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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­­pressekonferenz vom 05.07.2021

05.07.2021 - Artikel

Aufnahme afghanischer Ortskräfte in Deutschland

FRAGE: Meine Frage geht zunächst an Herrn Seibert, dann aber auch an das BMI und das Auswärtige Amt. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die noch in Afghanistan verbliebenen Ortskräfte zeitnah nach Deutschland zu holen, bevor sie von den Taliban eingeholt werden? Denn so, wie es im Moment ist, scheint es für die Leute, die zurückgeblieben sind, ja sehr schwierig zu sein, den offiziellen Regeln, die die Bundesregierung aufgestellt hat, nachzukommen.

SEIBERT (BReg): Ich denke, dass AA und BMVg am besten Auskunft über die Bemühungen, die derzeit schon laufen und die natürlich wichtig sind, weil wir uns ja auch zu einer Verantwortung für viele dieser Menschen bekennen, geben können.

ZUSATZ: Ich hätte dazu eigentlich gern auch eine Stellungnahme der Bundeskanzlerin gehabt. Sonst hätte ich Sie nicht gefragt.

SEIBERT: Aber Sie wollen ja wissen, was unternommen wird und wie es operativ läuft, damit jemand ausreisen kann. Dazu können Ihnen diese beiden Häuser, denke ich, wirklich besser Auskunft geben, weil es dann ums Detail geht.

BREUL (AA): […] Zu Afghanistan: Das Ortskräfteaufnahmeverfahren war hier in den letzten Wochen wiederholt Thema. Selbstverständlich ist die Lage vor Ort schwierig. Das gilt für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, die versuchen, Dinge zu ermöglichen, und das gilt natürlich auch für die Ortskräfte, die sich darum bemühen, dieses Verfahren anzustreben.

Ich teile Ihre Einschätzung nicht ganz, dass es dabei nicht schon Fortschritte gegeben hätte. Vielleicht kann der Kollege vom BMVg auch noch ergänzen. Wir haben in den letzten Wochen schon sehr viele Visa erteilt. Ich habe die Zahl 2400 im Kopf, kann die Bestätigung aber gern noch nachreichen. Es ist nicht so, dass da nichts stattfindet. Natürlich hat sich das Verfahren durch den Abzug der Bundeswehr und die Schließung eines Generalkonsulats in Masar-e Scharif erschwert. Dem versuchen wir zu begegnen, indem wir mit Partnern zusammenarbeiten, insbesondere mit der IOM. Einige Dinge sind noch im Aufbau. Das ist in der aktuellen Situation schwierig. Die Sicherheitslage ist so, wie sie ist. Sie ist so für die Ortskräfte, aber auch für uns. Ich will einfach Ihrem Eindruck entgegenwirken, dass wir Hürden aufbauen würden. Ganz im Gegenteil versuchen wir, das Verfahren einfacher und schneller zu machen, arbeiten aber mit den Umständen, wie sie vor Ort nun einmal sind.

HELMBOLD (BMVg): Ich will gern ergänzen. Ich mag auch noch einmal daran erinnern, wie wichtig uns die Verantwortung gegenüber den Ortskräften ist, und daran, was die Ministerin gesagt hat. Sie hat gesagt: Unser Ziel ist es, dass wir diejenigen, die an unserer Seite gestanden haben, zusammen mit ihren Familien nach Deutschland in Sicherheit bringen können. ‑ Weiter auch: Wir reden hier von Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg auch unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit an unserer Seite gearbeitet und auch mitgekämpft haben und ihren persönlichen Beitrag geleistet haben.

Im Zuge des Abzuges haben sich in Afghanistan natürlich andere Lagebedingungen eingestellt, auf die auch entsprechend reagiert wurde. Dazu gab es ein vereinfachtes Verfahren. Im Rahmen dieses vereinfachten Verfahrens hat die Bundeswehr Unterstützung geleistet. Für Einwanderungs- und Visaangelegenheiten sind wir ja grundsätzlich nicht zuständig. Aber in Zusammenarbeit mit dem AA hat es eine ganze Reihe von Unterstützungsmaßnahmen gegeben. Bis zuletzt, bis die Bundeswehr abgezogen ist, wurden für 464 Ortskräfte und deren Familien, also für insgesamt 2250 Personen, noch Reisedokumente vor Ort ausgegeben. Zu dem Zeitpunkt war es eine relativ kleine Zahl, die noch offen war.

