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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 03.03.2020

02.03.2020 - Artikel

Coronavirus / Situation an der griechisch-türkischen Grenze

COLLATZ (BMVg): Auch wir sind vom Thema Coronavirus betroffen. Am Wochenende fand ein Flug der Flugbereitschaft mit Bundesminister Müller statt, der ebenfalls ein wenig darunter leiden musste. Am Wochenende gab es dazu die eine oder andere missverständliche Berichterstattung. Deswegen möchte ich die Gelegenheit ergreifen, den Sachverhalt noch einmal klarzustellen.

Es ist so, dass sich an Bord der Maschine ein Copilot befand, der einen sehr kurzen und oberflächlichen Kontakt mit dem später dann als angesteckt identifizierten Soldaten aus dem Verwaltungsbereich der Flugbereitschaft hatte. Wir sind das natürlich in Zusammenarbeit mit den öffentlich-rechtlichen Gesundheitsbehörden durchgegangen. Diese hat entschieden, dass der Copilot als eine sogenannte Kontaktperson der Kategorie II einzustufen ist und nach den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts keinerlei Maßnahmen erforderlich seien, da die Expositionszeit zu gering und die Person symptomfrei sei.

Nach Landung in München entschied dann auch ein Vertreter des Landesgesundheitsamtes München im Einvernehmen mit der für die Soldaten zuständigen gesundheitlichen Aufsichtsbehörde, dass ein Schnelltest sowie eine häusliche Quarantäne angesichts der fehlenden begründeten Infektionsrisiken nicht angezeigt war. Die Bundeswehrcrew mit den verbliebenen Passagieren setzte dann den Flug nach Köln fort, wo der Copilot und die Besatzungsmitglieder vorsorglich getestet wurden. Das Ergebnis war, wie erwartet, negativ.

Zusammenfassend möchte ich daher an dieser Stelle festhalten, dass aufgrund der zeitlichen Zusammenhänge und der Art und Weise des Kontakts mit der infizierten Person, der Symptomfreiheit des Copiloten und der Sicherheit des Testverfahrens sowie des Testergebnisses definitiv ausgeschlossen werden kann, dass durch den Kontakt mit dem Copiloten eine Ansteckung der Insassen des Flugzeuges mit dem Coronavirus während der Reise erfolgt ist. Ich hoffe, dass damit eindeutige Klarheit besteht. ‑ Danke schön!

FRAGE: Ich habe eine Frage zum Thema Coronavirus, aber auch zu Griechenland und der Türkei. Es gibt Kritik, dass sich die Kanzlerin derzeit zurückhält. Ist geplant, dass beispielsweise im Bundestag zu einem der beiden Themen eine Regierungserklärung abgegeben wird?

SEIBERT (BReg): Ich habe den ersten Teil Ihrer Frage nicht verstanden. Es gibt Kritik, dass …?

ZUSATZFRAGE: Dass sich die Kanzlerin bei dem Thema Coronavirus und auch bei dem Thema möglicher Flüchtlinge zurückhält.

SEIBERT: Beides trifft ja nicht zu. Die Bundeskanzlerin hat sich am Freitag ausführlich mit dem Innen- und dem Gesundheitsminister über die Coronasituation ausgetauscht. Sie ist in ständigem Kontakt mit den zuständigen Ministerien und lässt sich ständig über den Fortgang der Ereignisse und die Maßnahmen, die im Krisenstab beraten und beschlossen werden, informieren. Das geht natürlich auch heute und in den nächsten Tagen weiter.

Zu der anderen Frage der Situation an den Außengrenzen der EU, an der griechisch-türkischen und bulgarisch-türkischen Grenze, hat die Bundeskanzlerin ‑ darüber haben wir ja auch informiert ‑ Telefonate mit Präsident Erdoğan, dem griechischen Premierminister Mitsotakis und dem bulgarischen Premierminister Borissow geführt. Sie ist im engsten Kontakt mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Kabinett sowie vor allem auch mit den europäischen Führungskräften. Das heißt, da kann von Zurückhaltung nicht die Rede sein.

Wenn wir bei dem Thema sind, hätte ich dazu aktiv etwas zu sagen.

Wir erleben zurzeit an den Außengrenzen der EU zur Türkei auf dem Land wie zur See eine sehr beunruhigende Situation. Wir erleben Flüchtlinge und Migranten, denen von türkischer Seite gesagt wird, der Weg in die EU sei nun offen. Das ist er natürlich nicht. Das führt diese Menschen ‑ Männer, Frauen und Kinder ‑ in eine extrem schwierige Lage. Es stellt genauso auch Griechenland vor enorme Herausforderungen. Das alles ist der Bundesregierung bewusst.

Europa und die Türkei verbindet ein Abkommen zur Begrenzung und Steuerung der illegalen Migration und zur Bekämpfung der kriminellen Schlepper. Die Bundesregierung bleibt überzeugt, dass dieses EU-Türkei-Abkommen für beide Seiten gut ist, dass es beiden Seiten hilft und dass es auch aufrechterhalten und eingehalten werden soll.

Die Türkei ‑ das haben wir immer wieder voller Respekt betont ‑ trägt eine gewaltige Last, indem sie mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge und Migranten bei sich beherbergt. Europa hilft hier gemäß diesem Abkommen dabei ‑ das ist eine wichtige Funktion des EU-Türkei-Abkommens ‑, diese Menschen zu versorgen. Dafür sind sechs Milliarden Euro bereits in Aussicht gestellt, und über die Hälfte davon ist jetzt auch schon ausgezahlt.

