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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 14.09.2020

14.09.2020 - Artikel

Situation in Belarus

SEIBERT (BReg): Meine Damen und Herren, einen schönen guten Tag! Ich möchte für die Bundesregierung zunächst einmal auf die Situation in Belarus eingehen. Es war jetzt das fünfte Wochenende hintereinander seit den Präsidentschaftswahlen, dass Hunderttausende in Belarus friedlich auf die Straße gegangen sind, um ihren Wunsch nach demokratischem Wandel auf die Straße zu tragen und um diesen Wunsch auszudrücken. Das sind beeindruckende Bilder aus allen Regionen des Landes. Sie zeigen einmal mehr die Unterstützung breiter Teile der Bevölkerung von Belarus für demokratische Grundprinzipien und demokratische Prozesse.

Dieser anhaltende Protest ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit, aber auch der Wut und der Verzweiflung vieler Bürgerinnen und Bürger von Belarus angesichts der Wahlfälschung und der Unnachgiebigkeit von Herrn Lukaschenko, und ich füge hinzu: angesichts der Brutalität, mit der seine Sicherheitskräfte tagtäglich gegen Frauen, Männer und sogar Schulkinder vorgehen.

Die Bundeskanzlerin hat am Wochenende in ihrem Podcast dazu gesagt, in Belarus werde der Einsatz für Demokratie buchstäblich mit Füßen getreten. Der Mut und die Entschlossenheit der friedlich Demonstrierenden seien bewundernswert. Jeder Tag bringt leider neue Beweise dafür, dass Lukaschenkos Herrschaft mit Angst und Repression aufrechterhalten werden soll.

Für die Bundesregierung hat in dieser Situation Folgendes weiterhin Priorität:

Erstens. Die Behörden müssen endlich auf den Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten und Demonstrantinnen verzichten.

Zweitens. Politische Gefangene müssen unverzüglich freigelassen werden.

Drittens. Ein nationaler Dialog zwischen Regierung, Opposition und Gesellschaft ist nötig. Nur das wird diese Krise überwinden können. In dem Zusammenhang könnte die OSZE eine wichtige Rolle spielen. Sie hat ihre Bereitschaft dazu, diese Rolle zu spielen, ja schon vor Wochen bekräftigt.

FRAGE: Herr Seibert oder Frau Adebahr, Sie hatten vergangene Woche gesagt, zügig solle die EU Sanktionen verhängen. Wäre es jetzt nicht sinnvoll, dies noch weiter zu beschleunigen?

ADEBAHR (AA): Sie haben recht, dass wir im EU-Kreis mit Hochdruck daran arbeiten, das Sanktionspaket umzusetzen, das zielgerichtet die Verantwortlichen für Repression und Wahlfälschung trifft. Heute in einer Woche, also nächsten Montag, treffen sich die Außenminister der EU-27 in Brüssel. Dort wird das ganz sicher ein Thema intensiver Beratung sein.

ZUSATZFRAGE: Kann man davon ausgehen, dass die Sanktionen schon nächste Woche beschlossen werden? Wenn ja, welche könnten es konkret sein? Sie sprachen von „zielgerichtet“.

ADEBAHR: Ich kann Ihnen heute nicht sagen, ob es nächsten Montag beschlossen wird. Wir würden es begrüßen und arbeiten daran.

Es sollen zielgerichtete Sanktionen sein, die auch hochrangige Persönlichkeiten betreffen werden. Insofern ist das gerade eine intensive Diskussion in den EU-Staaten. Zielmarke ist der Außenministerrat am Montag der nächsten Woche. Wir werden sehen, wie wir bis dahin vorankommen.

FRAGE: Parallel zu den regierungskritischen Protesten in Weißrussland erreichen uns seit Juli auch Bilder von Massenprotesten in Bulgarien. Dazu würde mich interessieren, auf welcher ‑ ‑ ‑

VORS. FELDHOFF: Entschuldigung! Wir waren gerade beim Thema Belarus. Sie wechseln sozusagen ansatzlos zum Thema Bulgarien. Das ist ‑ ‑ ‑

ZURUF: Nein, das steht schon im Zusammenhang zu Belarus!

VORS. FELDHOFF: Doch, das tun Sie gerade. Ehrlich gesagt, verstehe ich das nicht. Ich finde es auch nicht in Ordnung, dass Sie das tun. Sie können sich gern zu Bulgarien melden. Das ist überhaupt kein Problem. Aber dass Sie sozusagen ansatzlos das Thema wechseln, ist nicht okay.

ZUSATZ: Es ging nur um einen Vergleich der beiden. Ich finde das völlig legitim in dem inhaltlichen Kontext.

VORS. FELDHOFF: Versuchen Sie es mal, vielleicht verstehe ich es dann.

ZUSATZFRAGE: Dann lassen Sie mich ausreden, vielleicht erschließt es sich Ihnen.

Wie gesagt, ähnliche Bilder erreichen uns auch aus Bulgarien. Wieso die vehemente Kritik im Fall von Weißrussland und die bisher sehr auffallende Zurückhaltung im Fall der Massenproteste in Bulgarien mit ebenfalls belegter Polizeigewalt? Die Frage geht an den Regierungssprecher und das Auswärtige Amt.

SEIBERT: Täglich werden uns Bilder von unabhängigen Medien geliefert ‑ täglich ‑ von Sicherheitskräften, manchmal auch anonymen Kräften, manchmal Kräften in Zivil, die in Belarus Männer, Frauen und Kinder auf der Straße zusammenprügeln. Täglich bekommen wir Beweise für das, was hinter Gefängnismauern mit Festgehaltenen, mit Festgenommenen passiert. Das ist eine Situation, die genau diese Reaktion, die wir hier jetzt schon zum wiederholten Mal vorgetragen haben, verdient und die ich derzeit mit nichts anderem in Europa vergleichen kann.

FRAGE: Frau Adebahr, auch diese Frage wurde schon vergangene Woche gestellt, ich stelle sie aber noch einmal: Taucht auf der Sanktionsliste auch der Name Lukaschenko auf?

Vielleicht können Sie uns ein paar Hinweise darauf liefern, warum die Debatte so lange dauert. In der vergangenen Woche gab es Presseberichte, dass das vor allem am Land Zypern liege, das das Thema Belarus mit dem Thema der Türkei verbunden habe. Können Sie uns sagen, ob das stimmt?

ADEBAHR: Zu Ihrer ersten Frage, ob und wie wir den Druck auf die belarussische Führung und damit auch auf Herrn Lukaschenko persönlich erhöhen: Auch das wird Bestandteil der Beratung der Außenminister am kommenden Montag sein.

Zur Frage, warum das dauert: Ich will hier aus den vertraulichen Gesprächen in Brüssel, die in der Tat fortdauern, nicht berichten. Ich kenne die Medienberichterstattung. Ich kann nur noch einmal für uns sagen: Wir sehen die Notwendigkeit und haben den Willen, schnell Sanktionen in Bezug auf Belarus auf den Weg zu bringen, weil uns das ein wichtiges Ziel ist. Dafür arbeiten wir.

FRAGE: Hat die Bundesregierung Kenntnisse über den derzeitigen Aufenthaltsort und die Haftbedingungen der verhafteten Oppositionsführerin?

Heute findet ein Gespräch zwischen Putin und Lukaschenko statt. Hat es darüber in jüngerer Zeit bei den Kontakten zwischen der Bundesregierung bzw. der Kanzlerin und Herrn Putin einen Austausch gegeben? Was erwartet die Bundesregierung von diesem Gespräch?

SEIBERT: Ich kann auf Ihre Frage zu Frau Kolesnikowa nur sagen, dass wir sehr erleichtert darüber sind, dass sie sich inzwischen in einer Mitteilung zu Wort gemeldet hat. Was sie in dieser Mitteilung sagt, die Beschwerde, die sie über das führt, was ihr widerfahren ist, das spricht auch schon wieder Bände.

Der Mut führender Angehöriger der Opposition wie Frau Kolesnikowas, Frau Kowalkowas, Frau Tichanowskajas ist für Zehntausende von Frauen, die seit Wochen trotz der massiven Repression, über die ich hier vorhin gesprochen habe, friedlich für politische Veränderung in ihrem Land eintreten, eine starke Inspiration.

Mehr kann ich Ihnen dazu von dieser Stelle aus nicht sagen.

ADEBAHR: Das gilt auch für die Literaturnobelpreisträgerin Frau Swetlana Alexijewitsch, die dort als letztes nicht inhaftiertes Mitglied des Koordinierungsrates weiterhin ihre Stimme erhebt. Auch das ist eine Sache, die wir unterstützen.