Ich will auch noch einmal betonen, dass nicht alle, die diese Reisedokumente bekommen haben, auch gleich ausreisen wollten. Es gab eine ganze Reihe von Ortskräften, die gesagt haben: Wir wollen eigentlich so lange wie möglich in Afghanistan bleiben. Aber wir wollen, wenn sich die Sicherheitslage vor Ort verschärft, die Möglichkeit haben, auszureisen. ‑ Das bedeutet, dass es doch eine relativ große Zahl von Menschen gibt, die ihre Ausreisedokumente haben, aber im Moment auf die Ausreise noch bewusst verzichten.

ZUSATZFRAGE: Bedeutet das, dass jetzt in dem gleichen Tempo wie bisher weitergemacht wird? Ich kann nicht erkennen, dass irgendwelche neuen Maßnahmen ergriffen würden, weil uns hier vielleicht stärker bewusst geworden ist, dass es für diejenigen, die ausreisen wollen, doch sehr schwierig ist, tatsächlich zeitnah auszureisen.

HELMBOLD: Zu den Ausreiseformalitäten selbst kann ich keine Stellung nehmen, weil das nicht in unserer Zuständigkeit liegt.

BREUL: Zunächst will ich die Zahl 2400, die ich gerade in den Raum warf, bestätigen. Dabei handelt es sich um Visa für Ortskräfte und Familienangehörige, die innerhalb kürzester Zeit ausgestellt wurden. Das ist ein sehr schnelles Verfahren.

Aktuell sind wir natürlich mit der Lage konfrontiert, dass die Antragsannahme durch die Bundeswehr in Masar-e Scharif nicht länger fortgesetzt werden kann, weil die Bundeswehr eben abgezogen ist. Der Kollege hat es gerade ausgeführt. Weil die Sicherheitslage so ist, wie sie ist, hat das IOM-Büro die Arbeit in Masar-e Scharif noch nicht aufnehmen können. Wir sind dazu in engen Gesprächen und versuchen, das zu begleiten und womöglich zu beschleunigen. Allerdings ist es derzeit möglich ‑ auch das haben wir hier am Freitag schon ausgeführt ‑, die Gefährdungsanzeige per Mail durchzuführen. Eine persönliche Vorsprache ist dafür also nicht notwendig.

Ich will aber nicht um den heißen Brei herumreden. Es ist eine schwierige Lage vor Ort. Mit dieser versuchen wir umzugehen. Es ist nicht so, als könnte man wie hier in Berlin einfach aufs Amt gehen, sondern es ist schwieriger. Der Kollege hat es gesagt: Wir sind uns der Verantwortung bewusst. Wir versuchen, dem zu begegnen. Wir arbeiten mit Partnern zusammen und haben in den letzten Wochen auch ordentliche Fortschritte erzielen können.

FRAGE: Herr Seibert, sind die Bemühungen der verschiedenen Ressorts aus Sicht der Bundeskanzlerin so schnell und unbürokratisch, wie es die verschiedenen Minister versprochen haben?

SEIBERT: Ich denke, was die beiden Kollegen Ihnen gerade dargelegt haben, zeigt, dass wir uns bemühen, denjenigen zu helfen, die uns dort in den vergangenen Jahren wichtige Hilfe geleistet haben. Dass das vor dem Hintergrund der Gegebenheiten, die sich jetzt in Afghanistan ergeben, nicht einfach ist, ist klar. Trotzdem wird dem entgegengewirkt, zum Beispiel indem man eben auch per E-Mail Anträge stellen kann.

Zweieinhalbtausend Menschen haben bereits ein Visum; das ist eine nennenswerte Zahl. Sie wissen auch, dass wir mittlerweile Anträge von afghanischen Bürgern entgegennehmen, die uns in den vergangenen acht Jahren, also seit 2013, dort unterstützt haben. Sie haben auch die Chance, einen Antrag, der in der Vergangenheit vielleicht abgelehnt wurde, noch einmal zu stellen.