Nun gibt es in der Türkei Unzufriedenheit mit der Umsetzung des Abkommens, vor allem mit dem Fluss der europäischen Zahlungen. Darüber müssen wir mit der Türkei reden, genau wie wir mit der Türkei über die zusätzlichen Sorgen und Belastungen reden müssen, die sie angesichts der Hunderttausenden von Vertriebenen auf syrischem Boden hat.

Die Bundesregierung ‑ ich habe es gerade in der Antwort auf die Frage von Herrn Keller schon gesagt ‑ arbeitet auf verschiedenen Ebenen. Wir halten engsten Kontakt mit den betroffenen Ländern, also sowohl mit der Türkei als auch Griechenland und Bulgarien. Die Bundeskanzlerin hat am Wochenende mit beiden Regierungschefs telefoniert. Wir stehen im ständigen Kontakt mit den Verantwortlichen in der EU, mit Frau von der Leyen und mit Herrn Borrell, dem Flüchtlingskommissar. Es ist wichtig, dass es bald Gespräche zwischen der EU und der Türkei darüber gibt, wie mit den türkischen Sorgen bezüglich der Flüchtlingsversorgung und bezüglich der europäischen Hilfe umgegangen werden kann und wie wir gleichermaßen auch zu einer stabilen Lage an den Außengrenzen zurückkehren können.

Sie werden vielleicht gehört haben, dass morgen Frau von der Leyen, Herr Michel für den Europäischen Rat und Herr Sassoli für das Europäische Parlament an die griechisch-türkische Landgrenze reisen werden. Sie wissen vielleicht, dass Premierminister Borissow heute ein Treffen mit Premierminister Erdoğan hat.

Die Situation in Idlib ist natürlich ein Schlüssel für das, was gerade an den Grenzen geschieht. Deshalb braucht es auch dort dringend einen Waffenstillstand, eine Stabilisierung der Zustände für die leidende Bevölkerung. Es braucht dringend rasche Unterstützung für die Hunderttausenden, die in ihrem eigenen Land vertrieben sind. Deutschland hat seine Nothilfe ‑ darüber haben wir hier vergangene Woche ja auch gesprochen ‑ bereits um 25 Millionen Euro aufgestockt, um gemeinsam mit dem UNHCR für zusätzliche Winterquartiere zu sorgen.

Deutschland ‑ die Bundeskanzlerin ‑ ist zu Gesprächen über all das bereit. Sie hat gemeinsam mit Präsident Macron in Telefonaten sowohl mit Präsident Erdoğan als auch mit Präsident Putin angeboten, zu einem Vierergipfel zusammenzukommen und über einen Weg aus der Gewalt zu beraten. Dieses Angebot besteht fort.

FRAGE: Herr Seibert, Sie hatten gesagt, dass die Bundeskanzlerin am Freitag mit Präsident Erdoğan telefoniert hat und ihm ‑ Zitat ‑ die Solidarität der Bundesregierung bei der humanitären Unterstützung der vertriebenen Menschen versichert habe. Was heißt „Solidarität“ konkret?

Kommt sich die Bundeskanzlerin verschaukelt vor, weil Herr Erdoğan am Tag nach diesem Telefonat die Grenzen geöffnet hat und laut Berichten sogar Menschen bis an die Grenze kutschieren lässt, damit sie in die EU weiterreisen?

SEIBERT: Was heißt Solidarität bei der Unterstützung der vertriebenen Menschen im Raum Idlib? Das heißt ganz konkret, dass wir unsere Nothilfe noch einmal um 25 Millionen Euro aufgestockt haben, wie ich es gesagt habe, um Winterquartiere bereitzustellen. Das geschieht in Zusammenarbeit mit dem UNHCR. Andere europäische Staaten haben sich auch bereits in diese Richtung engagiert oder sollten das noch tun. Das ist konkret.

Konkret ist die Bereitschaft, im Rahmen eines Vierergipfels erneut zusammenzukommen, um wirklich alle Wege auszuloten, mit denen man von der militärischen Logik weg hin zu einer Stabilisierung der Situation zu einem Waffenstillstand kommen kann. Nur das ist das, was der Bevölkerung und den Vertriebenen dort im Moment hilft.

Was die Situation an den Grenzen betrifft ‑ ich kann es nur wiederholen ‑, sind wir vom Wert des EU-Türkei-Abkommens überzeugt. Wir gehen davon aus, und wir erwarten, dass es eingehalten wird. Die Situation, wie sich jetzt an den Grenzen darstellt, ist eine Situation, die man überwinden muss. Das wird nur im Gespräch möglich sein. Deswegen ist es gut, wenn die europäischen Spitzen dieses Gespräch sehr bald suchen. Auch die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung, ist mit allen Beteiligten im Kontakt.

ZUSATZFRAGE: Entschuldigen Sie, aber eine Nachfrage. Ist das, was Herr Erdoğan am Wochenende getan hat, im Geist der Kooperation dieses Abkommens gewesen?

SEIBERT: Das Abkommen ist ein Abkommen, mit dem man gemeinsam erstens das kriminelle Schlepperwesen bekämpfen will, zweitens die illegale Migration steuern und reduzieren will und drittens dafür sorgen will, dass europäische Hilfe ermöglicht, die vielen Millionen von Flüchtlingen und Migranten, die sich in der Türkei aufhalten, dort menschenwürdig zu beherbergen. Diesem Zweck dient dieses Abkommen. Dazu müssen wir zurückkommen. Wir sind dazu bereit und erwarten auch von anderen, es einzuhalten.

