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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 06.03.2020
Lage an der türkisch-griechischen Grenze
SEIBERT (BReg): Meine Damen und Herren, guten Tag! Die öffentlichen Termine der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche:
Am Montag, den 9. März, um 14.15 Uhr beginnt das Deutsch-Griechische Wirtschaftsforum hier in Berlin. Veranstalter sind die Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Es findet im Haus der Deutschen Wirtschaft statt. Die Bundeskanzlerin wird dort um 14.15 Uhr eine Rede halten. Auch der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis wird dort eine Rede halten. Da der griechische Ministerpräsident an diesem Wirtschaftsforum teilnimmt, wird es auch zu einem bilateralen Gespräch mit der Bundeskanzlerin kommen. Die Veranstaltung ist presseöffentlich. Die Frist für die Akkreditierung ist allerdings schon gestern abgelaufen. Aber Sie haben das sicher schon auf anderem Wege im Blick gehabt. […]
FRAGE: […] Die zweite Frage betrifft das bilaterale Treffen der beiden. Inwieweit wird da das Thema Flüchtlingskrise besprochen werden? In Griechenland und in Regierungskreisen in Athen herrscht eine Unzufriedenheit mit der Bundeskanzlerin, weil sie sich nicht scharf genug gegen das Vorgehen des türkischen Präsidenten und zu seiner Verantwortung für die Krise an der griechisch-türkischen Grenze geäußert hat.
SEIBERT: […]
Zu der anderen Frage: Natürlich ist es absehbar, dass bei dem Treffen der Bundeskanzlerin mit Ministerpräsident Mitsotakis die Situation entlang der griechischen Land- und Seegrenzen eine wichtige Rolle spielen wird, die aktuelle Lage dort.
Im Übrigen kann ich darauf verweisen, dass sich die Bundeskanzlerin sehr deutlich zu dem Vorgehen des türkischen Präsidenten geäußert hat. Sie hat auch kritisiert, dass er die Migranten und Flüchtlinge in eine Sackgasse geschickt hat, die für sie eine sehr schwierige humanitäre Situation an der Grenze, die für sie geschlossen ist, bedeutet.
Sie hat allerdings auch darauf verwiesen, dass die Türkei durch die Situation im noch immer andauernden syrischen Krieg und durch die Tatsache, dass sie bereits 3,5 bis 4 Millionen Flüchtlinge und Migranten bei sich beherbergt, eine große Last zu tragen und dadurch natürlich auch berechtigte Erwartungen an Europa hat.
ZUSATZFRAGE: Es gibt einen Vergleich zu dem französischen Präsidenten, wie scharf er das Vorgehen des türkischen Präsidenten verurteilt hat. Sehen Sie da einen Unterschied, oder finden Sie das im Hinblick auf die aktuelle Situation, die an der griechisch-türkischen Grenze herrscht, scharf genug?
SEIBERT: Ich habe hier nicht die Äußerungen des französischen Präsidenten, die mir im Übrigen auch gar nicht genau vorliegen, zu kommentieren. Die Bundeskanzlerin hat für die Bundesregierung gesagt ‑ das haben auch andere Vertreter der Bundesregierung getan ‑, was von der Situation, in die die Flüchtlinge durch türkisches Handeln gebracht worden sind, zu halten ist.
Gleichzeitig hat sie gesagt, dass wir weiter ein großes Interesse daran haben, an dem EU-Türkei-Abkommen festzuhalten, dass wir das von europäischer Seite auch tun, dass wir erwarten, dass dies auch von türkischer Seite getan wird, und dass Interesse beider Seiten an der Fortsetzung der migrationspolitischen Zusammenarbeit, wie das Abkommen sie festlegt, besteht.
FRAGE: Herr Seibert, ich möchte zu der griechischen Seite und den Zuständen an der Grenze bzw. auf den Inseln kommen. Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Genfer Flüchtlingskonvention besagen, dass es ein Verbot der Zurückweisung Schutzsuchender gibt. An dieses Verbot wird sich an der griechischen Grenze von europäischen Beamten offenbar nicht mehr gehalten. Außerdem wird gegen EU-Asylverfahrensrichtlinien, die den Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren regeln, verstoßen. Was sagt die Bundesregierung dazu?
Herr Alter, könnten Sie als BMI uns sagen, wie viele deutsche Beamte an der Grenze aktuell arbeiten, ob diese die illegalen Anweisungen von griechischer Seite übernehmen und ob sie dem Folge leisten oder nicht Folge leisten?
SEIBERT: Die Hüterin der europäischen Verträge, die für uns alle gelten, ist die Europäische Kommission. Ich kann hier ‑ dafür bitte im um Verständnis ‑ aus der Entfernung nicht in die juristische Exegese einsteigen. Die Kommission ist Hüterin der Verträge und hat sich zu einzelnen Fragen in dem Zusammenhang auch schon geäußert.
ZUSATZFRAGE: Dazu nicht. Darum frage ich Sie, Herr Seibert.
SEIBERT: Ich habe gesagt: Die Hüterin die Verträge ist die Kommission.
ZUSATZFRAGE: Das heißt, wenn von europäischer Seite gegen Menschenrechte verstoßen wird, dann sagt die Bundesregierung: Das ist nicht unser Bier, weil die EU-Kommission das zu sagen hat. Wenn die nichts sagt, ist das unser Pech. - Verstehe ich Sie da richtig?
SEIBERT: Nein. Wir alle sind in Europa vereint unter dem Rechtsrahmen, den die europäischen Verträge uns setzen. Aber die Hüterin der Verträge, die Situationen beurteilt und die mit Staaten in den Dialog tritt, wenn es Zweifel gibt, ist die Europäische Kommission.
ALTER (BMI): Wir haben Kenntnis davon, dass die griechische Regierung über Frontex eine Personalanforderung gestellt hat. Im Rahmen dieser Personalanforderung für den Einsatz an der griechisch-türkischen Landgrenze wird Deutschland nach jetzigem Kenntnisstand elf Beamte in den Einsatz entsenden und zur Verfügung stellen. Dieser Einsatz steht bevor und hat zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht begonnen.
ZUSATZFRAGE: Wenn die Beamten die Anweisung bekommen, gegen EU-Recht, gegen die EU-Menschenrechtskonvention zu verstoßen, werden die diese einhalten?
ALTER: Im Rahmen von Auslandseinsätzen, so auch im Rahmen einer etwaigen Frontex-Operation, die hier bevorsteht, werden die Beamtinnen und Beamten aus anderen Ländern sozusagen in die griechischen Behörden eingegliedert. Das, was sie dort tun, tun sie nach griechischem Recht unter Leitung griechischer Behörden.
BREUL (AA): Ich möchte noch ganz kurz etwas dazu sagen, weil Sie, Herr Jung, in Ihrer Frage schon wieder alle möglichen rechtlichen Bewertungen vorgenommen haben, die man, denke ich, zu diesem Zeitpunkt so nicht vornehmen kann.
Ich möchte insbesondere darauf verweisen, dass das sogenannte Refoulement-Verbot, das Sie angeführt haben, für die Gebiete gilt, in denen ein Konflikt herrscht, also dass, wenn jemand aus einem Konfliktgebiet flieht, er nicht an der Grenze zurückgewiesen werden kann. Das scheint mir jetzt bedingt einschlägig bei der türkisch-griechischen Grenze. Das sind Dinge, die man sich genau anschauen und genau bewerten muss. Dazu gibt es auch Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der dazu ein Urteil im Fall von Spanien gefällt hat. Sie können sich das vielleicht einmal gucken und sich dann eine Meinung bilden. Ich glaube, so einfach, wie Sie das darstellen, ist es nicht.
Selbstverständlich gelten das Europarecht und auch die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die wir haben. Wir unterstützen Griechenland dabei, diesen Verpflichtungen auch nachzukommen; das steht außer Frage. Das Recht ist nicht außer Kraft gesetzt. Diesem Eindruck möchte ich eindeutig entgegentreten.
FRAGE: Ich war dort in dem Gebiet und würde gerne kurz schildern, was ich gesehen habe. Im griechischen Grenzgebiet finden direkte Zurückweisungen von Menschen statt, die auf griechischem Boden festgenommen wurden. Ich habe gesehen, wie Menschen in kleinen Transportern ohne Kennzeichen, ohne Nummernschilder abgeführt wurden, und zwar von Menschen, bei denen nicht erkenntlich ist, woher sie kommen. Inwiefern haben die deutsche Bundesregierung und auch die deutsche Bundespolizei Kenntnisse über solche Fahrzeuge, die auf dem Gelände einer griechischen Polizeiwache positioniert sind?
ALTER: Uns liegen über die Schilderungen, die Sie gerade vorgenommen haben, keine eigenen Erkenntnisse vor. Der Bundesinnenminister hat in dieser Woche noch einmal gesagt: Wir haben es mit einer Gesamtsituation zu tun, die sehr stark von zum Teil auch sehr stark abweichenden Informationen geprägt ist. - Wir wollen an dieser Stelle keine Ferndiagnosen vornehmen. Zu dieser konkreten Schilderung haben wir keine eigenen Informationen.
ZUSATZFRAGE: Das ist interessant; denn am Mittwoch, den 4. März, habe ich ein Auto der Bundespolizei mit deutschem Kennzeichen auf diesem Gelände gesehen, gemeinsam mit einem Kollegen, einem Fotoreporter. Dieses Auto der Bundespolizei war auf dem Gelände geparkt, auf dem die Vans stationiert sind. Wie können Sie sagen, Sie haben keine Kenntnis darüber, was dort passiert?
