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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 07.09.2020
Fall Alexej Nawalny / mögliche Auswirkungen des auf das Projekt Nord Stream 2
FRAGE: Herr Seibert, ist die Bundeskanzlerin ähnlich wie der Bundesaußenminister der Auffassung, dass, wenn Russland bei der Untersuchung des Falls Nawalny nicht kooperiert, dies dazu führen könnte, dass das Projekt Nord Stream 2 überdacht werden müsste?
Wie könnten, wenn dem so ist, die Arbeiten an dem Projekt Nord Stream 2 noch gestoppt werden? Wie sähe das rechtlich aus? Diese Frage geht auch an Herrn Burger. Wurde im Auswärtigen Amt schon geprüft, wie man konkret zu einem Stopp von Nord Stream 2 kommen könnte?
SEIBERT (BReg): Die Bundeskanzlerin arbeitet in dieser wichtigen Frage sehr eng mit dem Bundesaußenminister zusammen. Ich will gleich sagen, dass ich Ihre Fragen verstehe, die ja auch über das Wochenende alle in die gleiche Richtung gingen, die Sie genannt haben: Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung aus den Erkenntnissen über den Giftanschlag auf Herrn Nawalny ziehen?
Ich bitte Sie auch heute um Verständnis dafür, dass es zu früh ist, um Ihnen das präzise beantworten zu können. Es war am Mittwoch letzter Woche, als wir die neuen Erkenntnisse erhalten und sie der Öffentlichkeit mitgeteilt haben, der OVCW, den europäischen und den NATO-Partnern sowie, ebenfalls am Mittwoch, dem russischen Botschafter. Wir haben gegenüber der russischen Seite unsere klare Erwartung ausgedrückt, dass sie die schwerwiegenden Fragen, die sich nun stellen, beantwortet. Damit ist nicht innerhalb von drei oder vier Tagen zu rechnen. Das kann noch etwas länger dauern. Genauso wird es dementsprechend etwas länger dauern, bis wir mit unseren Partnern beraten haben, wie wir gemeinsam auf die russischen Einlassungen reagieren. Diesem Prozess muss die nötige Zeit gegeben werden. Ich bitte Sie also um Geduld.
Da es um den Gebrauch eines chemischen Nervenkampfstoffes geht, hat die Bundesregierung Kontakt mit der dafür zuständigen Organisation in Den Haag, der OVCW, aufgenommen. Diese Kontakte dauern an.
Zum Thema von Nord Stream 2, das ja von vielen und nun auch in Ihrer Frage mit dem Fall Nawalny verknüpft wird, möchte ich noch einmal Folgendes sagen. Unabhängig davon, welchen Entschluss die Bundesregierung fasst, möchte ich doch ein wenig zurechtrücken, was gelegentlich berichtet wird.
Nord Stream 2 ist ein Projekt, über das es sicherlich viele Kontroversen gab und gibt. Aber die EU hat mit einer veränderten Gasrichtlinie im Konsens dafür eine Rechtsgrundlage geschaffen. Wenn es zur Fertigstellung und Inbetriebnahme von Nord Stream 2 kommen sollte, dann würde das importierte Gas in die europäische Gasinfrastruktur integriert. Nord Stream 2 wird gelegentlich als ein deutsches Projekt beschrieben. Zwar sind deutsche Unternehmen an dem Projekt beteiligt und in ihm stark engagiert, das Konsortium ist aber ein internationales mit Unternehmen und Investoren aus verschiedenen europäischen Ländern.
Nur um das Bild zu erweitern oder zu vervollständigen: Es gibt auch andere derzeit laufende Projekte, die dem Transport russischen Gases nach Europa dienen sollen. Die TurkStream-Pipeline ist im Bau, deren zweiter Strang Gas von Russland nach Südosteuropa führen soll. Dies nur, um ein bisschen zurechtzurücken, was in der Berichterstattung gelegentlich sehr schmal berichtet wird.
Ich wiederhole es: Ganz unabhängig und unbeschadet davon, zu welchen Entschlüssen die Bundesregierung kommt, ist es heute zu früh, um Ihnen unsere gemeinsame, mit den Partnern gründlich beratene europäische Reaktion hier darzulegen.
BURGER (AA): Ich kann das, was Herr Seibert gesagt hat, nur unterstreichen. Das entspricht auch dem, was der Außenminister gestern gesagt hat. Er hat gesagt, das sei eine Frage, die nicht nur Deutschland betreffe, sondern die internationale Staatengemeinschaft, und zwar bezogen auf den Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen durch den Einsatz eines Giftes aus der Nowitschokgruppe. Er hat gesagt, deshalb hätten wir mit unseren Partnern in der EU, aber auch in der NATO darüber gesprochen, und wir würden in den nächsten Tagen auch auf der europäischen Ebene weiter darüber zu sprechen haben, welche Reaktionen, welche Konsequenzen es geben werde. Dieser Prozess befindet sich, wie Herr Seibert es dargestellt hat, noch am Anfang. Denn die Ereignisse stammen ja erst von letzter Woche.
ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, verstehe ich Sie richtig, dass eine zu erwartende europäische Reaktion Nord Stream 2 einschließen könnte, da Sie ja sagen, das sei durchaus auch ein europäisches Projekt?
SEIBERT: Ich habe versucht, Ihnen auszudrücken, dass es heute zu früh ist, um zu sagen, welche verschiedenen Aspekte eine gemeinsame europäische Reaktion haben wird. Wichtig ist, dass wir sie gemeinsam fassen, und wichtig ist dafür, dass wir es gründlich beraten. Denn es handelt sich um schwerwiegende Vorgänge.
FRAGE: Herr Seibert, ich würde gern das Zitat ergänzen, das Herr Burger gerade vorgetragen hat. Außenminister Maas hat auch gesagt, es sei falsch, von vornherein auszuschließen, dass das, was zurzeit stattfinde, irgendwelche Auswirkungen auf dieses Projekt hätte.
Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Tagen gesagt, man müsse das abgekoppelt sehen. Würde die Bundeskanzlerin also den Satz, dass es nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, mittragen?
SEIBERT: Ja, die Bundeskanzlerin sieht es auch so, dass es falsch ist, etwas auszuschließen.
FRAGE: Meine erste Frage richtet sich an das Wirtschaftsministerium. Können Sie uns sagen, welche Konsequenzen es für Deutschland hätte, wenn kein russisches Gas durch Nord Stream 2 nach Europa, nach Deutschland fließen könnte?
Meine zweite Frage geht an Herrn Burger oder ebenfalls an das Wirtschaftsministerium. Wurde innerhalb der Regierung schon geprüft, inwieweit ein politisch verhängter Baustopp zu Schadensersatzforderungen der beteiligten Firmen führen könnte?
