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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 26.07.2021

26.07.2021 - Artikel

Lage in Tunesien

ADEBAHR (AA): Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Tunesien ‑ auch von gestern Nacht ‑ möchte das Auswärtige Amt noch einmal sagen, dass wir sehen, dass Tunesien in den letzten Jahren eigentlich einen guten, einen beeindruckenden Weg zurückgelegt hat, dass die friedliche Durchführung der letzten Präsidentschaftswahlen und auch der Parlamentswahlen gezeigt hat, dass die Menschen in Tunesien Demokratie wollen, und auch, dass die Demokratie in Tunesien seit 2011, seit den Entwicklungen, die uns alle in Erinnerung sind, Fuß gefasst hat.

Umso mehr beobachten wir die Eskalation der Gewalt in den letzten Tagen und Wochen und auch die Zuspitzung der Lage seit gestern sehr genau und sind darüber sehr besorgt. Wir denken, dass es jetzt wichtig ist, wirklich schnell zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren, und rufen alle dazu auf, die Einhaltung und die Umsetzung der Verfassung in Tunesien zu garantieren. Dazu gehört aus unserer Sicht auch die Wahrung der Freiheitsrechte, die eben auch zu den wichtigsten Errungenschaften der tunesischen Revolution gehört.

Die Lage in Tunesien unterstreicht aus unserer Sicht auch die Dringlichkeit, jetzt politische und wirtschaftliche Reformen wirklich in Angriff zu nehmen. Dies kann eben auch nur in einer konstruktiven Zusammenarbeit aller Verfassungsorgane gelingen, und auch die Arbeitsfähigkeit aller Verfassungsorgane ist dafür notwendig. Denn nicht nur die gestrigen Entwicklungen, sondern auch die Pandemielage, die Krise der Wirtschaft und des Staatshaushalts sowie der doch enorme Reformstau, den wir beobachten, sind aktuell wirklich große Herausforderungen in Tunesien, die uns sehr sorgen. Während wir gerade hier sitzen, sprechen wir über die aktuelle Lage auch mit der tunesischen Seite.

FRAGE: Haben Sie eine Einschätzung zur Auflösung des Parlaments durch den Präsidenten?

ADEBAHR: Das war sie gerade. Für das korrekte Wording: Das ist keine Auflösung des Parlamentes, sondern der Staatspräsident beruft sich da auf Artikel 80 der tunesischen Verfassung, die eine Aussetzung der Arbeit des Parlamentes für 30 Tage vorsieht. Auf diesen Artikel beruft er sich. Das heißt, es ist eine momentane Aussetzung der Arbeit des Parlamentes ‑ eines wichtigen Verfassungsorgans. Das war mir wichtig zu sagen.

FRAGE: Sie sagten, Sie fordern die Rückkehr zur verfassungsrechtlichen Ordnung. Wo sehen Sie denn, dass die verfassungsrechtliche Ordnung in Tunesien verlassen wurde?

ADEBAHR: Na ja, „verlassen“ will ich nicht gesagt haben. Wir sehen eben schon, dass der Staatspräsident jetzt den Artikel 80 der Verfassung anführt, um die Arbeit des Parlaments zu suspendieren. Ehrlicherweise müssen wir sagen, dass wir das im Moment für eine doch recht weite Auslegung der Verfassung halten. Insofern rufen wir dazu auf, jetzt gemeinsam mit allen Verfassungsorganen zu sprechen, Ruhe zu bewahren und die Arbeitsfähigkeit auch des Parlamentes, die ja jetzt ausgesetzt ist, wirklich schnellstmöglich wiederherzustellen.

ZUSATZFRAGE: Es gibt ja nicht nur die Regierungspartei, sondern auch andere Kräfte in Tunesien, die von einem Putsch, von einem Staatsstreich sprechen. Beobachten Sie das ebenfalls?

Wird oder wurde der tunesische Botschafter einbestellt?

ADEBAHR: Wir möchten nicht von Putsch sprechen, sondern bewerten die Lage so, wie ich es gerade getan habe. Insofern möchte ich jetzt diese wörtliche Einordnung von hier nicht vornehmen.