ALTER: Wir haben an dieser Stelle schon einmal gesagt: Es ist ja nicht so, als sei die Bundespolizei in Griechenland überhaupt nicht präsent. Es gibt bereits verschiedene Frontex-Operationen und auch andere Einsatzformen in Griechenland. Insgesamt sind derzeit rund 60 deutsche Beamte im Einsatz. Insofern ist es durchaus möglich, dass sozusagen ein Austausch stattfindet. Ich will nicht ausschließen, dass auch ein Auto der Bundespolizei an einer dieser Grenzstationen aufgetaucht ist. Jedenfalls ist mir kein Bericht bekannt ‑ das müsste man noch nachbereiten; das werde ich dann gegebenenfalls nachliefern ‑, nach dem eine solche Situation, wie Sie sie gerade beschrieben haben, uns gegenüber berichtet worden wäre
ZUSATZFRAGE: Ich bitte darum. Ich stelle die Frage vielleicht noch ein bisschen präziser: Was für Erkenntnisse haben Sie über das Vorgehen der griechischen Behörden, was diese Vans angeht? Denn die Vorwürfe wiegen hier extrem schwer, auch gegenüber der Bundespolizei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht weiß, was dort passiert. - Vielen Dank.
ALTER: Ich liefere das, was ich nachliefern kann, gerne nach.
Noch einmal: Wir haben ganz unterschiedliche Informationsquellen. Es gibt Medienberichte, die teilweise sehr widersprüchlich sind. Wir sind ausgesprochen vorsichtig, auf dieser Grundlage Bewertungen vorzunehmen. Das ist in vielen Fällen überhaupt nicht möglich.
FRAGE: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert, quasi eine Nachfrage zu der Frage von Herrn Jung. Sie haben mit Blick auf die Wahrung von Gesetzen auf die Europäische Kommission verwiesen. Nun haben wir ja aber auch eine deutsche Bundeskanzlerin, die jenseits juristischer Bewertungen Position beziehen kann und könnte mit Blick auf das, was sich dort in Griechenland oder an der griechisch-türkischen Grenze tagtäglich immer mehr zuspitzt. Wie ist dazu die Position, die Stellungnahme der Bundeskanzlerin?
SEIBERT: Um es noch einmal klarzumachen: Die europäischen Gesetze gelten für alle. Es gibt die Notwendigkeit ‑ das hat der Kollege des Auswärtigen Amtes gerade gesagt ‑, europäisches Recht einzuhalten. Ich habe auf die Kommission als diejenige Institution verwiesen, die überprüft, ob das geschieht, und die da, wo es Fragen, Zweifel und Anmerkungen gibt, mit dem einzelnen Mitgliedstaat in Kontakt tritt. Das ist keine bilaterale Angelegenheit.
Die Bundeskanzlerin hat sich sehr deutlich zu der extrem schwierigen humanitären Situation geäußert, in die Flüchtlinge auf der türkischen Seite der Grenze durch staatliche türkische Maßnahmen geraten sind - geschickt wurden, muss man sagen. Dies hat sie sehr kritisch getan. Sie hat genauso ‑ da sind wir auf einer Linie mit den europäischen Institutionen ‑ die Solidarität mit Griechenland erklärt, das ja auch in eine sehr schwierige Situation gebracht worden ist. Es ist gut, dass die europäischen Institutionen Sofortmaßnahmen zur Unterstützung Griechenlands eingeleitet haben ‑ das unterstützen wir ausdrücklich ‑: die Unterstützung über den Katastrophenschutzmechanismus, die Bereitstellung von medizinischer Ausrüstung, Unterkünften, Zelten, Decken usw. Die finanzielle Hilfe, die mobilisiert wurde, ist richtig.
Die Situation, die sich dort jetzt ergeben hat, hat mehrere Aspekte. Das ist der humanitäre Aspekt. Das ist der Aspekt der griechischen Seite, die eine extrem schwierige Situation an ihren Land- und Seegrenzen hat. Und das ist der Aspekt, dass die Türkei durch die enorme Belastung, die sie durch die Beherbergung von 3,5 bis 4 Millionen Flüchtlingen im eigenen Land trägt, und durch die zusätzlichen Sorgen, die sie durch die Situation in Idlib hat ‑ darauf kommen wir thematisch vielleicht noch ‑, die Erwartung an Europa hat, bei diesen Belastungen unterstützt zu werden.
FRAGE: An der griechisch-türkischen Grenze gibt es offenbar auch Übergriffe von wohl rechtsextremen Gruppen auf Journalisten und auf NGO-Mitarbeiter. Auch Ärzte ohne Grenzen hat das beklagt. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass dort solche möglicherweise selbst ernannten Grenzschützer, rechtsextreme Gruppen unterwegs sind, die andere angreifen und die auch die Pressefreiheit stark gefährden? Wie stark besorgt Sie das?
SEIBERT: Ich persönlich kann nur aus Medienberichten darauf reagieren. Ich habe die Medienberichte zur Kenntnis genommen. Ich weiß nicht, ob uns offizielle Berichte vorliegen. Es versteht sich doch von selbst: Angriffe auf Journalisten sind strikt abzulehnen. Natürlich muss es immer das Recht auf freie Berichterstattung und die Möglichkeit zur freien Berichterstattung geben. Wenn Rechtsextremisten versuchen, sich eine so schwierige humanitäre Situation für ihre politischen Ziele zunutze zu machen, dann ist auch das strikt abzulehnen.
ALTER: Wenn ich vielleicht noch einen Satz dazu ergänzen darf. Es ist in Deutschland ein Prinzip und ein wichtiger Anspruch, den wir erheben, dass das staatliche Gewaltmonopol bei den Behörden liegt und nicht durch Einzelne ausgeübt werden kann, und zwar unabhängig davon, in welcher Situation. Insofern ist auch die Haltung des Innenministeriums zu solchen Vorgängen eine ganz klare.
FRAGE: Ich habe eine Frage an das BMI: Wie ist der Stand der Dinge bei der Frage der möglichen Aufnahme von Flüchtlingen durch Kommunen? Warum ist das bisher nicht möglich, wenn sich Kommunen bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen?
ALTER: Der Stand ist derzeit unverändert. Wir kennen die Forderungen der Kommunen und der Städte seit mehreren Monaten. Der Bundesinnenminister hat diese Woche deutlich gemacht, dass er sich diesen Fragen sehr zeitnah widmen will. Beim Treffen der Innenminister in Brüssel hat das noch keine Rolle gespielt. Da ging es zunächst einmal um die Frage des Schutzes der EU-Außengrenze. Derzeit finden laufend Gespräche zu diesem Thema statt, an denen sich auch der Bundesinnenminister beteiligt. Er hat gesagt, er wird sich dem zeitnah widmen. Das setzt er auch so um.
ZUSATZFRAGE: Können Sie „zeitnah“ präzisieren?
ALTER: Nein, das kann ich im Moment noch nicht präzisieren.
FRAGE: Genau dazu, Herr Alter: Gilt das auch für die Aufnahme geflüchteter Kinder? Ich frage heute noch einmal nach, weil beispielsweise der Kinderschutzbund von einer Schande gesprochen hat und er die Europäische Union, aber auch Herrn Seehofer auffordert, 7000 geflüchtete Kinder und ihre Familien aufzunehmen. Gibt es da einen neuen Stand?
Vielleicht auch gleich die Frage an Herrn Seibert: Wird das womöglich am Sonntag im Rahmen des Koalitionsausschusses von der Kanzlerin angesprochen? Wir auch Ihr Minister, Herr Alter, daran teilnehmen und das thematisieren?
ALTER: Zum ersten Teil Ihrer Frage: Auch da gibt es keinen anderen Sachstand. Es gibt jetzt nicht unterschiedliche Sachstände für unterschiedliche Personengruppen, sondern es geht insgesamt um die Frage der Aufnahme von Menschen in Griechenland, die sich in prekären Situationen befinden. Entscheidungen dazu sind noch nicht getroffen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass die Gespräche laufen und dass das nicht auf die lange Bank geschoben wird.
SEIBERT: Es ist nicht üblich, dass der Regierungssprecher hier die Tagesordnung des Koalitionsausschusses bekannt gibt. Das werde ich auch heute nicht tun. Aber Sie können natürlich davon ausgehen, dass auch diese sehr schwierige Lage in der Region ein Gegenstand des Nachmittags sein wird.
FRAGE: Die Schilderung, die wir von Ihnen bekommen, ist die von in Konflikt liegenden Rechtssituationen. Es ist aber auf Dauer nicht erträglich zu sagen: Die Hüterin der Verträge ist die Kommission, wenn Grundrechte der Verträge außer Kraft gesetzt werden.
Wir haben eine einflussreiche Bundeskanzlerin. Wir haben eine deutsche EU-Kommissionspräsidentin. Warum gibt es dann nicht die Möglichkeit zu sagen: „Wir priorisieren in dieser Situation das Recht der Flüchtlinge oder der Schutzsuchenden, auf deren Rücken dieser Konflikt im Moment ausgetragen wird“? Das ist doch die faktische Situation. Die Bundeskanzlerin hat 2015 sinngemäß gesagt: In einer solchen Situation muss auch die Humanität über andere Prinzipien gesetzt werden. - Gilt dieses Prinzip nicht mehr?
Noch eine konkrete Frage an Herrn Alter: Wenn deutsche Polizeibeamte jetzt in Konfliktlagen geschickt werden, gibt es da eine spezielle Rechtsbelehrung? Denn zu sagen, sie arbeiten unter griechischem Recht ‑ wenn griechisches Recht europäisches Recht zumindest zeitweise außer Kraft setzt ‑, das können Sie doch auch nicht gutheißen.
SEIBERT: Wir haben hier am Montag sehr ausführlich darüber gesprochen, dass und warum 2020 und 2015 nicht so einfach gleichzusetzen sind. Ich glaube, das müssen wir jetzt hier nicht wiederholen. Insofern gebe ich an Herrn Breul, der für das Auswärtige Amt zu Ihrer Frage etwas zu sagen hat.