GRAVE (BMWi): Zunächst zur Frage der Abhängigkeit von dieser Pipeline: Die Versorgungssicherheit in Bezug auf Gas ist in Deutschland sehr hoch und seit Jahren konstant zuverlässig. Wir haben eine diversifizierte Versorgungsstruktur.
Über weitere Dinge spekuliere ich an dieser Stelle nicht.
ZUSATZFRAGE: Was heißt das mit Bezug auf die Frage die ich gestellt habe? Hätte es keine Konsequenzen für die Gasversorgung in Deutschland, wenn Nord Stream 2 nicht gebaut würde?
GRAVE: Ich spekuliere an dieser Stelle nicht darüber, was wäre, wenn etwas geschehen würde, was nicht eingetreten ist.
BURGER: Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Zum Stand der Überlegungen ‑ und es ist ein sehr früher Stand ‑ hatten Herr Seibert und ich ja gerade gesprochen.
ZUSATZFRAGE: An das Wirtschaftsministerium: Ist die Frage der Schadenersatzforderungen bereits in der Bundesregierung geprüft worden?
GRAVE: Dazu kann ich keine Aussage machen.
ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, können Sie dazu eine Aussage machen?
SEIBERT: Nein.
FRAGE: Herr Seibert, aus dem Kreml verlautete heute Morgen von dem Sprecher von Herrn Putin, dass man auf keinen Fall damit rechne, dass das Projekt Nord Stream 2 in irgendeiner Weise von irgendwelchen deutschen oder europäischen Entscheidungen betroffen sein könnte. Meinen Sie, dass sich der Kreml zu sehr in Sicherheit wiegt, oder kann er sichergehen, dass das so ist?
SEIBERT: Ich kenne die Äußerung, auf die Sie anspielen, nicht. Ich kann Ihnen nur das darlegen, was ich heute für die Bundesregierung darzulegen habe.
ZUSATZFRAGE: Sie hatten sich eben so geäußert, dass auch die Kanzlerin der Meinung sei, dass es richtig sei, nicht von vornherein etwas auszuschließen. Das bezog sich auch auf das Nord-Stream-Projekt und auf ein mögliches Ende des Projektes, richtig?
SEIBERT: Die Kanzlerin hat sich der Äußerung des Außenministers vom Wochenende angeschlossen.
FRAGE: Es geht um Äußerungen des belorussischen Präsidenten, dass es angeblich ein Gespräch zwischen Berlin und Warschau zum Fall Nawalny gegeben habe. Die Bundesregierung bezeichnet diese Information als Unwahrheit. Am Freitag veröffentlichten weißrussische Medien Auszüge aus dem Gespräch.
Wie reagieren Sie darauf?
SEIBERT: Wir haben schon in der letzten Woche gesagt, dass die Behauptungen, die von Herrn Lukaschenko aufgestellt werden, selbstverständlich unwahr sind. Das Transkript dieses fiktiven Gesprächs, das man am Wochenende nachlesen konnte, hat unsere Meinung ganz sicherlich nicht geändert.
FRAGE: Auf welcher Ebene gab es seit Mittwoch Kontakte zwischen Berlin und Moskau in Sachen Nawalnys? Wird es eine gemeinsame deutsch-russische Ermittlergruppe geben, wie es Russland vorschlägt, oder nicht?
BURGER: Ich kann Ihnen nicht von Gesprächen des Außenministers seit Freitag berichten.
Wir haben über das Wochenende verschiedentlich auf Anfrage darüber informiert, dass es am Freitag ein Gespräch des Auswärtigen Amtes mit dem russischen Botschafter gab, in dem dem russischen Botschafter unter anderem mitgeteilt wurde, dass das russische Rechtshilfeersuchen um Zustimmung der Bundesregierung, wie Ihnen das Justizministerium hier am Freitag ja auch schon mitgeteilt hat, an die zuständigen Berliner Justizbehörden weitergeleitet worden sei. Das ist sozusagen der letzte Kontakt in dieser Sache, über den ich Ihnen berichten kann. Es mag aber darüber hinaus auf Arbeitsebene weitere Kontakte gegeben haben.
SEIBERT: Nach unserer Überzeugung ist es an Russland, sich zu diesem Vorgang zu erklären. Herr Nawalny ist in Russland mit einem militärischen Nervenkampfstoff schwer vergiftet worden. Es ist an der russischen Seite, sich dazu zu erklären.
FRAGE: Herr Seibert, wenn mit einer Antwort aus Russland nicht innerhalb von drei oder vier Tage zu rechnen ist, wie lange will Deutschland warten? Wochen oder Monate? Bis Ende des Jahres?
Glaubt die Bundesregierung, dass sie im Fall Nawalny die notwendige Rückendeckung aus Washington hat? Der amerikanische Präsident hat sich von den Aussagen aus Berlin bisher unbeeindruckt gezeigt.
SEIBERT: Wenn wir sagen, dass wir mit unseren europäischen und unseren NATO-Partnern im Gespräch sind, dann beinhaltet das natürlich auch unsere amerikanischen Partner. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Ich kann hier auch keine zeitlich genau befristeten Erwartungen ausdrücken außer der, dass wir sicherlich nicht von Monaten oder dem Jahresende sprechen.
FRAGE: Ich habe zwei Fragen, eine an das Wirtschaftsministerium. Frau Grave, Sie sagten, die Versorgungssicherheit bezogen auf Gas sei sehr hoch. Ist für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit Nord Stream 2 notwendig?
Meine zweite Frage geht an Herrn Seibert oder Herrn Burger. Sie haben gesagt, auch die NATO-Partner seien über die deutschen Ergebnisse informiert worden. Am Wochenende hat der US-Präsident, den man wohl in diese Reihe rechnen darf, erklärt, ihm lägen noch keine Beweise dafür vor, dass Nawalny in Russland vergiftet worden sei. Ist das eine Interpretationssache? Welchen Status von Informationen haben Sie auch an die USA geliefert?
BURGER: Die USA sind wie die anderen NATO-Partner über die Ergebnisse der Untersuchung informiert worden. Welcher Informationsstand dem Präsidenten vorliegt, kann ich natürlich weder einschätzen noch kommentieren.
GRAVE: Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist, wie gesagt, sehr hoch. Die Gasmärkte sind sehr liquide. Es gibt keine Anzeichen für Versorgungsstörungen. Insgesamt verfügt Deutschland über die größten Gasspeicherkapazitäten in der Europäischen Union und ist damit im weltweiten Vergleich die Nummer vier.