Es gibt also große Bemühungen, auch im Verbund mit unseren dort verbliebenen Partnern. Sie werden hoffentlich in vielen Fällen auch zu einem guten Ergebnis führen.

FRAGE: An das Auswärtige Amt: Wie kann die Schließung eines Generalkonsulats zur Vereinfachung des Verfahrens beitragen?

BREUL: Ich denke, darauf habe ich teilweise schon geantwortet. Die Schließung des Generalkonsulats war natürlich keine Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung, sondern hatte andere Gründe. Ich denke, sie liegen auf der Hand.

FRAGE: Die beiden Ressorts haben gerade auf die besondere Gefährdungslage in Masar-e Scharif und die besondere Schwierigkeit hingewiesen, die Leute dort herauszuholen. Gibt es Pläne, mit Blick auf die Ortskräfte, die dort gerade mit Anträgen beschäftigt sind ‑ das alles dauert ja auch; hinzukommt das Visum, das man momentan nur in Kabul holen kann usw. ‑, pragmatischer vorzugehen? Denn sie haben eventuell nicht genügend Zeit, um darauf zu warten.

Man könnte zum Beispiel sagen: Sie sind sowieso per se gefährdet, weil sie für die Bundeswehr gearbeitet haben. ‑ Wir haben momentan Kontakt zu zwei Ortskräften. Man könnte sie erst einmal herausholen und dann an einem sicheren Ort prüfen. Wäre das keine Idee?

BREUL: Ich denke, zum Verfahren müsste ich an das BMI verweisen. Im Moment haben wir ein zweistufiges Verfahren. Wir haben es hier auch schon dargestellt. Zunächst gibt es die sogenannte Gefährdungsanzeige, die überprüft wird. Dann folgt das Visumverfahren.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist volatil; das will ich vielleicht auch noch einmal dazusagen. Es ist nicht so, dass es sich bei Masar-e Scharif um eine eingeschlossene Stadt handeln würde, in die niemand hinein- oder aus der niemand herauskäme. Die afghanische Armee befindet sich in Kämpfen mit den Taliban. Es ist schwierig. Dessen sind wir uns bewusst. Aber im Moment ist das Verfahren so, wie es ist.

ZUSATZFRAGE: Sie haben eben auf das BMI verwiesen. Hat das BMI etwas dazu zu sagen?

Ansonsten würde mich noch Folgendes interessieren: Sie sagen, Masar-e Scharif sei nicht eingeschlossen. Die Ortskräfte, mit denen wir in Kontakt stehen, geben uns ein etwas anderes Bild. Sie sagen, sie kämen von dort nicht weg und hätten große Schwierigkeiten, Gefährdungsanzeigen überhaupt zu stellen. Wenn Sie es täten, würden sie häufig lange bearbeitet und abgelehnt. Ihnen rennt die Zeit davon. Hat man es auf dem Schirm, dass diese Leute vielleicht doch dringlicher Hilfe benötigen?

HELMBOLD: Ich würde gern kurz noch einmal auf die Gefährdung vor Ort und das, was passiert ist, eingehen. Die Bundeswehr ist jetzt ja nicht mehr in Afghanistan. Aber bis dahin hat es natürlich eine ganze Menge an Anträgen gegeben. Im Zuge des Abzugs hat die Bundeswehr, sehr, sehr viele Flüge durchgeführt, unter anderem auch der Generalinspekteur, der kurz vor Abzug auch noch einmal vor Ort in Afghanistan gewesen ist. Man hat per „hand carry“ Dokumente hin und her geflogen und dafür gesorgt, dass diese große Zahl an Anträgen beantwortet werden konnte.

Jetzt gibt es natürlich noch einige Anträge, die noch im Nachlauf sind. Wir sind jetzt nicht mehr vor Ort. Aber solange die Bundeswehr vor Ort war, ist ein sehr, sehr großer Anteil dieser Anträge pragmatisch und schnell bearbeitet worden. Jetzt gibt es den weiteren Nachlauf, zu dem wir jetzt natürlich keine Stellung mehr nehmen können, weil wir nicht mehr vor Ort sind.