BREUL: Herr Jessen, ich möchte Sie darauf hinweisen ‑ um das zurückzuweisen, was Sie in Ihrer Frage gleich zweifach wiederholt haben, nämlich dass EU-Rechte außer Kraft gesetzt seien ‑, dass das nicht stimmt und dass sich alle EU-Mitgliedstaaten beim Treffen der EU-Außenminister heute noch einmal dazu bekannt haben, inklusive der griechischen Delegation natürlich. Ich kann das für Sie gerne zitieren ‑ das ist leider auf Englisch; Sie wissen, in der GASP arbeiten wir auf Englisch und Französisch ‑:
„In this regard, the EU and its Member States will take all necessary measures, in accordance with EU and international law.“
Da geht es um die Grenzfrage und ‑ noch einmal ‑ um das klare Bekenntnis der gesamten Europäischen Union, Europarecht, EU-Grundrechte und natürlich auch internationales Recht einzuhalten.
ZUSATZFRAGE: Das bedeutet, das, was jetzt stattfindet, dass Asylsuchenden kein geregeltes Asylverfahren angeboten wird, ist für Sie die Einhaltung europäischen Rechts? Das haben Sie jetzt so gesagt.
BREUL: Nein. Das, was ich gesagt habe, ist, dass völlig klar ist: Das EU-Recht und internationales Recht sind nicht außer Kraft gesetzt. Natürlich haben wir es mit einer besonderen Lage zu tun, wenn mehrere Tausend Menschen auf einmal versuchen, sich an Grenzposten Zugang zu verschaffen und womöglich illegal die Grenze zu überqueren. Herr Seibert hat es gerade gesagt: Das ist ja auch nicht per Zufall geschehen, sondern das war ein politisches Instrumentarium. - Selbstverständlich stellen sich in dieser Situation andere Fragen als bei einem geordneten Grenzübergang und müssen andere Maßnahmen ergriffen werden. Das heißt aber nicht, dass EU-Grundrechte außer Kraft gesetzt sind. Das sind zwei Paar Schuhe.
Herr Alter hat vorgestern ausgeführt: Es müssen wieder geordnete Verhältnisse geschaffen werden, um dann wieder zu geordneten Verfahren zurückzukehren.
Das ist natürlich eine schwierige Lage. Wir sind in voller Solidarität mit den Menschen, die wissentlich und willentlich in diese schwierige Lage gebracht wurden. Das bedeutet aber nicht, dass man aufseiten der griechischen Behörden schwierige Entscheidungen treffen muss, um da für geordnete Verhältnisse und Sicherheit zu sorgen.
ALTER: Bevor ich Ihre Frage konkret beantworte, möchte ich noch einmal auf die Erklärung hinweisen, die die Innenminister in Brüssel einstimmig abgegeben haben. Es gibt ja viele Themen, bei denen auf europäischer Ebene so schnell keine Einstimmigkeit hergestellt werden kann. Aber die Minister der EU-Staaten haben sich auf eine Erklärung verständigt, die im Wesentlichen besagt, dass die griechischen Behörden mit aller Kraft dabei unterstützt werden, die europäische Außengrenze zu schützen, und dass ‑ zum Zweiten ‑ die Zusammenarbeit auch mit der Türkei zu stabilisieren ist. Alle 27 Innenminister haben es entschieden abgelehnt ‑ das ist ein ganz wesentlicher Punkt ‑, dass politische Ziele auf dem Rücken von Migranten und Flüchtlingen ausgetragen werden. Insofern gibt es da ein ganz klares Bekenntnis der Innenminister.
Zu Ihrer konkreten Frage: Das ist natürlich ein Stück weit spekulativ, weil, wie ich schon sagte, dieser Einsatz auf Anforderung der griechischen Behörden noch nicht stattgefunden hat. Aber losgelöst von dieser Einsatzsituation gibt es Prinzipien, die insbesondere auch hier in Deutschland gelten. Für unsere Beamten ist klar, dass sie etwaige rechtswidrige Anordnungen nicht befolgen müssen. Es gibt sogar die Pflicht, dagegen zu remonstrieren. Diese Prinzipien werden für unsere deutschen Beamten auch im Falle von Auslandseinsätzen nicht außer Kraft gesetzt. Sie gelten für die Beamten auch dann.
SEIBERT: Ich möchte ganz gern noch etwas hinzufügen, weil Herr Breul gerade zu Recht von den geordneten Verhältnissen gesprochen hat. Geordnete Verhältnisse in der Migrationsfrage zwischen der EU und der Türkei sind Verhältnisse, die der EU-Türkei-Vereinbarung entsprechen, die seit ihrem Inkrafttreten 2016 positive Wirkungen sowohl für die Flüchtlinge, die in der Türkei beherbergt werden, gebracht haben als auch was die Reduzierung der Zahl der illegalen Migration betrifft.
Man liest zwar manchmal Falsches. Aber diese EU-Türkei-Vereinbarung ist nicht befristet. Sie ist nicht mit einem Enddatum versehen. Beide Seiten haben mit Blick auf die Krise in Syrien eine dauerhafte migrationspolitische Zusammenarbeit vereinbart. Deswegen sollten Probleme und zusätzliche Sorgen, die die Türkei, was Flüchtlinge und Migranten betrifft, jetzt hat, im Rahmen dieser EU-Türkei-Vereinbarung besprochen und gelöst werden. Das ist unsere Haltung.
ZUSATZFRAGE: Herr Alter, wie verträgt sich das mit dem von Ihnen zitierten einmütigen Satz der Innenminister, dass Konflikte nicht auf dem Rücken von Flüchtlingen ausgetragen werden dürfen, genau dies aber jetzt stattfindet, und zwar auch dadurch, dass gesagt wird, die Außengrenze abzuschotten hat oberste Priorität? Das hat zur Folge, dass der Konflikt aktuell auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen wird. Das steht im Widerspruch zu den Worten des gemeinsamen Beschlusses. Wie kommen Sie da heraus?
ALTER: Ich erkenne da keinen Widerspruch. Wenn Sie das so beschreiben, dann wäre ja die einzige Konsequenz aus dieser Situation, die europäische Außengrenze für alle, die kommen, zu öffnen. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns derzeit.
Einerseits gibt es das klare Bekenntnis und auch die gemeinsame Zielrichtung aller europäischer Mitgliedstaaten, dass die europäische Außengrenze ihre Funktion erfüllen kann. Zu einem geordneten Verkehr an der Grenze gehört, dass die Behörden darüber entscheiden können, wer einreist und wer nicht. Die Situation vor Ort ist im Moment nicht so, als dass man von dieser geordneten Situation ausgehen kann.
Andererseits ‑ das ist etwas, was die Innenminister ganz klar kommentiert haben ‑ haben wir es mit einer Situation zu tun, die natürlich auch durch Fehlinformationen entstanden ist, wo auch immer die ihren Ursprung haben. Jedenfalls haben wir festgestellt, dass sich viele Tausend Menschen auf den Weg in Richtung griechische Grenze gemacht haben, weil sie glaubten, die Grenze sei für sie geöffnet.
Insofern ist das kein Widerspruch, sondern beide Dinge stehen nebeneinander: einerseits ein klares Bekenntnis dafür, dass die Außengrenze funktionieren muss, und andererseits aber auch ein klares, entschiedenes Zurückweisen von Verhaltensweisen auf politischer Ebene, die sich den Migrationsdruck in der Türkei zunutze machen, um politische Zielstellungen zu erreichen.
FRAGE: Vor dem Hintergrund der konkreten Zustände an der griechischen Grenze auf der europäischen Seite, was von hier aus schwer zu beurteilen ist, weil man da noch nicht alle Erkenntnisse hat oder weil es Aufgabe der EU-Kommission ist, ist meine Frage an Herrn Breul, auf welcher konkreten Tatsachen- und Kenntnisgrundlage Bundesaußenminister Maas heute Morgen im Deutschlandfunk-Interview gesagt hat, das Vorgehen dort sei verhältnismäßig und angemessen. Sind in diese Einschätzung die Berichte von Kollegen und NGOs, die hier zitiert worden sind, eingeflossen?
BREUL: Ich kann gerne aus dem Interview zitieren. Der Außenminister hat heute Morgen gesagt:
„Wir gehen davon aus ‑ und das ist ja gestern gesagt worden ‑, dass alles verhältnismäßig und sehr angemessen geschieht.“
Er macht dann weiter mit der Unterstützung, die wir bereit sind, Griechenland zu leisten. Das sind genau die beiden Schlüsselworte: Verhältnismäßig und angemessen muss das sein, was da passiert. Das Recht muss respektiert werden.
Natürlich hat der Außenminister auch mit seinem griechischen Kollegen über dieses Thema gesprochen.
Ich glaube nicht, dass das als abschließende rechtliche Bewertung von konkreten Vorgängen zu werten ist, sondern das ist noch einmal eine Bestätigung dessen, was Herr Seibert und ich hier vorgetragen haben, dass EU-Recht und internationales Recht gelten, dass da Verhältnismäßigkeit vorherrschen muss und dass die Maßnahmen auch angemessen sein müssen. Daher ist das, glaube ich, letztlich anders gesagt, aber genau so gemeint, wie wir es hier gerade gesagt haben, nämlich das Bekenntnis, dass das Recht natürlich einzuhalten ist.
ZUSATZFRAGE: Das ist ja ein normativer Appell: Recht ist einzuhalten. - Aber was gesagt wurde, ist: Es ist angemessen und verhältnismäßig. - Würden Sie einen Anlass sehen, die Stellungnahmen, die Beobachtungen und Schilderungen von Journalisten und NGOs in diese Bewertung einzupflegen?
BREUL: Ja, natürlich nehmen wir die Berichte wahr. Herr Seibert hat gerade auch gesagt, dass die EU-Kommission da an erster Stelle steht. Wir reden ja hier nicht über eine deutsche Kontrolle griechischer Maßnahmen, sondern wir reden über den gemeinsamen Schutz von EU-Außengrenzen in besonderer Verantwortung von Frontex.
