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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungs­pressekonferenz vom 09.09.2020

09.09.2020 - Artikel

Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Irak und in Syrien

FIETZ (BReg): Das Kabinett hat heute die Verlängerung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte im Irak und in Syrien zur Sicherung von Stabilisierung, Verhinderung des Wiedererstarkens des sogenannten Islamischen Staats sowie zur Förderung von Versöhnung beschlossen. Der Bundestag muss diesem Kabinettsbeschluss noch zustimmen. Auch wenn im Kampf gegen den IS große Fortschritte erzielt worden sind, ist der IS noch nicht besiegt. Die Bundesregierung ist daher der Auffassung, dass der Druck auf die Terroristen aufrechterhalten werden muss. Vorgesehen ist die Fortsetzung des deutschen Beitrags zum Fähigkeitsaufbau der regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte, zur Luftbetankung unserer Partner, zum Lufttransport und zur Luftraumüberwachung sowie zur Aufklärung und Lagebilderstellung.

Auf ausdrückliche Bitte und mit Einverständnis der irakischen Regierung leistet Deutschland damit einen weiterhin notwendigen militärischen Beitrag, der auf zwei Säulen basiert, nämlich dem Kampf gegen den IS im Rahmen der Anti-IS-Koalition und der Stabilisierung der irakischen Sicherheitsinstitution im Rahmen der NATO-Mission im Irak.

Der Einsatz ist bis zum 31. Januar 2022 befristet. Insgesamt können bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden.

[…]

FRAGE: Frau Fietz, können Sie uns sagen, was das Exitszenario ist?

FIETZ: Diese Mission ist erst einmal bis zum 31. Januar 2022 befristet. Diese Mission findet ja auch auf eindringliche Bitte der irakischen Regierung statt. Das ist das, was ich Ihnen dazu im Moment sagen kann.

ZUSATZFRAGE: Können Sie uns die Bedingungen nennen, unter denen die Mission für die Bundesregierung abgeschlossen ist?

FIETZ: Ich weiß nicht, ob das Verteidigungsministerium mehr dazu sagen kann. Ich habe keine weiteren Informationen.

COLLATZ (BMVg): Ganz konkret kann ich Ihnen dabei ‑ das wissen Sie ‑ nicht weiterhelfen. Wir beobachten die Bedingungen vor Ort, die dazu führen, dass wir zum Einsatz kommen, natürlich sehr genau. Im Verbund mit unseren Partnern betrachten wir anhand der aktuellen Lage vor Ort, wie die Bedrohung ist, ob der Einsatz weiterhin notwendig ist oder nicht. Im Einvernehmen mit den Partnern, mit der Regierung vor Ort und im gesamten Zusammenspiel der Bundesregierung wird diese Lage bewertet.

Es ist nicht vorab bestimmbar, wann ein Einsatz endet.

FIETZ: Ich kann vielleicht noch ergänzen. Ich habe es eben schon einmal gesagt. Der IS ist noch nicht besiegt. Zwar ist es gelungen, seine territoriale Herrschaft weitgehend zu beenden. Er stellt aber weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar. Die Bundesregierung ist entschlossen, ihr umfassendes ziviles und militärisches Engagement in der Region fortzusetzen, um den Druck auf den IS mit aufrechtzuerhalten.

FRAGE: Bei der Abänderung dieses Mandates hieß es, die Aufklärungsflüge, die früher von den Tornados geleitstet wurden, würden von Italien übernommen werden. Ist das mittlerweile geschehen? Gibt es auch Luftaufklärung?

COLLATZ: Zu den Einsätzen der Italiener müssen Sie dort nachfragen. Ich kann Ihnen bestätigen, dass unsererseits der Einsatz der Aufklärungskomponente beendet wurde und die Kräfte komplett zurückgeführt wurden.

FRAGE: Herr Collatz, wie bewertet Ihr Ministerium die Sicherheitslage im Irak, speziell was das Territorium des IS betrifft?

Frau Fietz, Sie sagten gerade, dass der IS weiterhin eine Gefahr darstelle und noch nicht besiegt sei. Wieso reduzieren Sie dann die Truppenstärke in dem Land?

COLLATZ: Vielleicht kann ich einsteigen. Ich kann das, was Frau Fietz gesagt hat, nur bestätigen. Wir stellen fest, dass das Kalifat, das es dort früher gab, als Organisation sehr wohl zerschlagen ist, dass aber, über das Land und die Region verteilt, weiterhin Einzelgruppierungen des IS aktiv sind, auf die weiterhin Druck ausgeübt werden muss. Diesem Ziel dient das Mandat.

FIETZ: Haben Sie noch Angaben zur Truppenreduzierung? Bislang haben wir 700 Soldatinnen und Soldaten dort, dann 500.

COLLATZ: Genau. Mit der Reduzierung der Aufklärungskomponente können wir auf eine Gesamtstärke von maximal 500 Soldatinnen und Soldaten heruntergehen und den Auftrag mit dieser Stärke wahrnehmen.

FRAGE: Ich habe zwei Fragen. Frau Fietz, habe ich richtig gehört, dass Sie von bewaffneten Streitkräften im Irak und in Syrien sprachen, oder habe ich mich verhört?

Herr Collatz, zum Mandat gehört bislang auch die Ausbildung von Sicherheitskräften. Das haben sie, denke ich, coronabedingt auf das sogenannte operative Minimum heruntergefahren. Was bedeutet das konkret in Zahlen? Ist absehbar ‑ und in welchen Zeiträumen entscheiden Sie? ‑, ob Sie das wieder bis zur möglichen Höchstgrenze von 500 hochfahren?

COLLATZ: Die tagesaktuellen Zahlen können Sie unseren Onlineseiten entnehmen. Damit möchte ich jetzt niemanden behelligen. Sie werden tatsächlich auch immer aktuell gehalten.

Auch hier gilt: Wir müssen die Coronalage vor Ort beobachten und richten uns in dem Einsatz natürlich nach dem Bedarf, der uns seitens der irakischen Regierung angezeigt wird. Auch hier wirkt Corona mit hinein. Das heißt, dass auch die irakischen Streitkräfte im Moment nicht in der Lage sind, unter Coronabedingungen eine Ausbildungsgruppe zu identifizieren.

Solange wir keinen Bedarf haben, reduzieren wir auf das Minimum, wie Sie es angedeutet haben. Dann gilt es eben, die Kapazitäten aufrechtzuerhalten, damit man die Ausbildungsfähigkeit schnell wiederherstellen kann.

FIETZ: Sie haben sich nicht verhört.

ZUSATZFRAGE: Können Sie die Einsätze in Syrien noch ein wenig spezifizieren?

COLLATZ: Ich kann gern unterstützen. Zum einen bezog sich das Aufklärungsmandat damals natürlich auf die Region Syrien. Wir haben weiterhin eine Luftbetankungskomponente aktiv, und diese muss natürlich in dem Raum wirken können, in dem wir die Alliierten, unsere Kameraden, unterstützen, wenn es um Betankung geht.

FRAGE: Aber das ist ja etwas anderes, als wenn Sie sagen, es gebe bewaffnete Streitkräfte in Syrien. Was sind die bewaffneten Streitkräfte in Syrien?

COLLATZ: Insgesamt sieht dieser Einsatz auch die Möglichkeit des Waffeneinsatzes für alle vor. Deswegen ist das Mandat so tituliert. Das heißt nicht, dass am Boden Menschen mit Waffen sein müssen.

Verlängerung der Reisewarnungen für Drittstaaten

FIETZ (BReg): Darüber hinaus hat sich das Kabinett auch mit dem Thema der Reisewarnungen beschäftigt. Die Details dazu hat Frau Adebahr.

ADEBAHR (AA): Das Bundeskabinett hat heute Morgen beschlossen, die weltweite Warnung vor nicht notwendigen touristischen Reisen in Drittstaaten noch ein weiteres Mal zu verlängern, und zwar bis einschließlich des 30. Septembers. Das Kabinett hat heute auch beschlossen, ab dem 1. Oktober zu einem differenzierten System überzugehen, in dem für jedes Land weltweit individuelle Reise- und Sicherheitshinweise angegeben werden.