BREUL: Verstehen Sie, dass es für uns natürlich schwierig ist, auf Fragen zu bestimmten Einzelfällen zu antworten. Ich möchte einfach noch einmal dem Eindruck entgegenwirken, dass irgendjemand in der Bundesregierung auf der Bremse stünde, sondern wir haben das getan, was möglich ist, und werden das auch weiterhin tun. Wie gesagt, ist die Gefährdungsanzeige auch per E-Mail möglich.

Was die Transportmöglichkeiten zwischen Masar-e Scharif und Kabul angeht, kann ich Ihnen jetzt keine tagesaktuelle Auskunft geben. Aber es ist nicht so, dass es keine gäbe. Es kann sein, dass es manchmal nicht möglich ist; es kann sein, dass es an anderen Tagen möglich ist. Das kann ich Ihnen jetzt nicht aus der Hand versprechen. Mit der Aussage vorhin, dass es keine eingeschlossene Stadt sei, meinte ich, dass es nicht so ist, dass niemand aus der Stadt heraus- und in sie hineinkäme. Dieser Eindruck wäre falsch.

FRAGE: Ich habe eine kurze Nachfrage an das Verteidigungsministerium oder das Auswärtige Amt. Sie sagten, manche nähmen das Visum nicht gleich in Anspruch, sondern warteten noch. Wie lange ist dieses Visum gültig? Wie lange haben sie also Zeit, sich das zu überlegen?

Meine eigentliche Frage geht aber wahrscheinlich ergänzend an das Innenministerium: Wie kommen die Menschen denn hier an? Wo kommen sie unter? Was an purer Integration ist vorbereitet? Kommen sie erst in Flüchtlingsunterkünfte und müssen sich dann eine Wohnung suchen, oder gibt es schon entsprechende Vorbereitungen für die Menschen?

BREUL: Die Antwort auf die Frage nach der Gültigkeitsdauer der Visa müsste ich Ihnen nachreichen. Dazu bekomme ich hoffentlich gleich eine E-Mail.

VICK (BMI): Die Ankunft organisieren die Bundesländer wie bei jeder anderen Aufnahme, die stattfindet.

ZUSATZFRAGE: Aber ist das beispielsweise analog zu einem Familiennachzug bei Schutzsuchenden bzw. bei Flüchtlingen in Deutschland zu betrachten, sodass sie erst einmal in Unterkünften unterkommen und dann selbst starten müssen? ‑ Vermutlich. Verstehe ich es richtig, dass es jedenfalls kein besonderes Programm gibt, um das Ankommen zu erleichtern?

VICK: Es ist auf jeden Fall denkbar, dass sie am Anfang nach Ihrer Ankunft wie gewöhnlich in Sammelunterkünften untergebracht werden und von da aus dann ‑ ‑ ‑

FRAGE: Herr Helmbold, Sie sprachen von einer größeren Anzahl von Menschen, die im Prinzip ausreisen könnten ‑ die Dokumente liegen vor ‑, es aber nicht tun. Wie viele sind es denn konkret?

HELMBOLD: Solche Zahlen können wir im Moment nicht liefern, weil sie natürlich von Tag zu Tag variieren.

ZUSATZFRAGE: Aber sind es jetzt zehn, oder sind es 100? Sie kennen die Zahl ja. Wenn Sie von einer größeren Anzahl sprechen, dann wäre es hilfreich, zu wissen, wie viele es sind.

HELMBOLD: Das sind laufende Gespräche. Das ist das, was uns in Gesprächen insbesondere von denjenigen vermittelt wird. Zahlen zu diesem Punkt kann ich nicht liefern.

FRAGE: Herr Breul, Sie sagten, Gefährdungsanzeigen müssten erst geprüft werden. Warum müssen Gefährdungsanzeigen von afghanischen Ortskräften geprüft werden? Ist nicht pauschal klar, warum sie gefährdet sind?

Herr Helmbold, wie viele der 1300 Ortskräfte haben sich seit 2012 bisher mit Gefährdungsanzeigen oder Visawünschen bzw. Ausreisewünschen gemeldet? Wurden die eigentlich aktiv von der Bundeswehr so angesprochen, dass man gesagt hat „Hey, ihr könnt nach Deutschland; ihr könnt Anträge stellen und mit eurer Familie rauskommen“?

HELMBOLD: Die Zahl 1300 bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem wir das Verfahren, wie es dann später etabliert wurde, eingerichtet haben. Das bezieht sich, glaube ich, auf 2013 und nicht auf 2012.

