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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 07.10.2020
- Teilnahme des Bundesaußenministers am GLOBSEC 2020 Bratislava Forum
- Libyenkonferenz
- Prozess zum sogenannten Tiergarten-Mord, Fall Nawalny
- Geplante europäische Zentren für die Aufnahme von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen
- Vorschlag über die Aufstellung eines gemeinsamen Haushalts für die Bereiche der Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik
- Militärischer Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach
- Präsenz Ostdeutscher in Spitzenpositionen in deutschen Bundesministerien
- Weitere Informationen
Teilnahme des Bundesaußenministers am GLOBSEC 2020 Bratislava Forum
BURGER (AA): Bundesaußenminister Maas reist heute Abend nach Bratislava, um dort morgen am GLOBSEC 2020 Forum „Energie, Wirtschaft und strategische Kommunikation“ zur Sicherheit europäischer Angelegenheiten teilzunehmen.
Der Außenminister wird im Rahmen des Forums morgen Vormittag ab 11.30 Uhr an einem Panel zu den Lehren der Coronapandemie für die außenpolitische Rolle der Europäischen Union teilnehmen. Weitere Panelisten sind die Außenminister Frankreichs, der Slowakei, Griechenlands und Rumäniens. Zudem wird es am Rande der Konferenz morgen Nachmittag voraussichtlich eine Reihe von bilateralen Gespräche mit anderen Außenministern geben. Den genauen Zeitplan dafür kann ich Ihnen heute noch nicht mitteilen. Wir werden im Laufe des Tages dazu noch Näheres bekanntgeben.
Ebenfalls aus Bratislava wird der Minister am Nachmittag ab 14 Uhr an einer Videokonferenz der NATO-Outreach-Reflexionsgruppe unter dem Ko-Vorsitz von Bundesminister a.D. de Maizière teilnehmen. ‑ Vielen Dank.
Libyenkonferenz
FRAGE TOWFIGH NIA: Herr Burger, wie bewertet Ihr Haus den Ausgang der Libyenkonferenz? Gab es konkrete Fortschritte zur Stabilisierung Libyens?
BURGER: Dazu würde ich Sie gerne auf das verweisen, was der Minister selbst am Ende der Konferenz am Montagnachmittag gesagt hat. Er hat gesagt: Es gibt insgesamt bezogen auf die Entwicklung in Libyen trotz vieler besorgniserregender Elemente auch Grund zu vorsichtigem Optimismus, weil es Anzeichen in verschiedenen Bereichen gibt, dass ein Umdenken von einer militärischen hin zu einer politischen Logik stattfindet. Er hat auf die Verabredungen in Montreux, auf die erklärte Bereitschaft der libyschen Parteien, zu einem politischen Prozess zu finden, und auf die Vereinbarungen über einen Rahmen für einen solchen zukünftigen politischen Prozess hingewiesen. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Verletzungen des Waffenembargos fortdauern und dass nach wie vor Druck notwendig ist von allen, die Einfluss auf die Konfliktparteien in Libyen haben, um die Konfliktparteien dazu zu bringen, an den Verhandlungstisch zu kommen und das, was jetzt vorskizziert wurde, auch umzusetzen. Er hat auch gesagt: Wenn der Zustrom von Waffen, von Söldnern an die Parteien nicht gestoppt wird, dann führt auch kein Weg aus der militärischen Sackgasse.
ZUSATZFRAGE TOWFIGH NIA: Das habe ich auch gehört, aber gab es konkrete Fortschritte zum Beispiel zum Waffenembargo?
BURGER: Über das hinausgehend, was der Außenminister gesagt hat, kann ich aus dieser geschlossenen Sitzung hier nichts berichten. Ich würde Sie auch auf die Äußerungen des UN-Generalsekretärs und der amtierenden stellvertretenden Sonderbeauftragten Stephanie Williams nach der Sitzung verweisen.