Dazu drei Punkte:

Was heißt das? ‑ Das heißt, dass sich aus heutiger Sicht de facto wenig an der bisherigen Möglichkeit zu reisen und an der Praxis ändern wird. Denn Länder oder Regionen, die als Risikogebiet eingestuft sind, werden auch weiterhin mit einer Reisewarnung belegt werden. Für viele Länder, die nicht als Risikogebiet eingestuft sind, gelten ja derzeit noch zum Teil massive Reisebeschränkungen oder Quarantäneerfordernisse für Einreisen aus Deutschland. Auch in solchen Ländern ist ein Urlaub nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen möglich. Für solche Länder wird man dann wahrscheinlich die Reisewarnung aufheben, aber zugleich sehr dringend von Reisen in solche Länder abraten.

Für die verbleibenden Länder, die also nicht Risikogebiet sind und für die es keinerlei Einschränkungen in der Quarantäne oder bei der Ein- und Ausreise gibt, werden wir die Reisewarnung dann aufheben können und zu besonderer Vorsicht raten.

Dieses System tritt mit Abschluss der Sommerperiode ab dem 1. Oktober differenziert in Kraft.

Wie gesagt, sehen wir weltweit ein steigendes Infektionsgeschehen. Wir sehen auch in Deutschland, wie sich die Zahlen entwickeln und dass wir zu großer Vorsicht raten müssen. Wir sehen das steigende Infektionsgeschehen in Europa. Das heißt, praktisch dürfte sich nicht viel ändern.

Wir werden die Zeit bis zum 1. Oktober natürlich nutzen, um die Datenbasen, die wir haben, und die Informationen, die es braucht, um dieses System einzustellen und zugänglich zu machen, zu aktualisieren.

[…]

FRAGE: Frau Adebahr, vielleicht könnten Sie uns anhand von zwei, drei Beispielen sagen, was das bezüglich der Reisewarnungen letztlich bedeutet; denn Sie hatten gesagt, dass Reisewarnungen auch aufgehoben werden können. Es stand noch im Raum, dass für Länder, die selbst Einreisebeschränkungen haben, wie China, Japan und noch einige, reziproke Regeln gelten sollen. Meinen Sie damit diese Länder, für die Reisewarnungen aufgehoben werden können? Könnten die auch vor dem 30. September aufgehoben werden?

ADEBAHR: Vielen Dank für die Nachfragen. ‑ Ich präzisiere gern noch einmal: Bis zum 30. September bleibt alles, wie es bisher ist. Es gibt keine Aufhebungen, sondern das System bleibt, wie es ist. Es kann natürlich sein ‑ wir sehen das Infektionsgeschehen ‑, dass es aufgrund der Erklärung neuer Risikogebiete und unserer Bewertung leider noch Reisewarnungen für bestimmte Regionen, zum Beispiel auch in Europa, wird geben müssen. Aber bis Ende September ist alles wie gehabt.

Ab Oktober kehren wir zu einem individuellen System für jedes Land zurück. Eine Einstufung als Risikogebiet war natürlich auch schon bisher ein ganz starker Indikator dafür ‑ neben anderen Einschätzungen ‑, eine Reisewarnung dafür zu erklären. Das wird so bleiben. Ein Gebiet oder ein Land, das ein Risikogebiet ist, wird mit einer Reisewarnung versehen werden.

Wenn Länder nicht als Risikogebiete eingestuft sind, es aber Quarantäneerfordernisse auf dortiger Seite gibt, dann besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die Reisewarnung aufzuheben. In solchen Fällen ist eben wegen dieser Bestimmungen dringend von einer Reise abzuraten.

Ich will Ihnen heute hier, im ersten Drittel des Septembers, zu der Frage der Gegenseitigkeit und zu unseren Gesprächen ‑ das bleibt ein wichtiges Thema für uns ‑ ungern ein mutmaßliches in der Zukunft liegendes Beispiel nennen. Noch kann ich das; denn wir werden bis zum 1. Oktober schauen, wo wir mit dieser Gruppe von Ländern stehen ‑ sie ist nicht sehr groß ‑ und wie sie dann eingestuft werden.

Die dritte Gruppe von Ländern sind die verbleibenden Länder. Das ist im Moment zum Beispiel die Europäische Union in den größten Teilen. Sie sind weder Risikogebiet, noch haben sie Einschränkungen im Reiseverkehr. Da werden wir dann die Warnungen aufheben ‑ wenn sie außerhalb der EU sind ‑, aber zu besonderer Vorsicht raten.

Wir werden jetzt bis Oktober schauen, wie diese Klassifizierung weltweit vorzunehmen ist. Nach unserem heutigen Stand wird sich, weil sich die Pandemielage weltweit im Moment eher zum Schlechteren entwickelt als zum Besseren, in Bezug auf unser Hinweisangebot, das wir machen, wahrscheinlich wenig für die Reisenden ändern.

ZUSATZFRAGE: Gibt es bei diesen Entscheidungen eine Abstimmung mit den EU-Partnern, dass man innerhalb der EU, auch was Reisewarnungen angeht, möglichst ähnliche Entscheidungen trifft?

ADEBAHR: Wir wirken in Brüssel an dem Entscheidungsfindungsprozess und auch an den Vorschlägen mit, die die Kommission dort zum weiteren Vorgehen macht. Wir fänden es gut, wenn es in Europa eine einheitliche Regelung geben würde. Auch dazu gehen in Brüssel nach der Sommerpause die Beratungen für das weitere Vorgehen in Richtung Herbst wieder los. Wir sehen, dass das Infektionsgeschehen in vielen Ländern der EU dynamisch ist. Deswegen wird es da sicherlich Beratungen geben. Wir fänden es gut, wenn es eine einheitliche Linie und eine größtmögliche Abstimmung geben würde.

Brand in dem Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos

VORS. SZENT-IVÁNYI: Dann kommen wir zum Thema Moria.

FRAGE: Herr Alter, Sie haben auf Twitter ja bereits geschrieben, dass der Bundesinnenminister Griechenland deutsche Hilfe angeboten hat. Können Sie das konkretisieren? Wie wird die Hilfe aussehen?

Nun haben auch schon Länder wie zum Beispiel das Land Berlin gesagt, sie würden ihr Flüchtlingsprogramm anbieten, um die Aufnahme von Flüchtlingen im Zusammenhang mit dem Brand in Moria zu forcieren. Überdenkt der Innenminister seine bisherige Haltung gegenüber solchen Landesprogrammen zur Aufnahme von Flüchtlingen?

ALTER (BMI): Wir befinden uns seit gestern Abend auf allen Ebenen mit der griechischen Regierung und auch mit den griechischen Behörden in engstem Kontakt, auch mit der Europäischen Kommission und mehreren EU-Mitgliedsstaaten.

Vor wenigen Minuten hat der Bundesinnenminister mit dem griechischen Migrationsminister Mitarakis telefoniert und sich über die aktuelle Situation informieren lassen. Der griechische Minister Mitarakis hat den Zustand beschrieben. Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen wurden weite Teile in der Einrichtung in Moria zerstört, sodass man im Moment davon ausgehen muss, dass sie in der bisherigen Form nicht mehr nutzbar ist. Er hat auch darüber informiert, dass es bei diesen Bränden nach bisherigen Erkenntnissen weder Tote noch Verletzte gab. Wir haben die Situation, dass in diesem Moment zwischen 12 000 und 13 000 Menschen keine Unterkunft haben. Unter diesen Menschen befinden sich ca. 400 unbegleitete Minderjährige. Der griechische Minister hat betont, dass die Lage im Griff ist.

Der Bundesinnenminister hat angeboten, Hilfe zu leisten. Jetzt wird es also darum gehen, gemeinsam mit den Griechen zu definieren, welche Form der Hilfe benötigt wird. Diese Hilfe werden wir dann prüfen und auch sehr zügig und unkompliziert bereitstellen.

Man kann nur sagen: Wir haben Griechenland in der Vergangenheit an vielen Stellen geholfen, und wir werden das selbstverständlich auch jetzt tun. Das ist nicht nur unsere deutsche Position, sondern das entspricht auch unserer Rolle als EU-Ratspräsidentschaft.

Der Brand in Moria macht aber auch deutlich, dass es auf europäischer Ebene dringend notwendig ist, in der Flüchtlingsfrag eine europäische Lösung zu erreichen. Wir sehen ihn als einen Anlass dazu, in diese Gespräche wieder intensiv einzusteigen. Denn er macht deutlich, dass die Situation, wie sie sich jetzt darstellt, auf Dauer nicht so bleiben kann.

ZUSATZFRAGE: Meine zweite Frage hatten Sie noch nicht angerissen, nämlich die Frage, ob der Minister seine ablehnende Haltung bezüglich der Länderprogramme, die auch Flüchtlinge aufnehmen würden, überdenkt.

