Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 01.02.2021

01.02.2021 - Artikel

Gewaltanwendung und Verhaftungen durch russische Sicherheitskräfte / Gaspipeline Nord Stream 2

FIETZ (BReg): Die Bundesregierung verurteilt den Einsatz von Gewalt durch die russischen Sicherheitskräfte und das abermals unverhältnismäßige Vorgehen gegen friedlich demonstrierende Bürgerinnen und Bürger am vergangenen Wochenende. Die Zehntausende russischer Bürgerinnen und Bürger, die landesweit in über 100 Städten auf die Straße gingen, konnten sich auf die in der russischen Verfassung und in internationalen Menschenrechtsverträgen verbrieften Rechte berufen. Doch der russische Staat gewährleistet diese Rechte den friedlich demonstrierenden Bürgern nicht.

Wir rufen die russische Führung dazu auf, die Gewaltmaßnahmen zu beenden und die Ausübung bürgerlicher Rechte und Freiheiten zu garantieren. Die Verhafteten sind unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.

Die Bundesregierung fordert die russische Regierung zudem abermals auf, Herrn Nawalny unverzüglich freizulassen und die Umstände des Chemiewaffeneinsatzes gegen ihn auf russischem Boden aufzuklären.

[…]

FRAGE: Frau Fietz, jetzt hat auch der engste Verbündete Deutschlands, Frankreich, sich dafür ausgesprochen, als Reaktion auf die Ereignisse in Russland ‑ die Gewalt gegen die Nawalny-Protestanten ‑, das Projekt Nord Stream 2 zu stoppen. Gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, ihre frühere Position dazu doch zu überdenken?

FIETZ: Ich kann Ihnen beim Thema Nord Stream 2 keinen neuen Sachstand mitteilen. Die Bundesregierung hat sich hierzu auch in den letzten Tagen geäußert und betont, dass sich ihre grundsätzliche Haltung nicht geändert hat.

VORS. WELTY: Das ist übrigens auch eine Frage, die Petra Sorge und Ninon Renauld stellen.

ZUSATZFRAGE: Wie bewerten Sie denn die Position Frankreichs? Das Land ist ja auch an diesem Projekt beteiligt.

BURGER (AA): Ich kann vielleicht ergänzen: Die Position Frankreichs ist uns natürlich bekannt. Ob sich an dieser Positionierung etwas geändert hat, ob es wirklich eine neue französische Positionierung gibt, kann ich zumindest jetzt an der zitierten Aussage von Staatssekretär Beaune nicht erkennen.

Natürlich stehen wir im sehr engen Austausch mit Frankreich. Sie wissen, dass am vergangenen Montag die EU-Außenminister beim Rat in Brüssel über mögliche Reaktionen auf den Umgang mit Nawalny und seinen Unterstützerinnen und Unterstützern beraten haben.

Im Rahmen dieser Beratung ist vereinbart worden, dass man die Lage in Russland weiter beobachtet, dass der Hohe Vertreter, Herr Borrell, in dieser Woche nach Moskau zu Gesprächen fahren wird und man die Debatte über mögliche Sanktionen auch im Lichte dieser weiteren Entwicklung und der Gespräche des Hohen Vertreters weiterführen wird. Natürlich hat sich an diesen Diskussionen auch Frankreich beteiligt.

FRAGE: Herr Burger, Sie sagten, dass Sie im Prinzip die Haltung Frankreichs dazu kennen. Haben Sie denn jetzt bezüglich dieser neuen Äußerung noch einmal Kontakt gehabt? Hat der Minister in der Sache noch einmal Kontakt zu Frankreich gehabt, und sind weitere Gespräche zu dem Thema geplant?

BURGER: Wie gesagt: Ob es da tatsächlich eine neue Positionierung gibt, das müssten Sie vielleicht in Paris erfragen.

Die beiden Außenminister ‑ der französische und der deutsche ‑ sind in sehr engem Kontakt und telefonieren mindestens wöchentlich miteinander. Aus diesen Gesprächen kann ich jetzt in der Hinsicht von keiner Veränderung berichten. Wie gesagt, gab es am Montag den Austausch im Kreis der EU-Außenminister just zu der Frage: Wie reagiert man auf die jüngsten Entwicklungen in Russland im Fall Nawalny?