Prozess zum sogenannten Tiergarten-Mord, Fall Nawalny
FRAGE MENN: An Herrn Seibert: Heute beginnt ja der Prozess zum sogenannten Tiergarten-Mord. Zugleich haben gestern verschiedene europäische Labore Ergebnisse vorgelegt, die die Testergebnisse deutscher Labore bestätigt haben, dass nämlich Herr Nawalny mit Nowitschok vergiftet wurde. Plant die Bundesregierung, auf dem europäischen Gipfel in der kommenden Woche Sanktionen zu fordern, und wie sollten solche Sanktionen aus Sicht der Bundesregierung aussehen?
STS SEIBERT (BReg): Sie sprechen jetzt zwei verschiedene Fälle an. In der Tat beginnt heute der Prozess im Fall des Tiergarten-Mords bzw. des Mords im Kleinen Tiergarten. Das ist jetzt ein laufendes Gerichtsverfahren, und Sie wissen, dass wir das nicht kommentieren. Wir werden den Prozess natürlich aufmerksam verfolgen, aber wir werden erst einmal das Urteil abwarten.
In dem anderen Fall, dem Fall Nawalny, ist gestern tatsächlich etwas Wichtiges geschehen, nämlich dass die OVCW nach eingehender Untersuchung das bestätigt hat, was bereits Speziallabore in Deutschland, in Schweden und in Frankreich unabhängig voneinander herausgefunden hatten, nämlich dass zweifelsfrei Alexei Nawalny Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der sogenannten Nowitschok-Gruppe geworden ist. Wir haben dazu gestern eine Presseerklärung herausgegeben, über die ich hier jetzt auch nicht weiter hinausgehen will. Es bleibt dabei: An Russland ergeht die Aufforderung, sich zu diesen Geschehnissen zu erklären. Es bleibt auch dabei, dass wir über die nächsten Schritten in den kommenden Tagen im Exekutivrat der OVCW und mit den europäischen Partnern einen ganz engen Austausch haben werden.
ZUSATZFRAGE MENN: An Herrn Burger: Herr Maas hat sich dazu in den vergangenen Tagen geäußert und gesagt, dass, wenn sich solche Testergebnissen bewahrheiten würden, Sanktionen gegen Russland unersetzlich seien. Deshalb an Sie die Frage: Wie sollen diese Sanktionen aus Sicht von Herrn Maas aussehen?
BURGER: Auch Herr Maas hat gestern in einem Statement darauf verwiesen, dass es sich hier eben nicht um eine bilaterale Angelegenheit zwischen Deutschland und Russland handelt. Deutschland ist hier ja sozusagen nur zum Überbringer der schlechten Nachricht geworden, weil Herr Nawalny in einem Berliner Krankenhaus behandelt wurde und ihm hier das Leben gerettet wurde. Deswegen ist diese Frage auch keine Frage, die die Bundesregierung zu entscheiden hat, sondern eine Frage, die im Kreis der Partner zu besprechen ist. Insofern gilt genau das, was Herr Seibert gerade gesagt hat, nämlich dass darüber in den nächsten Tagen im Kreis der OVCW, aber eben auch innerhalb der Europäischen Union intensive Gespräche stattfinden werden.
FRAGE FIRSOVA: Plant die Bundesregierung, die Ergebnisse zu veröffentlichen? Wird die russische Seite selber die Möglichkeit haben, die Ergebnisse vorher anzuschauen?
STS SEIBERT: Auch auf die Frage der Veröffentlichung und Weitergabe der Informationen sind wir gestern in der Pressemitteilung eingegangen; ich kann das gerne wiederholen. Zunächst einmal prüfen wir jetzt natürlich diesen detaillierten Fachbericht der OVCW-Analyse. Bei der geplanten Weitergabe bzw. Veröffentlichung der Informationen und auch bei der Frage der amtlichen Listung spielt die Bewertung von Proliferationsrisiken eine wesentliche Rolle. Es darf kein Wissen über die gefährliche Substanz in falsche Hände geraten können.
FRAGE JESSEN: Herr Seibert, da Sie gerade noch einmal gesagt haben, die OPCW habe eine Nowitschok-Vergiftung bestätigt: Wörtlich heißt es in dem Report der OPCW, die untersuchten Substanzen wiesen strukturelle Ähnlichkeiten zu den Substanzen in der Nowitschok-Gruppe auf. Ähnlich ist ja nicht unbedingt identisch. Woraus resultiert dann das definitive „bestätigt“? Das sagt die OPCW so doch eigentlich nicht.