Natürlich werden wir im Nachhinein bewerten: Was ist alles vorgefallen? Haben wir angemessen reagiert? Sind die richtigen Unterstützungsmaßnahmen getroffen worden usw.? - Das ist eine Debatte, die durch die Äußerungen des Ministers heute Morgen im Deutschlandfunk nicht abgeschlossen ist.
FRAGE: Herr Breul, Sie haben deutlich gemacht, dass Deutschland für eine rechtliche Bewertung dessen, was da stattfindet, nicht zuständig ist. Gleichzeitig haben Sie vor 15, 20 Minuten eine solche rechtliche Bewertung angerissen. Sie haben vom Refoulement-Verbot gesprochen, das möglicherweise in der Türkei nicht zum Tragen kommt. Das ist das Verbot der Abschiebung in Folter und unmenschliche Behandlung, was in der Türkei, wie Sie sagten, nicht das Problem wäre. Nun wissen auch Sie, dass das auch für Kettenabschiebungen gilt, die dokumentiert sind, auch nach Afghanistan und Syrien.
Zweiter Punkt. Sie haben auf die Entscheidung des EGMR zu Ceuta und Melilla verwiesen, zu den spanischen Enklaven, die politisch gerade vielfach zitiert wird. Aber zumindest in der rechtswissenschaftlichen Betrachtung sind sich alle einig, dass der Schwerpunkt auf die Möglichkeit einer legalen Antragstellung zu setzen ist, die in diesem Kontext gerade nicht stattfindet.
Erste Frage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie hier eine rechtliche Bewertung abgeben wollten?
Zweite Frage: Wenn das so wäre, müsste die nicht anders ausfallen als mit Ihren angerissenen Worten?
BREUL: Das möchte ich zurückweisen. Ich habe hier keine rechtliche Bewertung vornehmen wollen und auch nicht versucht, sie anzureißen. Ich habe in Reaktion auf die Frage von Herrn Jung ein Panorama der vielen schwierigen rechtlichen Fragen aufgeblättert, die in diesem Kontext zu beantworten sind, und gesagt, dass das beileibe nicht so einfach zu beantworten ist, wie Herr Jung das getan hat - nicht mehr und nicht weniger.
FRAGE: Ich habe noch zwei Nachfragen an Herrn Alter.
Erstens. Was die Zahlen angeht, wie viele Beamte im Einsatz sind: Können Sie vielleicht noch einmal konkretisieren und nachreichen, wie viele im Evros-Gebiet, also im griechisch-türkischen Grenzgebiet, eingesetzt sind?
Zweitens. Hat die Bundesregierung und hat das BMI Erkenntnisse darüber, ob sich deutsche Identitäre, andere rechtsradikale Gruppen oder polizeibekannte Einzelpersonen auf den Weg nach Griechenland gemacht haben, um aus ihrer Sicht mit die Grenze zu schützen?
ALTER: Zu Ihrer ersten Frage: Ich reiche da etwas nach; es gibt eine Übersicht, in welchen Operationen und Einsätzen sich die deutschen Beamten befinden.
Zum zweiten Teil: Darüber habe ich keine Erkenntnisse, das muss ich bei uns im Haus noch einmal prüfen lassen.
ZUSATZFRAGE: Aus Österreich gab es bereits eine „Reisegruppe“, die das laut eigenen Angaben getan hat. Inwiefern ist das Innenministerium beunruhigt, dass möglicherweise auch aus Deutschland ‑ es gibt auch entsprechende Ankündigungen in Social Media ‑ Reisen dorthin stattfinden sollen?
ALTER: Noch einmal: Ich habe keine Erkenntnisse darüber, dass solche Reisen stattfinden oder stattfinden sollen. Ich werde aber prüfen, ob unsere Behörden möglicherweise einen anderen Stand haben; das will ich nicht ausschließen. Wie wir als Bundesinnenministerium dazu stehen, habe ich vorhin, glaube ich, auch schon einmal deutlich gemacht: Es ist aus unserer Sicht so, dass gerade in solchen schwierigen Situationen oder eigentlich generell ohne Einschränkung das staatliche Gewaltmonopol nur bei den Behörden liegt und nicht bei Einzelpersonen ‑ egal aus welcher Richtung oder zu welchem Ziel Menschen sich entschließen, jetzt aktiv zu werden. Insofern wird von unserer Seite strikt abgelehnt, dass Bürger versuchen, behördliche Prozesse auf ihre eigene Verantwortung zu beeinflussen. Den Sachstand liefere ich Ihnen aber gerne nach.
FRAGE: Herr Seibert und Herr Breul, Sie haben den Punkt der „geordneten Verhältnisse“ an der Grenze betont, und, Herr Alter, auch der Bundesinnenminister hat ja deutlich gemacht: erst Ordnung, dann Humanität, und das möglichst auf Grundlage des EU-Türkei-Abkommens. Dieses Abkommen sieht aber meines Wissens auch vor ‑ korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege ‑, dass, wenn Flüchtlinge, die aus der Türkei kommen, ein Asylbegehren stellen, geprüft wird, ob es zulässig ist ‑ und wenn es das nicht ist, kann es eben eine Rückführung geben. Insofern gehört es ja irgendwie schon dazu, die Leute zunächst einmal anzuhören. Meine Frage ist: Was tut denn die griechische Regierung oder was tut Deutschland ‑ gegebenenfalls mit einem Angebot an Unterstützung ‑, um geordnete Verhältnisse an der Grenze auf griechischer Seite wiederherzustellen? Oder ist die Ordnung nur auf türkischer Seite ein Thema?
ALTER: Ich kann vielleicht beginnen. Ich habe eben schon einmal versucht, es anzudeuten: In der Erklärung der Innenminister der EU-Staaten steht ja ganz klar, in welche Richtung das Engagement gehen muss. Einerseits geht es darum, die griechischen Behörden dabei zu unterstützen, unter den Bedingungen, die nach unseren Standards gelten, den Schutz der EU-Außengrenze zu gewährleisten. Andererseits ist ein wesentliches Ziel darin beschrieben, die Zusammenarbeit mit der Türkei, also die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei, insbesondere mit Blick auf diese Grenze zu stabilisieren. In diesem Sinne werden jetzt Einzelmaßnahmen besprochen und von den unterschiedlichen Ebenen auch eingeleitet.
Ein Beispiel für den Schutz der EU-Außengrenze ist etwa, dass Deutschland sich an der personellen und materiellen Unterstützung beteiligt, nachdem sich die griechische Regierung mit der Bitte um solche Unterstützung an Frontex gerichtet hat.
ZUSATZFRAGE: Das heißt aber, dass der Punkt, dass Leute ihr Asylbegehren vortragen können, im Moment auch in den politischen Verhandlungen keine Rolle spielt? Es ist also nicht so, dass man überlegt, an diesem Grenzübergang eine Art Kontrollposten einzurichten, an dem Leute vortreten und sagen können „Ich möchte gerne Asyl beantragen“, was dann geprüft wird? Ob eventuell zurückgewiesen oder reingelassen wird, ist dann ja anheimgestellt. Das ist aber im Moment nicht vorgesehen, der Zustand bleibt also auch nach einer Woche so erhalten?
ALTER: Wissen Sie, man kann ja nur vor Ort bewerten kann, ob solche Maßnahmen möglich sind. Das ist etwas, was von der aktuellen Situation abhängig ist; man kann schlecht von Berlin aus beurteilen, ob das geht. Jedenfalls hat die griechische Regierung gegenüber Frontex und damit auch gegenüber uns Unterstützungsbitten geäußert. Wir haben uns entschieden, diesen Unterstützungsbitten Folge zu leisten und uns daran zu beteiligen. Alles Weitere muss man im Verlauf der Entwicklung und insbesondere auch in Abhängigkeit der Situation vor Ort entscheiden; das kann man von hier aus nicht tun.
Lage in Syrien
FRAGE: Herr Seibert, es gibt jetzt vermehrt Stimmen ‑ auch seitens der Verteidigungsministerin zum Beispiel ‑, die fordern, weitere Sanktionen gegen Russland einzuführen oder zumindest anzudrohen, damit sich die russische Armee in Syrien bei den Bombardierungen in Idlib zurückhält. Wie steht die Kanzlerin zu so einer Idee? Herr Breul, vielleicht können Sie auch die Position des Außenministers dazu erläutern?
SEIBERT (BReg): Ich will vielleicht erst einmal für die Bundesregierung grundsätzlich über die gestern zwischen Präsident Putin und Präsident Erdoğan erzielte Einigung auf eine Waffenruhe sprechen, die seit heute Nacht um 0 Uhr gelten soll ‑ das ist ja noch ein ziemlich frisches Ereignis. Ich will sagen, dass die Bundesregierung diese Waffenruhe begrüßt. Das ist eine gute Nachricht vor allem für die Zivilisten in Idlib, die in größter Not leben. Sie können jetzt hoffentlich Atem schöpfen. Diese Waffenruhe sollte es möglich machen, die Not dieser Menschen zumindest zu lindern, denn die humanitäre Lage ‑ das haben wir hier oft besprochen ‑ ist dramatisch. Die Bundesregierung ist bereit, noch mehr humanitäre Hilfe beizutragen. Außenminister Maas hat dafür ja gerade weitere 100 Millionen Euro dafür in Aussicht gestellt.
