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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 11.06.2025

11.06.2025 - Artikel

Reise des Außenministers nach Rom und in den Vatikan sowie nach Ägypten, Libanon, Jordanien und Israel; Nahostkonflikt

Hinterseher (AA)

Ich habe Ihnen eine Reiseankündigung mitgebracht. Außenminister Wadephuhl reist morgen nach Italien und in den Vatikan. Er wird in Rom zunächst Gespräche mit Vertretern des Heiligen Stuhls führen, bevor er auf Einladung des italienischen Außenministers am sechsten sogenannten Weimar-plus-Treffen teilnimmt. Dabei geht es um ein gemeinsames Außenministertreffen mit Frankreich, Polen, Italien, Spanien sowie der hohen Vertreterin der EU, um über die weitere Unterstützung der Ukraine sowie die Stärkung der europäischen Verteidigung zu beraten. Es handelt sich um ein erweitertes Format. Auch die Außenminister der Ukraine und des Vereinigten Königreichs werden am Treffen teilnehmen. Erstmals ist auch NATO-Generalsekretär Mark Rutte dabei. Im Anschluss an das Treffen wird der Außenminister seinen italienischen Amtskollegen Antonio Tajani zu einem bilateralen Antrittsbesuch treffen.

Am Donnerstagabend wird er in den Nahen Osten weiterreisen. Dort wird er in Ägypten, Libanon, Jordanien und Israel unter anderem Termine mit seinen jeweiligen Amtskollegen wahrnehmen. Im Zentrum der Reise werden das Nahostthema und insbesondere die Lage in Gaza stehen. Der Außenminister wird mit engen arabischen Partnern darüber sprechen, wie ein Plan für ein friedliches Gaza nach dem Konflikt aussehen kann. Dabei spielt der arabische Wiederaufbauplan eine zentrale Rolle. Der Außenminister würdigt damit auch die wichtige Rolle, die die arabischen Staaten für die Sicherheit in der Region spielen.

Gleichzeitig wird natürlich auch die dramatische humanitäre Situation und Lage im Gazastreifen im Zentrum stehen. Auch in Israel wird es um die Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen gehen. Diese engen und vertrauensvollen Gesprächskanäle ‑ Sie wissen, dass der israelische Außenminister vergangene Woche hier war ‑ sind umso wichtiger, weil wir weiterhin ernsthaft mit der israelischen Regierung sprechen wollen und immer wieder deutlich machen, dass es im Rahmen der Einsätze im Gazastreifen zu einer Einhaltung des humanitären Völkerrechts kommen muss.

Am Sonntagabend reist der Außenminister zurück nach Berlin.

Frage

Wird auf dieser Reise und in den Gesprächen mit den diversen Gesprächspartnern auch eine Rolle spielen, wer die politische Repräsentanz der palästinensischen Bevölkerung in Gaza in Zukunft übernehmen kann?

Hinterseher (AA)

Es geht genau um diese Planungen des Tages danach. Ich kann natürlich dem, was in den Gesprächen, die dort stattfinden, im Einzelnen besprochen wird, grundsätzlich nicht vorgreifen. Aber wir sehen für die palästinensische Autonomiebehörde als legitime Vertreterin der Palästinenserinnen und Palästinenser eine zentrale Rolle im weiteren Verlauf dieses Prozesses.

Zusatzfrage

Realität ist, dass die Hamas nach wie vor existiert, die ja auch einmal gewählt worden war, allerdings nur einmal, und sich danach nicht wieder zur Wahl gestellt hat. Wie soll nach Meinung des Außenministers mit einer Organisation umgegangen werden, die nach wie vor politische und zum Teil auch militärische Realität in Gaza ist?

Hinterseher (AA)

Ich denke, genau das ist Teil der Gespräche. Denn klar ist, dass die Hamas im Gazastreifen keine Zukunft haben darf. Die Hamas muss die Waffen niederlegen und vor allem auch die Geiseln freilassen. Das ist ein erster Schritt.

Politisch ist es natürlich wichtig, dass es keine Zukunft für die Hamas gibt. Deswegen wurden Bedenken angemeldet, ob es mit dem militärischen Vorgehen letztlich dazu kommen kann, die Hamas aus dem Gaza-Streifen zu verdrängen.