ZUSATZFRAGE: Dann ist noch die Frage offen, ob es bei möglichen Kontakten der Kanzlerin oder anderer Regierungsinstitutionen und Herrn Putin oder der russischen Regierung Diskussionen über die Inhalte des Gesprächs zwischen Putin und Lukaschenko gab und ob Sie Erwartungen an das Gespräch haben.

SEIBERT: Ich habe das Gespräch zwischen Putin und Lukaschenko nicht zu kommentieren und kann dazu für Sie nichts beitragen.

Mögliche Reise des russischen Außenministers nach Berlin

FRAGE: Frau Adebahr, stimmt die Information, dass Außenminister Lawrow morgen in Berlin sein könnte?

ADEBAHR (AA): Nein, einen solchen Termin habe ich Ihnen nicht anzukündigen.

[…]

FRAGE: Frau Adebahr, ich habe eine Nachfrage zur Frage des Besuchs Lawrows in Berlin. Ich meine, dieser Termin sei früher angekündigt worden, und der Außenminister sollte zur Abschlussveranstaltung des deutsch-russischen Jahres kommen. Wurde der Termin, sein Besuch abgesagt, oder wie war es?

ADEBAHR: Wir haben einen solchen Termin nicht offiziell angekündigt. Das ist es, was ich von unserer Seite aus dazu sagen kann.

Forderung nach Visumfreiheit für belarussische Staatsbürger

FRAGE: Frau Adebahr, es gibt auch noch den Vorschlag, jetzt in dieser Situation Visafreiheit für die Weißrussen einzuführen, um ein Zeichen zu setzen, dass Europa die Protestbewegung unterstützt. Wie stehen Sie bzw. wie steht die deutsche Regierung zu diesem Vorschlag?

ADEBAHR (AA): Wenn wir dazu eine konsolidierte Meinung haben, dann würde ich Ihnen die Antwort gern nachliefern.

Ich will aber noch einmal unterstreichen, was Herr Seibert als politische Grundeinstellung dargelegt hat. Das gilt natürlich für die gesamte Bundesregierung und auch für den Außenminister. In dieser Geisteshaltung verfahren wir auch bei Konsularfragen.

Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange

FRAGE: Herr Seibert, Frau Adebahr, Prozessbeobachter des Assange-Prozesses schildern, dass sich die Prozessbedingungen nicht fair gestalten. Konkret wurde die Anklage gegen Herrn Assange ausgeweitet, erweitert, es wurde aber keine zusätzliche Zeit mit dem Anwaltsteam gegeben. Herr Assange muss sich mit seinem Anwaltsteam vor den Sitzungen beraten.

Bleibt die Bundesregierung bei der Einordnung, dass es an diesem rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu kritisieren gibt? Welche Erkenntnisse hat der vor Ort befindliche deutsche Diplomat, der den Prozess verfolgt?

ADEBAHR (AA): Wie schon gesagt, liegt die Zuständigkeit für das Verfahren bei der britischen Justiz. Deshalb kommentiere ich von hier aus den Prozessablauf nicht. Wir gehen davon aus, dass die rechtsstaatlichen Mechanismen in Großbritannien da sind und greifen, dass es ein rechtsstaatlicher Prozess ist, in dem jeder der Verfahrensbeteiligten seine Rechtsmittel und seine Anträge rechtsstaatlich stellen kann, wie es in Großbritannien üblich ist.

Es trifft zu, dass unsere Botschaft zu Informationszwecken punktuell den Verhandlungen beiwohnt. Das kann ich Ihnen auch bestätigen. Es gibt aber nichts, was ich Ihnen über unsere eben erläuterte Grundeinstellung hinaus mitteilen könnte.

Berichte über einen möglichen Verstoß der Vereinigten Arabischen Emirate gegen das UN-Waffenembargo für Libyen

FRAGE: Es ist bekannt geworden, dass die VAE gegen eine Resolution der UN, das Waffenembargo gegen Libyen, verstoßen. Ende August stoppte ein deutsches Marineschiff ein Schiff aus den Emiraten mit Waffen, das den Hafen von Bengasi anlaufen sollte, der vom ehemaligen General Haftar kontrolliert wird.

Hat die Bundesregierung gegen diese Verletzung durch die VAE protestiert? Wie steht die Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen in den VAE und in Bahrain?

ADEBAHR (AA): Dazu kann der Kollege aus dem BMVg sicherlich gern noch weitere Ausführungen machen.

Wir haben dazu hier vorgetragen, dass es eine Überprüfung dieses Schiffes, der „Royal Diamond 7“, durch die Mission „Irini“, durch ein deutsches Schiff gegeben hat. Nun wird geprüft, ob sich der Verdacht des Verstoßes gegen das VN-Waffenembargo durch dieses Tankschiff bestätigt. Diese Überprüfung läuft jetzt an. Deswegen werden wir über das Ergebnis nicht spekulieren.

Ich weiß nicht, ob Sie das noch ergänzen wollen.

COLLATZ (BMVGg: Keine Ergänzung.

Lage von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten auf der griechischen Insel Lesbos

FRAGE: Herr Seibert, Medienberichten zufolge setzt sich die Bundeskanzlerin gemeinsam mit der EU-Kommissionspräsidentin und dem griechischen Ministerpräsidenten für die Einrichtung eines neuen Flüchtlingslagers auf Lesbos unter Trägerschaft der EU ein. Auch soll die Kanzlerin offen für eine einmalige Aktion zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge von der Insel sein.

Können Sie das bestätigen, und, falls ja, wie viele der geflüchteten Menschen von Lesbos soll Deutschland nach Meinung der Kanzlerin aufnehmen?

SEIBERT (BReg): Ich versuche noch einmal, dieses Thema, das ja sehr komplex ist, aus Sicht der Bundesregierung für heute zu fassen.

Die Lage vieler Flüchtlinge und vieler Migranten auf Lesbos ist immer noch entsetzlich. Die Fernsehberichte zeigen uns, wie gerade Familien mit Kindern unter dem Leben auf der Straße leiden. Das sind natürlich unhaltbare Zustände. Es ist eine besondere humanitäre Notsituation, und nach dem kompletten Abbrennen dieses Lagers kann man auch sagen: Es ist eine einmalige Notsituation.

Deshalb ist die Bundesregierung auf mehreren Ebenen tätig. Zum einen ist die Soforthilfe angelaufen, um die akute Situation der Menschen auf Lesbos zu verbessern. Darüber können die Kollegen aus den Ressorts berichten. Zum anderen gibt es die politische Zusammenarbeit mit Griechenland, den ständigen Kontakt mit Griechenland und den Partnern in der Europäischen Union. Der Innenminister hat Ihnen am Freitag ein erstes Ergebnis dieser Kontakte mit den europäischen Partnern und mit Griechenland vorgestellt, dass nämlich unbegleitete Minderjährige, die von den Griechen aufs Festland gebracht worden sind, auf deutsch-französische Initiative hin von einer Reihe von europäischen Mitgliedsstaaten aufgenommen werden sollen.

Minister Seehofer hat auch angekündigt, in einem zweiten Schritt die Gruppe der Familien mit Kindern in den Blick zu nehmen und Hilfe für sie zu organisieren, und zwar wiederum europäische. Dazu muss jetzt genau herausgefunden werden, wie viele Menschen es sind und wo sie sind. Auch dazu stehen Vertreter der Bundesregierung mit den griechischen Partnern in Kontakt.

Die Bundeskanzlerin hat klar gesagt, die Lage der Flüchtlinge von Moria wie all derjenigen, die an Europas Außengrenzen ankommen, ist nie nur das Problem zum Beispiel Griechenlands als eines Ankunftslandes oder etwa Deutschlands als eines Landes, das besonders viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Es ist eine europäische Herausforderung, auf die wir uns alle zusammen einstellen müssen und die wir alle zusammen annehmen müssen. In dem Sinn begrüßt die Bundeskanzlerin den Gedanken, dass eine nächste, bessere, würdigere Unterkunft für Flüchtlinge und Migranten auf Lesbos in der Verantwortung oder mit Verantwortung der Europäischen Kommission betrieben werden könne. Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich in die Richtung einer Europäisierung der Verantwortung. Das würde von uns unterstützt.

Auch innerhalb der Bundesregierung laufen Gespräche darüber, wie Deutschland weiter helfen kann. Wir werden Sie bald darüber informieren, welchen weiteren substanziellen Beitrag unser Land leisten kann. Die Beratungen darüber innerhalb der Bundesregierung laufen.