Die Frage, welche Mengen geplant sind, müssten Sie den privaten Projektpartnern stellen. Darüber kann ich keine Aussage treffen.
ZUSATZFRAGE: Wenn Sie sagen können, die Versorgungssicherheit sei sehr hoch, dann bezieht sich das ja auf die vorhandenen Transport- und Lieferkapazitäten. Sie sehen sich nicht in der Lage, Prognosen abzugeben, ob für den zu erwartenden Gasverbrauch bei den vorhandenen Kapazitäten Nord Stream 2 zur Aufrechterhaltung notwendig wäre oder nicht. Eine solche Prognose möchten Sie nicht abgeben, richtig?
GRAVE: Was ich sagen kann, ist, dass die Gasmärkte sehr liquide sind. Das gilt nicht nur für den Moment, sondern auch für zukünftige Lieferungen.
FRAGE: Herr Seibert, noch einmal zurück zur Frage der Informationen und Beweise, von denen die Rede ist: Welche Informationen, die Sie haben, werden denn mit Russland geteilt?
Zum Zustand von Herrn Nawalny: Gibt es dazu etwas Neues? Kann man etwas darüber sagen, wie es ihm geht?
SEIBERT: Über den medizinischen Befund bzw. über die medizinischen Situation von Herrn Nawalny berichtet ja nicht die Bundesregierung, sondern berichten die behandelnden Ärzte im Einvernehmen mit der Familie von Herrn Nawalny. Deswegen kann ich Ihnen dazu nichts sagen.
Was die erste Frage betrifft: Sagen Sie es ganz kurz noch einmal?
ZUSATZFRAGE: Inwieweit teilen Sie die Informationen mit Russland?
SEIBERT: Wir haben ja gerade darüber gesprochen, dass das russische Rechtshilfeersuchen hier in Deutschland auf den dafür vorgesehenen Wegen von der unabhängigen Justiz behandelt wird, und dem kann ich hier jetzt natürlich nicht vorgreifen. Wie gesagt: Am Mittwoch ist der russische Botschafter im Auswärtigen Amt ja über den Befund, den die Bundeskanzlerin dann auch der Öffentlichkeit präsentiert hat, unterrichtet worden.
BURGER: Ich will vielleicht nur noch einmal eine Sache ergänzen. Herr Nawalny ist ja am 20. August in Sibirien plötzlich erkrankt und auch dort im Krankenhaus mit dem Verdacht auf eine Vergiftung behandelt worden. Alle Beweismittel, Zeugen, Spuren etc. befinden sich natürlich an dem Ort, an dem die Tat begangen wurde, also vermutlich irgendwo in Sibirien. Aufgrund der vor Ort erfolgten zweitägigen medizinischen Behandlung nach der Tat ist auch davon auszugehen, dass sich alles, was notwendig ist, um dem nachzugehen, in Russland unter dem Zugriff der russischen Behörden befindet. Die Vorhaltung an Deutschland, die Bearbeitung dieser Untersuchung zu verzögern, trägt schon deshalb nicht, weil Russland auch ohne deutsche Hilfe diese Untersuchung durchführen könnte, wenn es dazu bereit und interessiert daran wäre, und dies spätestens am oder bereits seit dem 20. August, nämlich seitdem die Behandlung in dem Krankenhaus in Omsk begonnen hat.
FRAGE: Herr Seibert, hat die Bundeskanzlerin in ihren direkten Gesprächen mit Präsident Putin das Thema Nord Stream 2 im Kontext mit Herrn Nawalny bislang angesprochen? Wenn nicht, was ist die höchste Ebene, auf der Nord Stream 2 überhaupt angesprochen wurde?
Dann habe ich noch eine Frage: Was ist denn der wichtigste Aspekt des Nord-Stream-2-Projekts für die deutsche Bundesregierung? Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Frau Kemfert, kommt zu dem Schluss, dass dieses Projekt für die europäische und für die deutsche Energieversorgung schlicht nicht notwendig ist und dass es sich auch finanziell nicht trägt.
SEIBERT: Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Wir haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder zu diesem Projekt geäußert. Das können Sie schlicht nachlesen.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Die Bundeskanzlerin hat mit Präsident Putin noch nicht über den Fall Nawalny gesprochen.
ZUSATZFRAGE: Hat sie in jüngster Vergangenheit in direkten Gesprächen Nord Stream 2 erwähnt?
SEIBERT: Das war zwischen den beiden mehrfach ein Thema. Das ist auch oft in Pressekonferenzen zur Sprache gekommen.
FRAGE: Ich habe eine Frage an das Umweltministerium, Herr Haufe, und an Herrn Seibert. Herr Seibert, hat die Kanzlerin denn vorher mit Herrn Putin über das Thema Nawalny gesprochen? Warum hat sie es noch nicht gemacht?
SEIBERT: Ich würde Sie informieren, wenn es da etwas zu berichten gäbe, und das tun wir immer nach Gesprächen, nicht davor.
ZUSATZFRAGE: Herr Haufe, sieht das Umweltministerium eine Notwendigkeit für die Nord-Stream-2-Pipeline, gerade im Hinblick auf den Plan der EU und auch Deutschlands, spätestens in 30 Jahren klimaneutral zu sein? Dadurch senkt sich doch der Bedarf an fossiler Energie und damit auch an fossilem Erdgas automatisch.
HAUFE (BMU): Wir als Umweltministerium haben speziell zur Diskussion um Nord Stream 2 nichts explizit beizutragen. Ich kann Ihnen nur mitteilen, wie die längere Perspektive für Gas aussieht. Für alle fossilen Energieträger wie eben auch für Gas haben wir ja in der Bundesrepublik Deutschland ein Enddatum gesetzt, nämlich 2050. Das gilt natürlich auch für Gas.
ZUSATZFRAGE: Herr Seibert, die Kanzlerin ist ja auch Umweltkanzlerin. Ist es aus umweltpolitischer Sicht sinnvoll, so eine Pipeline noch an den Start gehen zu lassen, wenn fossile Energiegewinnung eh bald aufhören muss?
SEIBERT: Was Herr Haufe gesagt hat, ist ja vollkommen richtig: Das Ziel, bis 2050 CO2-neutral zu sein, haben wir uns gesetzt, und das ist auch ein sehr wichtiges. Gleichwohl, und jetzt muss ich nicht noch einmal die gesamte Nord-Stream-Debatte der letzten zwei Jahre aufmachen ‑ auch das können Sie nachlesen ‑, haben wir eine Situation, in der wir als das vielleicht einzige Industrieland sowohl aus der Kernenergie als auch schrittweise aus der Kohle aussteigen. Das bringt natürlich den Bedarf an einer Übergangsenergieform namens Gas mit sich. Deswegen gibt es einen diversifizierten Gasimport. Das sind alles bekannte Fakten und es steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, was Herr Haufe hier gerade als ein großes nationales und auch europäisches Ziel ausgegeben hat.