Frage

Herr Hinterseher, wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, dann haben Sie gerade gesagt, dass es zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts in Gaza kommen müsse. Vergangene Woche hatten wir die Diskussion, in der sich das AA vehement geweigert hat, von einer Verletzung des Völkerrechts durch Israel zu sprechen.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie im Laufe der letzten sieben Tage zu einer Neueinschätzung der humanitären Situation und des Agierens Israels gekommen sind?

Hinterseher (AA)

Ich denke, wir haben zu dieser Frage hier des Öfteren Stellung genommen, und zwar ausführlich. Die erheblichen Zweifel wurden wiederholt geltend gemacht. Wir nehmen natürlich die Berichte zur Kenntnis. Das Einzige, was wir hier gesagt haben, ist, dass uns dazu keine eigenen Informationen vorliegen.

Zusatzfrage

Wenn man sagt, dass es zu einer Einhaltung kommen müsse, so impliziert dies zumindest für mein Verständnis, dass das derzeit nicht der Fall sei. Können Sie dies so bejahen?

Hinterseher (AA)

Ich sage, was ich gerade gesagt habe, dass es bei einem bewaffneten Konflikt, bei einer bewaffneten Auseinandersetzung immer zu einer Einhaltung des humanitären Völkerrechts kommen muss bzw. dass das humanitäre Völkerrecht geachtet werden muss. Darauf drängen wir in all unseren Gesprächen.

Frage

Weil Sie sie nicht erwähnt haben: Wird das Thema ethnischer Säuberungen oder Vertreibungen aus Gaza eine Rolle spielen? Das sind ja offizielle Wortmeldungen aus der israelischen Regierung über die Kriegsführung.

Hinterseher (AA)

Ich weiß nicht, auf welche Berichte Sie im Einzelnen anspielen. Mir liegt der Bericht, den Sie dazu jetzt erwähnen, nicht vor. Wichtig ist ‑ auch das haben wir wiederholt gesagt ‑, dass es eben nicht zu einer Vertreibung kommen darf. Denn das ‑ das ist unter dem ganzen Begriff der Einhaltung des humanitären Völkerrechts subsumiert ‑ wäre nicht völkerrechtskonform. Dieses Thema ist in diesem Gesamtkomplex natürlich absolut inbegriffen, nämlich das Thema der Achtung des humanitären Völkerrechts im bewaffneten Konflikt.

Zusatz

Ich glaube, die halbe israelische Regierung hat schon für ethnische Säuberung plädiert und eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Palästinensergebiet angekündigt.

Hinterseher (AA)

Ich glaube, wir haben ‑ ‑ Entschuldigung!

Zusatzfrage

Darf ich ausreden? ‑ Der IGH hat Maßnahmen zur Verhinderung eines Genozids verhängt. Hat sich Israel aus Sicht der Bundesregierung ‑ Sie sind Mitgliedstaat des IGH ‑ bisher an diese Maßnahmen des IGH gehalten?

Hinterseher (AA)

Sie wissen, dass das Verfahren vor dem IGH nach wie vor läuft, und ‑ ‑

Zusatz

Das sind zwei verschiedene Dinge!

Hinterseher (AA)

Darf auch ich ausreden? ‑ Sie wissen, dass das sehr ‑ ‑

Zusatz

Wenn Sie auf meine Frage ‑ ‑

Vorsitzender Detjen

Moment! Es wurde eine Frage gestellt. Jetzt bitte die Antwort!

Hinterseher (AA)

Sie wissen, dass das Verfahren nach wie vor läuft. Solange dieses Verfahren läuft, habe ich von der Stelle hier nichts hinzuzufügen.

Frage

Herr Hinterseher, einige westliche Verbündete haben Sanktionen gegen zwei israelische Minister erlassen. Schließt sich die Bundesregierung diesen Sanktionen an? Wird das bei dem Besuch in Jerusalem ein Thema sein?