Noch eine anschließende Frage zu dem, was Sie gerade aufgezählt haben, dass jetzt abgestimmt wird, wie man helfen kann: Ist Deutschland bereit, eventuell mehr Flüchtlinge und mehr unbegleitete Kinder ‑ Sie haben die Zahl 400 ja genannt ‑, als bisher abgesprochen, aufzunehmen?

ALTER: Ich habe die Frage beantwortet. Möglicherweise haben Sie es nicht genau gehört oder überhört. Es geht jetzt darum, gemeinsam mit den griechischen Behörden zu definieren, welche Hilfe benötigt wird. Dazu wird es auch morgen wieder ein Gespräch geben. Dabei gibt es unterschiedliche Optionen. Es ist völlig klar, auch bei der Größenordnung der Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, dass es auch um Hilfe vor Ort gehen muss. Aber was konkret an Hilfestellung angeboten wird, das wird man jetzt besprechen müssen.

Die Lage vor Ort ist ja keineswegs abgeschlossen. Die Entwicklung setzt sich fort. Wir haben auch noch nicht alle Erkenntnisse. Insofern muss man da zur rechten Zeit Entscheidungen treffen.

FIETZ (BReg): Lassen Sie mich für die Bundesregierung noch insgesamt dazu sagen, dass wir die Berichte aus Moria zur Kenntnis genommen haben und dass wir die Lage sehr genau verfolgen. Heute Morgen ist auch im Kabinett darüber gesprochen worden.

Wir sind zunächst einmal froh, dass durch die Brände offenbar niemand ernstlich verletzt wurde. Sollten sich Hinweise bestätigen, dass Brandstiftung die Ursache des Feuers war, so wäre dies eine völlig unakzeptable Gefährdung von Menschenleben.

Wir vertrauen darauf, dass die griechischen Behörden alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, vor allem was die unmittelbare Versorgung der betroffenen Menschen angeht. Wir haben dabei die Unterstützung angeboten. Sie haben von Herrn Alter schon gehört, dass der Innenminister bereits aktiv war. Auch vonseiten des Auswärtigen Amtes haben schon Kontakte und Gespräche stattgefunden.

Darüber hinaus hat das Kabinett aber auch Einvernehmen darüber hergestellt, dass es jetzt vor allem mit Blick auf die EU-Ratspräsidentschaft darauf ankommt, eine einvernehmliche europäische Lösung für dieses akute aktuelle Problem zu finden.

ZUSATZFRAGE: Herr Alter, ich habe eine Frage zu den Programmen der Bundesländer, die gerne noch mehr Flüchtlinge aufnehmen würden als bisher. Ändert der Bundesinnenminister in diesem Zusammenhang seine Meinung, dass dies nicht möglich sei, also dass es eine Bundeskoordinierung geben müsse?

ALTER: Das ist im Grunde genommen eine allgemeine, eine andere Frage, als die derzeitige Situation zu bewältigen. Der Minister hat deutlich gemacht, dass das bisherige Prinzip der Flüchtlingsaufnahme so, wie es auch die Rechtsordnung vorsieht, existiert und dass er nicht beabsichtigt, daran Änderungen vorzunehmen.

Die aktuelle Situation stellt uns vor Herausforderungen. Es ist ganz klar, dass wir der griechischen Regierung da, wo nötig, Hilfe leisten werden. Aber das ist kein Grund, jetzt unsere bisherige Rechtsordnung grundsätzlich infrage zu stellen.

FRAGE: Frau Fietz, wird die Kanzlerin den Bundesinnenminister nach dem Brand in Moria anweisen, Geflüchtete von dort nach Deutschland zu holen?

FIETZ: Ich kann zu diesem Thema nur sagen: Wir haben an dieser Stelle schon oft gesagt, dass wir eine solidarische europäische Lösung brauchen. Die Lasten mit Blick auf Migration und Flüchtlinge sind in der EU derzeit ungleich verteilt. Staaten, die stärker betroffen sind, verdienen Unterstützung. Daher muss das gemeinsame europäische Asylsystem reformiert werden. Die Kommission hat angekündigt, dass sie den Mitgliedstaaten dazu in Kürze einen neuen Vorschlag vorlegen wird. Dieser Vorschlag wird die Grundlage sein, um Fortschritte zu erzielen.

Klar ist: Die Bundesregierung wird die Kommission bei der Reform der gemeinsamen europäischen Asylregelungen nach Kräften unterstützen. Wir sind davon überzeugt, dass es eine umfassende Reform des gemeinsamen europäischen Asylrechts geben muss. Das ist an dieser Stelle die Antwort auch auf diese Frage.

FRAGE: Herr Alter, Sie haben von „zügig“ gesprochen. Man kann ja durchaus von einer humanitären Katastrophe sprechen, die sich gerade auf dieser Insel abspielt. Was meinen Sie mit „zügig“, die nächsten Tage, oder wie lange wollen Sie auf eine Lösung waren?

ALTER: Ich komme darauf zurück, was ich eben gesagt habe. Im Moment gibt es vielerlei Ideen, die auch öffentlich genannt werden, wie man jetzt helfen müsste. Aber für uns ist entscheidend, welche Hilfe die griechische Regierung braucht. Dazu muss man die Situation vor Ort kennen und genau analysieren, was die griechische Regierung auch selbst gewährleisten kann und an welcher Stelle sie Unterstützung braucht, beispielsweise von Deutschland. Wenn dieses Hilfsportfolio steht, wird Deutschland diese Hilfe zügig bereitstellen. Das kann man im Moment in zeitlichen Dimensionen noch nicht konkret benennen.

ZUSATZFRAGE: In Bezug auf Moria hat die griechische Regierung doch eigentlich schon seit Monaten Hilfe verlangt.

ALTER: Wir haben ja auch an verschiedenen Stellen Hilfe geleistet. Jetzt ist die Situation die, dass die Einrichtung in der Weise nicht mehr nutzbar ist. Wir haben Kenntnis darüber, dass die griechische Regierung die 400 unbegleiteten Minderjährigen noch heute auf das Festland transferieren will. Für die Personen, die sich ansonsten auf Lesbos befinden, muss schnellstmöglich eine Unterkunft gefunden werden, damit sie ein Dach über dem Kopf haben. Das alles sind Dinge, die die griechische Regierung derzeit prüft, wie sie das mit ihren Behörden gewährleisten kann. Der Minister hat heute sehr zeitig und sehr zeitnah Hilfe angeboten. Wenn die griechische Regierung uns sagt, was sie braucht, dann werden wir das nicht verzögern, sondern zügig bereitstellen.

FRAGE: Das ist ja eine Katastrophe in Zeitlupe bzw. mit Ansage gewesen. Unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort sagen, dass das kein sicherer Ort ist und dass dort sofort evakuiert werden muss. Wie ist die Einschätzung der Bundesregierung dazu? Halten Sie das für einen sicheren Ort? Können Menschen, wenn Sie dann ein Zelt und ein Dach über dem Kopf haben, weiterhin dort leben, Herr Alter? Ist das die Vorstellung Ihres Ministeriums und der Bundesregierung?

Frau Adebahr, wie sieht das Ihr Ministerium, Ihr Minister? Ist das noch ein Ort, wo sich Menschen aufhalten können, oder sind auch Sie der Meinung, dass das Lager sofort evakuiert und aufgelöst werden muss?

ALTER: Wir haben an dieser Stelle häufig gesagt, dass die Zustände, wie sie jedenfalls bis gestern Bestand hatten, auf Dauer nicht akzeptabel sind. Insofern ist die Position der Regierung bzw. auch des Innenministeriums deutlich.

Jetzt haben wir eine ganz andere Situation. Die Einrichtung ist weitgehend zerstört. Jetzt müssen wir nach vorn schauen und sehen, wie den Menschen möglichst schnell ein Dach über dem Kopf hergestellt werden kann. Daran wirken wir im Rahmen unserer Möglichkeiten und in enger Abstimmung mit Griechenland mit.

ADEBAHR (AA): Der Außenminister hat schon gesagt ‑ vielleicht haben Sie den Tweet gesehen ‑, dass das eine humanitäre Katastrophe ist.

Herr Alter hat zu der Situation im Lager gesagt, dass wir früher nicht damit zufrieden waren. Jetzt haben wir diese humanitäre Katastrophe, die über die Menschen dort hereinbricht. Ich denke, das ist im Moment kein Zustand, in dem die Leute bleiben können. Die griechische Regierung transferiert Teile der Insassen auch auf das Festland. Sie muss jetzt, so wie Herr Alter es gesagt hat, schnell sagen, was sie braucht und welche Pläne sie entwickelt. Dann wird Deutschland bereitstehen, dort zu helfen, damit die Flüchtlinge so, wie sie dort sind, gut versorgt sind.