HAUFE: Ich kann nur noch einmal unterstreichen, dass für uns ganz klar ist, dass Erdgas eine wichtige Brückenfunktion für die nächsten Jahre und auch Jahrzehnte hat, um eben dieses Ziel der CO2-freien Energieversorgung zu erreichen.
Weil Sie die Pipelines ansprachen: Bei Pipelines muss man sich immer anschauen, wofür man die vielleicht auch später nachnutzen kann. Wir arbeiten ja gerade daran und fördern es auch staatlich, dass wir in Zukunft zum Beispiel Gas aus erneuerbaren Energieträgern produzieren wollen. Das könnte man zum Beispiel möglicherweise auch durch Pipelines transportieren. Das ist eine der Visionen, die man dafür hat. Das heißt also, eine Pipeline muss nicht quasi per se ablaufen, was ihre Nutzung angeht, wenn da kein klassisches Erdgas mehr durchgeleitet wird.
FRAGE: Herr Burger, Ihr Minister hat immer betont, dass man Russland zur Lösung internationaler Konflikte benötige, Stichwort Syrien, Stichwort Libyen. Nun gibt es diese Spannungen zwischen Berlin und Moskau. Glauben Sie, dass diese Spannungen Auswirkungen auf die Lösungsansätze für diese Krisenherde haben?
BURGER: Der Außenminister hat sich just zu dieser Frage gestern geäußert. Natürlich belasten solche Vorfälle das Verhältnis und die Zusammenarbeit. Das hat der Minister auch bei seiner letzten Reise nach Moskau gesagt. Das macht die Zusammenarbeit natürlich schwieriger.
FRAGE: Herr Seibert, noch einmal zum Kreml: Sie sprachen jetzt von drei bis vier Tagen oder vielleicht auch von länger. Das hatten Sie ungefähr als Zeitraum angegeben, bis zu dem eine Entscheidung zu erwarten sei.
SEIBERT: Nein, nein, das muss ich gleich korrigieren. Es ist genau andersherum. Ich habe gesagt: Am Mittwoch haben wir diese neuen und bestürzenden Erkenntnisse über die Natur des Giftstoffes, mit dem Herr Nawalny vergiftet wurde, erhalten. Wir haben sie mit der Öffentlichkeit und mit unseren Partnern geteilt und auch den russischen Botschafter darüber informiert. Wir haben die Erwartung an die russische Seite ausgedrückt, dass sie sich dazu erklärt. Damit ist nicht ‑ jedenfalls nicht in umfassendem Sinne ‑ innerhalb von drei oder vier Tagen zu rechnen.
ZUSATZFRAGE: Es gibt ja jetzt schon einige Reaktionen aus Moskau. Wie große Hoffnung haben Sie angesichts der Reaktionen eigentlich noch, dass eine konstruktive Antwort aus dem Kreml kommen wird? Man muss ja kein Ultimatum nennen, aber man kann sagen: „Bis dann müsste man schon einmal irgendeine Ansage haben, ob der Kreml jetzt kooperieren will oder nicht“.
SEIBERT: Ich habe hier dennoch keine zeitlichen Vorstellungen zu nennen. Aber es ist so, wie die Bundeskanzlerin auch gesagt hat: Viele Menschen auf der ganzen Welt und auch viele Regierungen nehmen Anteil an dem Schicksal von Herrn Nawalny und erwarten, dass sich Russland dazu erklärt.
FRAGE: Herr Burger, Sie haben vorhin die medizinischen Unterlagen aus Sibirien angesprochen. Außenminister Maas hat ja auch gefordert, dass diese an Deutschland übergeben werden sollen, nicht wahr?
BURGER: Daran kann ich mich nicht erinnern.
ZUSATZFRAGE: Ich bin der Meinung, dass ich so etwas gelesen habe. Aber unabhängig davon: Die russischen Ärzte bleiben ja dabei, dass sie sagen, dass man nichts gefunden habe. Er sei auf Giftstoffe untersucht worden, man habe aber nichts gefunden. Wäre es dann nicht sinnvoll, dass diese zwei verschiedenen Proben, also die aus dem deutschen Bundeswehrlabor und die auf russischer Seite, gegenübergestellt und untersucht werden, um auf einen Nenner zu kommen und zu sehen, was in Russland tatsächlich passiert ist und was denn die deutschen Berichte aussagen?
BURGER: Wie gesagt: Die Ergebnisse der Untersuchung der Proben von Herrn Nawalny durch das Labor der Bundeswehr belegen zweifelsfrei, dass hier ein chemischer Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe zum Einsatz gekommen ist. Alles Weitere ‑ der gesamte Tathergang bis zwei Tage nach der Tat ‑ spielt sich in Russland ab, und deswegen ist Russland aufgefordert und in der Pflicht, sich dazu zu erklären. Dazu kann wahrscheinlich niemand außer Russland Beiträge leisten.
ZUSATZ: Das ist jetzt nichts Neues. Aber die russischen Ärzte bleiben dabei, dass sie sagen, sie hätten nichts gefunden. Meine Frage war ja, ob es da nicht sinnvoll wäre, diese zwei Proben gemeinsam zu untersuchen, um zu sehen, was tatsächlich in der einen Probe oder was in der anderen Probe zu sehen ist.
BURGER: Herr Seibert hat ja darauf verwiesen, dass wir auch weiterhin in Kontakt zur OVCW und zu unseren Partnern stehen, auch hinsichtlich der Frage des weiteren Umgangs mit der Tatsache, dass hier ein Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen festgestellt worden ist. Diese Kontakte laufen weiter. Im Übrigen, was die kriminalistische Aufarbeitung des Vorgangs angeht, warten wir darauf, dass Russland Aufklärung leistet.
FRAGE: Herr Burger, der Minister hatte am Wochenende gesagt, etwaige Sanktionen, wenn es denn dann zu der Entscheidung käme, müssten möglichst zielgerichtet sein. Können Sie etwas darüber sagen, wie zielgerichtete Sanktionen aussehen können? Sprechen wir dabei von Einreisesperren oder von Kontensperrungen?
Wie könnte man zu zielgerichteten Sanktionen kommen, wenn sich Russland, was sich ja abzeichnet, einer Zusammenarbeit verweigert? Wie kann man dann zielgerichtet feststellen, gegen wen sich solche Sanktionen richten sollen?