Wir hoffen, dass jetzt wieder ein effektiver und ein sicherer Zugang der Hilfsorganisationen zu den Menschen möglich ist. Es ist gut, dass beide Seiten, Russland und die Türkei, sich gestern zur sicheren humanitären Hilfe für die Zivilisten von Idlib bekannt haben. Jetzt kommt es darauf an, diese Einigung konsequent und transparent durchzusetzen, und zwar durch Russland und die Türkei, aber vor allem auch durch das Assad-Regime. Jetzt geht es um die Umsetzung dieses Abkommen, im Sinne der Menschen in Idlib. Die Logik des Krieges ist jedenfalls teilweise erst einmal zurückgestellt, und nun beobachten wir die weitere Entwicklung.
ZUSATZ: Das war jetzt nicht die Antwort auf die konkrete Frage zur Idee der Sanktionen.
SEIBERT: Es ist die Antwort darauf, was jetzt unsere Priorität ist.
BREUL (AA): Ich glaube, zu den Sanktionen hatten wir hier am Mittwoch auch schon ein bisschen gesprochen. Ich kann Sie auch noch einmal auf die eben schon von mir zitierte Erklärung der EU-Außenminister aus Zagreb von heute Morgen verweisen, die letztlich noch einmal das unterstreicht, was Herr Seibert gerade auch vorgetragen hat. So viel vielleicht schon einmal vorweggenommen: Sie werden das Wort Sanktionen in dieser EU-Erklärung auch nicht finden. Jetzt ist es wichtig, dass die Vereinbarung umgesetzt wird. Die Parteien werden wir an ihren Taten messen. Das gilt insbesondere auch für Russland, das Einfluss in der Region hat ‑ das hat es ja auch durch die Vereinbarung von gestern noch einmal deutlich gemacht. Diesen Einfluss gilt es jetzt auch bei der Umsetzung der UN-Resolution und bei der Rückkehr zu einem politischen Prozess geltend zu machen; denn nur der politische Prozess kann Frieden in Syrien bringen, und da sehen wir Russland jetzt eindeutig gefordert.
ZUSATZFRAGE: Darf ich die Frage dann vielleicht etwas anders stellen: Geht die Bundesregierung davon aus, dass allein die Gespräche oder die Idee einer zusätzlichen Sanktionierung Russlands dazu beigetragen hat, diese Waffenruhe zu erreichen?
BREUL: Das scheint mir eine etwas akademische Frage zu sein ‑ das weiß ich nicht, Sie müssten vielleicht die russische Regierung fragen, was sie dazu bewogen hat, das Abkommen so mit der Türkei zu treffen, wie sie es gestern getan hat. Wir jedenfalls denken: Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist wichtig, dass die Waffen schweigen; als nächstes ist wichtig, dass den Menschen vor Ort humanitär geholfen wird; und dann ist wichtig, dass wir zu einem politischen Prozess zurückkehren. Da ist auch Russland ganz eindeutig in der Verantwortung.
FRAGE: Herr Seibert, sind die Pläne eines Treffens von Frau Merkel mit Herrn Putin, Herrn Erdoğan und Herrn Macron nach dem gestrigen Gespräch immer noch aktuell?
SEIBERT: Die Bereitschaft, auch zu viert wieder ins Gespräch über einen friedlichen, politischen Weg heraus aus dieser katastrophalen Situation in Idlib zu kommen, besteht. Jetzt hat es zunächst einmal dieses wichtige russisch-türkische Treffen mit der aus unserer Sicht wichtigen Einigung auf einen Waffenstillstand gegeben. Das muss jetzt erst einmal umgesetzt werden. Sie wissen, dass es Fragen gibt, die jetzt zwischen den beiden Verteidigungsministerien in den nächsten Tagen überhaupt erst geklärt werden sollen ‑ wie genau das an der Autobahn M4 mit den gemeinsamen Patrouillen zu laufen hat usw. Das heißt, wir werden das beobachten, aber die grundsätzliche Bereitschaft der Bundeskanzlerin zu solchen Gesprächen besteht.
ZUSATZFRAGE: Sie haben früher mehrmals gesagt, dass die russische Seite keine Bereitschaft gezeigt habe, an so einem Treffen teilzunehmen. Ist das auch jetzt so, haben sie bis jetzt nicht geantwortet?
SEIBERT: Das, was ich vor dem russisch-türkischen Treffen gesagt habe, habe ich nicht zurückzunehmen. Jetzt haben wir durch die erzielte Einigung wieder eine neue Situation und müssen schauen, dass sie tatsächlich die hoffnungsvollen Verbesserungen und Fortschritte für die Menschen in der Region Idlib bringt.
FRAGE: Herr Seibert, Herr Breul, das ist ja nicht die erste Waffenruhe, die für Syrien verabredet und wieder gebrochen worden ist. Gibt es von deutscher Seite Pläne für eine Initiative zur Absicherung der Waffenruhe durch die Einrichtung einer Flugverbotszone über Idlib, beispielsweise als Vorstoß innerhalb der EU?
BREUL: Wir hatten uns ja kurz schon am Mittwoch darüber unterhalten, und ich hatte hier ‑ ich glaube, gegenüber Herrn Remme ‑ die Einschätzung abgegeben, dass sich die Mehrheitsverhältnisse und Vetomöglichkeiten im VN-Sicherheitsrat nicht geändert haben. Das gilt auch heute. Der Sicherheitsrat ist in dieser Frage blockiert. Wir haben Schwierigkeiten genug gehabt, vor ein paar Wochen, den humanitären Zugang zu der Region Idlib zu sichern. Das verdeutlich Ihnen, wie schwierig es da ist. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass Russland, das den Russland dort kontrolliert, einer internationalen Schutzzone zustimmen würde.
Ich glaube auch nicht, dass das eine Debatte ist, die uns in dem jetzigen Kontext wirklich nach vorne bringt; denn wir haben jetzt einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Türkei ausgehandelt. Die beiden Parteien sind in der Pflicht, das durchzusetzen. Was wir jetzt brauchen ‑ ich sagte es vorhin schon ‑, ist humanitäre Hilfe und dann vor allem die Rückkehr zum politischen Prozess.
FRAGE: Ich möchte sicherheitshalber nur kurz fragen: War die Frau Bundeskanzlerin in den letzten zwei Wochen telefonisch in Kontakt mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Babiš, und wenn ja, wann?
SEIBERT: Wenn wir Informationen über Telefongespräche für die Öffentlichkeit haben, dann geben wir sie heraus. Das ist in diesem Fall nicht geschehen.
ZUSATZFRAGE: Warum können Sie die Frage nicht beantworten? Es ist doch kein persönliches Gespräch, sondern da geht es um ein politisches Gespräch zwischen zwei Regierungschefs.
SEIBERT: Wir informieren über Telefonate, wenn es da etwas für die Öffentlichkeit zu berichten gibt. Das ist der Grundsatz, und der gilt auch in diesem Fall.
ZUSATZFRAGE: Dann möchte ich kurz erklären, worum es mir genau geht: Es geht um den Fall der CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier, die den möglichen Interessenkonflikt von Herrn Babiš untersucht. Er hat sie unter anderem als „vollkommen irre“ bezeichnet, und tschechische Europaabgeordnete in ihrer Delegation als Volksverräter. Jetzt bekommt Frau Hohlmeier Drohungen und fühlt sich auch von Herrn Babiš bedroht. Die Polizei musste sogar präventive Maßnahmen ergreifen. Deswegen wollte ich fragen, was die Bundeskanzlerin zu diesem Fall sagt, weil sie selbst mehrmals gesagt hat, dass alle gegen Populismus und Drohungen kämpfen müssen.
SEIBERT: Ich kann diesen Fall, ehrlich gesagt, mangels Detailkenntnissen nicht beurteilen. Aber was die Bundeskanzlerin darüber gesagt hat, gilt natürlich: Sie hat sich grundsätzlich dazu geäußert, dass Politiker jederzeit unbedrängt, unbedroht ihre Arbeit machen können müssen, dass sie kritische Untersuchungen durchführen können müssen, ohne dass sie da in irgendeine Form von Risiko geraten. Das gilt ganz grundsätzlich.
Coronavirus
FRAGE: Zum Thema Coronavirus: An das Gesundheitsministerium und an das Innenministerium: Was ist bei der Sitzung des Krisenstabs gestern herausgekommen? Wurden irgendwelche neuen Maßnahmen beschlossen?
NAUBER (BMG): Der Krisenstab hat in der Tat gestern getagt. Ich kann Ihnen sagen: Es ging um die aktuelle Lage und um die Umsetzung der bisher gefassten Beschlüsse.
ZUSATZFRAGE: Können Sie das vielleicht noch ein bisschen konkreter ausführen?
NAUBER: Na ja, am Dienstag sind ja weitreichende Beschlüsse gefasst worden, etwa zum Exportverbot und zur zentralen Beschaffung. Da ist vieles zu klären. Sobald es etwas Neues gibt, werden wir Sie selbstverständlich darüber in Kenntnis setzen.
ZUSATZFRAGE: Zu den Testkapazitäten: Gibt es eine Empfehlung, ob sich jeder, der das gerne möchte, auf Corona testen lassen sollte, oder ob das nur Leute tun sollten, die in Kontakt mit möglicherweise Infizierten waren, einfach um die Labore nicht zu überlasten oder ähnliches?
NAUBER: Es gibt sehr konkrete Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts dazu. Es ist ja auch so, dass sich jeder, der den Verdacht hat, dass er sich möglicherweise infiziert haben könnte, zunächst einmal telefonisch melden sollte und dann entsprechend dazu beraten wird.
FRAGE: An das für Sport zuständige Innenministerium und an das Gesundheitsministerium: In den letzten Wochen sind ja bedeutende Messen wie die Internationale Tourismus-Börse, die Leipziger Buchmesse und die Hannover Messe abgesagt worden. Für die Fußball-Bundesliga gibt es bislang noch keine Absagen wegen des Coronavirus. Können Sie uns sagen, warum Sie beispielsweise die Leipziger Buchmesse als weniger gefährlich für die Verbreitung dieses Virus einschätzen als neun Spiele der Fußball-Bundesliga, zu denen jedes Wochenende eine halbe Million Menschen in die Stadien gehen?