FRAGE: Herr Seibert, das Grundrecht auf Asyl ist ein europäisches Grundrecht. Erdoğan nutzt die Situation, um die Europäische Union zu erpressen, indem er die Grenzen aufmacht. Hat die Bundesregierung die griechische Regierung aufgefordert, die Grenzen zu öffnen und Asylsuchende aufzunehmen?

Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, dass auf Asylsuchende nicht nur mit Tränengas, sondern auch mit scharfer Munition geschossen wird? Wie reagieren Sie darauf? Das kann ja nicht das sein, was man sich unter einem asylbietenden Europa vorstellen kann.

SEIBERT: Die Bundesregierung hat über das, was Sie jetzt ansprechen ‑ Schusswaffengebrauch oder Ähnliches ‑ keine eigenen Erkenntnisse. Deswegen kann ich Ihnen dazu nichts sagen.

Wir verstehen, dass Griechenland durch das, was im Moment an seinen Landgrenzen und auf seiner Seegrenze von türkischer Seite ausgelöst wurde, in eine sehr schwierige Situation geraten ist. Die Bundeskanzlerin hat das gegenüber Herrn Mitsotakis auch in dem Telefongespräch ausgedrückt. Nun müssen Wege gefunden werden ‑ und diese Wege können nur Wege des Gesprächs sein ‑, um die Lage wieder zu stabilisieren. Nur das wird auch den betroffenen Menschen helfen. Die Situation, wie sie sich jetzt zugespitzt zeigt, geht natürlich auf Kosten der betroffenen Menschen. Das kann man in den Fernsehberichten von den Grenzregionen ja sehen.

ZUSATZFRAGE: Die Frage bleibt aber. Sie haben es im Grunde ja selbst bestätigt: Im Moment sind die Flüchtenden die Puffer, die das auszutragen und auszuhalten haben, worüber sich die Politik nicht einigen kann. Noch einmal die Frage: Hat die Bundesregierung die griechische Regierung aufgefordert, Asylsuchende ins Land zu lassen? Hat die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie selber auch bereit ist, dann einen Teil dieser Flüchtenden wiederum in Deutschland aufzunehmen? Das wäre ein Akt innereuropäischer Solidarität.

SEIBERT: Innereuropäische Solidarität hat die Bundesregierung sicherlich in den vergangenen Jahren, in denen Europa mit sehr vielen Flüchtlingen und Migranten zu tun hat, geübt. Eine solche Aufforderung, wie Sie sie sagen, ist von der Bundesregierung der griechischen Seite nicht mitgeteilt worden. Das wäre auch nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, politisch alles, was wir können, dazu beizutragen, dass eine extrem schwierige Situation entschärft wird.

FRAGE: Herr Seibert, meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Wenn man gestern Filmberichte von der Situation an der Grenze gesehen hat, gibt es offenbar viele Flüchtlinge, die direkt die Bundeskanzlerin zum Handeln auffordern und sich von ihr Hilfe erhoffen. Natürlich hat man immer wieder das Jahr 2015 und die Ereignisse in Ungarn im Kopf. Schließen Sie aus, dass es noch einmal zu einer ähnlichen Situation kommt, dass die Bundeskanzlerin kurzfristig entscheidet, dass diese Menschen aufgrund der Notlage an der Grenze nach Deutschland kommen können?

SEIBERT: Ich glaube, mit diesen historischen Vergleichen kommen wir überhaupt nicht weiter. Europa ist 2020, auch was seine Flüchtlings- und Migrationspolitik betrifft, in einer anderen Lage. Wir haben jetzt seit einigen Jahren das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen. Es hat alles in allem funktioniert. Es hat dazu beigetragen, dass die Zahl der illegal über See oder Land Ankommenden stark reduziert ist. Es hat auch dazu beigetragen, dass die Zahl der Menschen, die in der Ägäis ihr Leben verlieren, stark reduziert ist - Gott sei Dank. Erinnern Sie sich nur daran, über welche fürchterlichen Fälle wir 2015 und 2016 reden mussten.

Deutschland und die anderen europäischen Staaten tragen im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens mit Milliardenhilfen dazu bei, dass die Türkei in der Lage ist und in den letzten Jahren in der Lage war, die extrem herausfordernde Situation der Anwesenheit von 3,5 bis 4 Millionen Flüchtlingen und Migranten zu bewältigen. Das gab es 2015 nicht. Deshalb glaube ich nicht, dass wir mit diesen Vergleichen weiterkommen.

Es braucht ‑ das haben wir hier auch vor dieser jüngsten Zuspitzung immer gesagt, und das bleibt wahr ‑ eine europäische Solidarität und eine europäische Lösung, nicht Lösungen durch ein Land oder durch drei Länder.

FRAGE: Ich habe eine Frage an das BMI: Wäre Deutschland aus Ihrer Sicht auf signifikant höhere Flüchtlingszahlen vorbereitet? Wäre jetzt nicht der Moment, auf das Angebot zahlreicher Kommunen einzugehen, die sich in der Seebrücke zusammengeschlossen haben?

