in Ramstein und an anderen US-Standorten in Deutschland geltendes Recht zu achten.

FRAGE: Ist der Bundesregierung bekannt, dass aufgrund der Erdkrümmung nur bestimmte Relaisstationen der Amerikaner auf der Welt für die Drohnenangriffe in bestimmten Länder zuständig sind, und dass für Afghanistan nachweislich ‑ das wissen wir durch Leaks unter anderem von Snowden ‑ die Relaisstation Ramstein notwendig ist? Wann werden Sie die Amerikaner ob der Einhaltung des Völkerrechts befragen, wozu Sie rechtlich verpflichtet sind?

BURGER: Zu den rechtlichen Verpflichtungen würde ich Sie auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2020 aufmerksam machen. Im Übrigen kann ich mich hier selbstverständlich nicht zu operativen Details von US-Operationen äußern.

Nuklearverhandlungen mit dem Iran

FRAGE: Herr Burger, eine Frage zu den Iran-Nuklearverhandlungen: Der neue iranische Außenminister, Herr Abdollahian, hat gesagt, dass die Gespräche erst in zwei bis drei Monaten fortgesetzt werden. Was ist Ihre Reaktion darauf?

BURGER (AA): Diese Berichterstattung haben wir zur Kenntnis genommen. Unsere Haltung zu den Verhandlungen in Wien haben wir wiederholt deutlich gemacht: Wir fordern Iran mit Nachdruck dazu auf, mit einer konstruktiven Haltung und so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Wir sind dazu bereit, aber das Zeitfenster für Verhandlungen wird auch nicht unbegrenzt geöffnet bleiben.

ZUSATZFRAGE: Laufen irgendwelche Gespräche zwischen der Bundesregierung und der iranischen Seite, was die Gespräche in Wien angeht?

BURGER: Zu möglichen vertraulichen Gesprächen kann ich Ihnen hier jetzt keine Auskunft geben. Es gibt eine enge Abstimmung insbesondere im E3-Rahmen, auch mit den USA, zu der Frage, wie mit diesen Verhandlungen weiter umzugehen ist. Wie gesagt, unsere grundsätzliche Haltung dazu habe ich gerade zum Ausdruck gebracht.

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