FRAGE: Was hält die Bundesregierung davon, dass jetzt einzelne Länderminister wie der Innensenator von Berlin, Herr Geisel, auf eigene Faust nach Griechenland fahren und da Verhandlungen führen? Die Länder können doch eigentlich nicht etwas auf eigene Faust machen. Das geht doch nur mit Zustimmung des Bundes.

SEIBERT: Vielleicht ist am ehesten der Sprecher des Bundesinnenministeriums in der Lage, dazu etwas zu sagen.

GRÜNEWÄLDER (BMI): Nach Medienberichten handelt es sich um keine spontane Reise des Berliner Innensenators, sondern um eine schon länger geplante Reise, und auch nicht um eine Reise auf eine der Inseln, sondern nach meinen Kenntnissen auf das Festland in der Nähe von Athen.

en Regierungsmitgliedern jedes Landes ist es unbenommen, die Reisen zu unternehmen, die sie machen wollen, sich über die Situation zu informieren und Unterstützung anzubieten. Aber, wie Sie richtig sagen, ist es letztlich eine Entscheidung des Bundes, wie und in welcher Form geholfen wird. Es liegt auch in der Verantwortung des Bundes, die Gespräche zu führen. Das passiert auf allen Ebenen, und jede Unterstützung ist hierbei willkommen.

FRAGE: Es laufen erste Agenturmeldungen darüber, dass bis Mittwoch im Kabinett neue Zahlen feststehen sollen. Die SPD hat massiv Druck in Bezug darauf gemacht, mehr als 150 minderjährige unbegleitete Flüchtlinge aufzunehmen. Können Sie etwas zu den Zahlen und dazu sagen, innerhalb welches Zeitfensters diesen Menschen möglicherweise geholfen wird, also sie nach Deutschland kommen könnten?

SEIBERT: Nein, zu den Zahlen kann ich nichts sagen. Ich habe gesagt: Wir werden Sie zeitnah darüber informieren, wenn die Beratungen innerhalb der Bundesregierung darüber, welchen weiteren substanziellen Hilfsschritt bzw. Aufnahmeschritt Deutschland machen kann, abgeschlossen sind. Aber heute kann ich mich zu Zahlen nicht äußern.

Aber die Beratungen darüber laufen. Die Kontakte mit Griechenland laufen. Schon am Freitag hatte der Bundesinnenminister ja diesen zweiten Schritt klar angesprochen, nämlich jetzt Familien mit Kindern, die auf Lesbos sind, ins Auge zu fassen.

ZUSATZFRAGE: Heißt das, man möchte bis Mittwoch eine Lösung hinbekommen?

SEIBERT: Ich habe Ihnen keine Zahlen zu nennen, und ich habe Ihnen nur zu sagen, dass wir Sie dann, wenn diese Beratungen, die geführt werden, abgeschlossen sein werden, dann auch sehr rasch informieren werden.

FRAGE: Herr Seibert, geht es bei diesem europäischen Lager um dasselbe Lager, das die Griechen jetzt neben Moria eröffnen wollen? Der griechische Einwanderungsminister Mitarachi meinte, dass da 3000 Bewohner Ende dieser Woche Einzug halten könnten. Das wäre ein abgeschlossenes Lager, quasi ein tatsächliches Gefängnis. Ist das das, wovon Sie reden?

SEIBERT: Ich sprach davon, dass aus unserer Sicht das sinnvoll ist, was jetzt von europäischer Seite ins Spiel gebracht wird, nämlich eine Verantwortung der Europäischen Kommission für die Unterkunft und die dortige Versorgung von Menschen. Die konkreten Fragen danach, wie das auszugestalten wäre, wären jetzt natürlich erst einmal an Brüssel zu richten.

Wir finden diesen Gedanken grundsätzlich gut, weil er klarmacht, dass das nicht allein die griechische Verantwortung oder in anderen Fällen allein die italienische Verantwortung ist, sondern das ist eine europäische Verantwortung für ein europäisches Problem, für eine Herausforderung, mit der wir uns in Europa sicherlich noch sehr lange gemeinsam auseinandersetzen werden müssen. Wenn wir uns gemeinsam damit auseinandersetzen, dann ist auch die Chance größer, dass wir zu Ergebnissen kommen, die menschlich sind und die für jedes Land zu tragen sind.

ZUSATZFRAGE: Moria ist ja ein europäischer Schandfleck, ein Schandfleck der europäischen Asylpolitik. Warum setzt sich die Bundesregierung jetzt dafür ein, dass es auf Lesbos ein neues Lager gibt? Warum setzen Sie sich nicht dafür ein, dass es evakuiert wird und die Menschen in Europa verteilt werden, damit das Kapitel dieses Schandflecks abgeschlossen werden kann, Herr Seibert?

SEIBERT: Erstens ist auf griechischen Wunsch hin ein erster Schritt in die Wege geleitet worden, eine Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen, die von Lesbos aufs Festland gebracht worden sind. Von einem zweiten Schritt hat der Innenminister am Freitag schon gesprochen. Ich habe das hier noch einmal wiederholt. Es ist ein Schritt, der die wahrscheinlich ziemlich große Gruppe von Familien mit Kindern umfassen wird. Das ist das, was ich Ihnen heute dazu sagen kann.

Die griechische Regierung hat klargemacht, dass sie die Verantwortung für die Menschen vor Ort im Wesentlichen selbst wahrnehmen will. Auch das ist ja zunächst einmal zu respektieren. Auch damit müssen wir ja umgehen und müssen das bei unseren Kontakten mit der griechischen Regierung auch bedenken.

ZUSATZ: Das heißt, Sie trauen der griechischen Regierung nach all den Jahren und nach all den Bildern und nach dem, was wir aus Moria wissen, immer noch zu, die Menschen dort versorgen zu können.

SEIBERT: Zurzeit laufen intensive Bemühungen, die Menschen in Moria, die in einer verzweifelten Situation sind ‑ da sind wir uns völlig einig ‑, möglichst schnell menschenwürdig unterbringen zu können und möglichst schnell auch gesichert versorgen zu können. Das sind natürlich Bemühungen, die Europa auch mit allen Kräften unterstützen wird.

FRAGE: Ich würde gerne noch einmal nach den Hilfslieferungen fragen, wahrscheinlich am ehesten Herrn Grünewälder. Können Sie vielleicht noch einmal sagen, was jetzt genau an konkreter Hilfe zur Verfügung gestellt wurde bzw. auf den Weg gebracht wurde?

Umfassen die Hilfslieferungen aus Deutschland auch Lebensmittel? Man hört ja, dass dort auch das Nötigste an Essen nicht zur Verfügung steht.

Die dritte Frage geht wahrscheinlich am ehesten an Herrn Seibert. Viele Experten wie Herr Knaus sagen, die schlechte Situation in Moria hänge auch damit zusammen, dass das EU-Türkei-Abkommen im Prinzip nicht funktioniere oder dass man die Dimension der Türkei mitdenken müsse, um dort eine Lösung zu finden. Daher stelle ich einmal die Frage: Wie läuft nach Einschätzung der Bundesregierung derzeit das EU-Türkei-Abkommen? Werden auch Gespräche mit der Türkei angepeilt?

GRÜNEWÄLDER: Ich kann gerne anfangen. Die Bundesregierung hat von der griechischen Regierung eine Liste mit Anforderungen an Material, das auf Lesbos fehlt, überreicht bekommen, und dieses Material wurde auf den Weg gebracht. Das sind Zelte in einer Größenordnung von etwa 80 Stück, 1400 Feldbetten, 400 Schlafsäcke, 400 Isomatten, aber auch 52 Zeltheizungen. Das Material ist inzwischen auf Lesbos angekommen und kann für die Errichtung der neuen Unterkunft verwendet werden, aber auch für die Soforthilfe für die Flüchtlinge, die nun auf der Straße kampieren.

Nahrungsmittellieferungen sind nicht darunter. Das wäre aus unserer Sicht auch nicht sinnvoll, und es ist auch nicht erforderlich. Das hat die griechische Regierung nicht angefordert. Das kann sie selbst leisten.

SEIBERT: Das, was Sie sagen, nämlich dass man bei der Migrationsproblematik ganz besonders im östlichen Mittelmeer immer die Türkei mitdenken muss, ist ja 100-prozentig richtig. Genau deswegen hat sich ja die Bundeskanzlerin ‑ auch gemeinsam mit europäischen Partnern, aber sehr stark auch die Bundeskanzlerin ‑ für genau dieses EU-Türkei-Abkommen eingesetzt.

Es ist richtig, dass die Rückführungen von den griechischen Inseln in die Türkei, wie sie das Abkommen oder die EU-Türkei-Erklärung, wie es ja eigentlich heißt, vorsehen, nicht zufriedenstellend funktionieren. Das liegt gegenwärtig auch an der Coronapandemie. Aber insgesamt gilt: Wir, die Bundesregierung, stehen unverändert zu diesem EU-Türkei-Abkommen. Es ist weiterhin im beiderseitigen Interesse, im Interesse Europas und im Interesse der Türkei.