Wir waren schon im Laufe der Nacht über unseren Botschafter mit dem Migrationsministerium und mit dem stellvertretenden Migrationsminister in Kontakt. Es gibt jetzt weitere Kontakte. Wir wollen dort wirklich so schnell es geht helfen.

ZUSATZFRAGE: Ich hatte gefragt, ob Sie das Lager auflösen möchten, ob Sie diese Situation, diese humanitäre Katastrophe als Grund für eine Auflösung des Lagers ansehen.

Frau Fietz, Herr Alter, Menschenrechtsaktivisten vor Ort, Experten vor Ort und unsere Kollegen vor Ort machen auch die EU und ebenso die Politik der Bundesregierung für die Situation heute mitverantwortlich. Nehmen Sie diese Verantwortung auf sich?

ALTER: Im Moment steht im Vordergrund, dass wir die Situation lösen, die sich akut aus der Tatsache ergibt, dass die Einrichtung, in der bislang 12 000 bis 13 000 Menschen ein Dach über dem Kopf gefunden haben, weitgehend abgebrannt ist. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, wie wir die griechischen Behörden unterstützen können. Im Fokus steht bei uns im Moment nicht, Schuldzuweisungen vorzunehmen und die Frage zu stellen: Wer hat für dieses und jenes Verantwortung? ‑ Das kann man zu geeigneten Zeitpunkten sicherlich machen. Aber im Moment steht die akute Hilfe im Vordergrund.

ADEBAHR: Ich glaube, Herr Alter hat völlig recht, indem er sagt: Die griechische Regierung muss sagen, wie sie weiter vorgehen möchte und was jetzt ansteht. Was doch im Moment ansteht, ist, vor Ort schnell Hilfe zu leisten. Da sind wir jetzt. Da ist die Bundesregierung sehr guten Willens, das zu tun.

FRAGE: Außenminister Maas twitterte, zur Unterstützung Griechenlands gehöre auch die Verteilung von Geflüchteten bei Aufnahmewilligen in der EU. Meint er speziell die 13 000 Flüchtlinge von Moria oder Flüchtlinge auch von anderen Inseln der Ostägäis?

ADEBAHR: Damit wollte er wohl das Thema ansprechen, das auch Herr Alter schon genannt hat, nämlich dass man in der Europäischen Union eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge und eine Reform der Asylpolitik auf der Agenda haben muss und dass wir auch als Ratspräsidentschaft darauf hinwirken wollen, dass es dafür insgesamt eine richtige und gute Lösung in Europa gibt.

FRAGE: Zu dem Angebot der Länder: Wir haben in Moria eine Notlage. Wird erwogen, auf das Angebot der Länder zurückzukommen, Flüchtlinge aufzunehmen? Wie viele sind bisher aufgenommen worden?

ALTER: Ich habe diese Frage eben schon beantwortet und will das jetzt auch nicht im Fünfminutenabstand immer wieder neu tun. An dem Prinzip der Aufnahme in Deutschland gibt es aus der Sicht des Bundesinnenministers im Moment keinen Änderungsbedarf.

Aus dem Kontingent im Rahmen der europäischen Hilfsaktion, bei der 243 kranke Kinder mit ihren Kernfamilien, insgesamt etwa 1000 Personen, in Deutschland aufgenommen werden sollen, sind schon mehrere Flüge in Deutschland angekommen. Nach meinem letzten Kenntnisstand sind inzwischen 465 Personen in Deutschland. Ich prüfe das gern noch einmal. Falls es einen Aktualisierungsbedarf an dieser Zahl gibt, würde ich das noch nachreichen.

FRAGE: Herr Alter, ist in dieser Angelegenheit an eine Sonderkonferenz der europäischen Innenminister und, Frau Adebahr, vielleicht auch der Außenminister gedacht? Wie werden sich europäische Absprachen da konkret vollziehen?

Ich habe noch eine Frage an Sie, Herr Alter, zu der Erklärung von Herrn Seehofer zu der Kolumne in der „taz“ und der Entscheidung des Deutschen Presserates. Die Tatsache, dass Sie diese Pressemitteilung vor anderthalb Stunden herausgegeben haben ‑ ‑ ‑

VORS. SZENT-IVÁNYI: Pardon! Können wir erst einmal bei Moria bleiben?

ZUSATZFRAGE: Nein. Das hängt schon damit zusammen.

Das ist von manchen so interpretiert worden, als dass diese „taz“-Kolumne ihr Haus weiterhin mehr beschäftigt als die Bilder aus Moria. Könnten Sie auch dazu zwei Sätze sagen?

ALTER: Zu dem ersten Punkt. Ich hatte ja angedeutet: Wir haben nicht nur unsere nationale Perspektive im Blick, sondern wir sind uns der Situation völlig bewusst, dass wir derzeit die europäische Ratspräsidentschaft haben. Deswegen gibt es auch Kontakte nach Brüssel und mit mehreren Mitgliedstaaten. Das hatte ich bereits angesprochen. Dort wird man sich über ein weiteres Vorgehen, über einen Fahrplan verständigen. Die Frage, ob es da Sonderkonferenzen in der Folge gibt, kann ich Ihnen in diesem Moment schlicht nicht beantworten. Ich kann nur bestätigen, dass Gespräche selbstverständlich auch auf europäischer Ebene geführt werden.

ADEBAHR: Auch für Außenminister Maas gilt sicher, dass er bereit ist und sich da natürlich auch keiner Diskussion verschließt, sondern das Thema auch europäisch zu diskutieren. Es gibt ja auch die regelmäßigen Außenministerräte. Wenn auch Griechenland das diskutieren möchte, wird man das natürlich tun. Im Moment kann ich Ihnen aber nicht berichten, dass ein Sonderrat einberufen wäre.

ALTER: Zu dem zweiten Teil der Frage kann ich nur sagen: Man sollte vielleicht nicht zu viel interpretieren. Wir twittern nicht in der Reihenfolge der Dringlichkeit. Der Vorgang um die Kolumne ist gestern vom Presserat aus dessen Sicht eingeordnet worden. Wir haben unsere Einordnung heute öffentlich gemacht. Damit ist der Vorgang für uns abgeschlossen.

Selbstverständlich laufen die Gespräche zu den aktuellen Geschehnissen in Griechenland auch während einer solchen Presseveröffentlichung, nämlich bereits seit gestern Abend. Wer also meint, da sei irgendeine Prioritätenreihenfolge erkennbar, liegt falsch.

FRAGE: Herr Alter, Sie haben ungefähr fünf- bis siebenmal erwähnt, es komme jetzt darauf an, den 13 000 Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Dazu zwei Fragen. Zum einen: Gehört zu dem Hilfsangebot, das man ja auch aktiv machen kann, die Entsendung des Technischen Hilfswerks, das vielfach Vor-Ort-Hilfe in Katastrophensituationen geleistet hat?

Zum Zweiten: Angebote, Dächer über dem Kopf zu schaffen, werden von Ländern und Kommunen gemacht. Sie haben jetzt dreimal gesagt, diese Situation ändere nichts an der deutschen Rechtsordnung. Wir haben es aber doch mit einem kompletten Paradigmenwechsel zu tun. Bis gestern gab es für 13 000 Menschen Notdächer über den Köpfen. Die gibt es jetzt nicht mehr. Ist das kein Anlass für den Bundesinnenminister zu sagen: „Gut, als Form der Nothilfe akzeptieren wir die Angebote von Kommunen und Ländern“? Das ist doch eine paradigmatisch andere Situation als noch vor einer Woche.

ALTER: Das ist die Bewertung, die Sie hier in den Raum stellen. Wenn wir die Faktenlage betrachten, dann stellen wir fest, dass sich in diesem Moment 12 000 bis 13 000 Menschen auf Lesbos befinden, die sehr schnell ein Dach über dem Kopf brauchen. Deswegen ist es wichtig, dass wir Hilfe vor Ort leisten. Die griechischen Behörden sind ja bis zu diesem Moment nicht untätig geblieben, sondern sie sind in vielfältiger Weise aktiv, um das zu erreichen. Einige Personen werden auf das Festland transferiert. Das sind diejenigen, die besonders schutzbedürftig sind, weil sie Kinder, krank und unbegleitet sind.

Unsere Priorität ist, dass wir vor Ort Hilfe leisten, und zwar im Rahmen dessen, was Griechenland braucht, um eine geeignete Unterkunft zu schaffen. Alles Weitere wird man im Laufe der Zeit besprechen müssen. Da sind die Gespräche einfach noch nicht weit genug gediehen.