ALTER (BMI): Die Frage, wie wir auf einen eventuellen Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland vorbereitet sind, ist auch schon am Freitag gestellt worden. Ich habe ausgeführt und tue es gern noch einmal, dass alle beteiligten Behörden, sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene, ihre Schlüsse und Schlussfolgerungen aus dem Jahr 2015 gezogen haben. Wir sind, was die Resilienz angeht, in einer ganz anderen Situation als damals. Wir haben ein anderes Informationsmanagement. Wir haben eine andere Infrastruktur. Insofern sind die Ausgangsvoraussetzungen heute deutlich besser.

Tatsache ist, dass, jedenfalls im Moment, ein Anstieg von Flüchtlingszahlen in Deutschland noch nicht feststellbar ist.

Was das Angebot der Kommunen angeht, das Sie angesprochen haben, so haben wir auch in der Vergangenheit gesagt, dass der Bund darüber zu entscheiden hat. Da sind nicht nur die geäußerten Wünsche der Kommunen zu berücksichtigen, sondern die Gesamtlage ist zu berücksichtigen. Der Bund hat eine solche Entscheidung nicht getroffen. Mir ist im Moment auch nicht bekannt, dass es darüber Erwägungen gäbe.

FRAGE: Ich möchte noch etwas zum EU-Türkei-Abkommen fragen. Das ist ja nur so lange ein Abkommen, wie sich beide Seiten daran halten. Wenn es jetzt weitergeht, dass Erdoğan weiter Flüchtlinge an die Grenze kommen lässt, welche Druckmittel hat die Bundesregierung dann, und wie will sie darauf reagieren? Braucht es ein neues Abkommen?

SEIBERT: Wir erleben sicherlich im Moment eine Situation, die nicht im Geiste dieses Abkommens ist. Aber wir haben auch keine Aufkündigung dieses Abkommens gehört. Wir gehen davon aus, dass das Abkommen, das, wie gesagt, Wert für beide Seiten ‑ Europa und die Türkei ‑ hat, durchgeführt wird. Wenn es jetzt auf türkischer Seite Unzufriedenheit mit der Durchführung des Abkommens gibt, vor allem auch mit der Durchführung der Zahlungen, weil die türkische Seite eine gestiegene Belastung empfindet, dann muss man miteinander sprechen. Dieses Abkommen hat seinen Wert. Deutschland und die übrigen Europäer werden jetzt in Gespräche einsteigen. Es ist sicherlich wichtig, dass wir das auch europäisch abgestimmt tun. Deswegen ist der Kontakt zwischen der Bundesregierung und den europäischen Institutionen besonders eng.

BREUL (AA): Dazu kann ich noch etwas ergänzen. - Zu den Zahlen, die da im Raum herumschwirren, haben wir schon in der Vergangenheit Stellung genommen. Ich erinnere noch einmal daran: Es gibt zwei Tranchen des sogenannten EU-Türkei-Abkommens zur Unterstützung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Die erste Tranche ist vollständig vertraglich verbunden. Über 2 Milliarden Euro daraus wurden bereits ausgegeben. Die zweite Tranche über weitere 3 Milliarden Euro wurde bis Ende 2019 ebenfalls vertraglich gebunden. Das entspricht auch dem regulären Zeitplan, der dafür vorgesehen war. Wir haben schon wiederholt unsere Bereitschaft geäußert, innerhalb der EU Gespräche darüber zu führen, was im Zeitraum danach passiert.

Die Mittel fließen oft in Projekte, die mehrjährig angelegt sind. Ich nenne als Beispiel Gehälter für syrische Lehrer. Die kann man nicht auf einmal auszahlen, sondern die werden natürlich dann ausgezahlt, wenn die Arbeit erbracht wurde. Genauso geht es um Schulbauten. Auch da fließen die Gelder natürlich erst dann, wenn die Schule fertig gebaut ist. Das nur, um zu illustrieren, warum Gelder nicht in einem Batzen fließen, sondern Stück für Stück in den Projekten umgesetzt werden. Das passiert am laufenden Band. Wie gesagt: Wir sind gesprächsbereit, darüber zu reden, wenn bei bestimmten Projekten keine Finanzierung mehr da sein sollte. Aber da sind wir im Moment noch nicht.

FRAGE: Herr Seibert, Sie hatten gesagt, 2020 sei eine andere Situation als 2015. Steht damit der Satz der Kanzlerin noch, 2015 werde sich nicht wiederholen?

SEIBERT: Der hat seine Gültigkeit, ja.

FRAGE: Auch ich habe noch eine Frage zu dem EU-Türkei-Abkommen. Eine Forderung, die Erdoğan stellt, ist, dass das Geld nicht mehr nur in Hilfsprojekte oder an Hilfsorganisationen fließt, sondern dass er einen größeren Teil auch im türkischen Haushalt haben möchte. Ich hätte gerne gewusst, ob die Bundesregierung dafür bereit wäre. Angesichts der schwierigen Debatte in der EU, der Türkei auch für die Folgejahre mehr Geld zu geben ‑ einige Länder möchten das ja nicht so wie die Bundesregierung ‑, wäre die Bundesregierung auch bereit, dass man der Türkei national finanziell unter die Arme greift?