Wir werden sicherlich das Gespräch mit der tunesischen Botschafterin in Berlin suchen. Aktuell ist unser Botschafter in Tunesien auch im Außenministerium und führt Gespräche.

Aufnahme von Ortskräften der Bundeswehr aus Afghanistan in Deutschland

FRAGE: Wie viele Helfer der Bundeswehr in Afghanistan werden Stand jetzt in Deutschland aufgenommen? Was kann man jetzt über den Zeitraum sagen, in dem sie nach Deutschland kommen werden?

ALTER (BMI): Ich kann Ihnen bestätigen, dass in der vergangenen Woche im Bundeskabinett Entscheidungen getroffen wurden, dass es beim Ortskräfteverfahren zusätzliche Unterstützung für die Ortskräfte und ihre Familien geben soll. Das heißt also, das Thema, das wir an dieser Stelle häufiger besprochen haben ‑ die Finanzierung von Reisekosten und Ähnliches ‑, wird in die Überlegungen mit aufgenommen. Es wird Unterstützung geben. In welcher Form, wird derzeit in der Bundesregierung noch diskutiert.

Es gibt einen groben Überblick darüber, wie viele Ortskräfte die Aufnahme, die noch bevorsteht, betreffen wird. Was die Ortskräfte angeht, die ehemals für die Bundespolizei gearbeitet haben, ist das eine niedrige zweistellige Zahl. Für die Ortskräfte anderer Ressorts müssten Sie dann jeweils bei dem Ressort nachfragen. Die Prozesse sind jedenfalls angelaufen ‑ auch auf der Grundlage der Entscheidungen letzte Woche ‑, und die Vorbereitungen laufen.

ADEBAHR (BMI): Ich kann vielleicht noch hinzufügen, dass wir jetzt die gute Nachricht haben, dass wir inzwischen von allen ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr ‑ inklusive der Familienmitglieder ‑, die ihren Antrag in Masar-e Scharif gestellt haben, die Pässe visiert und so rund 2400 Visa ausgestellt haben. Es läuft jetzt der Transport hin zu den Empfängern der Visa. Das ist auf einem sehr guten Weg. Wir konnten die Visa zu einem ganz großen Teil innerhalb weniger Tage bearbeiten.

Vielleicht ergänzt noch der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums.

COLLATZ (BMVg): Sehr gerne. Ich probiere es. ‑ Ergänzend zu den Zahlen in Bezug auf die Ortskräfte, die bereits eingereist sind ‑ Frau Adebahr, hat es schon angeführt ‑: Wir hatten aus der Gruppe derjenigen, die in den letzten zwei Jahren für uns beschäftigt waren, 526 Ortskräfte identifiziert, die eine Gefährdungsanzeige gestellt haben. Bereits 491 haben zusammen mit 1991 Familienangehörigen ihre Aufnahmezusage erhalten. Stand 21. Juli haben also insgesamt 2482 Personen ihre Aufnahmezusage erhalten, und von diesen sind bereits insgesamt 905 Personen in Deutschland eingetroffen. Ergänzend dazu laufen Prüfungen und Gespräche, wie es zu zusätzlicher Unterstützung kommen kann. Das zu den Zahlen, die das BMVg betrifft.

FRAGE: Herr Alter, Sie sprachen davon, dass am Mittwoch etwas beschlossen wurde, und gleichzeitig davon, dass es Überlegungen gebe. Könnten Sie uns einmal ausklamüsern, was jetzt konkret beschlossen wurde und wo Sie noch überlegen, insbesondere in Bezug auf die Reisekosten? Bleibt es dabei, dass die Menschen, also die afghanischen Ortskräfte und deren Familien, weiterhin nur einen Aufenthaltstitel hier in Deutschland auf begrenzte Zeit bekommen und daher jedes Jahr Angst haben müssen, wieder nach Afghanistan abgeschoben zu werden?