BURGER: Ich muss noch einmal auf das hinweisen, was Herr Seibert am Anfang gesagt hat: Es ist zu früh dafür, das jetzt auszubuchstabieren. Wir befinden uns darüber, wie gesagt, mit den europäischen Partnern im Gespräch, weil das eine Frage ist, die nicht allein Deutschland betrifft und die noch nicht einmal in erster Linie Deutschland betrifft, sondern die die internationale Gemeinschaft insgesamt betrifft.
ZUSATZFRAGE: Gut, aber der Minister muss ja etwas im Sinn gehabt haben, wenn er „zielgerichtet“ gesagt hat. Dann muss es ja zumindest eine Idee davon geben, was man mit „zielgerichteten Sanktionen“ meint. Meint man damit sehr spezielle, zielgerichtet wirksame Wirtschaftssanktionen, oder meint man damit auf Personen bezogene Sanktionen? Von welchem Bereich zielgerichteter Sanktionen sprechen wir also?
BURGER: Wie gesagt: Es ist zu früh dafür, das jetzt hier öffentlich auszubuchstabieren, weil wir uns dazu nach wie vor im Gespräch mit den europäischen Partnern befinden und weil das eine Entscheidung ist, die nicht von uns zu treffen ist, sondern im europäischen Kontext insgesamt zu treffen sein wird. Diese Beratungen ‑ das hat Herr Seibert auch gesagt ‑ haben gerade erst begonnen.
[…]
FRAGE: Ich habe zwei Fragen zum Rechtshilfeersuchen an das Auswärtige Amt oder an das Justizministerium.
Zum einen: Welche Informationen hat die russische Seite denn genau erbeten? Geht es da um Akten oder Beweismittel? Worum geht es konkret?
Wenn ich Sie am Freitag richtig verstanden habe, dann hat das ja vom Eingang des Ersuchens bis zur Weiterleitung nach Berlin acht Tage gedauert. Ich frage mich in dem gesamten Fall: Hätte man das nicht schneller machen können, quasi als Eilverfahren?
BURGER: Ich möchte noch einmal kurz auf das zurückkommen, was ich eingangs gesagt habe. Der Anschein, der hier teilweise versucht wird zu erwecken, Russland sei für die Aufnahme von Ermittlungen darauf angewiesen, dass ein Rechtshilfeersuchen aus Deutschland beantwortet wird, ist schlichtweg falsch. Es ist eine Tat, die sich in Russland zugetragen hat. Bis zwei Tage nach der Tat gibt es überhaupt keinen Bezug zu Deutschland. Der einzige Bezug zu Deutschland ist, dass der Patient jetzt in der Charité hier in Berlin behandelt wird.
Insofern ist es so, wie wir gesagt haben: Dieses Rechtshilfeersuchen wird jetzt nach den dafür bestehenden Verfahren von der unabhängigen Justiz behandelt. Die Frist, innerhalb derer die Bundesregierung der Weiterleitung an die Justiz durch das Bundesamt für Justiz zugestimmt hat, ist ‑ ‑ ‑ Sie sagen, es sind acht Tage. Ich habe es nicht nachgezählt. Das ist jedenfalls nach den in diesem Verfahren gültigen Maßstäben nicht nur üblich, sondern es ist zügig.
ZUSATZFRAGE: Und die erste Frage? Worum geht es in dem Ersuchen genau?
BURGER: Dazu hatte, glaube ich, das Justizministerium schon am Freitag gesagt, dass wir dazu in der Regel keine Auskunft geben können.
VORS. SZENT-IVÁNYI: War das so?
KEITEL (BMJV): Genau, das war so. Von daher bitte ich Sie um Verständnis, dass wir weder zu den einzelnen Verfahrensschritten noch zu dem Inhalt Auskunft geben können.
FRAGE: Kurze Nachfrage dazu: Russland sagt, Deutschland verweigere sozusagen die Rechtshilfe. Sie weisen das zurück. War die Aufforderung an Russland, die in der Vergangenheit von Deutschland ergangen ist, dass Russland sozusagen Ermittlungen aufnehmen soll, um die Täter in Russland festzustellen, rechtstechnisch gesehen etwas Vergleichbares? War das ebenfalls ein Rechtshilfeersuchen, sozusagen auf gleicher Augenhöhe? Hat Russland dann sozusagen in der Vergangenheit gesagt: Nein, darauf gehen wir gar nicht ein, weil wir dafür keinen Anlass sehen? ‑ Oder war das ein anderes Begehren?
Wenn es ein anderes Begehren war, gibt es irgendeinen Anlass für Deutschland, seinerseits um Rechtshilfe aus Russland nachzusuchen?
BURGER: Vielleicht kann mich das Justizministerium, wenn es um Fragen der strafrechtlichen Zuständigkeit geht, unterstützen oder auch bremsen, wenn ich etwas Falsches sage. Mein Verständnis ist das Folgende:
Die Aufforderung an Russland, den Tathergang und die Hintergründe aufzuklären, ist kein Rechtshilfeersuchen, sondern das ist eine Aufforderung, die sich daraus ergibt, dass im Zuge der Behandlung von Herrn Nawalny festgestellt wurde, dass ein verbotener chemischer Kampfstoff eingesetzt worden ist und damit ein Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen begangen wurde. Damit besteht also nicht nur der Verdacht, dass ein versuchter Mordanschlag gegen einen prominenten russischen Oppositionellen stattgefunden hat, sondern eben auch ein schwerer Verstoß gegen das Chemiewaffenüberkommen. Daraus ergibt sich die politische Aufforderung an Russland, diesen Vorgang aufzuklären. Das kann nur Russland leisten, weil sich dieser Vorgang in Russland zugetragen hat.
Meines Wissens ‑ aber da mag ich mich irren ‑ gibt es keine eigenen eigenständigen Ermittlungen deutscher Justizbehörden zu diesem Fall, weil sich, wie gesagt, die Tat in Russland zugetragen hat und sich keine eigene Zuständigkeit deutscher Justizbehörden dazu ergibt. Es gibt das Rechtshilfeersuchen der russischen Generalstaatsanwalt, die sich an die deutsche Justiz richtet, dazu Fragen zu beantworten. Dieses Rechtshilfeersuchen befindet sich nun in den Händen der unabhängigen Justiz, die damit nach den dafür geltenden Regeln umgeht.
SEIBERT: Der Vergiftungsfall Nawalny hat exakt zwei Verbindungen zu Deutschland: Deutsche Ärzte hier in der Charité in Berlin versuchen, das Leben von Herrn Nawalny zu retten, und spezialisierte Toxikologen der Bundeswehr haben zweifelsfrei nachgewiesen, mit welchem verbotenen chemischen Nervenkampfstoff Herr Nawalny vergiftet wurde. Das ist das, was unsere Betroffenheit ist.