SEIBERT: Ich möchte jetzt den notwendigen und zu führenden europäisch-türkischen Gesprächen nicht vorgreifen. Ich möchte ihnen aber auch keine Vorgaben machen. Es ist notwendig, dass das EU-Türkei-Abkommen erfüllt wird. Es ist schon gesagt worden: Die 6 Milliarden Euro sind inzwischen zum großen Teil vertraglich vergeben. Über die Hälfte ist auch ausgezahlt. Über 100 Projekte sind angelaufen. Man kann das ‑ das ist sehr interessant ‑ auf der Webseite der Europäischen Kommission Projekt für Projekt nachverfolgen. Nun müssen Gespräche geführt werden. Denen werde ich jetzt keine Vorgaben machen.

ZUSATZFRAGE: Es gibt also keine Festlegung der Bundesregierung, wie Sie in die Gespräche gehen wollen? Aber Sie schließen es auch nicht aus?

SEIBERT: Die Gespräche sind ja nicht deutsch-türkisch, sondern die Gespräche sind europäisch-türkisch. Wir werden uns mit unseren europäischen Partnern natürlich auf eine gemeinsame Linie einigen. Das ist ja auch das, worüber zum Teil im Moment in Europa gesprochen wird.

ZUSATZFRAGE: Ich hatte nach möglichen nationalen Hilfen gefragt. Ist das möglich?

SEIBERT: Sie meinen jetzt deutsch-türkische Hilfen?

ZUSATZ: Deutsches Geld für die Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei.

SEIBERT: Wie es jetzt beispielsweise in Idlib für die Winterquartiere geschehen ist?

ZUSATZ: Genau. Aber jetzt geht es um die Türkei.

SEIBERT: Gut. - Die Hilfe für die Türkei läuft über das EU-Türkei-Abkommen. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob es noch bilaterale ‑ ‑ ‑ Da müssten andere mich jetzt einmal unterstützen.

BREUL: Grundsätzlich ist es so, dass es für die syrischen Flüchtlinge ‑ egal, wo sie sich aufhalten ‑ eine EU-Unterstützung gibt. Es gibt auch eine bilaterale Unterstützung, wie eben von Herrn Seibert erwähnt, zum Beispiel in Idlib, aber auch an anderen Stellen. Ich kann Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen, wie viele Projekte in welchem Finanzrahmen wir genau in der Türkei haben. Das kann ich aber gerne nachreichen. Das ist jetzt kein neues Element und auch nicht Teil des EU-Türkei-Abkommens. Das ist, wie Herr Seibert es richtig gesagt hat, ein europäisches Abkommen mit der Türkei. Da führen wir die Gespräche. Zusätzliche gibt es bilaterale Unterstützung, also deutsche Unterstützung für syrische Flüchtlinge; das ist richtig.

SEIBERT: Ich möchte, wenn ich darf, ganz kurz noch einmal auf Herrn Delfs eingehen, der nach 2015 fragte. Ich hatte ihm das EU-Türkei-Abkommen als ein Beispiel genannt, warum die Situation heute eine andere ist. Ich will ihnen noch zwei weitere Beispiele nennen. Wir haben natürlich heute Frontex in einer ganz anderen Ausstattung und Verfassung, als es 2014 und 2015 der Fall war. Und ‑ das ist sehr wichtig ‑ wir haben heute mit Herkunftsländern, beispielsweise in Afrika, und auch mit Transitländern eine ganz andere, intensive politische Zusammenarbeit, um illegale Migration zu reduzieren und Chancen für legale Migration an die Stelle zu setzen. Wir haben im Bereich der Rückführungen einen ganz anderen Stand, als wir ihn früher mit solchen Ländern hatten. Das ist eine relativ lange Liste von Elementen, die Ihnen eigentlich klarmachen könnten, dass 2015 und 2020 sehr unterschiedlich sind.

DEUTSCHBEIN (BMZ): Wir sind rund um den Krisenbogen Syrien aktiv, auch mit bilateralen Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit, und zwar im Libanon, in Jordanien, im Nordirak und auch in der Osttürkei. Mit diesen Maßnahmen ‑ der Kollege sagte es schon ‑ unterstützen wir Flüchtlinge und aufnehmende Gemeinden. Das ist ganz wichtig, damit es dort nicht zu Friktionen und Spannungen kommt. Wir haben unter anderem 11 000 Lehrergehälter in der Osttürkei finanziert, damit syrische Kinder zur Schule gehen können und über die Zeit auch Schulbildung erhalten. Es gibt das Cash-for-Work-Programm, bei dem Eltern kurzfristig einen Job und schnell Geld bekommen, sodass sie ihre Familien finanzieren können, oder dazu beitragen, in den aufnehmenden Gemeinden nützliche Arbeit zu tun, die Infrastruktur wiederherzustellen, damit insgesamt die Situation unter Kontrolle ist.

FRAGE: Ich habe eine Frage an Herr Seibert. Die griechische Regierung hat gestern gesagt, dass die Türkei ein offizieller Migrantenschlepper geworden ist. Herr Seibert, verwendet Erdoğan nach Ihren Erkenntnissen die Migranten und Flüchtlinge in seinem Land als ein Instrument in seiner Politik?

SEIBERT: Ich kenne dieses griechische Zitat nicht und möchte mich deswegen jetzt auch nicht dazu äußern. Ich habe die Haltung der Bundesregierung zu dem, was entlang der Grenzen in der Türkei und in Syrien passiert, hoffentlich dargelegt.