Zu Ihrer ersten Frage: Wenn der Bundesinnenminister Hilfe in Aussicht stellt oder konkret anbietet, dann hat er alle Optionen im Kopf, die im Rahmen seines Geschäftsbereichs möglich sind. Aber es bleibt dabei, auch wenn ich es möglicherweise zum neunten Mal wiederhole: Es kommt darauf an, welche Hilfe die griechischen Behörden brauchen.

ZUSATZFRAGE: Wenn die griechischen Behörden sagen: „Dächer über den Köpfen der Flüchtlinge nehmen wir auch gerne, wenn sie sich in deutschen Kommunen und Ländern befinden“, geht das vielleicht doch in die Erwägungen mit ein, wenn das vonseiten der griechischen Behörden als Wunsch kommt?

ALTER: Sie versuchen mich da jetzt zu locken; das stelle ich durchaus fest. Aber es bleibt dabei: Im Moment ist der Prozess ergebnisoffen, weil es darauf ankommt, was die Griechen von uns wünschen. Diesen Gesprächen kann man nicht vorgreifen, und diesen Gesprächen werde ich hier auch nicht vorgreifen.

FRAGE: Herr Alter, in diesem Fall möchte auch ich versuchen, Sie zu locken, und Ihnen widersprechen. Es ist nämlich in diesem Fall nicht nur die Meinung von Herrn Jessen, sondern auch ganz offensichtlich die Meinung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Mützenich und der SPD-Vorsitzenden Esken, dass dieses Programm dringend beginnen und Herr Seehofer seine Meinung ändern sollte. Befürchtet der Innenminister einen neuen Koalitionskrach, wenn er auf seinem bisherigen Verfahren des Ablehnens von kommunalen Aufnahmelösungen beharrt? Gibt es jetzt einen neuen Koalitionskrach? Denn all das, was die SPD sagt, klingt danach.

ALTER: Ich spreche ja hier für das Bundesinnenministerium und für den Bundesinnenminister und insofern über Regierungshandeln. Der Bundesinnenminister handelt keineswegs völlig isoliert und allein, sondern er hat sich heute Morgen auch im Kabinett ‑ Frau Fietz hatte das angedeutet ‑ dazu abgestimmt. Die Eckpunkte des bisherigen und des jetzigen Vorgehens stehen, und daran orientiert er sich.

FIETZ: Ich kann nur noch einmal betonen, dass die Auffassung der Bundesregierung insgesamt ist, dass wir dringend eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage brauchen und dass daran alle Beteiligten im Kabinett arbeiten.

ZUSATZFRAGE: Hat der griechische Minister auch etwas darüber gesagt, wer die mutmaßlichen Brandstifter waren? Waren das Bewohner des Camps, oder kam das möglicherweise von außen? Hat er sich in dem Gespräch mit Herrn Seehofer dazu geäußert?

ALTER: Nein, dazu gab es keine Äußerungen. Wir haben im Moment auch keine Erkenntnisse dazu.

FRAGE: Frau Adebahr, wie stehen denn Ihr Haus und Ihr Minister, der ja der SPD angehört, zu dem, was Frau Esken und Herr Mützenich da gesagt haben? Das hatte ja einen anderen Inhalt als das, was Sie sagen. Sie sagen, die griechische Regierung müsse sagen, wie sie sich das weiter vorstellt. In diesem Fall ist es aber nicht die Regierung in Griechenland, die sagt, wie sie sich das weiter vorstellt, sondern das sind die Parteifreunde Ihres Ministers.

ADEBAHR: Ich spreche hier für das Auswärtige Amt. So, wie der Minister auch schon getweetet hat, ist es jetzt von großer Bedeutung, sich solidarisch mit Griechenland zu zeigen. Es ist richtig, dass die Aufnahme Geflüchteter für die Bundesregierung eine große Priorität hat. Deswegen haben wir auch schon geholfen und Geflüchtete aufgenommen. Wir sind natürlich auch dieses Mal wieder bereit, da unseren Beitrag zu leisten. Wir wollen auch solidarisch sein. Die Aufnahme Geflüchteter ist uns ein humanitäres Bedürfnis. Auch dafür steht der Bundesaußenminister. Natürlich wird es auch in diesem Fall jetzt wieder Gespräche geben. Wir hoffen, dass sich jetzt angesichts dieser humanitären Katastrophe sehr rasch eine Lösung findet.

FRAGE: Ich habe noch zwei Verständnisfragen. Ich würde gerne verstehen, warum das Lager aus der Sicht der Bundesregierung nicht evakuiert werden soll. Was spricht noch dagegen?

FIETZ: Ich glaube, es ist jetzt nicht die Entscheidung der Bundesregierung, ob dieses Lager evakuiert werden soll. Das ist eine Entscheidung, die die griechischen Behörden in erster Linie zu fällen haben.

ZUSATZFRAGE: Das ist richtig. Aber Sie können ja sagen: Wir finden bzw. es ist unsere Haltung, dass das Lager evakuiert werden muss. ‑ Warum sagen Sie das nicht?

Herr Alter, sind die Menschen in diesem Lager ein griechisches oder ein europäisches Problem?

ALTER: Es ist an dieser Stelle mehrfach deutlich gesagt worden, dass das Migrationsthema ‑ dazu gehören ganz viele Facetten; die Tatsache, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken genauso wie die Tatsache, dass Menschen unter inakzeptablen Bedingungen über Monate hinweg in Einrichtungen ausharren müssen ‑ eine Frage ist, die die Europäische Union nur gemeinsam lösen kann und muss. Ich habe eingangs gesagt, dass das Ereignis vom gestrigen Tag deutlich und sehr sichtbar macht, dass sich die europäischen Mitgliedstaaten dieser Frage stellen müssen, um eine Lösung zu finden, weil der Zustand auf Dauer so nicht akzeptabel ist. Das ist eine Position, die wir an dieser Stelle wirklich schon häufig deutlich gemacht haben.

Gleichwohl ist es so ‑ damit gehe ich auch ein Stück weit auf Ihre erste Frage ein ‑: Wir haben es bei Griechenland mit einem souveränen Staat zu tun. Wir werden jetzt nicht von deutscher Seite sagen, was zu tun ist, sondern wir respektieren, dass Griechenland jetzt zunächst einmal die derzeitige Situation, die für alle Beteiligten schwierig ist, bewältigt. In diesem Rahmen haben wir Unterstützung angeboten. Wenn sie von griechischer Seite gewünscht ist, werden wir sie leisten.

Rechtshilfeersuchen Russlands im Fall Nawalny

FRAGE: Gibt es jetzt Klarheit, wann Russland eine Antwort auf sein Rechtshilfeersuchen im Fall Nawalny bekommt?

FIETZ (BReg): Schon am Freitag ist hier gesagt worden, dass die Bundesregierung alles getan hat, was notwendig ist, um diesem Rechtshilfeersuchen zu entsprechen, damit es auf den Weg kommt. Es liegt jetzt bei der unabhängigen Justiz, sich mit diesem Thema zu befassen. Das ist nicht mehr in der Hand der Bundesregierung.

ADEBAHR (AA): Ich würde dazu auch gerne noch einmal klar sagen: Das Rechtshilfeersuchen wurde von der Bundesregierung am 4. September an die zuständigen Landesbehörden weitergeleitet, und dort wird es jetzt bearbeitet. Insofern ist es genau so, wie Frau Fietz sagt.

FRAGE: An Frau Adebahr: Das russische Außenministerium hat Deutschland in diesem Zusammenhang einen unkonstruktiven Ansatz vorgeworfen. Können Sie das nachvollziehen?

Zweite Frage: Haben Sie Kontakt mit der OVCW in Den Haag aufgenommen? Wie weit sind die mit ihren Ermittlungen? Gibt es möglicherweise über Den Haag die Möglichkeit, auf deutscher Seite auch an Informationen von den Russen zu kommen?

FIETZ: Ich kann Ihnen dazu sagen: Sie können davon ausgehen, dass alle Voraussetzungen geschaffen sind, damit die OVCW ihre Arbeit machen kann.

ZUSATZFRAGE: Das war jetzt nicht die ganz konkrete Frage. Wissen wollte ich ja eigentlich, ob Sie von denen schon etwas gehört haben und ob die mit den Russen schon Kontakt aufgenommen haben, also ob es da Informationsströme auch in Richtung Berlin gab.