STS SEIBERT: Dieser nicht öffentlich bekannte Nervenkampfstoff ist vonseiten der OVCW bislang nicht amtlich gelistet worden. Es handelt sich nichtsdestotrotz um einen zweifelsfreien Nachweis, dass der Angriff mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus dieser Nowitschok-Gruppe geführt worden ist.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Dabei bleiben Sie, auch wenn der veröffentlichte Wortlaut der OPCW ‑ mehr haben wir ja nicht ‑ nur von Ähnlichkeiten und nicht von Identität spricht?
STS SEIBERT: Ja, dabei bleibe ich.
BURGER: Ich glaube, entscheidend ist hier der Begriff der Nowitschok-Gruppe. Genau deshalb verweist auch die Formulierung, die die OVCW gewählt hat, die eine sehr technische Formulierung ist, auf die bisher bereits konkret in den Annexen zum Chemiewaffenübereinkommen gelisteten Stoffe. Deswegen wird hier von einer strukturellen Ähnlichkeit dieser Stoffe mit den konkret bereits gelisteten Stoffen gesprochen. Bei diesen konkret gelisteten Stoffen ‑ das haben Sie der Diskussion letztes Jahr entnommen; dazu gab es auch eine ausführliche mediale Berichterstattung, als diese Listungen stattgefunden haben ‑ handelt es sich eben um Stoffe, die vulgo als Nowitschok bezeichnet werden.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Ich verstehe Sie also richtig, dass Sie sagen: Weil die Ähnlichkeit mit den bisher bekannten Stoffen der Gruppe darauf hindeutet, dass es sich sozusagen um ein weiteres Mitglied dieser Nowitschok-Familie handelt, ist für Sie die Ableitung schlüssig, dass es sich eben tatsächlich um die Bestätigung einer Nowitschok-Vergiftung handelt?
BURGER: Wie gesagt, die Formulierung der OVCW ist äquivalent zu dem, was unsere Labore bzw. unsere Experten dafür verwendet haben.
FRAGE WARWEG: Ich hätte noch eine Frage zu der Aussage von Herrn Nawalny im letzten „SPIEGEL“-Interview. Da hat er bezüglich der Wasserflasche, die von Tomsk nach Deutschland gebracht wurde, ausgesagt, dass die sich dort befindliche Nowitschok-Menge extrem gering gewesen sein soll. Ich zitiere: „Das hätte jeder beliebige Mensch berühren können, ohne Schaden zu nehmen“. Da würde mich interessieren: Kann denn die Bundesregierung bestätigen, dass diese Flasche tatsächlich von Tomsk nach Deutschland gebracht wurde? Kann sie ebenso die Aussage von Herrn Nawalny bestätigen, dass die darauf gefundene Menge von Nowitschok völlig ungefährlich war?
STS SEIBERT: Die Bundesregierung hat das Interview ‑ man kann inzwischen auch sagen: die Interviews ‑ von Herrn Nawalny zur Kenntnis genommen, und ich sehe keine Veranlassung, einzelne Aussagen daraus zu kommentieren.
BURGER: Ich möchte vielleicht noch kurz etwas ergänzen und auf den Bericht der OVCW und die Pressemitteilung der OVCW selbst verweisen, in der ja die OVCW als unabhängige und dafür mandatierte Organisation darauf hingewiesen hat bzw. erklärt hat, wie sie selbst zu den Proben gekommen ist, die zu dem Untersuchungsergebnis geführt haben, das nun eben bestätigt, dass Herr Nawalny mit einem Stoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde.