Der zentrale Gedanke ist ja, syrischen Flüchtlingen in der Türkei angemessenen Schutz zu geben und Perspektiven für sie zu schaffen, sodass sie gar keine Veranlassung mehr haben, illegal in die EU zu migrieren. Dafür sind die Mittel maßgeblich, die die Europäische Union der Türkei für die Beherbergung, die Versorgung, die Beschulung usw. dieser syrischen Flüchtlinge zur Verfügung stellt. Über diese Mittel leistet die Europäische Union entscheidende Unterstützung dafür, dass es möglich ist, dass mehrere Millionen von syrischen Flüchtlingen ein sicherlich schwieriges, aber ‑ wie soll ich es sagen? ‑ halbwegs gesichertes Leben in der Türkei haben. Wenn Sie sich die Zahlen, wie sie sich seit März 2016, als das Abkommen geschlossen wurde, entwickelt haben, anschauen, dann sehen Sie auch, dass dieses zentrale Element funktioniert. Das ändert nichts daran, wie ich gesagt habe, dass das, was wir derzeit auf Lesbos erleben, ein unhaltbarer Zustand und eine einmalige humanitäre Herausforderung ist, mit der Europa wiederum umgehen muss.

FRAGE: Herr Grünewälder, vorhin sagten Sie, jede Unterstützung sei willkommen. Man kann ja auch die nach wie vor existente Bereitschaft von Kommunen und Ländern, Moria-Flüchtlinge aufzunehmen, als Unterstützung begreifen. Können Sie uns sagen, wie viele Flüchtlinge es aufsummiert wären, die von Ländern und einzelnen Kommunen aufgenommen werden könnten, wenn der Bund seine Verweigerungshaltung in diesem Punkt aufgeben würde?

Zum Zweiten: Warum zieht der Innenminister den Vergleich heran, es gehe darum, ein zweites 2015 zu verhindern? Die Situationen sind doch in keiner Weise vergleichbar. Herr Seibert hat eben selbst gesagt, Moria sei eine einmalige Sondersituation. Das ist doch mit 2015 gar nicht zu vergleichen.

GRÜNEWÄLDER: Den Vorwurf einer Verweigerungshaltung kann ich jetzt beim besten Willen nicht nachvollziehen. Herr Seibert hat ja für die Bundesregierung eben klargemacht, was die Bundesregierung gerade an Unterstützungsleistungen für Griechenland leistet und was noch in Planung ist. Darüber hinaus müssen Sie auch das berücksichtigen, was der Bundesinnenminister am Freitag mehrfach deutlich gemacht hat, nämlich was Deutschland an humanitärer Hilfeleistung schon geleistet hat und welche Flüchtlinge ‑ 500 unbegleitete minderjährige und kranke Kinder ‑ schon aufgenommen worden sind. Sie wissen, dass sich der Bundesinnenminister bereits vor dem Brand in Moria dazu bereit erklärt hat oder für die Bundesregierung angeboten hat, bis zu 1000 Personen, nämlich kranke Kinder und deren Kernfamilien sowie unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, in Deutschland aufzunehmen.

Der Bundesinnenminister hat am Freitag ebenfalls deutlich gemacht, dass er den Kommunen für ihre Aufnahmebereitschaft dankt ‑ und zwar allen Kommunen und nicht nur denjenigen, die sich jetzt mit weiteren Angeboten hervortun ‑, die einen unschätzbaren Dienst leisten und bei der Integration der Flüchtlinge sehr geholfen haben. Wir haben außerdem von hier aus und an anderer Stelle deutlich gemacht, dass die Bereitschaft von Kommunen und Ländern, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, was die Verteilung der Flüchtlinge angeht, die nach Deutschland kommen, vom BAMF besonders berücksichtigt wird. Insofern sehen wir den Vorwurf der Verweigerungshaltung also in keiner Weise als gerechtfertigt an.

Ich komme zur zweiten Frage. Der Bundesinnenminister hat, wie Sie richtig gesagt haben, gesagt: Das Jahr 2015 darf sich nicht wiederholen. Deswegen brauchen wir, und das ist der dritte wichtige Punkt, ein europäisches Asylrecht. Er hat gesagt, dass er mit Verve dafür kämpft und sich dafür einsetzt, insbesondere vor dem Hintergrund der laufenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die EU-Kommission wird, wie sie angekündigt hat, Ende September einen konkreten Vorschlag vorlegen. Der Bundesinnenminister hat deutlich gemacht, dass die Bundesregierung bereits in dieser Woche Gespräche forcieren wird, damit wir ein europäisches Asylrecht hinbekommen und eben nicht mehr von Mal zu Mal sehen müssen, wie die Flüchtlinge verteilt werden, sei es aus Griechenland, sei es aber auch aus Situationen der Seenotrettung.

Er hat gesagt: Ein europäisches Asylrecht hinzubekommen, ist das Ziel. Wir dürfen jetzt nicht als Deutschland alleine vorpreschen, sondern wir brauchen das Vorgehen im europäischen Rahmen. Ansonsten ist der Versuch, ein europäisches Asylrecht hinzubekommen, schon gleich fehlgeschlagen.

ZUSATZFRAGE: Verweigerung meinte zum Beispiel die Weigerung des Bundesinnenministeriums, der expliziten Aufnahmebereitschaft von Ländern wie Thüringen oder auch Berlin stattzugeben. Das wurde verweigert. Wie soll man das anders nennen?

Es bleibt die Frage: Wie groß, aufsummiert, ist denn die signalisierte Aufnahmebereitschaft der Kommunen und Länder, die diese explizit ausgedrückt haben, für Moria-Flüchtlinge? Welche Zahl ist das? Über wie viele Tausend reden wir da?

GRÜNEWÄLDER: Für das Bundesinnenministerium steht im Fokus, wie und in welchem Umfang wir nun Griechenland dabei helfen können, die Situation zu bewältigen, indem Flüchtlinge ‑ vor allem behandlungsbedürftige Kinder, Kinder und Familien, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ‑ aufgenommen werden. Das steht für das Bundesinnenministerium im Fokus. Darüber gibt es Gespräche auf allen Ebenen. Da handeln wir durch Hilfe vor Ort sowie durch Gespräche mit der EU-Kommission, mit der griechischen Regierung, mit den EU-Mitgliedstaaten, aber auch innerhalb der Bundesregierung. Insofern ist das jetzt unser Kernanliegen.

ZUSATZFRAGE: Pardon, Sie haben zweimal die Antwort auf eine sehr konkrete Frage verweigert. Ich habe gefragt ‑ das ist ja einfache Mathematik ‑, wie hoch in der Summe die Zahl derjenigen ist, die Länder und Kommunen aufzunehmen bereit sind, wie sie signalisiert haben. Wenn Sie das im Moment nicht parat haben, würden Sie uns das dann bitte nachliefern, oder verfügt die Bundesregierung, Herr Seibert, über diese Information?

GRÜNEWÄLDER: Ich hatte Ihnen gegenüber deutlich gemacht, dass sich diese Frage uns nicht stellt, sondern wir sehen, welche Flüchtlinge Deutschland aufnehmen kann. Der Bund ist dafür nach § 23 des Aufenthaltsgesetzes zuständig. Danach ist dann in einem zweiten Schritt die Verteilung angesetzt. Bei der Verteilung ‑ das habe ich Ihnen eben schon gesagt ‑ wird die Bereitschaft von Länder und Kommunen, über das verpflichtende Maß hinaus Flüchtlinge aufzunehmen, besonders berücksichtigt.

Außerdem befindet sich der Bundesinnenminister mit den Ländern seit Längerem im Gespräch über Landesaufnahmeprogramme. Es gibt einen Beschluss der Innenministerkonferenz ‑ schon vom Dezember 2019 ‑, der sich genau hiermit beschäftigt. Im Juni dieses Jahres haben sich die Landesinnenminister auf der IMK in Erfurt mit dem Thema beschäftigt, und es wurde vereinbart, dass die Länder, die eine besondere Zahl von Flüchtlingen aufnehmen wollen, besonders berücksichtigt werden. Auch hierüber befindet man also im Gespräch.

FRAGE: Ich hätte eine Frage, wahrscheinlich auch an das Bundesinnenministerium. Ich hätte ganz gerne noch einmal nach dieser Abstimmung mit den europäischen Partnern gefragt. Hat sich an der Zahl von zehn Ländern, die mitmachen, eigentlich etwas geändert?

