Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 28.02.2020

28.02.2020 - Artikel

Lage in Syrien / Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei

FRAGE: Herr Seibert, zur Lage in Syrien und dem Angriff der syrischen Armee auf türkische Soldaten gibt es jetzt aus der Türkei die Forderung, dass die NATO an der Seite der Türkei stehen soll. Im Moment ist nicht die Forderung nach einem Bündnisfall im Gespräch, aber könnten Sie dazu etwas sagen? Es gibt auch die Idee, eine Flugverbotszone über Idlib einzurichten. Wie steht die Bundesregierung dazu?

SEIBERT (BReg): Ich kann für die Bundesregierung sagen, dass wir diese jüngste militärische Eskalation in Nordwestsyrien, insbesondere in der Region Idlib, mit sehr großer Sorge sehen. Den Angriff auf türkische Stellungen, der zum Tod von über 30 türkischen Soldaten und zu einer großen Zahl von Verwundeten geführt hat, verurteilen wir.

Diese Zuspitzung der Lage macht auf dramatische Weise deutlich, wie dringend ein Waffenstillstand für die Region Idlib erreicht werden muss und dass es unerlässlich ist, dass zeitnah politische Gespräche hierüber stattfinden. Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident Macron hatten in der vergangenen Woche sowohl gemeinsam mit Präsident Erdoğan wie auch mit Präsident Putin telefoniert und genau darauf hingewiesen.

Zu der Frage nach der NATO: Heute Vormittag – das müsste schon um 10.30 Uhr gewesen sein – ist der Nordatlantikrat der NATO zu einer Dringlichkeitssitzung mit Blick auf die Entwicklung in Idlib zusammengekommen. Den Ergebnissen dieser Sitzung kann und will ich nicht vorgreifen. Sie wurde auf Bitten der Türkei unter Verweis auf Artikel 4 des NATO-Vertrags einberufen. Nach Artikel 4 kann jeder NATO-Mitgliedstaat, wenn er Bedrohungen für seine Sicherheit sieht, zu Beratungen im NATO-Kreis aufrufen.

ZUSATZFRAGE: Eine Nachfrage, Herr Seibert. Wie ist denn der Stand der Vorbereitungen auf den wohl in Istanbul geplanten Gipfel am 5. März 2020, nachdem Herr Putin gestern hat mitteilen lassen, dass er da eigentlich andere Termine hat? Hat sich das durch die neue Lage noch einmal zugespitzt, wird es diesen Gipfel geben?

SEIBERT: Die Kanzlerin hat gemeinsam mit Präsident Macron und Präsident Erdoğan ihre Bereitschaft zu einem solchen Treffen im Viererformat deutlich gemacht. Es ist jetzt an Russland, auf dieses Gesprächsangebot einzugehen. Das ist bisher nicht erfolgt. Das Angebot besteht fort.

FRAGE: Meine Frage richtet sich an Herrn Alter. Nach diesem Luftangriff will die Türkei eine mögliche Flüchtlingswelle aus Idlib nicht aufhalten. Wie bereitet sich das Bundesinnenministerium Deutschlands auf eine mögliche Flüchtlingswelle vor?

SEIBERT: Ich habe eines vergessen, und das passt zu Ihrer Frage. Entschuldigung. Ich wollte noch sagen, dass die Bundeskanzlerin heute Vormittag mit dem griechischen Premierminister Mitsotakis telefoniert hat und dass sie auch mit Präsident Erdoğan sprechen wird.

ALTER (BMI): Ich kann ergänzen, dass wir die Medienberichte über die Situation, die Sie beschreiben, kennen. Uns liegt bisher noch keine behördliche Erklärung oder Information der türkischen Seite dazu vor. Wir stehen selbstverständlich mit all unseren Gesprächspartnern – auch in der Türkei – in enger Verbindung und beobachten die Situation, wie sie sich entwickelt. Insofern ist es im Moment einfach zu früh, über konkrete Schlussfolgerungen daraus zu berichten. Im Moment ist die Informationslage, die wir dazu haben, im Wesentlichen auf Medienberichte gestützt. Wir sind derzeit dabei, das Informationsbild noch etwas aufzuklären.

FRAGE: Ich möchte eine Nachfrage zu dem Treffen in Sachen Syrien stellen. Ich habe etwas nicht ganz verstanden. Herr Seibert, Sie haben gesagt, dass Russland das Treffen bestätigen soll. Was soll jetzt passieren?