ZUSATZFRAGE WARWEG: Das war, ehrlich gesagt, gar nicht meine Frage. Meine Frage bezog sich nach wie vor darauf, dass es jetzt Herrn Nawalny, Maria P. und den Organisator des Nawalny-Transports gibt, die alle einstimmig von dieser Wasserflasche berichten, die Nowitschok enthalten haben soll und nach Deutschland gebracht wurde. Die Bundesregierung weigert sich bisher komplett, das zu bestätigen oder zu dementieren. Da hätte ich gerne ‑ es sind ja schon ein paar Wochen ins Land gegangen ‑ entweder eine Bestätigung oder ein klares Dementi dessen, dass es diese mit Nowitschok kontaminierte H2O-Flasche in deutschem Besitz gibt.
STS SEIBERT: Was es vor allem gibt, und da erinnere ich an unsere allererste Presseerklärung, ist die toxikologische Untersuchung des Speziallabors der Bundeswehr anhand von Proben Alexej Nawalnys. Genauso ist ein schwedisches und ist ein französisches Labor zu dem gleichen Schluss gekommen, und genauso ist nun auch die OVCW nach ihren Untersuchungen zu diesem Schluss gekommen. Das ist das Entscheidende.
FRAGE MENN: Herr Burger, Herr Seibert, Sie verstecken sich ja bisschen hinter der Formulierung, dass die EU das entscheiden müsse. Aber Deutschland ist ja Mitglied der EU. Das heißt, Sie haben eine Position, die Sie in die EU einbringen. Deswegen stelle ich noch einmal meine Frage, die ich gerne noch etwas modifizieren würde. Herr Nawalny fordert ja nicht grundsätzlich Sanktionen gegen Russland im Allgemeinen, sondern Herr Nawalny spricht von möglichst zielgerichteten Sanktionen gegen Nutznießer und Vertreter des Regimes in Russland. Können Sie dieser Argumentation etwas abgewinnen?
BURGER: Ich möchte den Diskussionen, die jetzt innerhalb der Europäischen Union zu führen sind, nicht über das hinaus, was der Außenminister bereits gesagt hat, weiter vorgreifen. Natürlich gehen wir in die mit eigenen Positionen hinein. Trotzdem möchte ich es jetzt für heute bei dem bewenden lassen, was ich gesagt habe, bzw. bei dem, was der Außenminister dazu in den letzten Tagen schon gesagt hat.
STS SEIBERT: Unsere Position ist ganz klar und gestern auch noch einmal schriftlich niedergelegt worden: Jeder Einsatz von Chemiewaffen ist ein gravierender Vorgang und kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Das ist die Position. Da es sich nicht um ein bilaterales deutsch-russisches Thema handelt, sondern um ein Thema, das alle europäischen Partner betrifft, werden wir es mit allen europäischen Partnern besprechen. Aber wir werden genau diese Position einbringen, dass ein Einsatz von Chemiewaffen nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.
FRAGE WARWEG: Sie zeigen ja jetzt relativ klar, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auf die russische Regierung als Auftraggeber von was auch immer. Ich würde ganz gerne wissen, was Ihre Indizien dafür sind, weil beispielsweise der einzig bewiesene Nowitschok-Einsatz 1995, noch in Jelzins Zeiten, gegen einen Banker aus der Unterwelt kam und Nowitschok nachgewiesenermaßen seit Mitte der Neunzigerjahre auch, sagen wir einmal, in Kreisen der Unterwelt kursiert, nicht nur in staatlicher Hand. Mich würde einmal interessieren, welche konkreten Belege die Bundesregierung hat, die darauf hindeuten, dass der Auftraggeber tatsächlich in der russischen Regierung zu suchen sei.
STS SEIBERT: Sie beginnen Ihre Frage mit einer Aussage, die Sie uns in den Mund legen und die hier so nie gefallen ist. Es gibt einen ganz klaren Fall: Herr Nawalny ist in Russland mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe angegriffen, vergiftet und beinahe ums Leben gebracht worden. Nun ist es an Russland, dieses Vorkommnis, dieses Ereignis, zu erklären und sich dazu zu äußern. Das ist das, was wir immer gesagt haben. Seit dieser ersten Pressemitteilung sind es nun inzwischen fünf Labore, die genau diesen Grundtatsachenverhalt zweifelsfrei bestätigt haben.
Geplante europäische Zentren für die Aufnahme von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen
FRAGE HEBERLEIN: Wie schätzt das Innenministerium die aktuelle Lage in Moria ein?