Vielleicht können Sie noch einmal sagen, welchen Argumenten Sie eigentlich bei den Ländern begegnen, die nicht mitmachen wollen. Was sind also die Gründe dafür, dass EU-Länder, von denen es ja noch 16 oder 17 andere gibt, nicht mitmachen wollen?

GRÜNEWÄLDER: Nach meiner Kenntnis sind es inklusive Deutschlands elf Länder, die sich jetzt beteiligen.

Über die Gründe dafür, dass sich manche Mitgliedstaaten jetzt nicht beteiligen, kann ich Ihnen jetzt keine Auskunft geben. Über interne Gespräche berichten wir ja gewöhnlicherweise von hier aus nicht.

Aber genau deswegen ist ja das Ziel, ein europäisches Asylrecht zu haben, das funktioniert, sodass man nicht mehr von Mal zu Mal Gespräche mit Mitgliedstaaten führen muss, die möglicherweise bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, sondern einen funktionierenden Mechanismus hat. Das steht jetzt im Fokus.

FRAGE: Herr Seibert, es heißt, dass es am Mittwoch ein Treffen der Koalitionspartner, also unabhängig vom Kabinett, zur Aufnahme einer größeren Anzahl von Flüchtlingen geben soll. Wird das stattfinden?

SEIBERT: Ich weiß nicht, ob Herr Schmidt-Denker der Pressekonferenz bisher gefolgt ist. Ich habe gesagt ‑ ich wiederhole es natürlich sehr gerne ‑, dass die Beratungen innerhalb der Bundesregierung darüber, welchen weiteren substanziellen Beitrag Deutschland leisten kann, andauern, und wenn sie abgeschlossen sein werden, dann werden wir darüber sehr schnell informieren.

FRAGE: Herr Seibert, Fragen stellen sich ja nicht von alleine, wie Herr Grünewälder hier suggeriert, sondern wir stellen die.

Kennt die Bundesregierung bzw. kennen Sie die Summe der Kommunen, Städte und Bundesländer, die aufnahmebereit sind? Wie viele Tausend könnten aus Moria aufgenommen werden? Wissen Sie das?

SEIBERT: Nein, ich weiß das nicht. Aber das, was wir hier als die Haltung der Bundesregierung dargestellt haben - nämlich den Versuch, nach den minderjährigen Unbegleiteten auch die nächste Gruppe, nämlich Familien mit Kindern, in den Blick zu nehmen und für sie eine europäische Lösung zu finden ‑, ist das, woran wir arbeiten.

ZUSATZFRAGE: Gibt es eigentlich eine Menschenwürde-Skala der Bundesregierung? Unbegleitete Kinder, Familien mit Kindern – was kommt danach, Herr Seibert, Familien ohne Kinder, Männer oder nur Frauen?

SEIBERT: Ich finde Ihre Frage völlig unangemessen und zynisch, wenn ich das sagen darf. Im Übrigen hat Herr Alter für das Bundesinnenministerium hier am Freitag so klar, wie man es überhaupt nur tun kann, gesagt, dass die Menschenwürde für uns jedem einzelnen Individuum gleichermaßen zuzurechnen ist.

ZUSATZFRAGE: Plant ein Mitglied der Bundesregierung einen baldigen Besuch der Insassen in Moria, wie Sie sie nennen?

SEIBERT: Das Wort Insassen werden Sie von mir, glaube ich, nicht gehört haben.

ZUSATZ: Frau Adebahr hat es am Mittwoch verwendet.

VORS. FELDHOFF: Offensichtlich plant kein Mitglied der Bundesregierung, dahin zu fahren. Jedenfalls höre ich nichts.

SEIBERT: Was nicht heißt, dass nicht auch Vertreter der Bundesregierung vor Ort sind, um zu erkunden, wie die Verhältnisse sind, wo die Hilfe benötigt wird und wie es sich zum Beispiel mit dieser Gruppe von Familien mit Kindern verhält.

ZUSATZ: Ich hatte ja nach Mitgliedern der Bundesregierung gefragt, Herr Seibert, nach Ministern.

FRAGE: Daran schließt sich meine Frage an. Der Innenminister hat in der vergangene Woche angekündigt, dass erneut eine Delegation Ihres Hauses nach Lesbos reisen werde, um sich die Situation vor Ort anzuschauen. Ist diese Delegation schon auf dem Weg? Was soll die da genau?

GRÜNEWÄLDER: Sie wissen vielleicht, dass es nicht das erste Mal wäre, dass eine Delegation des Bundesinnenministeriums auf die griechischen Inseln fährt, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen; denn wir wissen schlicht nicht konkret, welche Personen sich dort aufhalten, wie viele Familien, wie viele Kinder usw. Um das herauszufinden, hat der Bundesinnenminister angekündigt, dass erneut eine Delegation des BMI dorthin fahren wird. Die ist nach meiner Kenntnis noch nicht auf dem Weg.

FRAGE: Hat die Bundeswehr ‑ in diesem Fall wahrscheinlich die Marine ‑ in der Ägäis seit Mitte August weitere mutmaßliche Push-backs von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei beobachtet?

COLLATZ (BMVg): Über die Anzahl der Beobachtungen im Rahmen der Operationen im Mittelmeer habe ich Ihnen hier in vielerlei Fällen Bericht erstattet. Die Bundeswehr ist dort unten tätig und greift auch ein, wenn es sich um Seenotrettung handelt. Handelt es sich nicht um Seenotrettung und sind die jeweiligen hoheitlichen Tätigkeiten der Marinen, die dort in ihren Hoheitsgewässern tätig werden, ausreichend, so besteht keine Möglichkeit für die Bundeswehr, noch in irgendeiner Art und Weise einzugreifen.

FRAGE: Herr Grünewälder, ich habe noch eine Frage zu den Zahlen. Es gab dieses Kontingent von rund 1000 Flüchtenden, die man aufnehmen möchte. Davon waren, wenn ich die Zahl noch richtig im Kopf habe, 465 bereits in Deutschland. Wieviel kommt jetzt innerhalb welches Zeitfensters noch hinzu, also in den nächsten Tagen? In welche Bundesländer kommen die? Können Sie dazu , wie die Verteilung aussehen könnte, schon irgendeine Aussage machen?

GRÜNEWÄLDER: Voraussetzung dafür, dass diese Personen aus Griechenland nach Deutschland geflogen werden, ist, dass sogenannte Dossiers vorliegen. Die werden nicht von der Bundesregierung, sondern von NGOs erstellt, von der IMO, vom UNHCR und Ähnlichen. Sobald diese konkreten Angaben vorliegen, was das für Personen sind, und gegebenenfalls auch eine Sicherheitsüberprüfung oder eine gesundheitliche Untersuchung vorliegt, wird sozusagen der nächste Flug nach Deutschland starten.

Dafür gibt es jetzt keinen konkreten Zeitplan, den ich Ihnen nennen kann. Es gilt, dass diese Menschen so schnell wie möglich nach Deutschland gebracht werden. Über die konkrete Verteilung wird dann entschieden, wenn feststeht, wie viele jetzt im Rahmen der nächsten Tranche nach Deutschland kommen werden. Aber hierfür gilt, wie gesagt, dass die Bereitschaft der Länder und Kommunen, die sich bereit erklärt haben, über Gebühr Flüchtlinge aufzunehmen, besonders berücksichtigt wird.

COVID-19-Pandemie - Reisewarnungen

FRAGE: Plant die Bundesregierung eine Reisewarnung für Wien oder Österreich oder sonstige Maßnahmen angesichts der steigenden Coronazahlen in Österreich?

ADEBAHR (AA): Wir haben die Lage ‑ natürlich weltweit, aber auch in Österreich ‑ genau im Blick. Wir weisen in unseren Reise- und Sicherheitshinweisen schon seit letzter Woche darauf hin, dass auch in Österreich die Fallzahlen leider steigen.

Dabei gilt für die Frage, wie die Bundesregierung mit der Frage Reisewarnung und Risikogebiete umgeht, für Österreich genau dasselbe wie für alle anderen europäischen Länder seit dem Beschluss des Bundeskabinetts vom 3. Juni, nämlich, dass wir Schutzmaßnahmen dann ergreifen, wenn ein Land oder einzelne Regionen die Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung von 50 auf 100 000 Fälle pro Einwohner über sieben Tage überschreiten und andere Bewertungsfaktoren in diesen Trend hinzukommen.

Insofern beobachten wir vor diesem Hintergrund unserer Analyseparameter die Lage in Österreich weiter. Ich habe Ihnen hier heute keine Reisewarnung für Österreich anzukündigen.

FRAGE: Frau Adebahr, dann weiten wir die Frage über Österreich hinaus aus.