Darüber hinaus ist es natürlich ein Fall von großer politischer Bedeutung ‑ erstens wegen des Verstoßes gegen den Einsatz solcher chemischen Kampfstoffe und zweitens weil es sich bei Herrn Nawalny um einen der führenden russischen Oppositionellen handelt. Deswegen erwartet die deutsche Regierung ‑ wie andere Regierungen in Europa und in der ganzen Welt ‑, dass Russland sich zu diesem Fall erklärt.
FRAGE: Eine ganz kurze Nachfrage zur Organisation für das Verbot von Chemiewaffen. Ich hätte ganz gern gewusst, Herr Burger: Haben sie eigentlich von den Deutschen, jetzt völlig unabhängig von dieser Debatte mit Russland, eine Probe bekommen? Denn sie haben ja auch eigene Labore, weil sie auch eigene Untersuchungen vornehmen. Haben die deutschen Behörden einen Teil dieses Samples, das sie haben, auch nach Stockholm ‑ dort ist das, glaube ich ‑ geschickt?
BURGER: Es ist Den Haag. Wie es Herr Seibert vorhin auch schon gesagt hat: Wir stehen zum Umgang mit diesem Fall mit der OVCW in engem Kontakt.
ZUSATZFRAGE: Aber Sie können nicht sagen, ob sie das selber noch einmal analysieren?
BURGER: Wie gesagt: Dazu stehen wir mit der OVCW in Kontakt.
FRAGE: Ich habe zwei Fragen.
Erstens. Verstehe ich es richtig, dass man heute nicht sagen kann, wann der Informationsaustausch zwischen Russland und Deutschland zum Thema Nawalny beginnt, wann die Materialien, die von der russischen Seite angefragt wurden, an Moskau überwiesen werden?
Zweite Frage: Warum hält es Berlin für notwendig oder angemessen, faktische Informationen zum Fall Nawalny mit den Partnern in der EU und der NATO zu teilen, bevor man diese Materialien an Russland überwiesen hat?
BURGER: Zu Ihrer ersten Frage kann ich nur auf das verweisen, was hier am Freitag schon gesagt wurde.
Das Rechtshilfeersuchen wurde mit Zustimmung der Bundesregierung an die zuständige Berliner Justiz übergeben und wird nun von der zuständigen Berliner Justiz nach den dafür geltenden Regeln bearbeitet ‑ ganz regulär.
Zu der zweiten Frage kann ich nur sagen: Wir haben ja nicht nur unsere Partner, sondern wir haben am letzten Mittwoch auch die russische Seite und die Öffentlichkeit über den Befund informiert, dass bei den Proben von Herrn Nawalny ein verbotener chemischer Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe festgestellt wurde. Aus diesem Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen ergab sich für die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Partner und die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten.
ZUSATZFRAGE: Aber Herr Nawalny ist ein russischer Staatsbürger. Sie fordern von Russland Antworten auf Fragen, die jetzt auch öffentlich gestellt sind. Warum werden solche Informationen nicht gleich mit Russland geteilt?
BURGER: Sie haben mitbekommen, dass die behandelnden Ärzte der Charité zunächst mit Zustimmung der Familie über den Gesundheitszustand ‑ das war sozusagen die erste Diagnose ‑ informiert haben. Es war zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Bundeswehr von der Charité bei der Analyse dieser Vergiftung um Unterstützung gebeten wurde. Als die Bundeswehr sozusagen auf Bitten der Charité festgestellt hatte, dass hier ein verbotener Nervenkampfstoff eingesetzt worden ist, hat die Bundesregierung die Notwendigkeit gesehen, darüber zunächst einmal den russischen Botschafter, dann die Partner und die Öffentlichkeit zu informieren.
Im Übrigen ist es genauso, wie Sie sagen: Es ist ein russischer Staatsbürger. Es ist ein Fall, der sich in Russland zugetragen hat. Herr Nawalny wurde zwei Tage lang nach seiner Vergiftung in Russland behandelt. Alle Informationen, die notwendig sind, um das aufzuklären, müssten in Russland zu finden sein.
Situation in Belarus
FRAGE: Seit gestern beteiligen sich vermummte russische Staatsbürger an der Jagd auf Oppositionelle in Minsk. Heute wurde Oppositionsführerin Kolesnikowa von Vermummten entführt. Sieht die Bundesregierung die zunehmende Einmischung Russlands in Belarus ebenfalls von Russlands Gaspipeline Nord Stream 2 entkoppelt?
SEIBERT (BReg): Ich möchte zunächst einmal die Frage von Herrn Röpcke zum Anlass nehmen, auch unter dem Eindruck der Bilder dieses Wochenendes nicht nur zu würdigen, sondern großen Respekt für die Tausenden und Abertausenden von Belarussinnen und Belarussen auszudrücken, die am Wochenende wieder friedlich, solidarisch und auch sehr nachdrücklich gegen Wahlfälschung und für Demokratie sowie für ihre Rechte als Bürger demonstriert haben. Die einzige Antwort, die Lukaschenko und seine Leute für diese Menschen derzeit zu haben scheinen, ist die nackte Gewalt. Die Bilder, die wir davon gesehen haben ‑ das war in der letzten Woche schon so, und das hat sich leider am Wochenende fortgesetzt ‑, sind erschreckend. Wir verurteilen das auf das Schärfste. Wir fordern die sofortige Freilassung derjenigen, die vor den Wahlen, am Wahltag und seit den Wahlen inhaftiert wurden, nur weil sie ihre demokratischen, selbstverständlichen Bürgerrechte ausgeübt haben. Das ist das, was ich zunächst dazu zu sagen habe.
BURGER (AA): Ich kann nur ergänzen, dass die belarussische Bevölkerung, die Belarussinnen und Belarussen, selbst über das Schicksal ihres Landes entscheiden müssen. Deswegen erfolgt unser Aufruf, eine Wahlbeobachtung der OSZE zuzulassen. Deswegen erfolgen auch die Angebote der OSZE, deren Mitglied Belarus ja ist, einen Dialog zwischen der Bevölkerung und der Regierung zu unterstützen. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg. Insofern betrachten wir Versuche von außen, Einfluss auf die Richtung dieses Prozesses zu nehmen, natürlich sehr kritisch.
VORS. SZENT-IVÁNYI: Gleichwohl will ich noch einmal darauf hinweisen, dass der Kollege extra noch einmal nach dem Zusammenhang zwischen Weißrussland, Russland und der Pipeline gefragt hat.