Wie ist der Stand des Plans, ein Aufnahmezentrum unter EU-Leitung auf den griechischen Inseln zu installieren?
ALTER (BMI): Der Plan wird verhandelt. Morgen wird der Rat der Innenminister als Videokonferenz stattfinden, an dem der Bundesinnenminister in seiner Funktion als Repräsentant der Ratspräsidentschaft auch teilnehmen wird. Die Einrichtung von europäischen Zentren an der Außengrenze ist ein wesentliches Kernelement nicht nur der Strategie, die wir für richtig halten, sondern insbesondere eben auch des Vorschlags, den die Europäische Kommission vorgestellt hat. Das wird morgen im Kreise der Innenminister besprochen werden, und wir werden sehen, wohin die Gespräche führen werden.
Eine Lageeinschätzung zu der Situation auf der Insel Lesbos vorzunehmen, ist nicht Aufgabe des Bundesinnenministeriums.
FRAGE TOWFIGH NIA: Herr Burger, ich habe eine Frage zu den gestrigen Äußerungen des Außenministers nach dem Treffen mit seinem israelischen und seinem emiratischen Kollegen. Darin sprach er über die Zweistaatenlösung und hat konkret gesagt, dass sie das beste Modell sei. Ist das aus Sicht der Bundesregierung auch die einzige Lösung? Bisher war es ja immer so. Ich frage auch vor dem Hintergrund der Äußerungen französischer Diplomaten, die gesagt haben, dass sie sich auch andere Lösungsmodelle vorstellen könnten.
BURGER: An der Haltung der Bundesregierung dazu hat sich nichts geändert. Aus unserer Sicht bleibt es dabei, dass wir die Zweistaatenlösung für die beste und die angezeigte Lösung halten, auf deren Grundlage am ehesten ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu verwirklichen ist.
ZUSATZ TOWFIGH NIA: Sie sehen also keine andere Alternative. Das ist für Sie weiterhin die einzige Alternative.
BURGER: Wie gesagt: An der Haltung der Bundesregierung dazu hat sich nichts geändert. Es sind letztlich die Parteien selbst, die gemeinsam über ihre Zukunft entscheiden müssen. Aus unserer Sicht ist das Ziel ‑ das ist seit langer Zeit die Haltung der Bundesregierung ‑, dass am Ende Frieden zwischen Palästinensern und Israelis stehen muss. Aus unserer Sicht ist die Vision, die dazu führen kann, die von zwei Staaten, die in Frieden und Sicherheit miteinander und mit ihren Nachbarn sowie in gegenseitiger Anerkennung existieren.
ZUSATZFRAGE TOWFIGH NIA: Sehen Sie irgendwelche ernsthaften Signale vonseiten Israels dafür, dass es weiterhin an einer Zweistaatenlösung interessiert ist?
BURGER: Das ist eine Frage, die Sie natürlich vor allem der israelischen Regierung stellen müssen. Gestern hat sich ja auch der israelische Außenminister zu dieser Frage geäußert und darauf hingewiesen, dass uns alle die Hoffnung verbindet, dass die Einigung, die es zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel gegeben hat, was die gegenseitige Anerkennung, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und den Friedensschluss angeht, auch Bedingungen dafür schafft, eine Dynamik zu entfalten, die Frieden in der Region insgesamt erleichtert und neue Bewegung in diesen Prozess bringt.
Vorschlag über die Aufstellung eines gemeinsamen Haushalts für die Bereiche der Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungspolitik
ZUSATZFRAGE BAUMANN: In dem Report „Zeitenwende | Wendezeiten“ der Münchner Sicherheitskonferenz wird ein gemeinsamer Haushalt für Verteidigung, Auswärtiges Amt und Zusammenarbeit im Umfang von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes vorgeschlagen. Das soll einer koordinierten Außen- und Sicherheitspolitik Rechnung tragen.
Was hält die Bundesregierung von diesem Vorschlag?