Es gibt Berichte, dass die Zahlen in Frankreich genau diese Schwelle, die Sie eben erwähnt haben, jetzt in etlichen Regionen überschritten haben. Da gibt es ja zum Teil auch schon Reisewarnungen. Gibt es da eine Ausweitung der Reisewarnungen?

Dann würde ich die Frage auf ganz Europa beziehen. Gibt es überhaupt irgendeine Änderung für irgendein europäisches Land? Israel gehört nicht zu Europa, aber hat ja nun auch noch einmal dramatisch hohe Zahlen.

ADEBAHR: Die Reisewarnung, was europäische Länder anbetrifft, gilt derzeit für ganz Spanien und für Teile Frankreichs. Das haben Sie auch schon gesagt. Das sind größere Teile in Frankreichs Süden und die Île-de-France, die Region um die Hauptstadt herum. Reisewarnungen bestehen außerdem für Brüssel als Stadt und für Teile Bulgariens, Kroatiens, Rumäniens und Tschechiens.

Für alle dies Länder und Regionen gilt das, was ich zuvor gesagt habe, dass wir sie unter dem Blickwinkel eines Trends des Parameters von 50 auf 100 000 Infektionsfälle über sieben Tage versehen anschauen und dann innerhalb der Bundesregierung zu dem Schluss kommen, ob eine Reisewarnung für bestimmte Regionen oder womöglich für ein ganzes Land ausgesprochen werden muss.

Auch in Frankreich beobachten wir, dass in weiteren Regionen ‑ auch in denen, die bisher noch nicht von einer Reisewarnung betroffen sind ‑ die Fallzahlen steigen.

Ich habe Ihnen heute hier nichts anzukündigen. Aber klar ist natürlich: Wir haben die Situation dort und auch in anderen europäischen Ländern im Blick.

Vergiftung von Alexej Nawalny

FRAGE: Herr Seibert, das Thema Nawalny beschäftigt mich weiterhin, und zwar Ihre Pressemitteilung von 10 Uhr heute Früh. Sie schreiben, dass zwei weitere Labore in Frankreich und in Schweden die Daten bestätigt haben. Können Sie uns sagen, was das für Labore sind? Warum wurden gerade diese von der Bundesregierung ausgewählt? Sind das Militärlabore, Privatlabore? Können Sie ein bisschen aus dem medizinischen Bereich sagen, worum es sich hier handelt?

SEIBERT (BReg): Ich kann da keine Informationen geben, die über die Pressemitteilung, die wir heute Morgen um 10 Uhr herausgegeben haben, hinausgehen. Da ist die Rede von Speziallaboren, und das sind sie.

ZUSATZFRAGE: Eine weitere Frage zu dem Bericht des Bundeswehr-Labors oder des Instituts: Am Freitag hieß es, die vollständige Akte werde aus Vertraulichkeitsgepflogenheiten ‑ das habe ich so im Kopf ‑ nicht überstellt. Bleibt die Bundesregierung bei dieser Position? Bleibt diese Akte unter Verschluss und nicht der OVCW zugänglich? Oder werden die Ergebnisse doch irgendwann überstellt?

SEIBERT: Erstens einmal erinnere ich mich, Herr Jolkver, dass ich auf viele Nachfragen hier aus der Runde auf die Vertraulichkeitsgepflogenheiten, die mich binden, Bezug genommen habe. Das würde ich auch weiterhin tun.

Was die OVCW betrifft: Genau darum geht es ja in der heutigen Pressemitteilung, die wir herausgegeben haben. Aus ihr geht sehr klar hervor, dass wir die OVCW in die Analyse von Beweismitteln einbezogen haben, dass wir ‑ auf diesen Artikel VIII 38 (e) des Chemiewaffenübereinkommens fußend ‑ die Möglichkeit ergriffen haben, technische Unterstützung durch die OVCW zu erhalten und die OVCW auf dieser Grundlage Proben genommen hat, um die nötigen Schritte einzuleiten, damit Referenzlabore der OVCW nun diese Proben untersuchen.

ZUSATZFRAGE: Entschuldigung, vielleicht verstehe ich es einfach nicht. Das Bundeswehrlabor hat eine Analyse gemacht, wonach dort zweifelsfrei Nowitschok nachgewiesen wurde. Warum wird denn das Ergebnis dieser Analyse nicht der OVCW zur Verfügung gestellt?

SEIBERT: Wir sind ja, seitdem wir diesen zweifelsfreien Befund des Bundeswehrspeziallabors haben, mit der OVCW in engem Kontakt. Nun ist es einen Schritt weitergegangen. Die OVCW hat auf Grundlage dieses Artikels VIII 38 (e) des Chemiewaffenübereinkommens ‑ denn darum geht es ja; es geht um einen schwerwiegenden Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen ‑ ihrerseits Proben von Herrn Nawalny entnommen und die nötigen Schritte eingeleitet, um diese Proben durch Referenzlabore untersuchen zu lassen.

ZUSATZFRAGE: Das heißt, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe: Nachdem das abgeschlossen hat, nachdem die OVCW die Laboruntersuchungen bekommen hat, kann auch Russland in der OVCW diese Ergebnisse nachschauen?

ADEBAHR (AA): Das wird sich nach den Regularien der OVCW richten. Sie kann sicher dazu Auskunft geben. Das ist auch in den Statuten und dem Chemiewaffenübereinkommen geregelt. Das ist ein ganz förmliches Verfahren nach Artikel VIII 38 (e), das dort eingeleitet wird. Die OVCW wird das so, wie für alle Mitgliedstaaten die Regeln sind, durchführen.

FRAGE: Meine Frage geht an das Verteidigungsministerium, auch in der Causa Nawalny.

Herr Collatz, Sie hatten am Mittwoch hier gesagt: Die Testergebnisse wurden der OPCW übergeben. ‑ Jetzt hat wiederum ‑ Stand Freitag letzter Woche ‑ der OPCW-Vertreter Russlands gesagt, ihm habe das technische Sekretariat zurückgemeldet, es seien keine Testergebnisse übermittelt worden, außer formal ein DIN-A4-Blatt, auf dem einfach nur dargelegt wurde, dass es den Fall gebe, aber ohne jegliche Details.

Da würde mich interessieren: Könnten Sie diesen mutmaßlichen Widerspruch auflösen? Als Sie diese Aussage getroffen haben, bezogen Sie sich damit auf das technische Sekretariat, oder waren das andere Kanäle?

COLLATZ (BMVg): Ich habe ja schon versucht, am Freitag deutlich zu machen, dass die Ergebnisse der Untersuchung des Labors zunächst der Charité und dann der Regierung zur Verfügung gestellt wurden. Über die Ergebnisse wurde dann wiederum die OPCW in Kenntnis gesetzt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

ZUSATZFRAGE: Jetzt habe ich noch eine Verständnisfrage. Dass die Testergebnisse übergeben wurden, übersetzen sie mit: Die OPCW wurde informiert?

COLLATZ: Genau.

ZUSATZFRAGE: Jetzt noch eine generelle Verständnisfrage zum Ablauf: Die Wissenschaftler in dem Speziallabor der Bundeswehr sind Mitarbeiter der Bundeswehr und dadurch weisungsgebunden? Verstehe ich das richtig?

COLLATZ: Da müsste ich mich selbst erst schlau machen, wie genau die Binnenorganisation dieses Instituts ist. Wenn ich da etwas in Erfahrung bringen kann, dann müsste ich das nachliefern.

ZUSATZFRAGE: Wenn Sie das nachliefern könnten ‑ danke.

ADEBAHR: Wenn ich da noch einmal nachhaken darf, dann würde ich Sie gern auf den aktuellen Satz der Pressemitteilung, die Herr Seibert heute versandt hat, zu der Frage OVCW hinweisen. Dieser lautet:

Die OVCW hat auf dieser Grundlage Proben von Herrn Nawalny selbst entnommen und wird jetzt das Verfahren nach Artikel VIII 38 (e) durchführen.

FRAGE: Eine vielleicht etwas naive Frage: Wenn schon mehrfach Proben entnommen werden und die Russen unbedingt auch eine haben wollen, warum stellt man ihnen nicht eine zur Verfügung?

ADEBAHR: Wir haben dazu hier mehrfach gesagt, was ich auch gern noch einmal ausführe: Herr Nawalny war 48 Stunden in russischer Behandlung im Krankenhaus. Auf russischer Seite liegen Proben von Herrn Nawalny vor. Die russische Seite ist aufgefordert, nachdem nun insgesamt drei unabhängige Labore das Ergebnis festgestellt haben, sich zu erklären. Russland hat dadurch, dass Herr Nawalny dort in Behandlung war, alle Informationen und auch alle Proben, die es für eine Analyse braucht.