FRAGE: Ich habe zwei Fragen zur Rede von Erdoğan am Samstag. Die erste Frage: Er hat gesagt, dass es in den vergangenen Tagen knapp 81 000 Flüchtlinge über die Grenze nach Griechenland und Bulgarien geschafft haben. Die griechische Regierung hat das dementiert und gesagt, es handele sich um Fake News. Verfügt die Bundesregierung über eigene Erkenntnisse, wie viele Menschen es tatsächlich über die Grenzen geschafft haben?

Die zweite Frage: Erdoğan hat insbesondere die EU, Deutschland und die USA kritisiert, dass sie angeblich versprochen hätten, eine Sicherheitszone in Syrien zu errichten. Diese Versprechen wurden nicht eingelöst. Deshalb möchte er selbst jetzt Fakten schaffen. Gab es diese Versprechen zumindest seitens der Bundesregierung?

BREUL: Ich kann gerne versuchen zu antworten. - Zu den Zahlen: Ich habe Herrn Erdoğan so gelesen, dass er über die Zahl der Menschen gesprochen hat, die sich auf den Weg zur Grenze gemacht haben. Aber vielleicht war es auch anders. Das können Sie bestimmt nachlesen.

Uns liegen Zahlen sowohl von der IOM als auch von Griechenland und Frontex vor, die zum Teil ein bisschen auseinandergehen. Die IOM spricht derzeit davon, dass sich 13 000 Menschen entlang der Landgrenze zu Griechenland auf türkischer Seite aufhalten. Die EU-Kommission geht von etwa 7000 Menschen aus. Das sind keine eigenen Zahlen. Nach dem, was uns unsere Partner und Frontex mitteilen, haben bisher nur sehr wenige Menschen irregulär die Landgrenze nach Griechenland passiert. Auch auf der Ägäis-Route, also über Wasser, gibt es bislang keinen signifikanten Anstieg der Überfahrten. Das sind die Zahlen, die uns gemeldet werden.

Zu vermeintlichen Zusicherungen: Wir haben hier unsere Position immer wieder deutlich gemacht, was den Konflikt in Syrien angeht, aufgefordert, dass eine Waffenruhe eintritt und dass Parteien in Gespräche eintreten, und gesagt, dass wir nur als internationale Gemeinschaft eine Lösung finden können, den Menschen in Syrien zu helfen. Über irgendwelche Geheimpläne, Schutzzonen usw. kann ich Ihnen hier nichts berichten.

FRAGE: Herr Alter, Frontex hat ankündigt, auf Bitten der griechischen Regierung weitere Einsatzkräfte nach Griechenland zu entsenden. Sind daran auch deutsche Beamte beteiligt? Wenn ja, wie viele?

Die zweite Frage: Verlegt die Bundespolizei im Hinblick auf die Situation an der europäischen Außengrenze mehr Personal und Material an die bayerisch-österreichische Grenze? - Danke.

ALTER: Die Einsätze, die über das Frontex-Mandat stattfinden, folgen einem festgelegten Mechanismus. Das heißt, ein Mitgliedstaat fordert personelle Unterstützung bei Frontex an. Das ist nach meiner Kenntnis, die ich zu diesem Zeitpunkt habe, in Bezug auf Frontex personell noch nicht passiert. Wenn es dazu käme und Frontex diesem Antrag entspräche, gibt es einen festgelegten Schlüssel. Wenn Deutschland Personal zu stellen hat, dann werden wir uns selbstverständlich an einem solchen Einsatz beteiligen. Momentan liegt aber eine konkrete Anforderung noch nicht vor.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass wir schon jetzt ungefähr 60 deutsche Polizisten in Griechenland in verschiedenen Frontex-Operationen im Einsatz haben. Ob und inwieweit diese verstärkt werden müssen, ist im Moment noch nicht klar.

Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich darauf hinweisen, dass wir die Kontrollmaßnahmen an den deutschen Binnengrenzen in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach verstärkt hatten, einmal zum Fall Miri und jetzt zum zweiten Mal auch mit Blick auf die Coronainfektionen in Europa. Das heißt, die Kontrolldichte, der Einsatz der Bundespolizei an den Binnengrenzen ist ohnehin hoch. Im Moment besteht kein aktueller Bedarf, diese Maßnahmen mit zusätzlichem Personal oder Material zu verstärken.

FRAGE: Herr Seibert, die Türkei beanstandet seit einigen Jahren, dass die EU ihre Versprechen nicht eingehalten hat. Finden Sie, dass die EU ihre Versprechen eingehalten hat? - Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage ist: Die 6 Milliarden Euro sind seit 2016 im Gespräch. Finden Sie, dass diese 6 Milliarden Euro und auch die 25 Millionen Euro, die Sie für die Flüchtlinge in Idlib bereitstellen wollen, ausreichend sind?

SEIBERT: Zunächst einmal: Ich kann nicht in die Zukunft blicken. 6 Milliarden Euro sind der Türkei in zwei Tranchen von der EU zugesagt worden. 4,7 Milliarden Euro von den zugesagten 6 Milliarden Euro sind bereits vertraglich für konkrete Projekte gebunden. 3,2 Milliarden Euro sind ausgezahlt. Man kann nicht davon sprechen, dass Europa seine Zusagen nicht hält. Es ist bekannt, dass die Türkei findet, die Auszahlungen müssten schneller gehen, und dass sie darüber immer wieder mit Europa ins Gespräch kommen wollte. Wir müssen diese Gespräche natürlich führen.