SEIBERT: Die Frage, die mir gestellt wurde, war doch, ob und wann es zu einem solchen Treffen im Viererformat, wie es das schon einmal in Istanbul gab, kommen wird. Ich kann nur sagen: Die Bundeskanzlerin, Präsident Macron und auch Präsident Erdoğan haben ihre Bereitschaft zu einem solchen Treffen geäußert und auch öffentlich gemacht. Jetzt liegt es an Russland, auf dieses Angebot zu einem solchen Treffen einzugehen. Das hat Russland bisher noch nicht getan. Das Angebot, sich im Viererformat zu treffen, besteht fort.

ZUSATZFRAGE: Bezieht sich das auf das Treffen am 5. März?

SEIBERT: Auf welches konkrete Datum es dann hinausläuft, wird man sehen müssen. Aber das Angebot, so etwas zeitnah zu machen, besteht. Die Ereignisse der letzten 24 Stunden machen uns ja noch einmal klar, wie dringlich es wäre.

FRAGE: Herr Alter oder Herr Seibert, Sie sagten gerade, dass Sie noch keine offiziellen Informationen zu diesen Berichten haben, dass die Türkei praktisch die Weiterreise von syrischen Flüchtlingen nach Europa erlauben möchte. Gehen Sie im Moment davon aus, dass der sogenannte Flüchtlingspakt mit der Türkei weiterhin besteht oder hat es in irgendeiner Weise in letzter Zeit von türkischer Seite Andeutungen gegeben, dass der auslaufen würde, wenn irgendetwas Bestimmtes eintritt? Wenn sich jetzt die Berichte bewahrheiten, würde Sie das unvorbereitet überraschen?

SEIBERT: Bisher gibt es Medienberichte; ich glaube, das hat auch gerade der Kollege gesagt. Uns ist nicht bekannt, dass es einen solchen Befehl, wie er in den Medienberichten erwähnt wird, von der türkischen Regierung aus auch tatsächlich gibt, dass solch ein Befehl tatsächlich erteilt wurde. Wir werden das sehr genau beobachten.

Zu Sinn, Zweck und Nutzen des EU-Türkei-Abkommens über Flüchtlinge und zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität haben wir hier oft gesprochen. Der Wert dieses Abkommens besteht aus unserer Sicht fort. Das ist ein Wert sowohl für Europa als auch für die Türkei.

ALTER: Ich würde gerne noch zum zweiten Teil Ihrer Frage ergänzen, ob uns ein etwaiges Szenario unvorbereitet treffen würde.

Losgelöst von dieser allgemeinen Entwicklung und ganz allgemein haben wir auch an dieser Stelle schon häufiger erklärt und auch vermittelt, dass wir nach der Situation, die wir in Deutschland 2015 ff. erlebt haben, zahlreiche Schlüsse gezogen haben. Die Infrastruktur ist anders aufgestellt, die technischen Rahmenbedingungen zum Informationsaustausch sind anders aufgestellt. Alle beteiligten Behörden haben aus dieser Situation gelernt. Wir sind heute in einem Zustand, dass wir ganz andere Kapazitäten und eine ganz andere Resilienz für ein Ansteigen von Zugängen hätten. Ich mache aber noch einmal ganz ausdrücklich deutlich: Das ist eine ganz allgemeine Bemerkung, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der aktuellen Entwicklung steht.

ZUSATZFRAGE: Ich habe ja gefragt, ob Sie in letzter Zeit von den türkischen Behörden irgendwelche Andeutungen erhalten haben, dass so ein Schritt kommen könnte? Wenn ich Sie richtig verstehe: Nein, das hat es nicht. Können Sie das bestätigen?

ALTER: Zutreffend. Wir haben zu der aktuellen Entwicklung bisher nur die Medienberichte und darüber keine behördlichen Informationen und auch keine Signale von türkischer Seite.

BREUL (AA): Ich kann noch kurz ergänzen ‑ der Punkt wird Sie nicht vollkommen überraschen ‑: Wir sind uns dessen bewusst, was für eine besondere Last die Türkei beim Umgang mit syrischen Flüchtlingen schultern muss. Wir unterstützen sie dabei. Das ist ja auch Sinn und Zweck des EU-Türkei-Abkommens.

Das gilt im Übrigen auch für die humanitäre Situation in Idlib, die sich an der Grenze zur Türkei abspielt, wo die Türkei Verantwortung übernimmt und wo wir auch Verantwortung übernehmen wollen. Die Bundeskanzlerin hat auch bei ihrem letzten Treffen mit Präsident Erdoğan noch einmal zusätzliche Unterstützung zugesagt. Dazu stehen wir. Die humanitäre Verantwortung für Idlib ist eine der internationalen Gemeinschaft und nicht allein die der Türkei. Das werden wir der Türkei auch in den Gesprächen, die wir jetzt zu führen haben, noch einmal deutlich machen.

Weitere Informationen

Schlagworte

nach oben