FRAGE: Ich wollte hier den einen Punkt mit der OVCW noch einmal bestätigt haben. Das heißt, OVCW-Vertreter waren dann in der Charité, wenn sie bei Herrn Nawalny selbst eine Probe entnommen haben? Das wollte ich einfach noch einmal klären.

Eine zweite Frage: Es werden ja in der Pressemitteilung noch weitere Länder und Labore genannt. Herr Seibert, könnten Sie uns bitte sagen, welche Länder noch gefragt wurden?

SEIBERT: Die Pressemitteilung sagt das ja: „Die Bundesregierung hat zudem mit Frankreich und Schweden weitere europäische Partner um eine unabhängige Überprüfung des deutschen Nachweises anhand erneuter Proben von Herrn Nawalny gebeten.“

Speziallabore aus Frankreich und Schweden haben also ihre Untersuchungen durchgeführt und den deutschen Nachweis bestätigt. Das heißt, wir haben nun drei unabhängig voneinander arbeitende Labore, die zu dem Schluss kommen: Es handelt sich bei dem Stoff, der die Vergiftung von Herrn Nawalny ausgelöst hat, um einen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe.

ZUSATZ: Okay, man kann den Satz auch anders lesen: Deutschland hat mit Frankreich und Schweden weitere Länder ‑ ‑ ‑Deswegen frage ich ja nach. Das ist die Präzisierung, dass diese beiden Länder ‑ ‑ ‑

SEIBERT: Ach so. So lesen Sie den Satz?

ZUSATZFRAGE: So kann man ihn lesen. Ich frage deswegen nach, wie er zu verstehen ist.

SEIBERT: Ja, gut. Aber der zweite Satz danach heißt dann: „Die Ergebnisse dieser Überprüfung durch Speziallabore in Frankreich und Schweden ...“

ZUSATZFRAGE: Richtig. Aber es hätte ja sein können, dass noch weitere kommen. Ich wollte es ja nur klären.

SEIBERT: Okay. Das ist geklärt.

ZUSATZFRAGE: Der zweite Punkt: Es waren dann Ermittler in der Charité, die die Proben entnommen haben? ‑ Da gab es ja auch einen entsprechenden Pressebericht am Wochenende.

SEIBERT: Was die OVCW betrifft?

ZUSATZ: Ja. Ich wollte nur noch einmal geklärt haben, dass sie in der Charité waren.

SEIBERT: Die OVCW hat Proben von Herrn Nawalny entnommen.

FRAGE: Ich wollte noch einmal auf das Protokoll vom letzten Mittwoch zurückkommen. Hier steht schwarz auf weiß, Herr Collatz, dass Sie gesagt haben: Die Ergebnisse wurden der OVCW zur Verfügung gestellt. ‑ Die OVCW wurde also nicht darüber in Kenntnis gesetzt, sondern die Ergebnisse wurden zur Verfügung gestellt.

Frau Adebahr, Sie sagten auch, dass die Ergebnisse veröffentlicht wurden, was nicht der Fall ist. Für mich ist immer noch nicht klar, warum man diese Sache unter Verschluss hält, wenn es so zweifelsfrei nachgewiesen ist - jetzt sogar zusammen mit den Schweden und den Franzosen?

ADEBAHR: Ich erinnere mich an diese Passage nicht mehr. Aber ich kann für mich sagen: Wir haben das Ergebnis des Bundeswehr-Labors veröffentlicht. Das meinte ich. Das haben wir veröffentlicht.

ZUSATZFRAGE: Wo?

SEIBERT: Die Bundeskanzlerin hat dazu eine Erklärung abgegeben. Wir haben eine Pressemitteilung gegeben. Der Außenminister, die Verteidigungsministerin, sind mit diesem Ergebnis vor die Presse getreten ‑ das alles an einem Tag.

FRAGE: Ich habe noch eine weitere Frage.

Das russische Innenministerium hat erklärt, dass sie in der Lage waren, eigentlich alle Begleiter von Nawalny im Kontext seines Zusammenbruchs zu befragen ‑ außer einer Person, einer sechsten Begleiterin. Marina P. soll sich der Befragung durch einen individuellen Flug nach Deutschland entzogen haben, also nicht mit Nawalny.

Da würde mich interessieren: Ist der Bundesregierung bekannt, dass sich Marina P. in Deutschland befindet? Wie bewerten Sie diese ‑ sagen wir einmal ‑ Flucht vor der Zeugenbefragung durch russische Ermittler im Rahmen der Vorermittlung?

SEIBERT: Ich kann Ihnen zu diesem Fall nichts sagen. Ich würde in dem Zusammenhang nicht vergessen, dass ein Giftanschlag auf das Leben von Herrn Nawalny verübt worden war. Aber ich kann Ihnen hier konkret zu dem Aufenthalt einer einzelnen Person nichts sagen.

ZUSATZFRAGE: Um das noch einmal kurz zu resümieren: Russische Ermittler ‑ das, was Sie ihnen immer vorgeworfen haben ‑ befragen die sechs Begleiter von Herrn Nawalny, fünf machen das auch, aber eine entzieht sich der Befragung und fliegt nach Deutschland. Da sollte ja Deutschland in der Lage sein zu sagen „Ja, wir wissen, dass sich Marina P. in Deutschland befindet“ und auch eine Bewertung abzugeben ‑ die fünf anderen haben sich ja der Befragung gestellt ‑, wieso diese Person sich entzieht.

Vielleicht noch eine Frage an das Innenministerium: In der aktuellen Zeit ist es ja eher schwierig, als russischer Staatsbürger spontan nach Deutschland zu fliegen. Gab es da irgendeine Form von Sondergenehmigung, die es Marina P. ermöglichte, so schnell nach Deutschland zu kommen?

GRÜNEWÄLDER (BMI): Ich kenne den Fall nicht und äußere mich dazu auch nicht.

FRAGE: Ich bin mir nicht sicher, an wen die Frage geht, möglicherweise an das Justizministerium oder an das Außenministerium: Die russische Regierung hatte gesagt, dass sie gerne selber einen Ermittler nach Deutschland schicken möchte. Gab es da jetzt ein neues, erweitertes Rechtshilfeersinnen an die Bundesregierung, ist das eingegangen? Was ist die Position der Bundesregierung dazu, dass ein russischer Ermittler in die Charité zu Herrn Nawalny kommt?

LEBER (BMJV): Ich kann dazu nichts berichten. Es stimmt, dass russische Stellen laut russischen Agenturberichten angekündigt haben, an der Ermittlung bzw. der Zeugenbefragung teilnehmen zu wollen. Wie Herr Seibert am Freitag in der Regierungspressekonferenz aber gesagt hat, liegt ein solches Rechtshilfeersuchen nicht vor; deshalb kann ich mich dazu nicht äußern.

FRAGE: Sie sagten, es seien Ergebnisse übermittelt worden. Welche Lesart ist das? Wenn ich ein Blutbild beim Arzt machen lasse, und der Arzt übermittelt mir dann das Ergebnis, dann kann das einmal heißen „Bei Ihnen ist alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen“, und zum Zweiten kann das heißen, dass ich die Ergebnisse des Blutbildes aufgeschlüsselt bekomme. Wenn ich das jetzt auf das Bundeswehrlabor und Nowitschok übertrage: Bedeutet das, dass der OVCW in der vergangenen Woche lediglich gesagt wurde „Wir haben festgestellt, dass es ein Wirkstoff aus der Nowitschok-Gruppe war“, oder sind tatsächlich die Ergebnisse übermittelt worden?

Zweite Frage: Die Labors in Frankreich und Schweden haben offenbar ja eigene Analysen angestellt. Anhand welches Samples haben sie das getan? Waren das Teilmengen von Blut bzw. sonstiger Körperflüssigkeiten, die von Deutschland aus dorthin übermittelt worden sind, oder haben die ebenfalls eigene Proben in Berlin bei Herrn Nawalny entnommen?

ADEBAHR: Ich weiß nicht, ob Herr Collatz den Satz, den er dazu gesagt hat, noch einmal wiederholen will?

COLLATZ: Jederzeit gerne. ‑ Die Ergebnisse waren ‑ das haben wir hier und auf vielen Kanälen ja auch immer so bestätigt ‑, dass Herr Nawalny mit einem Gift aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Das ist das Ergebnis der Testungen, und dieses Ergebnis wurde über die Regierung an die OPCW weitergegeben.