FRAGE: Ich möchte zu einem Problem etwas fragen, das in fünf Jahren nicht gelöst worden ist, nämlich das Problem der Umverteilung. Das betrifft auch diese Krise. Was passiert mit den Flüchtlingen, die es jetzt über die Grenze schaffen? Sie meinten, es sind bisher nur wenige. Bleiben die alle in Griechenland? Gibt es Gespräche, ob man sie umverteilt? Wäre es angesichts der Tatsache, dass in fünf Jahren überhaupt nichts passiert ist, auch weil sich einige Länder in Europa weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, nicht angebracht, dass man vielleicht die Diskussion über Dublin wieder in Gang setzt und endlich eine Lösung für dieses Problem findet, das sich immer wieder stellen wird, wenn eine Flüchtlingskrise kommt?

SEIBERT: Zunächst einmal glaube ich, dass es angemessen wäre, von Flüchtlingen und Migranten zu sprechen, die wir jetzt an der Grenze haben. Ich denke, nicht jeder wird nach der gültigen Definition ein Flüchtling sein. Das ist trotzdem ein Mensch. Deswegen muss es trotzdem menschenwürdige Verhältnisse geben. Nicht dass Sie mich da jetzt missverstehen.

Die Bundesregierung setzt sich seit Langem nachdrücklich dafür ein, dass wir das gemeinsame europäische Asylsystem umfassend reformieren, dass wir es solidarisch und krisenfest machen. Wir begrüßen sehr, dass die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen gesagt hat, sie wolle da noch einmal einen neuen kraftvollen Anlauf nehmen. Sie hat das im November, als sie hier zu Besuch war, ausdrücklich angesprochen. Sie wird in enger Konsultation mit den Mitgliedsländern einen neuen Vorschlag vorlegen. Wir haben immer gesagt, dass wir die Präsidentin, dass wir die Europäische Kommission bei dieser Aufgabe unterstützen. Auch der Bundesinnenminister hat dazu Vorschläge gemacht. Es gibt eine abgestimmte Position der Bundesregierung.

Aber Sie haben recht: Bisher haben wir diese wirklich alle Bereiche, alle Facetten der Migrationspolitik umfassende europäische Solidaritätslösung noch nicht.

FRAGE: Ich möchte wissen, ob es in Deutschland die Bereitschaft gibt ‑ Deutschland war bisher Fall für Fall immer sehr großzügig ‑, Flüchtlinge aufzunehmen.

SEIBERT: Deutschland hat auch lange vor dieser Situation ständig Neuankömmlinge aufgenommen. Nur ist die Zahl gegenüber den Jahren 2014, 2015 und 2016 deutlich gesunken. Aber das sind nennenswerte Zahlen. Deutschland nimmt ständig Menschen auf, die zu uns kommen und die dann hier in Deutschland in ein Verfahren über ihre Asyl- oder Flüchtlingseigenschaft eintreten. Ich betone die Notwendigkeit einer europäischen Lösung.

FRAGE: Daran anknüpfend, vielleicht etwas grundsätzlicher in Bezug auf das EU-Türkei-Abkommen: Wo sieht Deutschland möglicherweise eigene Versäumnisse, und wo denkt man sich: „Oh, das hätten wir besser machen können. Hierauf müssen wir in Zukunft vielleicht noch mehr den Fokus legen, um das eine oder andere besser zu machen“?

SEIBERT: Ich denke, es ist keine Frage von Versäumnissen der einen oder anderen Seite. Das EU-Türkei-Abkommen hat im Großen und Ganzen funktioniert und funktioniert auch jetzt noch, außer dass wir jetzt natürlich eine Situation erleben, die sehr besorgniserregend ist. Es hat Schwächen beim Rückführungsmechanismus von den griechischen Inseln gegeben. Die neue griechische Regierung stellt sich dem und hat jetzt mancherlei in Gang gesetzt, um da besser voranzukommen. Es gibt die Klage der türkischen Seite, dass die Gelder nicht schnell genug in den Projekten ankämen. Über all das müssen wir miteinander reden, um dieses für beide Seiten sinnvolle und nützliche Abkommen zu erhalten und es in die Zukunft zu führen.

FRAGE: Herr Seibert, Sie betonen hier, dass die EU und die Türkei den Deal einhalten sollen. Aber Sie betonen hier nicht, dass die Grundrechte, die Menschenrechte auch in Griechenland gelten, und protestieren bisher auch nicht dagegen, dass die griechische Regierung jetzt angekündigt hat, das europäische Grundrecht auf Asyl, das jeder Mensch genießt, auszusetzen. Warum fordern Sie die griechische Regierung nicht dazu auf, diese Haltung umzukehren? Das ist doch eine Aufgabe der europäischen Regierungen, wenn andere europäische Regierungen die Grundrechte missachten. Können Sie kurz erläutern, warum Sie es nicht als Ihre Aufgabe ansehen, die griechische Regierung an die Grundrechte zu erinnern?

BREUL: Ich kann dazu en détail nichts sagen, weil ich diese Äußerungen auch nur aus der Presse kenne und wir hier die gute Praxis haben, Äußerungen einzelner Mitglieder fremder Regierungen nicht zu kommentieren. Aber selbstverständlich ‑ das wissen Sie, Herr Jung ‑ stehen wir zu den geltenden völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen. Auch ist uns der Grundrechtsschutz in der EU eine Herzensangelegenheit. Das meine ich jetzt nicht speziell auf Griechenland bezogen, sondern das ist grundsätzlich so. Selbstverständlich setzen wir uns dafür ein, dass Grundrechte überall in der EU Geltung haben.