STS SEIBERT: Ich muss zugeben, dass der Report zwar auf meinem Schreibtisch liegt, dass ich ihn aber noch nicht gelesen habe. Ich jedenfalls kann dazu jetzt nicht profund Stellung nehmen. Ich weiß nicht, Herr Burger, ob Sie das tun wollen.
BURGER: Auch ich kann mich jetzt nicht im Einzelnen zu diesem Vorschlag äußern. Natürlich begrüßen wir, dass es eine engagierte sicherheitspolitische Debatte in Deutschland gibt. Wir selbst beteiligen uns sehr regelmäßig an dieser Debatte. Aber zu dem konkreten Vorschlag habe ich, wie gesagt, hier keine Position vorzutragen.
Militärischer Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach
FRAGE TOWFIGH NIA: Herr Burger, ich habe eine Frage zum Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan. Dort steigen jetzt auch die regionalen Spannungen. Russland und der Iran, beide haben vor einem regionalen Krieg gewarnt.
Wie besorgt sind sie angesichts der Möglichkeit, dass sich der Krieg in der Region weiter ausbreitet?
BURGER: Auch wir verfolgen das weiterhin sehr eng und sind weiterhin zutiefst beunruhigt über die heftigen Kampfhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan. Es sind die schwersten seit dem Waffenstillstand 1994. Ich kann Ihnen dazu sagen, dass Außenminister Maas hierzu mit einigen Amtskollegen in regelmäßigem Austausch steht. Dies dauert auch an. Unsere Botschaften und auch das Auswärtige Amt stehen dazu weiterhin in Kontakt mit zuständigen Regierungsvertretern.
Es ist gut, dass sich die drei Außenminister der OSZE-Minsk-Gruppen-Co-Vorsitzenden, also der USA, Frankreichs und Russlands, noch einmal dazu geäußert und vor allem die jüngsten Angriffe auf zivile Einrichtungen beider Seiten auf das Schärfste verurteilt haben. Dem schließen wir uns ganz ausdrücklich an. Die drei Co-Vorsitzenden haben auch den Aufruf zu sofortigem Waffenstillstand und zu einer Wiederaufnahme von Verhandlungen wiederholt.
Präsenz Ostdeutscher in Spitzenpositionen in deutschen Bundesministerien
FRAGE WARWEG: Im Umfeld des 30. Jahrestages der mutmaßlichen Wiedervereinigung hat das BMI Zahlen bezüglich der Präsenz Ostdeutscher in Spitzenpositionen in deutschen Bundesministerien zur Verfügung gestellt. Die Zahlen sprechen für sich. Von 133 Abteilungsleitern stammen nur vier aus Ostdeutschland, also drei Prozent versus sieben Prozent Gesamtanteil.
Sieht die Kanzlerin diese Unterrepräsentanz in Leitungspositionen in deutschen Bundesministerien als ein Problem? Plant sie konkrete Maßnahmen, um diese Situation zu verbessern?
STS SEIBERT: Erstens weise ich Ihre abstruse Bezeichnung zurück.
Zweitens hat die Bundeskanzlerin gerade jetzt, kurz vor dem 3. Oktober, ein langes Interview zu deutscher Einheit 30 Jahre nach dem 3. Oktober 1990 gegeben. Darin geht es auch um die Rolle Ostdeutscher in der deutschen Gesellschaft. Es ist, denke ich, lesenswert. Das ist das, was ich Ihnen dazu zu sagen habe.
BURGER: Herr Warweg, ich freue mich, dass Sie die Frage stellen, weil es mir die Gelegenheit gibt, eine wirklich absurde Falschinformation richtigzustellen, die Sie in diesem Zusammenhang am Wochenende in den sozialen Medien verbreitet haben, nämlich die Behauptung, es gebe keinen einzigen Ostdeutschen unter den Leitern der deutschen Auslandsvertretungen.
Wir haben das gerade noch einmal nachgezählt. Nach dem aktuellen Stand wurden 22 von 218 Leiterinnen und Leitern unserer Auslandsvertretungen in Ostdeutschland geboren. Das entspricht einer Quote von rund 10,1 Prozent.