ZURUF: Nein. Das sind Ihre Zahlen!

HELMBOLD: Dann müssen wir gegebenenfalls noch einmal schauen. Aber das, was ich hier stehen habe, ist, dass die Bundeswehr seit 2013 ca. 1300 afghanische Ortskräfte an den Standorten Masar-e Scharif und Kabul beschäftigt. Die stehen mit uns in Verbindung. Das ist dort vor Ort auch bekannt. Man kann davon ausgehen, dass jede Ortskraft, die diese Möglichkeit hat, das in Anspruch zu nehmen, auch davon weiß.

ZUSATZ: Sie haben die aber nicht aktiv benachrichtigt, sondern die müssen das irgendwie auf eigene Weise mitbekommen.

HELMBOLD: Dazu liegt mir im Moment nichts vor. Das müsste ich gegebenenfalls nachreichen.

ZUSATZ: Ich hatte noch Herrn Beul gefragt.

BREUL: Was das Verfahren angeht, müsste ich an die Kollegen vom BMI abgeben.

ZUSATZFRAGE: Das BMI hat in Afghanistan vor Ort die Gefährdungsanzeigen zu bearbeiten?

BREUL: Für das sogenannte Ortskräfteverfahren ist das BMI federführend zuständig.

VICK: Es handelt sich um ein ganz normales Visumserteilungsverfahren. Es wird ein Antrag an das AA gestellt, und im Rahmen dessen wird die Gefährdungsanzeige auf ihre Plausibilität überprüft. Dann werden die Aufnahmezusagen erteilt.

ZUSATZFRAGE: Was muss bei einer Gefährdungsanzeige einer afghanischen Ortskraft, die für Deutschland gearbeitet hat, plausibel sein?

VICK: Ob die Gefährdung in Zusammenhang mit der Beschäftigung steht.

FRAGE: An das BMZ: Gerade wurde gesagt, dass es keinen Widerstand gegen eine zu großzügige Aufnahme von Ortskräften gab. Wie ist das zu verstehen, wenn Bundesminister Müller doch per Brief an alle beteiligten Ressorts Mitte Juni vehement gegen eine Ausweitung des Programms votiert hat?

FRAGE: Herr Seibert, wie ist insgesamt die Güte der Vereinbarungen zwischen den USA und Taliban-Vertretern in Doha zu bewerten, wenn nicht einmal die Sicherheit des Konsulats eines Landes aus der sogenannten Afghanistankoalition gewährleistet zu sein scheint?

SEIBERT: Wir haben begrüßt, dass es die Verhandlungen und Gespräche in Doha gibt. Wir haben immer gesagt: Wir sind weiterhin bereit, diesen innerafghanischen Friedensprozess nach Kräften zu stützen. Wir werden uns übrigens auch in Zukunft nach Abzug der Bundeswehr ‑ auch das haben wir immer gesagt ‑ gemeinsam mit den Partnern für eine dauerhafte friedliche Lösung des Konflikts in Afghanistan einsetzen.

FRAGE: Habe ich es jetzt richtig verstanden, dass an dem Prozedere nichts geändert wird, dass das Visumsverfahren so wie üblich abläuft und dass Sie keine Veranlassung sehen, jetzt vielleicht durch Vereinfachungen das Tempo zu erhöhen?

VICK: Ob ein Visumsverfahren geändert werden kann, liegt nicht in der Zuständigkeit des BMI.

ZUSATZFRAGE: Bevor hier immer jeder auf den anderen verweist, frage ich: Können Sie von dem, was in Ihrem Verantwortungsbereich liegt, irgendetwas beschleunigen, oder beabsichtigen Sie, irgendetwas zu beschleunigen, oder machen Sie mit dem bisherigen Prozedere uneingedenk der Dinge, die sich da jetzt abspielen, einfach weiter?

VICK: Wie wir ja jetzt hier gemeinschaftlich eigentlich mehrfach deutlich gemacht haben, haben alle beteiligten Ressorts ein Interesse an der pragmatischen und zügigen Aufnahme der Ortskräfte.