An Frau Adebahr: Können Sie bei der deutschen Seite einen unkonstruktiven Ansatz erkennen, wie das Russland tut?

ADEBAHR: Ich möchte dazu sagen, dass Deutschland sich in diesem ganzen Prozess so konstruktiv zeigt, wie es geht, und transparent die Ergebnisse die Bundeswehrlabors veröffentlicht hat. Das Rechtshilfeersuchen wurde durch die Bundesregierung weitergeleitet. Wir sind, wie Frau Fietz schon sagte, natürlich mit der OVCW in Kontakt und werden weitere Schritte besprechen.

Insofern kann ich nur noch einmal wiederholen, was auch Herr Burger hier vor zwei Tagen schon gesagt hat, nämlich dass aus unserer Sicht Russland gefragt ist aufzuklären; denn dieser schreckliche Vorfall, diese Tat, fand in Russland statt, und Herr Nawalny war dort eben auch 48 Stunden lang in Behandlung. Insofern ist es aus unserer Sicht so, dass Russland einen ganz entscheidenden Beitrag zur Aufklärung leistet. Die Bundesregierung hat im Moment das Ihrige getan und ist natürlich auch weiter gesprächsbereit.

FRAGE: Daran schließt sich meine Frage direkt an: Das Speziallabor der Bundeswehr, das Sie eben erwähnt haben, weigert sich unter dem Hinweis auf Vertraulichkeit nach wie vor, seine Befunde, wonach Nawalny zweifelsfrei mit einer Substanz aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde, auch gegenüber Russland selber offenzulegen. Die Verständnisfrage lautet: Muss also jetzt der Beschuldigte, in diesem Fall Russland, seine Unschuld beweisen, während der Ankläger quasi seine Beweise gegenüber Russland nicht offenlegen möchte, oder wie ist das zu verstehen?

COLLATZ (BMVg): Das ist so zu verstehen, dass das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr über langjährige Erfahrungen im nationalen und internationalen Bereich verfügt, speziell was den medizinischen Schutz vor chemischen Kampfstoffen betrifft. Dieses Institut stellt nach internationalen Standards entwickelte forensisch-toxikologische Verfahren bereit ‑ dafür gibt es auch eine DIN-Norm ‑ und hat im Rahmen dieses diagnostischen Leistungsspektrums natürlich seine Hilfe angeboten ‑ Diese Hilfe wurde auch ausdrücklich angefragt ‑ und hat das nach diesen internationalen Normen getan.

Das toxikologische Gutachten stellte dabei, wie wir ja schon vielfach kommuniziert haben, eine Vergiftung des Herrn Nawalny mit einem chemischen Nervenkampfstoff zweifelsfrei fest. Herr Nawalny ist somit seit seinem Zusammenbruch Opfer eines Angriffs mit einem Nervenkampfstoff geworden, was ein Verstoß gegen die Chemiewaffenkonvention darstellt. Seitens der Bundesregierung wurde daher die Organisation über das Verbot chemischer Waffen, die OVCW in Den Haag, in Kenntnis gesetzt. Diese internationale Organisation, in welcher auch Russland Mitglied ist, hat auf Grundlage des Chemiewaffenübereinkommens das Mandat, das Verbot des Einsatzes, der Produktion, der Lagerung sowie der Forschung an chemischen Waffen zu überwachen und durchzusetzen.

FIETZ: Ich möchte noch einmal sagen: Die Begriffe, die Sie da eingeführt haben, stellen sich in diesem Falle so überhaupt nicht. Es geht vielmehr darum, dass Russland die Informationen hat, die jetzt gebraucht werden, und nicht Deutschland. Daher muss Russland sich jetzt zu diesem Fall erklären.

ZUSATZFRAGE: Russland ist ja in diesem Fall der Beschuldigte, und nach Erkenntnissen, die mir vorliegen, wird seitens des Speziallabors der Bundeswehr nach wie vor argumentiert ‑ unter dem Hinweis der Vertraulichkeit; ich meine, sogar des Staatsschutzes ‑, dass man trotz Nachfrage nicht bereit wäre, die spezifischen Laborbefunde, die Ergebnisse der Diagnostik, mit Russland zu teilen. Liege ich da falsch?

COLLATZ: Das Institut argumentiert überhaupt nicht in der Öffentlichkeit. Ich wiederhole: Die Ergebnisse wurden der OVCW zur Verfügung gestellt, und diese internationale Organisation, in welcher auch Russland Mitglied ist, hat auf Grundlage des Übereinkommens das Mandat, das Verbot des Einsatzes, der Produktion, der Lagerung sowie der Forschung an chemischen Waffen zu überwachen und durchzusetzen.

FRAGE: Russische Ermittlungsbehörden bitten ihre deutschen Kollegen, Beweismaterialien von allen Proben an Russland zu übergeben. Ist die Übergabe solcher Daten überhaupt möglich? Falls ja, wie ist der Ablauf für einen solchen Prozess?

COLLATZ: Dazu kann ich hier keine Aussagen treffen.

FIETZ: Ich glaube, an dieser Stelle gilt auch wieder, dass wir in Kontakt mit unseren Partnern und darüber hinaus eben mit der OVCW sind und dass darüber alle weiteren Fragen und auch das weitere Vorgehen geklärt werden.

FRAGE: Herr Collatz, noch einmal zum Verständnis: Dieses Labor bzw. dieses Institut hat jetzt, wie Sie sagen, zweifelsfrei festgestellt, dass es sich um eine gewisse Substanz handelt, und die Medien berichten, dass diese Substanz in einem bestimmten Labor in Russland hergestellt wurde. Diese Information wurde, wie Sie sagten, nach Den Haag gegeben, wo die Russen auch dabei sind. Das heißt, die Russen verfügen über diese Information, wonach diese Substanz in irgendeinem ganz konkreten russischen Labor hergestellt wurde. Ist das richtig oder ist das falsch?

COLLATZ: Ich kann hier nur genau das widerholen, was ich eben gesagt habe: Die Testergebnisse wurden der Organisation übergeben. Russland ist Mitglied dieser Organisation.

ZUSATZFRAGE: Beinhalten diese Ergebnisse die Feststellung, wo diese Substanz hergestellt wurde?

COLLATZ: Fragen Sie dazu bitte die OVCW.

FRAGE: Faktisch haben wir es doch mit der Situation zu tun, dass ein Speziallabor, das sozusagen der deutschen Seite zuzurechnen ist, sagt „Wir haben getestet und haben herausgefunden, dass es Nowitschok ist“ und dass russische Labore sagen „Wir haben das nicht“.

VORS. SZENT-IVÁNYI: Kommen Sie zu der Frage?

FRAGE: Ich komme zu der Frage. ‑ Wäre es nicht eine sinnvolle Perspektive und sind Sie dafür offen zu sagen: Wir bieten an, dass Teile der Proben durch die OVCW, in der beide Länder, die hier faktisch Konfliktparteien sind, Mitglieder sind, in Form einer Art B-Probe erneut geprüft werden. Ist das eine Option, die die Bundesregierung hat?

FIETZ: Ich kann da nur meinen Satz von eben wiederholen: Gehen Sie davon aus, dass alle Voraussetzungen geschaffen sind, damit die OVCW ihre Arbeit machen kann.

ZUSATZFRAGE: Das beantwortet nicht die Frage, ob dazu auch gehört, dass materielle Probenanteile in einem OPCW-zertifizierten Labor überprüft werden und das gleiche von russischen Proben gefordert werden kann.

FIETZ: Das ist das, was ich Ihnen jetzt dazu sagen kann.

FRAGE: Ich hätte noch eine Nachfrage an Frau Fietz zu der Debatte, die es im Kabinett zu diesem Thema gab: Ist da auch darüber geredet worden, wie weit man bei den Sanktionen gehen würde, also ob Nord Stream 2 Teil des Sanktionspaketes sein könnte? Ist man da einen Schritt weitergekommen? Dazu gab es in den vergangenen Tagen ja unterschiedliche Positionierungen von Mitgliedern der Bundesregierung.

FIETZ: Ich habe Ihnen nicht davon berichtet, dass im Kabinett über dieses Thema diskutiert worden sei. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt da keinen neuen Stand. Es gilt nach wie vor: Wir werden im Kreise unserer EU- und NATO-Partner gemeinsam beraten und im Lichte der russischen Einlassungen über eine angemessene gemeinsame Reaktion entscheiden.

ZUSATZFRAGE: Hat man sich darüber verständigt, ob es ein Zeitlimit für die russische Antwort gibt?