ZUSATZFRAGE WARWEG: Das gibt mir auch die Gelegenheit. Ich hatte ja auf Twitter nachgefragt, aber darauf kam leider keine Antwort.
Handelt es sich bei diesen in Ostdeutschland Geborenen ‑ Genscher wurde auch in Ostdeutschland geboren ‑ um Personen, die auch in Ostdeutschland aufgewachsen sind?
Jemand, der 1961 im Alter von zwei Jahren über die Grenze gebracht wurde, kann dabei ja kaum mitgezählt werden. Deswegen interessiert mich, ob Menschen mit einer realen DDR-Biografie derzeit einen Botschafterposten in der Bundesrepublik Deutschland bekleiden.
BURGER: Sie haben ja auch die These aufgestellt, das sei zeitlich nicht möglich, weil die Wiedervereinigung erst 30 Jahre her ist und man in der Zeit offenbar nicht Botschafter werden könne. Auch das ist völlig falsch.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Unsere Botschafterin in Nairobi, Frau Günther, ist in der DDR aufgewachsen und war dort auch berufstätig. Sie ist 1991 in den Auswärtigen Dienst eingetreten und wurde bereits im Jahr 2010 Botschafterin in Botswana. Die Biografien unserer Botschafterinnen und Botschafter sind zum Großteil im Internet öffentlich verfügbar. Deswegen können Sie das auch einfach selbst recherchieren. Es gibt eine ganze Reihe von ähnlichen Biografien. Die Behauptung, die Sie in den sozialen Medien verbreitet haben, entbehrt wirklich jeglicher Grundlage.
ZUSATZ WARWEG: Dazu ganz kurz, weil das ja fast schon ein persönlicher Angriff ist: Ich habe nichts behauptet. Ich habe lediglich darauf hingewiesen ‑ und das ist ein Fakt ‑, dass kein einziger Diplomat aus der DDR übernommen wurde und dass sich daraus natürlich eine Problematik ergibt. Einen ähnlichen Fall haben wir bei der Bundeswehr. Es ist einfach ein Faktum, dass es nach der Wiedervereinigung natürlich einen kompletten Elitenaustausch gab. In der Bundeswehr sehr minimal, im Auswärtigen Amt gab es keine einzige Übernahme eines DDR-Diplomaten.
VORS. WELTY: Herr Warweg, Sie sprachen von „kurz“.
STS SEIBERT: Oder von „Frage“.
ZUSATZ WARWEG: Daran halten sich auch nicht alle. Aber dann machen wir hier einen Punkt.
BURGER: Ich möchte jetzt doch noch kurz darauf antworten. Sie sagen, es sei ein persönlicher Angriff, und Sie sagen, Sie hätten nicht behauptet, dass es keine Ostdeutschen unter den Botschafterinnen und Botschaftern gebe. Doch, genau das haben Sie behauptet. Sie haben gesagt, es gebe keinen einzigen. Das ist schlichtweg unzutreffend. Darauf habe ich hingewiesen. Insofern ist das auch kein persönlicher Angriff, sondern einfach nur die Richtigstellung einer Falschaussage.
ROUTSI (BMVg): Ich habe zu einem anderen Zeitpunkt mit dieser Frage gerechnet. Aber ich möchte es mir trotzdem nicht nehmen lassen, mich auch einmal zum Thema „Ostdeutsche in der Bundeswehr“ zu äußern. Wir werden regelmäßig dazu befragt. Ich kann Ihnen Folgendes dazu sagen:
Erstens. In der Generalität und Admiralität haben wir selbstverständlich auch Menschen mit Ostbiografie. Die Behauptung, so will ich es einmal nennen, die Sie gerade aufgestellt haben, dass wir niemanden oder nur wenige aus der NVA übernommen hätten, ist belegbar falsch.
Was aber das Wichtigste ist, und weswegen ich jetzt doch noch einmal aufgestanden bin: Es spielt für uns überhaupt keine Rolle, ob jemand aus dem Osten kommt oder nicht. Uns eint etwas ganz anderes: eine gemeinsame Aufgabe.
Ich dachte, ich nutze die Gelegenheit, um das auch an dieser Stelle einmal bekannt zu geben.