ALTER: Ihre Fragestellung suggeriert, dass die Frage der Absage oder Nichtabsage von Veranstaltungen eine Entscheidung des Krisenstabs sei. Wir haben mit unserer Pressemitteilung nach der Entscheidung über die Großveranstaltungen ja deutlich gemacht: Es gibt Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für die zuständigen Behörden und natürlich auch für die Veranstalter von entsprechenden Veranstaltungen, die der Krisenstab gemeinsam beschlossen hat. Er hat empfohlen, dass diese Maßstäbe bei der Bewertung des Risikos zur einzelnen Veranstaltung angelegt werden. Es bleibt aber dabei ‑ und das ist bisher in allen Fällen so gewesen ‑, dass jeweils die Veranstalter und allenfalls die zuständigen Behörden in den Ländern ‑ ich weiß jetzt nicht ganz genau, inwieweit die jeweils beteiligt waren ‑ eine Entscheidung getroffen haben. Die Frage einer Absage einer Veranstaltung wird jedenfalls nicht im Krisenstab und nicht auf Bundesebene entschieden.
ZUSATZ: Das war auch nicht meine Frage. Meine Frage ist, warum Sie die Fußball-Bundesliga weniger gefährlich einschätzen für die Verbreitung des Coronavirus als beispielsweise die Leipziger Buchmesse.
ALTER (BMI): Für die Leipziger Buchmesse gelten die Kriterien genauso wie für die Bundesliga-Spiele. Insofern habe ich die Frage, glaube ich, beantwortet. Die Entscheidung, ob eine Veranstaltung stattfinden kann oder nicht, ist eine Entscheidung, die jeweils bezogen auf eine konkrete Veranstaltung vom Veranstalter oder von der zuständigen Landesbehörde zu treffen ist.
ZUSATZFRAGE: Dann gehe ich auf den konkreten Fall ein: Morgen Abend kommt es zum Bundesliga-Spitzenspiel Mönchengladbach gegen Dortmund. Im Einzugsbereich des Heimatvereins Mönchengladbach liegt der Kreis Heinsberg ‑ Epizentrum für Coronavirusfälle in Nordrhein-Westfalen. Warum wird dieses Spiel, wenn Zuschauer aus Heinsberg dorthin kommen, als unbedenklich eingestuft?
ALTER: Diese Entscheidung trifft der Veranstalter im Zusammenwirken mit der örtlich zuständigen Landesbehörde. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.
SEIBERT: Wenn ich das sagen darf: Wir sind doch in einer sehr dynamischen Situation, die sich täglich bzw. jedenfalls alle paar Tage neu darstellt. Das, was bleibt, ist das ganz klare Ziel aller staatlichen Maßnahmen, nämlich die Ausbreitung des Virus ‑ die ja stattfindet ‑ einzudämmen und mit allen Möglichkeiten, die wir haben, zu verlangsamen. Natürlich wird in dieser dynamischen Situation der Krisenstab auch immer wieder neu auf zum Beispiel einzelne Fragen wie den Umgang mit Großveranstaltungen und so etwas schauen. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen möchte. Es gibt keine unumstößlichen Beschlüsse, die auf Wochen hinaus feststehen. Wir werden auf die Ereignisse und auf die Ausbreitung zu reagieren haben und manchmal auch vorausschauend zu handeln haben.
ZUSATZFRAGE: Dann hätte ich in diesem Zusammenhang bitte noch eine Frage an das Bundesjustizministerium: Gibt es für die Vereine der Fußball-Bundesliga eine gesetzliche Handhabe, wenn die Spiele durch die öffentliche Hand abgesagt werden, sich Einnahmeausfälle von dort ausgleichen zu lassen?
KEITEL (BMJV): Dazu habe ich im Moment keine Informationen. Wenn es so ist, würde ich Ihnen die Antwort gegebenenfalls nachreichen.
FRAGE: Noch einmal an das BMG: Es gibt Medienberichte, dass der Krisenstab bei seiner letzten Sitzung beschlossen habe, eine Art Sofortpaket mit 275 Millionen Euro für persönliche Schutzausrüstung, aber auch für eine Informations- und Aufklärungskampagne der Bevölkerung zu schnüren. Können Sie dazu etwas sagen? Es hieß in den Berichterstattungen dann auch ‑ mit vielen Ausrufezeichen ‑, dass sich der Bundestag nicht damit befassen werde. Vielleicht können Sie auch zu diesem Aspekt ‑ warum das nicht nötig ist und wie ungewöhnlich das ist ‑ einmal etwas sagen?
Eine zweite Frage, die vermutlich auch an das BMG, aber auch an das BMJV geht: Es gibt eine Debatte darüber, ob man vielleicht Handystandortdaten nutzen sollte, um Kontaktpersonen von Infizierten oder Erkrankten zu lokalisieren. Inwieweit wäre das für Sie im BMG tatsächlich eine gute Methode, um im Kampf gegen das Virus besser voranzukommen? An das BMJV: Wie sieht denn da die rechtliche Bewertung aus?
NAUBER: Der Krisenstab hat in der Tat am Dienstag ‑ ich habe es vorhin schon kurz erwähnt ‑ unter anderem beschlossen, dass wir uns um eine zentrale Beschaffung von Schutzausrüstung kümmern. Das läuft jetzt. Wir sehen natürlich auch ein kontinuierliches Informationsbedürfnis der Bevölkerung; dem werden wir unter anderem weiter durch Anzeigenkampagnen gerecht werden.
Zu der letzten Frage kann ich Ihnen sagen, dass es solche Planungen nicht gibt.
KEITEL: Ich würde zu der Frage an das für den Datenschutz zuständige Ressort, das BMI, abgeben.
ALTER: Ich möchte, ehrlich gesagt, gar nicht so weit einsteigen, dass wir uns diesbezüglich über rechtliche Fragestellungen unterhalten. Nach unserer praktischen Erfahrung ist es so, dass wir mit der Auswertung von Standortdaten von Mobilfunktelefonen die jeweilige Funkzelle bestimmen können, in der sich ein Telefon zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgehalten hat. Aus dieser praktischen Erfahrung heraus ist es für mich schwer vorstellbar, dass man daraus ableiten kann, wer mit wem Kontakt hatte und wer nicht.
ZUSATZFRAGE: An das BMG: Gibt es jetzt diese 275 Millionen Euro, die von irgendwem bereitgestellt wurden, oder gibt es die nicht?
NAUBER: Nach meiner Kenntnis gibt es die, aber weitere Details kann ich Ihnen dazu jetzt, ehrlich gesagt, nicht nennen. Ich kann das nachreichen.
ZUSATZ: Das wäre sehr nett.
FRAGE: Herr Breul, das Auswärtige Amt hat soeben neue Reisehinweise für Italien veröffentlicht. Können Sie kurz erklären, was davon jetzt genau neu ist? Wenn ich das richtig verstanden habe, raten Sie jetzt von nicht notwendigen Reisen unter anderem nach Südtirol ab. Warum?
Herr Alter, wieso überlasst die Bundesregierung den Veranstaltern, die ja eigene ökonomische Interessen haben, die Entscheidung, ob ein großes Fußballspiel stattfindet, das ja potenziell große Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung haben könnte?
BREUL (AA): Reise- und Sicherheitshinweise: Ich kann Ihre Frage, ehrlich gesagt, aus dem Stegreif nicht beantworten, weil die laufend aktualisiert werden. Normalerweise wird darauf hingewiesen, wo Änderungen erfolgten. Sie haben ja gerade schon darauf hingewiesen, dass jetzt wohl eine Änderung bei Hinweisen zu Südtirol stattfand. Südtirol ist vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft worden. Es ist kein Automatismus, dass bei uns dann die Reise- und Sicherheitshinweise so geändert werden, wie sie jetzt geändert wurden, aber das ist ein Indiz dafür. Das wird im Krisenstab im Auswärtigen Amt beraten und dann unter Berücksichtigung aller aktuell verfügbaren Informationen entschieden. Das ist das, was ich im Moment dazu sagen kann. Wenn ich noch mehr nachreichen kann, dann tue ich das gerne. Wir versuchen die Reise- und Sicherheitshinweise aber immer auf dem Stand zu halten, den wir haben, und da passieren laufend Änderungen.
ALTER: Ich möchte gern noch einmal an das anknüpfen, was ich vorhin gesagt habe: Der Krisenstab hat in seiner zweiten Sitzung Kriterien beschlossen, anhand derer eine vergleichbare Einschätzung des Risikos von verschiedenen Veranstaltungen möglich ist. Es bleibt aber dabei, dass dieser Kriterienkatalog aus ganz unterschiedlichen Elementen besteht. Insofern ist es auch sachgerecht, dass die Frage einer Absage einer Veranstaltung jeweils am konkreten Einzelfall durchdekliniert wird. Wenn Sie allein sozusagen das Kriterium von unterschiedlichen Belüftungsmöglichkeiten sehen, dann ist eben eine Veranstaltung, die indoor stattfindet, die schlechter belüftet ist, risikogeneigter als eine Veranstaltung, die im freien stattfindet und die gut belüftet ist.
Allein aus diesem Beispiel ergibt sich schon ziemlich klar, dass man eine solche Entscheidung schlecht zentral auf Bundesebene für alle möglichen Veranstaltungen treffen kann. Man setzt vielmehr die Standards. Diese sind gesetzt, und die jeweils zuständigen Landesbehörden und die Veranstalter müssen die jeweilige Veranstaltung dann im konkreten Einzelfall behandeln.
ZUSATZFRAGE: Herr Drosten, der ja, soweit ich weiß, auch die Bundesregierung beraten hat, hat angeregt, dass Fußballspiele ausfallen sollten. Spielen solche Experteninformationen keine Rolle? Sind Ihnen einfach die Hände gebunden, sodass Sie rein rechtlich solche Schritte nicht gehen können?