FIETZ: Ich kann dazu nur auf das verweisen, was hier am Montag bereits gesagt worden ist, nämlich dass man jetzt nicht in kürzester Frist mit einer Antwort rechnen kann. Das ist der Stand der Dinge. Wir bleiben dabei, an die russische Seite zu appellieren, Informationen zu liefern, und das ist der Stand, den wir heute haben.

FRAGE: Nun fordert ja auch schon der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg seit Tagen vehement Aufklärung von Russland. Dazu eine Verständnisfrage: Inwieweit ist es überhaupt eine Angelegenheit der NATO, wenn ein russischer Bürger in Russland von mutmaßlich russischen Stellen vergiftet wurde?

COLLATZ: Die NATO äußert sich, wie sie das möchte.

FIETZ: Vielleicht stellen Sie die Frage, was die Motivation in diesem Zusammenhang war, dann auch besser an die NATO. ‑ Wir haben ja immer gesagt, dass das angesichts der Tatsache, dass gegen das Internationale Chemiewaffenabkommen verstoßen worden ist, nicht nur ein Fall zwischen Deutschland und Russland ist. Das ist vielmehr ein Fall, der die gesamte Europäische Union betrifft und der darüber hinaus natürlich auch die NATO betrifft.

FRAGE: Ich weiß, Frau Fietz, dass Sie nicht die richtige Adresse für die Frage sind, wie es Herr Nawalny geht, aber ich möchte fragen: Weiß die Bundesregierung, wie es Herr Nawalny geht?

FIETZ: Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir davon ausgehen, dass ‑ ‑ ‑ Sagen wir es besser so: Wir hören auch die Informationen, die die Ärzte öffentlich machen.

ZUSATZFRAGE: Das heißt, niemand von der Bundesregierung, also von den Mitarbeitern der Ministerien oder des Kanzleramtes, hat Kontakt zu Herrn Nawalny gesucht oder gefunden oder war bei ihm? War jemand von der Bundesregierung bei ihm?

FIETZ: Dazu kann ich Ihnen keine Angaben machen.

Situation in Belarus

VORS. SZENT-IVÁNYI: Dann rufe ich das Thema Belarus auf. Zunächst möchte Frau Fietz etwas dazu sagen.

FIETZ (BReg): Die Bundesregierung ist erschüttert über Berichte, wonach die Vertreterin des Koordinierungsrates Maria Kolesnikowa von Sicherheitskräften verschleppt wurde und zwangsweise außer Landes gebracht werden sollte. Wir fordern die Staatsführung auf, sich unverzüglich zum Verbleib von Frau Kolesnikowa zu äußern und rechtsstaatliche Verfahren zu beachten. Dass die Staatsführung friedlich Demonstrierende weiterhin inhaftiert und nicht davor zurückschreckt, Oppositionsvertreter ohne jegliche rechtliche Grundlage und in klandestiner Weise zu inhaftieren oder sogar in Wildwestmanier ins Ausland zu verschleppen, zeigt: Herr Lukaschenko hat das Gebot der Stunde auch einen Monat nach den Wahlen nicht verstanden. Anstatt die Repression zu verstärken und damit weitere Teile der Bevölkerung gegen sich aufzubringen, sollte er endlich in den Dialog mit dem Träger der Souveränität, dem belarussischen Volk, eintreten.

FRAGE: Ich habe eine Frage an Frau Adebahr zu dem Stand der Sanktionsentscheidung, die in der EU ja prinzipiell getroffen, aber noch nicht ausformuliert wurde. Wir hatten eine ähnliche Frage bereits am Montag, aber angesichts der neuen Verhaftungen, die es ja auch heute wieder gab ‑ ein Anwalt der Oppositionsbewegung wurde verhaftet ‑, möchte ich noch einmal fragen: Ist die Bundesregierung dafür, dass auch Herr Lukaschenko selbst auf diese Sanktionsliste kommt?

ADEBAHR (AA): Dazu gibt es keinen neuen Stand. Ich verweise vielmehr auf das, was Herr Burger hier schon gesagt hat. Fakt ist aber: Wir arbeiten in Brüssel mit Hochdruck daran, eine Sanktionsliste mit hochrangigen Persönlichkeiten zu konsentieren und in der EU mit diesen Sanktionsplänen voranzukommen. Auch in den letzten Tagen und in den letzten 24 Stunden war das der Fall.

ZUSATZFRAGE: Können Sie uns bitte noch ein Enddatum dieser Hochdruckbemühungen nennen?

ADEBAHR: Hoffentlich schnell!

ZUSATZFRAGE: Aber Sie können kein Datum nennen?

ADEBAHR (AA): Ich kann kein Datum nennen, weil es keinen festen Termin gibt. So schnell es geht.

Brexit

FRAGE: Frau Adebahr, gestern hat die ehemalige britische Premierministerin May im Parlament gefragt, wie denn die Regierung von Boris Johnson ihre Partner jetzt davon überzeugen kann, dass sich Großbritannien in Zukunft an internationales Recht halten wird, nachdem die Regierung zugegeben hat, dass sie internationales Recht in einem begrenzten Fall brechen will. Hat die Bundesregierung noch Vertrauen in die Gutwilligkeit dessen, was die britische Regierung jetzt im Zusammenhang mit dem Brexit verhandelt?

ADEBAHR (AA): Dazu möchte ich gerne sagen, dass das Austrittsabkommen inklusive des Protokolls zu Nordirland aus Sicht der Bundesregierung eine von beiden Seiten unterzeichnete und ratifizierte Grundlage ‑ also internationales Recht ‑ ist.

Zu Ihrer Frage: Wir würden doch nach wie vor darauf vertrauen, dass die britische Regierung das Austrittsabkommen auch vollumfänglich umsetzt. Insofern sehen wir die gestrigen Ankündigungen im House of Commons natürlich mit Sorge. Aber wir könnten dazu erst Stellung nehmen oder würden es ‑ hoffentlich kommt es nicht dazu ‑, wenn ein Gesetzentwurf der britischen Seite dann auch tatsächlich vorläge und man sich dazu verhalten müsste. Insofern, und da schließen wir uns Frau von der Leyen und Herrn Barnier an, stellt aber im Moment ‑ das bleibt ja hoffentlich so ‑ das Übergangsabkommen eine völkerrechtliche Verpflichtung und auch eine Voraussetzung für die künftige Partnerschaft mit Großbritannien dar. Das ist etwas, das die beiden betont haben und das heute bzw. im Moment auch wir als Bundesregierung betonen würden, denke ich.

FRAGE: Ich würde die Frage gerne an Frau Fietz weitergeben. Wie besorgt ist die Bundeskanzlerin, dass die britische Regierung möglicherweise das, was Frau Adebahr eben gesagt hat, doch nicht einhält?

Gibt es Versuche, Herrn Johnson vielleicht auf der persönlichen Ebene davon zu überzeugen, dass er dieses Übergangsabkommen einhält?

FIETZ (AA): Ich kann dem, was Frau Adebahr gesagt hat, nicht viel hinzufügen. Es gilt grundsätzlich für die Bundesregierung, dass wir das Abkommen als bindend betrachten und auch davon ausgehen, dass die britische Seite das genauso sieht.

ZUSATZFRAGE: Können Sie etwas zu Konsequenzen sagen, falls die britische Regierung das nicht tut?

FIETZ: Sie wissen, Herr Rinke, dass wir diese Wenn-dann-Fragen ungern beantworten, und das möchte ich auch in diesem Falle nicht tun.

Prozess gegen Julian Assange

FRAGE: Die letzten drei Tage im Prozess gegen Julian Assange in Großbritannien haben gezeigt, dass internationale Menschenrechtsorganisationen nicht verlässlich als unabhängige Beobachter am Prozess teilnehmen können. Amnesty International hat das beklagt. Reporter ohne Grenzen hat auch zum Ausdruck gebracht, dass das nicht dauerhaft gewährleistet ist, weil der Zugang zum Gericht nach dem Prinzip „first come, first serve“ gewährt wird. Videolinks werden zunächst zugesagt, dann wird das wieder außer Kraft gesetzt. Wie bewertet die Bundesregierung, die ja auch deutsche Diplomaten vor Ort hat, die Prozessführung? Ist das einem Prozess von großem öffentlichen Interesse angemessen?

FIETZ (BReg): Ich kann Ihnen dazu nur sagen, was hier auch bereits am Montag schon gesagt worden ist, nämlich dass wir laufende Verfahren für die Bundesregierung von hier aus nicht kommentieren. Grundsätzlich gilt, dass wir davon ausgehen, dass das Verfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Garantien in Großbritannien gewährleistet ist und gewährleistet sein muss.