ZUSATZFRAGE: Das glaube ich Ihnen. Aber wir sehen ja auch, dass dort jetzt viele Leute sitzen und auch das Auswärtige Amt die Lage als durchaus kritisch betrachtet, dass es also möglicherweise so, wie man es sich gedacht hatte, zu langsam für die Leute geht. Da wäre ja durchaus denkbar, dass man sich jetzt ein neues Prozedere ausdenkt, um die Sache zu beschleunigen. Ist da irgendetwas in der Pipeline?

HELMBOLD: Ich würde gerne noch einmal darauf hinweisen, dass wir das Verfahren ja beschleunigt haben. Gerade auch die Zahl von Ortskräfteverfahren, die vor dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan innerhalb sehr kurzer Zeit bearbeitet wurden, zeigt ja, wie schnell es dann tatsächlich auch gegangen ist. Insbesondere auch mit der logistischen Unterstützung durch den Transport von Visumsverfahrens- und Ausreisedokumenten ist dieses Verfahren ja sehr, sehr schnell geworden.

ZUSATZFRAGE: Sie halten es also für ausreichend schnell?

HELMBOLD: Ich meine, wir haben jetzt erst einmal in Bezug auf das, was in unserer Pflicht stand und wofür wir uns verantwortlich gefühlt haben, nämlich in diesem Bereich zu unterstützen, so gut es geht, versucht, mit den Kräften, die die Bundeswehr hat, also gerade auch im Zuge des Abzugs und indem wir vor Ort eben für diese Menschen Ansprechpartner zur Verfügung gestellt haben, alles zu tun. Wir haben auch innerhalb von sehr, sehr kurzer Zeit eine erhebliche Anzahl dieser Anträge ‑ den weit überwiegenden Anteil ‑ in Zusammenarbeit mit dem AA bearbeiten können.

Nun sind wir nicht mehr in Afghanistan. Das bedeutet: Wie es jetzt weitergeht, auch mit den weiteren Verfahren, die dann gegebenenfalls noch kommen werden, können wir dann natürlich nicht mehr bewerten.

FRAGE: Neben den staatlichen Institutionen, deren Mühlen Sie uns hier schildern, gibt es auch zivilgesellschaftliche, die sich verstärkt um die Belange der Ortskräfte bemühen. Darunter sind ehemalige Bundeswehrsoldaten, die im Afghanistaneinsatz waren. Es gibt Patenschaftsnetzwerke. Sind Ihnen diese Akteure, die relativ gut vernetzt sind und Kontakte vor Ort haben, bekannt? Stehen Sie mit denen im Gespräch? Würden Sie es begrüßen, wenn die Ihnen mit ihren Erfahrungen und ihren möglichen Hilfsangeboten unterstützend zur Seite stehen, oder sagen Sie „Das hat mit unserer Arbeit nichts zu tun; die sollen draußen bleiben“?

BREUL: Ich weiß nicht ganz, ob ich Ihre Frage richtig verstehe, Herr Jessen. Selbstverständlich ist unsere Botschaft in Kabul offen und präsent im Land. Sie führt Gespräche, auch mit Deutschen, die sich vor Ort engagieren, und sucht den Austausch mit diesen Personen.

ZUSATZFRAGE: Die Frage bezog sich darauf, dass es auch in Deutschland zivilgesellschaftliche Organisationen gibt, die möglicherweise bereit wären, ihre Erfahrungen auch in die Diskussion in den Ministerien vor Ort ‑ das wird ja letztlich dann doch von hier aus gesteuert ‑ einzubringen. Wären die Ihnen als Gesprächspartner, als Erfahrungsträger, als Kontaktpersonen willkommen, oder sagen Sie „Die stören bei uns nur“?

BREUL: Uns sind grundsätzlich alle Gesprächspartner willkommen. Die stören uns nicht

Ich darf vielleicht noch kurz etwas zu der Gültigkeit der Visa nachreichen. Wie vorhin schon erläutert wurde, ist das ja ein zweistufiges Verfahren. Zunächst gibt es die sogenannte Gefährdungsanzeige, die dann in eine Aufnahmezusage mündet, die, so erfolgreich, für ein Jahr gilt. Daraufhin wird dann in einem zweiten Schritt das Visum erteilt. Das ist für sechs Monate gültig. In beiden Fällen sind aber Ausnahmen möglich.