ALTER: Zunächst einmal sind ja diese Kriterien nicht vom Himmel gefallen, sondern es sind Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes, kommen also von entsprechend qualifizierter Stelle.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ‑ das haben wir hier in der vergangenen Woche auch schon gesagt ‑: Es gibt natürlich eine Kompetenzverteilung innerhalb des föderalen Aufbaus unserer Bundesrepublik. Wir sehen keine Veranlassung, diese Kompetenzverteilung infrage zu stellen. Die Kompetenzen sind so verteilt, dass die zuständigen Landesbehörden jeweils für eine konkrete Veranstaltung eine Entscheidung treffen müssen.
FRAGE: Ich habe auch eine Frage an das Gesundheitsministerium. Der Virologe Drosten von der Berliner Charité ist der Auffassung: Wenn die Regelung, dass jemand nach Kontakt mit einem Infizierten und wenn Verdacht besteht 14 Tage lang in Quarantäne muss, auch bei Pflegepersonal oder Ärzten eingehalten würde, würde früher oder später das Gesundheitssystem zusammenbrechen. Einzelne Krankenhäuser wollen deshalb auch davon abweichen, zum Beispiel indem man das Personal einfach täglich testet. Was ist die Haltung des Gesundheitsministeriums dazu?
NAUBER: Das Robert-Koch-Institut hat dazu heute Morgen im Pressebriefing sehr ausführlich Stellung genommen. Grundsätzlich ist es ja so, dass das RKI Empfehlungen abgibt, die dann vor Ort RKI jeweils der aktuellen Lage angepasst werden. Diese Empfehlungen des RKI sind durchaus sehr differenziert. Darauf ist Herr Professor Wieler heute Morgen auch noch einmal sehr ausführlich eingegangen.
ZUSATZFRAGE: Und Sie unterstützen das?
NAUBER: Das Robert-Koch-Institut ist das dafür zuständige Bundesinstitut in unserem Geschäftsbereich.
FRAGE: Meine Frage bezieht sich auch auf das Thema Veranstaltungen, richtet sich aber an das Wirtschaftsministerium und womöglich das Arbeitsministerium: Eine Branche, die jetzt besonders stark betroffen ist, ist ja die Veranstaltungsbranche; denen purzeln in unglaublich rasanter Geschwindigkeit die Aufträge weg. Ich weiß, dass sich der Wirtschaftsminister geäußert hat, dass Sie Liquiditätshilfen, Bürgschaften und Kurzarbeitergeld sozusagen als Instrumente ins Schaufenster gestellt haben. Aber das sind ja Instrumente, die bereits bestehen, und die Entwicklung nimmt in dieser doch recht personalintensiven Branche ja rasante Geschwindigkeit an. Gibt es irgendeine Überlegung zu zusätzlichen Instrumenten, die vor allem Dingen auch mit einem Zeitplan unterlegt sind, sodass die Branche eine gewisse Planungssicherheit haben könnte?
EINHORN (BMWi): Wie Sie schon sagten, hat sich der Wirtschaftsminister erst heute im Interview in der „WirtschaftsWoche“ noch einmal zur Lage des Coronavirus und der Betroffenheit der Wirtschaft geäußert. Er hat noch einmal betont, dass auch das BMWi ‑ wie natürlich die gesamte Bundesregierung ‑ alles dafür tut, dass das Virus jetzt nicht flächendeckend die Wirtschaft trifft. Er hat auch noch einmal betont, dass wir auf alle Szenarien, die hier schon im Raum standen, vorbereitet sind und dann auch entsprechend kurzfristig handeln können. Wir erstellen laufend Lagebilder, die sich jetzt besonders mit der wirtschaftlichen Auswirkung des Coronavirus ‑ den Auswirkungen auf Lieferketten und eben auch auf einzelne Branchen, wie Sie es jetzt angesprochen haben ‑ befassen, um dann gegebenenfalls auch kurzfristig reagieren zu können.
Bis dato ist es so, dass wir die von Ihnen schon angesprochenen Instrumente haben, die ohnehin schon bestehen und den Unternehmen zur Verfügung stehen. Das sind zum Beispiel Bürgschaften oder KfW-Betriebsmittelkredite, das sind auch Exportbürgschaften ‑ was jetzt natürlich die Veranstaltungsbranche nicht so sehr betrifft ‑ und das ist vom BMAS auch das Kurzarbeitergeld, das den Unternehmen zur Verfügung steht. Über die Hotline, die wir im Bundeswirtschaftsministerium für Unternehmen, die sich zu den Folgen des Coronavirus erkundigen wollen, eingerichtet haben, haben wir die Rückmeldung bekommen, dass diese Instrumente bisher noch ausreichen. Der Minister hat heute aber auch gesagt, dass wir, wenn sich die Lage so gestaltet, dass die Instrumente und der Umfang nicht mehr ausreichen, natürlich auch darauf vorbereitet sind, das auszuweiten, zu flexibilisieren, anzupassen und auch den Rahmen aufzustocken. Aber wie gesagt, hier sind wir bisher noch nicht; bisher ist es so, dass die bestehenden Instrumente noch ausreichen. Diese Instrumente können natürlich von allen Unternehmen genutzt werden, auch von Unternehmen in der Veranstaltungsbranche.
SCHNEIDER (BMAS): Ich kann daran anknüpfen und das auch noch einmal bestätigen: Für uns relevant ist, wie Sie auch schon sagten, das Thema Kurzarbeitergeld ‑ der Minister hat sich dazu schon mehrfach geäußert. Ich möchte noch ergänzen, dass Regelungen ja nicht allein deshalb, weil sie schon vorher bestanden, in diesem Fall per se schlecht sind oder nicht greifen. Es ist vielmehr natürlich so, dass die Regelungen, die wir zum Thema Kurzarbeit haben, bestehen und in Anspruch genommen werden können. Die BA berät dazu auch, und es gibt auch Anfragen dazu. Insofern gibt es auch jetzt schon Möglichkeiten der Hilfe. Sie wissen ja, dass es für den Minister auch die Möglichkeit gibt, das per Ministerverordnung im Bedarfsfall ‑ so weit sind wir noch nicht ‑ auszuweiten und von 12 auf 24 Monate zu verlängern.
Ich möchte auch noch anfügen, dass die Bundesregierung ‑ das haben alle meine Vorredner auch schon betont ‑ natürlich auch in ständigem Austausch ist, was mögliche und potenzielle Auswirkungen wirtschaftlicher Art betrifft. Das bleibt so, und insofern wird man sehen, ob gegebenenfalls weitere Maßnahmen nötig sind. Ich kann jedenfalls aktuell nichts davon berichten.
ZUSATZFRAGE: Zu dem „ob gegebenenfalls“: Es ist für einen Unternehmen ja relativ schwierig, wenn er „gegebenenfalls“ oder „vielleicht“ damit rechnen kann, dass irgendetwas passiert. Deshalb meine Frage nach dem Zeitplan; denn so jemand muss dann ja auch mit seiner Bank darüber sprechen, was passiert. Ich sehe, dass es diese Instrumente gibt, aber für die angesprochene Branche nimmt das Problem ja eine Größe an, die inzwischen über das normale Maß hinausreicht, für das diese Instrumente ausgelegt sind.
SCHNEIDER: Ja, aber die Instrumente, die es gibt, sind ja auch sehr konkret, und die Unternehmen können schon jetzt bis zu zwölf Monate Kurzarbeit in Anspruch nehmen. Das wird von den örtlichen bzw. den dafür zuständigen regionalen Bundesagenturen für Arbeit geprüft, an die sich jeder wenden kann. Das sind konkrete Maßnahmen, die jetzt schon bestehen und die über zwölf Monate bewilligt werden können. Es ist ja nicht so, dass wir jetzt sagen: Wir haben ein Instrument für eine Woche. Es gibt da vielmehr längerfristige Möglichkeiten, und es gibt für den Minister dann eben auch die Möglichkeit, das per Ministerverordnung im Bedarfsfall zu verlängern. Insofern sind wir da gut aufgestellt. Die BA hat ja auch genügend Rücklagen; wir sind bei rund 25 Milliarden Euro Rücklage bei der BA. Da sind also wirklich genügend finanzielle Mittel vorhanden, um hier Hilfe zu leisten. Insofern würde ich sagen: Die bestehenden Regelungen sind da und sie können in Anspruch genommen werden.
EINHORN: Das kann ich für das BMWi unterstützen. Wenn Sie Dinge wie Liquiditätsprobleme oder Probleme solcher Art, die kurzfristig auftreten, ansprechen, dann kann ich Ihnen sagen, dass es jetzt schon Instrumente wie die KfW-Kredite gibt, die in Anspruch genommen werden können.
Bisher ist die Rückmeldung, die wir auch von den Unternehmen haben, die auch die Hotline anrufen, die wir freigeschaltet haben, dass der Umfang jetzt noch ausreicht. Sollte sich das ändern und sollte der Umfang nicht mehr ausreichen, dann ‑ das hat auch der Minister heute noch einmal betont ‑ sind wir natürlich darauf vorbereitet, ganz kurzfristig auch solche Instrumente und Programme auszuweiten. Aber, wie es die Kollegin schon sagte, bisher gibt es die Instrumente. Sie greifen und helfen den Unternehmen jetzt in solch einer akuten Lage natürlich noch einmal vermehrt.
FRAGE: Herr Kuhn, zum Themenkomplex Wirtschaft und Coronavirus im Hinblick auf den Koalitionsausschuss am Sonntag: Gibt es konkrete Erwägungen für ein größeres Investitionsprogramm von bis zu 10 Milliarden Euro in diesem Jahr?