Ich möchte noch einmal den Aspekt betonen, den Herr Seibert gerade angesprochen hat: Für uns ist es gängige Praxis, dass wir uns mit den Staaten, die an den Außengrenzen der EU liegen, solidarisch zeigen und mit ihnen zusammen an einer fairen Lösung arbeiten wollen. Das gilt für Italien, für Malta und in diesem Fall auch für Griechenland. Das ist unsere feste Überzeugung. Daran arbeiten wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern.

ZUSATZFRAGE: Ich habe noch eine Frage zu der Situation auf Lesbos. Herr Seibert, wie geht die Bundesregierung damit um? Das werden Sie ja mitbekommen haben. Dort bedrängen rechtsextreme griechische Nazis die Ankommenden an den Häfen, von den Booten herunterzukommen. Journalisten werden angegriffen. Straßenblockaden werden errichtet. Auch deutsche Journalisten werden angegriffen. Wie gehen Sie damit um?

SEIBERT: Ich kann, weil ich nicht jeden dieser Vorfälle auf Lesbos kenne und kommentieren will, nur ganz grundsätzlich sagen: Im Umgang mit Flüchtlingen und Migranten gelten die Menschenrechte und gilt die Menschenwürde. Auch wenn man sie möglicherweise zurückweist oder nicht über eine Grenze einreisen lässt, gelten trotzdem Menschenwürde und Menschenrechte; das versteht sich von selbst.

FRAGE: Anknüpfend an das, was Sie eben gesagt haben, Herr Seibert: Inwiefern ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die griechische Regierung an der Grenze zur Türkei ‑ an Land und auf See ‑ angemessen auf die Grenzübertritte reagiert?

SEIBERT: Ich sehe es nicht als meine Rolle, als Sprecher der Bundesregierung jetzt der Regierung eines befreundeten europäischen Staats, der sich an seinen Grenzen einer sehr großen Herausforderung gegenübersieht, Noten zu erteilen. Es ist, glaube ich, wichtig, dass Griechenland weiß, dass es als ein Staat an Europas Außengrenze unsere Solidarität nicht nur politisch, sondern auch praktisch erfährt. Deswegen ‑ noch einmal ‑ ist es sehr gut, dass die Spitzen der europäischen Institutionen morgen nach Griechenland reisen, sich dort an der Grenze selber ein Bild machen und natürlich auch Gespräche mit den griechischen Verantwortlichen führen.

ZUSATZFRAGE: Hat auch die Bundesregierung vor, eine ähnliche Präsenz an der türkisch-griechischen Grenze zu zeigen?

SEIBERT: Wenn Frau von der Leyen, Herr Sassoli als Präsident des Europäischen Parlaments und Herr Michel als Präsident des Europäischen Rates dahin fahren, dann tun sie das ja stellvertretend für die 27 europäischen Mitgliedstaaten und werden mit Sicherheit ihre Eindrücke, ihre Erkenntnisse und ihre Gesprächsergebnisse auch wieder allen anderen zurückspiegeln.

Noch einmal: Die Bundeskanzlerin hat am Wochenende mit Premierminister Mitsotakis telefoniert, und es wird sicherlich auch weitere enge Kontakte geben. Aber diese europäische Reise ist eine Reise im Namen aller Mitgliedstaaten.

BREUL: Ich möchte nur kurz ergänzen: Auch der Außenminister hat heute Morgen mit seinem griechischen Kollegen telefoniert und diese Botschaften überbracht.

FRAGE: Ich frage jetzt trotzdem noch einmal: Herr Seibert, hat die Bundesregierung denn Verständnis dafür ‑ auch wenn Sie es nur aus Medienberichten kennen, wie Herr Breul sagte ‑, dass die griechische Regierung sich im Moment dazu entschlossen hat, das Asylrecht an der Außengrenze quasi auszusetzen?

Dazu vielleicht noch eine schlichte Lernfrage ‑ vielleicht können Herr Breul oder Herr Alter das erklären ‑: Was sehen denn die europäischen Grundsätze, Richtlinien oder Statuten vor, unter welchen Bedingungen kann man dieses Grundrecht an den Außengrenzen eventuell sogar aussetzen?

ALTER: Zu der Frage der Rechtslage kann ich Ihnen im Moment keine umfassende Bewertung abgeben; das ist eine sehr komplexe Fragestellung. Ich kann vielleicht nur so weit Auskunft geben, dass sowohl die Dublin-Verordnung als auch die europäischen Verträgen für bestimmte Ausnahmesituationen Ausnahmeregelungen zulassen. Zur Frage, ob und inwieweit das jetzt in Anspruch genommen wird, kann ich nur noch einmal betonen: Wir haben Medienberichte über die Situation, wir haben aber keine behördlichen Informationen und insbesondere keine Informationen, die uns eine so komplexe Fragestellung einordnen ließen. Insofern kann ich diese Frage an dieser Stelle nicht beantworten.

SEIBERT: Ich kann dazu auch nichts Weiteres sagen, außer dass, wie ich jetzt schon mehrfach gesagt habe, wir uns bewusst sind, in welch schwieriger Situation, herausfordernder Situation Griechenland ist. Griechenland soll wissen, dass es die Solidarität der anderen europäischen Staaten ganz ‑ ganz sicherlich die der Bundesregierung ‑, und diese Solidarität ist auch eine politische und praktische.

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