ZUSATZFRAGE: Es handelt sich ja jetzt gerade nicht um eine generelle Kritik an dem Verfahren, sondern es hängt davon ab, wie die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, dieses Verfahren zu verfolgen. Die organisatorischen Maßnahmen sind Fakt. Die kann man nachvollziehen. Die schaut man sich auch vor Ort an. Auch parlamentarische Beobachter sind dort. Ist es aus Sicht der Bundesregierung hinnehmbar, wenn Menschenrechtsorganisationen ‑ sei es absichtlich oder nur durch schlechte Organisation ‑ von solchen Prozessen ferngehalten werden?

FIETZ: Ich habe jetzt von diesen konkreten Vorgängen keine Kenntnis. Ich weiß nicht, ob Frau Adebahr Näheres weiß.

ADEBAHR (AA): Ich kann Ihnen sagen, dass unsere Botschaft, weil das, wie Sie sagten, natürlich auch ein Prozess von großem öffentlichen Interesse ist, an den Anhörungen teilgenommen hat. Wir waren auch am Montag vor Ort und haben uns das angeschaut.

Grundsätzlich gilt aber das, was Frau Fietz gesagt hat, nämlich dass wir hier keine Bewertung des Prozesses an sich abgeben. Die Zuständigkeit für dieses Verfahren liegt bei der britischen Justiz, und wir vertrauen darauf, dass die britische Justiz ‑ auch wenn unter Coronabedingungen verhandelt wird, was ja offenbar eines der Dinge ist, die dort gerade passieren und die die Sache schwierig machen ‑ dieses Verfahren nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen, die in Großbritannien herrschen und die es dort gibt, durchführt.

ZUSATZFRAGE: Nun wäre es aber ein Leichtes, mit technischen Möglichkeiten eine größere Öffentlichkeit zu ermöglichen. Ist das etwas, das aus Sicht der Bundesregierung schnell nachgeholt werden sollte?

ADEBAHR: Ich weiß jetzt nicht, ob ‑ ‑ ‑ Noch eine Nachfrage? Wollten Sie diese jetzt zulassen?

VORS. SZENT-IVÁNYI: Ich habe die zugelassen.

ADEBAHR: Sie haben die zugelassen. – Aus Sicht der Bundesregierung ist es angezeigt, richtig und wichtig, dass die Verfahren, die es in dem Rechtsstaat Großbritannien und in der dortigen Justiz gibt, so gut wie möglich umgesetzt werden.

FRAGE: Frau Adebahr, hat der Umstand, dass ein deutscher Diplomat für Zugang von Reporter ohne Grenzen sorgen musste, Ihr Vertrauen in den britischen Rechtsstaat beeinträchtigt?

ADEBAHR: Ich würde auf meine Antwort von eben verweisen. Es ist aber richtig ‑ Sie haben den Vorgang erwähnt ‑, dass die Bundesregierung freier Pressearbeit und natürlich auch dem Informationsbedürfnis von Medien eine hohes Gewicht beimisst. Deshalb gibt es ja unsere große Hoffnung, dass der Prozess in Großbritannien nach guten und dort eben vorgesehenen rechtsstaatlichen Verfahren durchgeführt wird.

Spannungen zwischen der Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer

FRAGE: Frau Fietz, wann soll die Telefonkonferenz zwischen Frau Merkel, Herrn Michel und Präsident Anastasiadis stattfinden? Was ist das Ziel der Konferenz?

Gab es Kontakt von Frau Merkel mit Herrn Mitsotakis seit der Videokonferenz mit Herrn Erdoğan? Wenn ja, können Sie etwas darüber berichten?

Frau Adebahr, plant das Auswärtige Amt einen weiteren Entspannungsversuch (im östlichen Mittelmeer)? Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

FIETZ (BReg): Wenn ich es richtig im Kopf habe, wird diese Videokonferenz heute Abend stattfinden. Falls das nicht stimmen sollte, würden wir das noch einmal nachreichen. Daher kann ich im Vorhinein natürlich auch nichts zu den Inhalten sagen.

ZUSATZ: Aber die Frage war, was das Ziel der Konferenz ist.

FIETZ: Die Bundeskanzlerin steht im Moment mit vielen Staats- und Regierungschefs der EU in Vorbereitung des Rats der Staats- und Regierungschefs Ende des Monats im Gespräch, und insofern steht sie natürlich auch mit Herrn Mitsotakis im Gespräch.

ADEBAHR (AA): An der Tatsache, die Frau Fietz gerade verkündet hat, sehen Sie, glaube ich, dass die Bemühungen in dieser ganzen Causa „ongoing“ sind und von Diplomatinnen und Diplomaten sowie von Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten Tagen intensiv vorangetrieben wurden und dauerhaft und weiterhin vorangetrieben werden, natürlich auch mit Blick auf den Rat, der ansteht.

Urteile eines saudi-arabischen Gerichts im Fall der Ermordung von Jamal Khashoggi

FRAGE: Ein saudisches Gericht hat vor zwei Tagen ein Urteil im Fall der Ermordung von Khashoggi gefällt. Wie beurteilt die Bundesregierung den Prozess der Urteilsfindung und das Urteil selbst?

ADEBAHR (AA): Dazu ist zu sagen, dass die Bundesrepublik den Prozess nicht durch unsere Botschaft beobachten konnte, die Namen der Verurteilten nicht bekannt sind und es natürlich auch weiterhin an Informationen zum Tatablauf und zu Verantwortlichkeiten fehlt. Insofern war dieser Prozess aus unserer Sicht auch intransparent. Es gibt weitere Fragen, die zu klären sein werden.

Der Prozess in der Türkei läuft ja im Übrigen weiter. Insofern ist aus unserer Sicht auch weiterhin Aufklärung nötig. Wir würden davon ausgehen, dass die nun gesprochenen Urteile wohl nicht ausreichen werden, um die internationale Kritik zu beenden. Insofern läuft der Prozess in der Türkei ja weiter. Es gilt das, was ich eben gesagt habe.

Ich denke, was man dennoch begrüßen muss, ist, dass die Umwandlung der Todesstrafen in Freiheitsstrafen stattgefunden hat. Warum? Natürlich aus dem Grund, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den EU-Partnern eine Todesstrafe generell ablehnt und andere Länder zur Abschaffung der Todesstrafe aufruft.

FRAGE: Frau Adebahr, die UNO-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard hat ja das Urteil sehr scharf kritisiert und von einer Justizparodie gesprochen. Sie sagte, das Justizverfahren sei weder fair noch transparent gewesen. Stimmen Sie dem zu?

Sie sieht auch eine persönliche Verantwortung des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman an dieser Ermordung. Würden Sie das auch so sehen?

ADEBAHR: Ich habe ja gerade schon gesagt, dass Kritik aus unserer Sicht natürlich berechtigt ist und dass die gesprochenen Urteile sicherlich nicht ausreichen werden, um die Kritik, die es international gibt, zu beenden. Insofern ist Aufklärung weiterhin nötig.

Auch nötig ist Aufklärung über die Verantwortlichen für das, was zu diesem grausamen Mord führte. Insofern ist das ‑ auch das, was Sie ansprechen ‑ eben eine Frage, die natürlich grundsätzlich einer Aufklärung bedarf.

Ja, ich glaube, meine Kritik an dem Urteil habe ich hier zum Ausdruck gebracht.

FRAGE: Ich möchte an die Frage anknüpfen. Ist für die Bundesregierung bin Salman in der Reihe der Verantwortlichen oder zumindest der Mitwissenden zu sehen? Sind Zweifel daran hinreichend ausgeräumt?

ADEBAHR: Ich will mich auf eine solche Frage hier nicht einlassen, Herr Jessen. Warum nicht? Ich sage es Ihnen auch: Weil wir, wie gesagt, den Prozess nicht beobachten und ihn nicht beurteilen konnten, weil er aus unserer Sicht eben intransparent war und weil Fragen zum Tatablauf und den Verantwortlichkeiten eben nicht geklärt sind. Insofern wäre es jetzt irgendwie komisch, wenn ich hier Mutmaßungen bezüglich genau dieser Fragen, die aus unserer Sicht nicht geklärt wurden, anstellte.

ZUSATZ: Das heißt, die Bundesregierung hält die Erklärung der saudischen Seite, dass der Kronprinz nicht involviert gewesen sei, für nicht widerlegt.

ADEBAHR: Ich belasse es bei dem, was ich gerade gesagt habe.

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