KUHN (BMF): Der Regierungssprecher, Herr Seibert, hat schon darauf hingewiesen, dass wir zur Tagesordnung von Koalitionsausschüssen keine Stellung nehmen. Aber Sie können davon ausgehen, dass das Thema des Coronavirus natürlich auch eine Rolle spielen wird. Der Minister hat sich in dieser Woche schon mehrfach dazu geäußert. Die Kolleginnen haben auch schon gesagt, dass wir derzeit schon ein ganzes Bündel von Maßnahmen für die Unternehmen haben. Wenn es denn nötig werden sollte, stehen uns alle Mittel zur Verfügung ‑ so kann ich den Minister hier zitieren ‑, um einem weltweiten und auch nationalen Abschwung entschlossen entgegenzuwirken.
FRAGE: Herr Alter, Sie sagten vorhin zweimal, es sei Sache des Veranstalters, eine solche Veranstaltung, ein Spiel, abzusagen. Der gastgebende Verein von morgen Abend, Borussia Mönchengladbach, sagt genau das Gegenteil. Er sagt, er sei gar nicht befugt, ein solches Spiel abzusagen, sondern das sei Sache der Behörden. ‑ Wie ist es wirklich?
Wer trägt die Kosten im Falle einer solchen Spielabsage?
ALTER: Jeder Veranstalter, der eine Veranstaltung plant, kann seine Veranstaltung natürlich selbst auch absagen. Das ergibt sich zunächst einmal aus der Sache selbst.
Was behördliche Befugnisse angeht, betrifft das die zuständigen Landesbehörden.
Was die Frage der Kostentragungsmechanismen angeht, kommt es darauf an, wer eine Veranstaltung abgesagt hat, ob sie durch die öffentliche Hand abgesagt wurde oder durch den Veranstalter selbst.
Abkommen zwischen den USA und den Taliban in Afghanistan
FRAGE: Es gab zwar nur eine Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes zu dem Friedensdeal zwischen den Taliban und den USA. Mich würde aber interessieren, inwieweit die Bundesregierung als Truppen stellende Partei vorab über den Deal informiert worden ist. Gab es dazu Gespräche mit dem Weißen Haus oder in Afghanistan selbst? Herr Seibert, gab es ein Gespräch zwischen Herrn Trump und Frau Merkel? Hat die Kanzlerin vielleicht sogar mit den Taliban telefoniert, wie Herr Trump es getan hat?
Was bedeutet das für den Abzug deutscher Truppen? Sie selbst haben in Ihrem Statement von dem Kernpunkt und dem Zeitplan für den Abzug amerikanischer Truppen gesprochen. Was ist mit den deutschen? Wissen Sie schon, wann sie rausmüssen?
SEIBERT (BReg): An wen richtet sich die Frage?
ZUSATZ: Die Frage zum Truppenabzug möchte ich an das BMVg richten. Aber ich würde gern eine allgemeine Einschätzung, vielleicht auch von Frau Merkel, zu dem Deal in Afghanistan bekommen und dazu, ob sie vorab oder zwischenzeitlich über den Stand informiert wurde.
COLLATZ (BMVg): Sehr gern beginne ich dann zum Thema der Mandatierung. Sie wissen, dass derzeit die Mandatsverhandlungen für die Fortführung des Einsatzes in Afghanistan laufen. Wir gehen so in die Verhandlungen, dass wir natürlich auf alles eingestellt sind, was an Aufgaben dort noch auf uns zukommt. Das ist zunächst der derzeitige Stand.
Wir stimmen uns natürlich eng mit unseren Partnern vor Ort ab, um den Prozess, der zu einer stabilen Friedensordnung in Afghanistan hinführen soll, zu begleiten. Wir starten mit der Aufstellung, die wir jetzt haben. Wir haben etwa 1300 Menschen dort im Einsatz. Von dieser Basis startend, sind wir in der Lage, uns flexibel an die Gegebenheiten vor Ort anzupassen.
Sie wissen, dass das Gewaltniveau in Afghanistan immer noch hoch ist. Wir freuen uns über jede positive Entwicklung und werden sie natürlich entsprechend begleiten, aber alles immer in Absprache mit unseren Partnern und mit Blick auf die Aufgabe, die wir vor Ort wahrzunehmen haben. Deswegen müssen wir flexibel auf die tatsächliche Lage vor Ort reagieren können und sind mit dem Mandat, das jetzt angestrebt wird, gut in der Lage dazu.
ZUSATZFRAGE: Nach dem Mandat hatte ich nicht gefragt. Beinhaltet dieser Deal einen Abzugsplan für die deutschen Soldaten, und wann wollen Sie sie abziehen?
COLLATZ: Über die Wahrnehmung der Aufgaben durch deutsche Soldatinnen und Soldaten entscheidet die deutsche Seite.
ZUSATZFRAGE: Ist im Deal die deutsche Frage enthalten, Herr Breul? Sind deutsche Soldaten Teil dieses Deals?
BREUL (AA): Lassen Sie mich, wenn ich darf, mit dem Anschlag beginnen, der heute in Kabul passiert ist. Dazu wollte ich ohnehin etwas sagen und bin froh, dass Sie das Thema aufrufen. Diesen Anschlag verurteilen wir auf das Schärfste. Dabei sind zahlreiche Menschen verletzt worden und zu Tode gekommen, und das in einer Zeit, in der es intensive Bemühungen um einen Verhandlungsprozess gibt. Derartige Gewalttaten sind darauf angelegt, genau das zu verhindern. Dieses Ziel dürfen die Attentäter nicht erreichen. Deutschland wird im Kampf gegen den Terrorismus weiterhin an der Seite Afghanistans stehen. ‑ Das kurz vorweg zu dem Anschlag von heute.
Wir standen, wenn ich mir, Herr Seibert, erlauben darf, diesen Teil der Frage vorwegzunehmen, natürlich mit den Amerikanern in engem Kontakt zu deren Verhandlungen mit den Taliban. Wir waren keine Verhandlungspartei. Darum können Sie davon ausgehen, dass einzelne Fragen besprochen wurden, natürlich auch mit anderen NATO-Verbündeten, die eine Militärpräsenz in Afghanistan haben, und dass andere Teile direkt zwischen den USA und den Taliban liefen.
Wir haben uns zu dem Abkommen grundsätzlich geäußert. Wir haben gesagt: Das ist ein wichtiger Schritt, aber es ist eben auch nur ein Schritt, weil es Frieden in Afghanistan nur dann geben wird, wenn es einen innerafghanischen Prozess dafür gibt. Die Taliban sind eine der Gruppierungen in Afghanistan, aber nicht die einzige Gruppierung. Unsere Unterstützung in Afghanistan zielt auf die afghanische Regierung. Das tut sie auch weiterhin. Wir unterstützen sie dabei so, wie es geht, diesen Prozess jetzt in Gang zu bringen und politische Fortschritte zu erzielen.
Die USA haben in dem Abkommen, das sie mit den Taliban geschlossen haben als vertrauensbildende Maßnahme eine erste Reduktion der US-Truppenpräsenz und der internationalen Truppenpräsenz verhandelt. Darüber stehen wir im engen Austausch mit den USA und tragen diese erste Reduktion als Zeichen der Unterstützung für den nun möglichen Friedensprozess mit. Das bedeutet auch eine behutsame Anpassung unserer Präsenz. Es bedeutet jedoch nicht, dass jeder Truppensteller einzeln mit gleicher Prozentzahl, wie sie die Amerikaner angekündigt haben, reduziert. Für die konkrete Ausgestaltung stehen wir als Rahmennation Nord in engem Austausch mit unseren 21 Partnern im Norden.
Ich darf noch darauf verweisen, dass sich der Außenminister nicht nur am Wochenende mit Statements geäußert hat, sondern dass er auch eine Rede im Bundestag gehalten hat, in der er auf diese Aspekte für unsere zukünftige Präsenz und ein zukünftiges Mandat eingegangen ist. Daraus möchte ich nur noch einmal hervorheben, dass es aus unserer Sicht wichtig ist ‑ der Kollege hat es gerade schon gesagt ‑, dass es eine dynamische Entwicklung ist und wir weiterhin flexibel handeln können müssen. Deshalb soll aus unserer Sicht die Obergrenze in Höhe von 1300 deutschen Soldatinnen und Soldaten bis zum 31. März 2021 unverändert bleiben.
SEIBERT: Ich will wirklich nur noch eines hinzufügen. Denn die Kollegen haben alles Wichtige gesagt.
Bei den Verhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, die jetzt wichtig sind, kommt es uns sehr darauf an, dass dabei auf dem aufgebaut wird, was Afghanistan in den letzten Jahren im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten erreicht hat.
FRAG: Herr Breul hat eben die Möglichkeiten angesprochen, von deutscher Seite mit der afghanischen Regierung in Kontakt zu treten. Ein kritischer Punkt scheint zu sein, dass in dem Deal zwischen den Taliban und den USA die Freilassung von, so meine ich, 5000 Gefangenen seitens der afghanischen Regierung vereinbart wurde. Wie kann das realisiert werden? Allgemein wird bezweifelt, dass das innerhalb eines kurzen Zeitraumes möglich ist.
BREUL: In der Tat hat sich die afghanische Regierung kritisch zu diesem einen Aspekt der Absprachen zwischen den USA und den Taliban geäußert. Es geht dabei vor allem um den Zeitpunkt eines Gefangenenaustausches. Die afghanische Regierung strebt diesen für die Zeit nach Beginn der innerafghanischen Verhandlungen an, während die Taliban ihn als Vorbedingung sehen. Das ist Teil der Gespräche, die gerade stattfinden, und es zeigt, wie schwierig eine Verständigung ist. Hierzu wird es in den nächsten Tagen weiterhin intensive Gespräche geben müssen, die hoffentlich das Ergebnis haben, dass man einen Kompromiss erzielt und wir mit dem innerafghanischen Friedensprozess beginnen.