FRAGE: Herr Burger, Sie haben auf Herrn Borrell und seine Russlandreise verwiesen. Kann ich das so verstehen, dass die Bundesregierung, wenn er mit der Empfehlung zurückkommt, dass man Sanktionen verhängen sollte und darunter auch die Pipeline fallen sollte, durchaus einverstanden damit wäre?

BURGER: Auf Was-wäre-wenn-Fragen möchte ich hier ungern spekulative Antworten geben. Ich habe darauf verwiesen, dass man im Kreis der EU-Außenminister vereinbart hat, die Diskussion über mögliche Sanktionen als Reaktion auf das, was gerade in Russland geschieht, fortzusetzen. Das wird man in aller Ernsthaftigkeit auch tun.

ZUSATZFRAGE: Das verstehe ich so, dass aber Nord Stream 2 Teil dieser Sanktionsdebatte innerhalb der EU ist.

BURGER: Das ist ja von verschiedenen europäischen Regierungen auch in der Vergangenheit so vorgeschlagen worden. Insofern ist das nichts Neues. Gleichzeitig kennen Sie die Haltung der Bundesregierung dazu. Daran hat sich, wie Frau Fietz gesagt hat, auch nichts geändert.

Im Übrigen kann ich einer Debatte, die man für die Zukunft vereinbart hat, und insbesondere auch den Gesprächen des Hohen Vertreters in Moskau nicht vorgreifen.

FRAGE: Herr Burger, kennt die Bundesregierung mögliche Zusammenhänge zwischen einer französischen Forderung nach Dichtmachen von Nord Stream 2 und Interessen der französischen Energiewirtschaft, die ja vornehmlich Atomstrom produziert?

BURGER: Nein. Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen.

Ich kann Ihnen sagen, dass die Rechtsgrundlage, auf der das Projekt Nord Stream 2 stattfindet, eine europäische Rechtsgrundlage ist, nämlich die Gasrichtlinie, der alle EU-Mitgliedstaaten außer Bulgarien und ebenso die EU-Kommission und das Europäische Parlament zugestimmt haben. Sie ist im April 2019 von der Europäischen Union verabschiedet worden.

ZUSATZFRAGE: Angespielt habe ich auf die Situation, dass es für den Produzenten einer Stromart natürlich von Vorteil ist, wenn konkurrierende Produktionsverfahren nicht zum Zuge kommen.

BURGER: Diese Ihre Analyse möchte ich nicht kommentieren.

FRAGE: Frau Fietz, Sie hatten jetzt noch einmal vehement die Freilassung der Verhafteten gefordert. Zumindest nach meinem Wissensstand ist die übergroße Mehrheit lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit ‑ Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration ‑ festgenommen worden und dann am Samstag sofort wieder auf freien Fuß gelassen worden. Da Sie jetzt am Montag die Freilassung von Verhafteten fordern, würde mich interessieren: Welche konkreten Zahlen liegen der Bundesregierung über am Samstag verhaftete und immer noch in Haft befindliche russische Staatsbürger vor?

FIETZ: Ich kann Ihnen grundsätzlich sagen, dass die Bundesregierung die Entwicklung in Russland und den dortigen Umgang mit Oppositionspolitikern, Journalisten und der Zivilgesellschaft sehr genau und mit Sorge beobachtet. Das Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten ist ein weiteres Beispiel für den höchst problematischen Umgang mit Andersdenkenden in der Russischen Föderation. Wir haben am Wochenende sehen können, dass der Umgang in der Russischen Föderation beispielsweise nicht dem Recht auf freie Meinungsäußerung entspricht, das entsprechend der Prinzipien von OSZE und Europarat gewährt werden muss.

ZUSATZFRAGE: Meine Frage nach den konkreten Zahlen der Verhafteten, die der Bundesregierung vorliegen, haben Sie jetzt nicht beantwortet. ‑ Meine Nachfrage wäre: Am gleichen Wochenende kam es auch zu nicht genehmigten Demonstrationen in Amsterdam, Brüssel und Wien, die von der Polizei ebenfalls aufgelöst ‑ Hunde und Pferdestaffel inklusive. Dort gab es ungefähr die gleichen Bilder vom Einsatz staatlicher Gewalt. In Belgien bzw. in Brüssel wurden fast 500 Personen festgenommen ‑ im Verhältnis signifikant mehr als in Moskau. Da würde mich nur interessieren: Wieso erfolgt eine Verurteilung von auch mit Verweis auf das Coronaregime untersagten Demonstrationen nur im Fall von Russland und nicht im Fall von Belgien, Österreich und den Niederlanden?