SEIBERT: Da kann ich jetzt nur auf das verweisen, was ich ganz am Anfang gesagt habe.
[…]
FRAGE: Sie hatten sich ja gerade zu den Szenen in Belarus am Wochenende geäußert. Wird angesichts der Gewalt und dieser Festnahmen mittlerweile auch diskutiert, direkt Sanktionen gegen Herrn Lukaschenko zu verhängen? Es gibt sie ja im Augenblick nicht. Oder erhofft man sich ihn noch als Gesprächspartner?
BURGER: Dazu kann ich Sie auf Äußerungen des Ministers vom Wochenende in einer großen deutschen Zeitung verweisen. Es gibt innerhalb der Europäischen Union dazu im Moment intensiv laufende Beratungen. Man hat sich in der vorletzten Woche beim Informellen Treffen der EU-Außenminister in Berlin darauf verständigt, jetzt schnell und zielgerichtet Sanktionen auf den Weg zu bringen. Diese Beratungen laufen im Moment in Brüssel sehr intensiv. Der Außenminister hat auch gesagt, dass es zu weiteren Sanktionen kommen kann, wenn Belarus an seinem Kurs nichts ändert.
ZUSATZFRAGE: Würden sie sich dann auch gezielt gegen Herrn Lukaschenko richten?
BURGER: Das ist ein Thema, das bereits bei den Beratungen der EU-Außenminister hier in der vorletzten Woche eine Rolle gespielt hat. Das ist kein Geheimnis, weil eine ganze Reihe der beteiligten Außenminister das auch öffentlich gesagt hat. Insofern wird das sicherlich Teil der Diskussion bleiben.
FRAGE: Herr Seibert, Sie haben die Bilder von Belarus selber angesprochen. Diese Spezialkräfte der Polizei in Belarus verfügen über deutsche Waffen aus Lizenzproduktion. Die Türkei hat Kriegswaffen wie die Maschinenpistole 5 geliefert, obwohl sie einen Endverbleib fest zugesichert hat. Wie reagiert die Bundesregierung darauf, dass die Türkei gegen die Abmachungen verstößt und sie auch nach dem Boykott noch lizenzierte deutsche Kriegswaffen an Polizeibehörden in Belarus geliefert hat?
SEIBERT: Ich habe dazu jetzt keine Informationen; ich müsste sie Ihnen nachreichen. Ich weiß nicht, ob die Kollegin des Wirtschaftsministeriums etwas dazu sagen kann.
ZUSATZFRAGE: Vielleicht möchte Frau Grave dazu etwas sagen. Wir hatten ja auch eine schriftliche Anfrage gestellt. Es gab von Frau Eichhorn auch eine Antwort, aber nicht zu diesem Punkt.
Wie geht denn das BMWi damit um, dass diese Abkommen unterlaufen werden und deutsche Kriegswaffen in Kriegsgebiete oder in Konfliktgebiete wie nach Belarus geliefert werden? Welche Handhabe haben Sie denn? Was haben das Ministerium oder die Bundesregierung unternommen, um zu unterbinden, dass die Türkei deutsche Lizenzwaffen nach Belarus und in andere Länder liefert?
GRAVE (BMWi): Tut mir leid. Dazu kann ich jetzt leider auch nicht mehr sagen. Wenn Sie eine Anfrage gestellt haben ‑ ‑ ‑
ZUSATZFRAGE: Die Frage war aber grundsätzlich. Welche Handhabe hat denn die Bundesregierung, wenn ein solches Abkommen, ein Reexportverbot, gebrochen wird? Was wäre denn Ihre Reaktion darauf?
GRAVE: Tut mir leid. Ich habe die entsprechenden Informationen nicht dabei. Das müsste ich nachreichen.
SEIBERT: Ich kann auch nur sagen, dass wir etwas nachreichen.
FRAGE: Das Thema deutsche Rüstung in Belarus war ja am Mittwoch hier schon Thema. Ich wundere mich: Da haben Sie auch noch keine Erkenntnisse gehabt.
Jetzt haben wir fünf Tage später. Der Kollege hat gerade vorgetragen, was die neuesten Erkenntnisse sind. Erkennen Sie das denn an, Herr Seibert, Frau Grave, dass es dort deutsche Rüstung gibt? Am Mittwoch wussten Sie noch nichts davon. Wissen Sie mittlerweile davon?
GRAVE: Ich glaube, Herr Burger hatte dazu am Mittwoch etwas gesagt. Weitere Erkenntnisse liegen uns nicht vor.
ZUSATZ: Sie haben gar keine gehabt. Haben Sie mittlerweile irgendwelche Erkenntnisse?
SEIBERT: Wir nehmen das zum Anlass, um eine Antwort darauf nachzureichen.
Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange
FRAGE: Ich habe eine Frage zum Fall Julian Assange vermutlich an das Außenministerium, vielleicht auch das Justizministerium: Es ist heute ein weiterer Prozesstag in London. Wie beurteilen Sie den Prozess? Verfolgen Sie den Prozess mit eigenen Beobachtern? Sind Sie der Meinung, dass die Haftbedingungen, unter denen Herr Assange einsitzt ‑ das ist ja sozusagen ein Hochsicherheitstrakt, in dem er da in Belmarsh sitzt ‑, Menschenrechtsnormen entsprechen?
BURGER (AA): Es hat dazu in der Vergangenheit Kontakte unserer Botschaft in London gegeben. Ob nun konkret bei der Verhandlung die deutsche Botschaft oder andere Botschaften präsent sind, kann ich Ihnen aus dem Gedächtnis nicht sagen. Das muss ich Ihnen nachreichen.
Zu unserer Einschätzung des Falls insgesamt haben wir hier vor einem halben Jahr ausführlich vorgetragen. Daran hat sich nichts Grundsätzliches geändert. Unsere Einschätzung ist, dass die britische Justiz nach rechtsstaatlichen Kriterien und Standards arbeitet. Das ist aus unserer Sicht dort grundsätzlich gegeben. Es besteht im britischen Rechtssystem auch die Möglichkeit für jeden, der sich durch den Staat rechtswidrig oder menschenrechtswidrig behandelt sieht, sich dagegen wirksam auf rechtlichem Weg zu wehren.
ZUSATZFRAGE: Welche Haltung hat die Bundesregierung zur Whistleblowertätigkeit von Herrn Assange? Der Außenminister betont immer wieder, wie wichtig in der internationalen Politik die Orientierung an Menschenrechten sei. Hat Herr Assange sich um Menschenrechte verdient gemacht, indem er Kriegsverbrechen durch Offenbarung von Dokumenten öffentlich gemacht hat?