ALTER: Zur ersten Frage kann ich gerne etwas erklären. Es gibt ja unterschiedliche Möglichkeiten, wie man die Ausreise aus Afghanistan nach Deutschland unterstützen kann. Es gibt die Möglichkeit, dass man Ticketkosten für Menschen übernimmt, die mit Linienflügen über die Türkei fliegen, es gibt noch Linienverbindungen, und es gibt auch die Möglichkeit, wenn das aus organisatorischen Gründen nicht möglich ist, dass man möglicherweise Charterflüge bereitstellt. Das sind alles denkbare Optionen, die im Moment diskutiert werden und über die noch keine abschließende Entscheidung getroffen ist. Vermutlich wird es für diejenigen, die jetzt unmittelbar zur Anreise anstehen, wohl eher darauf hinauslaufen, dass man Ticketkosten übernimmt. Aber Sie werden verstehen, dass bei einem solchen Verfahren auch noch Gespräche über die Zuständigkeiten und die organisatorischen Fragen ablaufen müssen.

Aber die Grundentscheidung ist ja das Wichtige ‑ die ist im Kabinett von den betroffenen Ressorts letzte Woche getroffen worden ‑, nämlich dass es eine Unterstützung geben soll, dass die Kosten also abweichend von dem bisherigen Verfahren nicht mehr selbstständig finanziert bzw. getragen werden müssen, sondern dass wir das unterstützen werden.

Zum zweiten Teil der Frage: Es ist ja so, dass viele Menschen, die jetzt ihr Land verlassen ‑ nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Ländern, aber wir reden jetzt über Afghanistan ‑, das nicht tun, weil sie Afghanistan so scheußlich finden, sondern sie tun es, weil sie sich dort im Moment bedroht fühlen und weil sie Schutz brauchen. Vor diesem Hintergrund ist es auch richtig, dass man Aufenthaltstitel, die man erteilt, zunächst einmal zeitlich befristet erteilt, weil man auch davon ausgehen und zumindest hoffen kann, dass sich die Situation in Afghanistan irgendwann so weit stabilisiert, dass die Menschen auch wieder zurückkehren können. Wir wissen ja aus vielen Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass die Menschen im Prinzip gezwungenermaßen ihre Heimat verlassen und dann, wenn sie die Möglichkeit haben, sicher zu leben, auch wieder zurückkehren. Insofern ist das Grundprinzip richtig.

Aber es ist natürlich auch so, dass es jetzt nicht an einer Frist hängt. Wenn ein Aufenthaltstitel befristet ist und die Situation in Afghanistan zum Ende der Frist nicht besser ist als zu Beginn, dann wird der auch verlängert.

ZUSATZFRAGE: Herr Alter, Sie wollten diese angebliche Bitte der afghanischen Regierung prüfen. Die Prüfung hält jetzt anscheinend schon zwei Wochen an. Haben Sie die jetzt abschließend geprüft? Es wurde ja angeblich gebeten, dass keine Abschiebeflüge nach Kabul stattfinden sollten.

ALTER: Die Prüfung findet im Moment dergestalt statt, dass sich die deutsche Regierung und auch die Europäische Kommission mit der afghanischen Regierung darüber austauschen. Ich hatte hier vor 14 Tagen die Position des Innenministeriums deutlich gemacht, dass uns daran gelegen ist, bestimmte Personen, also etwa Straftäter, weiterhin nach Afghanistan abzuschieben. Die Lage, wie sie sich uns darstellt, erlaubt das auch. Man muss Abschiebungen aus unserer Sicht nicht gänzlich, und in jedem Fall pauschal einstellen. Die afghanische Regierung hat nun genau das von uns verlangt, darüber finden Gespräche statt, und die dauern an.

ZUSATZFRAGE: Ist es richtig, dass derzeit kein Abschiebeflug aus Deutschland in Kabul landen kann, weil es keine Landeerlaubnis gibt?

ALTER: Über Planungen von Abschiebungsflügen geben wir öffentlich grundsätzlich nie Auskunft. Insofern kann ich die Frage jetzt auch nicht bestätigen oder dementieren.

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