ZUSATZFRAGE: Es gab also keine detaillierte Ausführung „der Ergebnisse“ ‑ was der Plural ja nahelegen würde ‑, sondern das summarische Ergebnis „Es war ein Stoff aus der Nowitschok-Gruppe“? Mehr hat die OVCW am Anfang auch nicht erhalten?

COLLATZ: Um in Ihrem Bild zu bleiben: nicht das Blutbild, sondern das Krankheitsbild.

ADEBAHR: Zur zweiten Frage zu Schweden und Frankreich: Sie sehen in der Pressemitteilung, dass diese beiden Länder das anhand erneuter Proben getan haben. Damit gilt das Gleiche, was zuvor für die OVCW gesagt wurde.

ZUSATZFRAGE: „Anhand erneuter Proben“ heißt ja, dass OVCW-Chemiker oder -Mediziner bei Herrn Nawalny selbst Proben ziehen konnten. Gilt das auch für die Labors in Schweden und in Frankreich? Haben die hier selber Proben entnommen und analysiert, oder ist denen etwas von dem in Deutschland schon vorhandenen Material zur Verfügung gestellt worden?

ADEBAHR: Ja zur Ihrer Eingangsfrage.

ZUSATZFRAGE: Letzteres?

ADEBAHR: Nein.

ZUSATZFRAGE: Ersteres?

ADEBAHR: Die haben Proben entnommen.

ZUSATZFRAGE: Es gab abgesehen von den deutschen also drei Institutionen, die bei Herrn Nawalny Proben entnommen haben, nämlich das OVCW-Labor, ein schwedische Labor und ein französisches Labor, richtig?

ADEBAHR: Das ist richtig.

FRAGE: Herr Seibert und Frau Adebahr, am 2. September hat die Bundesregierung zum Fall Nawalny angekündigt, dass Berlin, die EU und die NATO-Partner im Lichte der russischen Einlassungen gemeinsam beraten und über eine angemessene gemeinsame Reaktion entscheiden würden. Wie schätzen Sie die russischen Einlassungen ein, die bisher durch verschiedene Stellen ausgedrückt wurden?

SEIBERT: Dieser Satz vom 2. September stimmt noch komplett. Genau das werden wir tun, nämlich gemeinsam beraten, um eine gemeinsame Reaktion zu haben. Darüber werden wir Sie dann auch informieren.

FRAGE: Noch einmal zum Grundsatzverständnis: Es gibt die russische Seite, die jetzt sagt, Herr Nawalny habe Russland giftfrei verlassen, und es gibt die jetzt hier breit ausgeführten Ergebnisse des deutschen und mutmaßlich der französischen und schwedischen Labore.

SEIBERT: Warum sagen Sie „mutmaßlich“, wenn ich fragen darf?

FRAGE: Die liegen uns ja noch nicht vor, das können wir ja nicht verifizieren. Es ist ja üblich, das als mutmaßlich zu bezeichnen; da drehen Sie mir jetzt keinen Strick draus.

SEIBERT: Ich drehe sowieso keinen Strick, das ist nicht meine Art.

FRAGE: Ich wollte lediglich nachfragen, ob die Bundesregierung bereit ist oder sich überlegt ‑ ‑ ‑ Aus kriminaltechnischer Perspektive bleiben ja sechs Stunden Flug und Transport an die Charité auch noch als eine mögliche Variable. Deswegen würde mich interessieren, ob die Bundesregierung grundsätzlich versucht, Kontaktketten von Nawalny nachzuvollziehen oder auch die deutschen Piloten und Ärzte zu befragen. Denn dieses schwarze Loch der sechs Stunden gibt es ja trotz allem.

SEIBERT: Ich folge Ihrer Variante, wonach deutsche Piloten und Ärzte an der Vergiftung von Herrn Nawalny schuld sein sollen, nicht ‑ ausdrücklich nicht. Es gibt dafür keinen Hinweis. Alle Hinweise sind völlig klar: Es ist eine Vergiftungssituation in Russland eingetreten. Nun haben drei Labore unabhängig voneinander bestätigt, dass dies mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe geschehen ist.

ZUSATZ: Entschuldigen Sie, ich habe das in keinster Form vorgeworfen. Ich habe lediglich gefragt, ob die Bundesregierung in Betracht zieht, auch den Flug und den Transport von Herrn Nawalny zu untersuchen. Aus kriminaltechnischer Perspektive wäre das ein völlig normaler Vorgang.

SEIBERT: Das Verbrechen ist in Russland geschehen, und dort sollten alle kriminaltechnischen Perspektiven, wie Sie sagen, auch genutzt werden, um Aufklärung zu schaffen. Jedenfalls sind wir nun nach der erneuten Bestätigung durch zwei weitere Labore mehr denn je ganz klar in unserer Forderung, dass Russland sich zu dem Gesamtvorkommnis erklärt.

FRAGE: Eine technische Frage, Herr Collatz, wenn es kein Militärgeheimnis ist: Sind die Fachleute der Bundeswehr in der Lage, anhand von Verschmutzungen in der Probe festzustellen, wo genau ‑ in welchem Labor, in welchem Land oder in welcher Gegend ‑ die Substanz hergestellt wurde?

COLLATZ: Dazu kann ich keine Angaben machen.

ZUSATZFRAGE: Also Militärgeheimnis?

FRAGE: Ich hätte gern noch einmal eine politische Einschätzung. Es steht ja die Warnung an Moskau im Raum, dass das Projekt Nord Stream 2 gestoppt oder ausgesetzt werden könnte. Haben Sie sich denn jetzt über die Zeit die Chancen erhöht, dass das passiert? Denn Moskau ist bislang ja nicht wirklich ‑ zumindest nicht in großem Ausmaß ‑ kooperationsbereit gewesen. Wie würden Sie das aktuell bewerten?

SEIBERT: Ich würde das gar nicht bewerten, wenn Sie mir das nachsehen, sondern würde weiterhin sagen: Wir werden gemeinsam mit unseren europäischen Partnern bewerten, wie Russlands Einlassungen, Russlands Erklärungen, Russlands Stellungnahmen dazu sind, und dann werden wir gemeinsam eine Reaktion darauf beraten. Darüber wird dann zu informieren sein.

[…]

FRAGE: Noch eine ganz kleine technische Frage zum Fall Nawalny: Wie werden eigentlich die Proben genommen? Ist das eine Blutabnahme, ein Abstrich, oder wie ist das?

ADEBAHR: Ich glaube, wir verstehen Ihr journalistisches Interesse, aber über das hinaus, was wir hier an dieser Stelle kundgetan haben, können wir dazu keine näheren Informationen geben.

Parlamentswahlen in Venezuela

FRAGE: An das AA: Die EU und auch die Bundesregierung bzw. das Auswärtige Amt haben in den letzten zwei Wochen mehrmals den Wunsch Venezuelas bzw. der gewählten venezolanischen Regierung verneint, Wahlbeobachter für die Parlamentswahlen am 6. Dezember 2020 zu entsenden. Mich würde interessieren: Aus welchen Motiven heraus verneint man die Beteiligung von Wahlbeobachtung am 6. Dezember?

ADEBAHR (AA): Dazu verweise ich Sie auf das, was ich dazu schon gesagt habe. Für den Fall, dass wir dazu noch mehr oder einen neuen Stand haben, würde ich Ihnen das gerne nachreichen.

ZUSATZFRAGE: Können Sie den Grund, aus dem Sie diese Wahlbeobachtermission verneinen, trotzdem ausformulieren?

ADEBAHR: Wenn es etwas Neues gibt, reiche ich das gerne nach.

ZUSATZFRAGE: Jetzt hat ja die gemäßigte Opposition unter Henrique Capriles gesagt, sie würde von einem Boykott der Wahlen absehen und sich aktiv an den Wahlen beteiligen, wenn es eine Wahlbeobachtermission der EU gebe. Hintertreiben Sie damit nicht die Bemühungen einer eher konsensorientierten Opposition, sich an den Wahlen zu beteiligen, wenn Sie sozusagen auf deren Wunsch auch nicht eingehen und keine Wahlmissionen nach Venezuela entsenden?

ADEBAHR: Ich könnte grundsätzlich sagen, dass von einer EU-Wahlbeobachtermission keine Absicht ausgeht, etwas zu hintertreiben. Wenn wir auch dazu noch etwas nachzureichen haben, würden wir das aber tun.

ZUSATZFRAGE: Aus der Weigerung, eine Wahlmission der EU zu entsenden, während die Opposition ‑ zumindest die gemäßigte ‑ sagt „Wir würden teilnehmen, wenn es die gibt“, ergibt sich ja eine gewisse Problematik. Dazu hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen.

ADEBAHR: Dann reiche ich Ihnen das gerne nach.

ZUSATZ: Ich danke.

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