BURGER: Ich kann hier nicht für die Bundesregierung eine umfassende Würdigung des Wirkens von Herrn Assange vornehmen. Ich glaube, das sollte auch getrennt von der Frage betrachtet werden, ob im Verfahren seine Menschenrechte gewahrt werden.
FRAGE: Herr Seibert, ist die Kanzlerin für die Freilassung von Herrn Assange?
Herr Burger, setzen Sie sich eigentlich unabhängig von der Arbeit der britischen Justiz für die Freilassung von Herrn Assange ein? Wenn nein, warum nicht?
SEIBERT (BReg): Auch für die Bundeskanzlerin kommentiere ich das laufende Verfahren hier nicht, und ich wiederhole noch einmal, dass nach unserer Überzeugung das britische Rechtssystem rechtsstaatliche Prinzipien gewährleistet.
BURGER: Und das ist auch genau der Grund, warum wir auf dieses Verfahren keinen Einfluss nehmen.
ZUSATZFRAGE: Findet die Kanzlerin die bisherige Arbeit von Herrn Assange wichtig für die Weltöffentlichkeit, Herr Seibert?
SEIBERT: Auch ich werde jetzt nicht, wie Herr Burger gerade gesagt hat, würdigen, was Herr Assange bisher gemacht hat. Es gibt da ein Verfahren, das kommentiere ich nicht. Aus unserer Überzeugung wird das in Großbritannien so gehandhabt, dass es rechtsstaatlich ist.
ZUSATZFRAGE: Aber würdigt die Bundesregierung nicht generell Aufklärung und Aufdeckung von Kriegsverbrechen?
SEIBERT: Sie versuchen jetzt eine wirklich jahrelange Diskussion hier noch einmal zu beleben. Ich finde, das hat mit aktueller Regierungspolitik nichts zu tun, und deswegen möchte ich das in dieser Regierungspressekonferenz jetzt nicht verlängern.
FRAGE: Ist ein Asyl für Assange in Deutschland möglich?
SEIBERT: Vielleicht möchte sich das Innenministerium zu Fragen des Asyls melden.
VICK (BMI): Das müsste ich gegebenenfalls nachreichen.
Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union
FRAGE: Boris Johnson will nur noch bis Mitte Oktober mit der EU verhandeln und hofft wohl auf einen No-Deal-Brexit. Welche Priorität haben die Verhandlungen mit Großbritannien für die Bundesregierung neben all den anderen wichtigen Themen wie Corona?
SEIBERT (BReg): Nun, das ist ein sehr wichtiges Thema, weil es darum geht, nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union nun festzulegen, wie das künftige Verhältnis der EU zu Großbritannien ist. In dieser Woche gehen die Gespräche zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU über ein Abkommen in die neue Runde. Wir sind als Bundesregierung weiterhin davon überzeugt, dass es noch möglich ist und dass es auch im Interesse beider Seiten ist, ein solches Abkommen zu schließen. Aber natürlich müsste man schnellstmöglich zu einer Einigung mit dem Vereinigten Königreich kommen. Wir unterstützen Herrn Barnier, den EU-Chefunterhändler, der für alle 27 diese Verhandlungen führt, in seinen Bemühungen in der kurzen Zeit noch ein Abkommen zu erzielen. Dafür muss sich vor allem Großbritannien bei den Kernthemen Governance, bei dem, was man unter “level playing field” zusammenfasst, und beim Thema Fischerei bewegen.
Noch einmal: Wir sind der Überzeugung, dass das erfolgreich abgeschlossen werden kann. Gleichzeitig bereitet sich die Bundesregierung auch auf den Fall vor, dass ein Abkommen nicht zustande kommt.
FRAGE: Herr Seibert, was ist denn aus Sicht der Bundesregierung der letztmögliche Termin für eine Einigung? Es gab ja vorher schon Äußerungen, dass das eigentlich im September der Fall ist, weil danach das Abkommen auch noch ratifiziert werden müsste. Herr Johnson redet jetzt von einer Frist bis Mitte Oktober. Was ist aus Sicht der Bundesregierung der letztmögliche Zeitpunkt?
SEIBERT: Ich will hier ganz ausdrücklich keine Fristen setzen, aber ich habe gesagt: Wir vertrauen darauf bzw. wir unterstützen Michel Barnier bei seinen Bemühungen, in der kurzen Zeit, die bleibt, noch ein Abkommen zu erzielen. Dieses „kurz“ möchte ich jetzt, wie gesagt, nicht in x Tagen ausdrücken.
ZUSATZFRAGE: Dann möchte ich die Frage noch an das AA weiterreichen: Haben Sie Informationen, wann zurückgerechnet von der Ratifizierung der letztmögliche Termin für eine Einigung ist?
BURGER (AA): Das kann ich Ihnen zumindest jetzt und hier so nicht sagen. Wenn es dazu eine einfache Antwort gibt, dann will ich die gerne nachreichen.
FRAGE: Herr Seibert, findet die Bundeskanzlerin denn die jüngsten Äußerungen von Herrn Johnson hilfreich? Er hat ja den Zeitdruck in den Verhandlungen nun ja doch noch einmal erheblich erhöht.
SEIBERT: Der Zeitdruck ist beiden Seiten bekannt und auch vorher schon bekannt gewesen.
Einstufung von Hisbollah als Terrororganisation
FRAGE: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es Herrn Burger oder Herrn Seibert betrifft: Der ehemalige US-Botschafter Richard Grenell hat in einem Zoom-Meeting am 18. August gesagt, dass man die Deutschen dazu gedrängt habe, die Gesamtorganisation Hisbollah als Terrororganisation einzustufen. Die Deutschen wären darüber nicht glücklich gewesen, sagte er, aber man habe sie trotzdem gedrängt und erwarte eigentlich, dass auch Frankreich diesem Beispiel folge. Mich würde da interessieren: Inwiefern hat er persönlich ‑ das nehme ich einmal an ‑ oder die US-Regierung die Bundesregierung dazu gedrängt, diesen Schritt vorzunehmen?
Zweite Frage: Gab es seit der Einstufung der Hisbollah als Terrororganisation Kontakte mit Hisbollah-Parlamentsabgeordneten im Libanon?
BURGER (AA): Ich kann Ihnen zu der letzten Frage die Antwort nur nachreichen ‑ falls es etwas nachzureichen gäbe.
Zu Ihrer ersten Frage: Ich möchte die Äußerungen von Herrn Grenell hier nicht kommentieren, weil sie mir auch nicht vorliegen.