FRAGE: Ich will noch einmal die Frage mit der Gefährdungsanzeigen aufgreifen. Herr Jung war vorhin schon einmal darauf eingegangen. Ich glaube, es ist das BMI, das dafür zuständig ist. Inwiefern ist denn jemand, der dort sieben, acht oder neun Jahre lang beispielsweise als Übersetzer für die Bundeswehr gearbeitet hat, nicht per se gefährdet, nämlich durch seine Mitarbeit für bzw. seine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr? Was gibt es da noch zu prüfen? Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe.

VICK: Das lässt sich natürlich nicht so pauschal beantworten. Wie Sie wissen, ist im Rahmen des Verfahrens grundsätzlich eine individuelle Prüfung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Insofern muss auch eine individuelle Gefährdung in jedem einzelnen Fall festgestellt werden.

ZUSATZFRAGE: Aber können Sie erklären, warum die Zusammenarbeit mit den deutschen Kräften vor Ort nicht ausreicht, um eine Gefährdungslage deutlich genug zu machen?

HELMBOLD: Ich kann für das BMVg sagen, dass wir in dem von Ihnen genannten Fall grundsätzlich von einer Gefährdung ausgegangen sind.

ZUSATZFRAGE: In dem Fall von Herrn Sultani?

HELMBOLD: Nein. Bei denjenigen, die tatsächlich bei uns als Ortskraft gearbeitet haben, gehen wir grundsätzlich davon aus, dass die Gefährdung vorliegt. Dass es zusätzlich noch Einzelfallbearbeitungen in weiteren Schritten gibt, ist davon unbenommen. Die obliegen dann aber nicht mehr uns.

FRAG: Ausgestellte Visa sind ja gut und schön. Was sollen die Leute machen, die jetzt zwar ein Visum haben, aber sich das nicht leisten können? Das BMI, wenn ich es richtig verstanden habe, bleibt immer noch dabei, dass die Kosten der sogenannten individuellen Reise der Ortskräfte weiterhin selbst von den Afghanen getragen werden müssen. Daran wollen Sie in Sachen Umzugskostenhilfe also nichts ändern. Es kann also sein, dass Menschen Visa bekommen, aber sie es sich einfach nicht leisten können, nach Deutschland zu kommen.

VICK: Wie ich auch hier an dieser Stelle bereits mehrfach gesagt habe, ist für die individuelle Ausreise selbst zu sorgen.

ZUSATZFRAGE: Herr Breul, Sie sagten, es gebe keine Bremse innerhalb der Bundesregierung. Sieht das AA diese Haltung des BMI nicht als Bremse an? Die verhindert ja nämlich praktisch die Reise von vielen Ortskräften.

BREUL: Herr Jung, Sie werden mich nicht dazu bringen, dass ich hier Äußerungen anderer Häuser kommentiere. Ich habe vorhin dem Eindruck entgegenzuwirken versucht, dass die Bundesregierung hier geschlafen und auf der Bremse gestanden hätte. Das ist nicht der Fall. Es wurden Verwaltungsverfahren vereinfacht ‑ das haben wir hier auch wiederholt dargestellt ‑, es wurde Amtshilfe von der Bundeswehr geleistet und es haben viele Akteure reagiert, um das zu ermöglichen. Ich weiß, dass das nicht in jedem Fall so ist, dass die Betroffenen damit einverstanden sind, und die Stimmen haben Sie ja erfolgreich eingesammelt. Wir sagen auch nicht, dass die Arbeit abgeschlossen ist. Es gibt dieses Verfahren; das haben wir jetzt wiederholt dargestellt. Wir haben dargestellt, mit wem wir vor Ort zusammenarbeiten wollen. Das bleibt unsere Aufgabe. Aber unter dem Strich zu sagen, die Bundesregierung mache hier nichts, tue hier nichts und mache die Augen zu, entspricht einfach nicht den Tatsachen.

ZUSATZFRAGE: Ist das AA dafür, dass es so bleibt, dass die Kosten der sogenannten individuellen Reise der Ortskräfte von denen selbst getragen werden muss?

BREUL: Innerhalb der Bundesregierung stimmen wir uns direkt ab, nicht über die Bundespressekonferenz.

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