FIETZ: Wir sprechen jetzt aber über die Lage in Russland, und dazu ist an dieser Stelle bereits in der vergangenen Woche gesagt worden, dass ein Verbot von Kundgebungen oder Demonstrationen keine automatische Rechtfertigung für das gewalttätige Vorgehen russischer Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten ist. Ich glaube, das ist zu betonen: dass es sich in Russland überwiegend um friedliche Demonstrationen gehandelt hat.

Situation in Belarus

FRAGE: Zum Thema Belarus: Der engste Vertrauter von Frau Tichanowskaja, Herr Latuschka, berichtet heute von seinen Gesprächen letzte Woche in Berlin, unter anderem von seinem Gespräch mit Staatssekretär Berger. Laut Latuschka habe Berger zugesagt, dass Deutschland eine Art internationales Tribunal gegen die Verantwortlichen für die Gewalt in Belarus in die Wege leiten bzw. eine entsprechende Initiative starten wolle. Könnten Sie dazu etwas Näheres sagen?

BURGER (AA): Es stimmt, dass Herr Latuschka letzte Woche ein Gespräch im Auswärtigen Amt mit Staatssekretär Berger hatte. In diesem Gespräch hat der Staatssekretär Herrn Latuschka versichert, dass die Bundesregierung natürlich an ihrer Solidarität mit der Bevölkerung in Belarus festhält und wir uns weiter um praktische Ansatzpunkte bemühen wollen, um der Demokratiebewegung in Belarus diese Solidarität auch zu zeigen. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, und ein Thema, über das wir nachdenken, ist die Frage, wie Verbrechen ‑ insbesondere schwere Menschenrechtsverletzungen ‑ so dokumentiert werden können, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt auch entsprechend verfolgt werden können.

ZUSATZFRAGE: Geht es dabei um ein internationales Tribunal wie das in Den Haag, oder wie kann man sich das vorstellen?

BURGER: Das kann ich für Sie nicht weiter ausbuchstabieren, denn das ist natürlich in allererster Linie eine Entscheidung, die in Belarus selbst von den Belarussinnen und Belarussen getroffen werden muss.

Militärputsch in Myanmar

FRAGE: An Frau Fietz und an das Außenministerium: Es gibt einen Militärputsch in Myanmar ‑ der Außenminister hat sich schon dazu geäußert. Fasst die Bundesregierung Sanktionen ins Auge?

Wie beurteilen Sie die Ministerpräsidentin, die zwar zum einen eine Bürgerrechtlerin war, zum anderen aber auch aufgrund ihrer sehr harten Haltung gegenüber der muslimischen Minderheit in dem Land kritisiert wurde? Ist sie noch die, auf die die Bundesregierung setzt? Vielleicht können Sie das irgendwie einordnen.

BURGER (AA): Worauf die Bundesregierung setzt, sind die verfassungsmäßige Ordnung in Myanmar und das Ergebnis der demokratischen Parlamentswahlen, die dort gerade stattgefunden haben. Deswegen hat der Außenminister das Militär auch dazu aufgefordert, das Ergebnis dieser Wahlen anzuerkennen und die verfassungsmäßigen Institutionen nicht mehr daran zu hindern, ihre Arbeit zu machen. Das ist für uns der Bezugspunkt.

Zu Ihrer anderen Frage: Es gibt ja bereits EU-Sanktionen gegen Verantwortliche für schwere Menschenrechtsverletzungen in Myanmar. Unsere Hoffnung und unsere Erwartung ist natürlich, dass der Protest gegen diesen Militärputsch ‑ der ja nicht nur von Deutschland kommt, sondern aus der ganzen Europäischen Union und von vielen anderen Staaten, auch Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft Myanmars ‑ und natürlich der Respekt vor der gesetzmäßigen Ordnung dazu führen, dass dieser Militärputsch schnell beendet wird und dass es eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Normalität in Myanmar gibt.

Insofern möchte ich jetzt nicht darüber spekulieren, welche weiteren Maßnahmen denkbar sind. Wie gesagt, es gibt bereits Sanktionen im EU-Kreis. Über alles Weitere wäre zu beraten.

Weitere Informationen

Schlagworte

nach oben