Hinterseher (AA)

Wie Sie wissen, verhängt Deutschland Sanktionen grundsätzlich im Rahmen der Europäischen Union. Für jede Listung besteht das Erfordernis der Einstimmigkeit innerhalb der Europäischen Union. Wir setzen uns auf EU-Ebene dafür ein, weitere Sanktionen gegen Akteure der radikalen Siedlerbewegung unter dem dafür einschlägigen EU-Menschenrechtssanktionsregime zu verhängen. Die Siedlerbewegung macht sich in ihrem oft gewaltsamen Vorgehen nicht nur Menschenrechtsverstöße schuldig, sondern treibt auch die völkerrechtswidrige Besatzung des Westjordanlands weiter voran. Ich denke, dazu haben wir auch hier Stellung genommen. Damit unterminiert sie natürlich die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung.

Was die gestrige Entscheidung einiger unserer internationalen Partner angeht, so haben wir sie natürlich zur Kenntnis genommen.

Zusatzfrage

Ich denke, die westlichen Partner würden sagen, dass die beiden Minister Akteure der radikalen Siedlerbewegung seien, die Sie gerade genannt haben. Diesem Urteil schließen Sie sich aber nicht an, richtig?

Hinterseher (AA)

Ich denke, wir haben hier auch zu Aussagen der betreffenden Minister wiederholt Stellung genommen und diese als inakzeptabel bezeichnet, weil sie eben der Zweistaatenlösung zuwiderlaufen, vor allem in dem Vorhaben, einen palästinensischen Staat zu vereiteln. Des Weiteren habe ich aber nichts hinzuzufügen, was über das hinausgeht, was ich gerade gesagt habe, dass es nämlich eine EU-Entscheidung ist und dass Deutschland im Rahmen der EU-Entscheidung Sanktionen verhängt. Dafür besteht nach wie vor das Erfordernis der Einstimmigkeit.

Frage

Herr Hinterseher, haben Sie sich gerade versprochen, weil Sie von einer völkerrechtswidrigen Besatzung des Westjordanlands gesprochen haben?

Hinterseher (AA)

Wenn ich das gesagt habe, dann mag das so sein. Ich meinte den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau.

Zusatz

Die Besatzung an sich ist ja auch völkerrechtswidrig. Laut IGH ‑ ‑

Hinterseher (AA)

Auch dazu gab es einen Bericht.

Zusatzfrage

Das sagt aber hier das AA nie. Darum wollte ich jetzt wissen: War das ein Versprecher, oder halten Sie sich einfach an die Tatsachen des IGH?

Hinterseher (AA)

Ich bleibe bei meiner letzten Einlassung dazu.

Zusatzfrage

Dass es ein Versprecher war?

Hinterseher (AA)

Was ich gerade gesagt habe.

Zusatz

Darum frage ich ja.

Hinterseher (AA)

Ja.

[…]

Frage

Bei der Verteilung der humanitären Hilfe gibt es immer wieder Vorkommnisse. Erst heute gab es wieder Berichte, dass das israelische Militär auf die Bevölkerung von Gaza geschossen hat. Wie bewerten Sie die Ereignisse?

Hinterseher (AA)

Auch Außenminister Wadephul hatte sich letzte Woche beim Besuch des israelischen Außenministers Gideon Sa‘ar hierzu geäußert.

Erst einmal sind diese Vorfälle schockierend. Menschen versuchen, an Nahrungsmittel zu gelangen und werden dabei getötet. Deswegen ist es wichtig, dass diese Vorfälle aufgeklärt werden.

Wir haben auch festgestellt, dass der Mechanismus, den Israel vorgeschlagen hat, nicht in ausreichendem Maße funktioniert. Deswegen hat Israel unter anderem konzediert, dass es ein Nebeneinander braucht, dass es auch die VN für die Verteilung von Hilfsgütern braucht. Das ist der Mechanismus, auf den wir setzen.

Ich hatte gerade dazu ausgeführt: Es gibt dort sehr fähige und sehr ressourcenreiche Akteure, die die Expertise haben, um Nahrungsmittel nach humanitären Standards zu verteilen. Wir haben darauf hingewiesen, was bei der Verteilung humanitärer Hilfe wichtig ist, nämlich die Grundprinzipien von Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Das sind die Grundsätze, die bei der Verteilung humanitärer Hilfe einzuhalten sind.

Zusatzfrage

Die Hungersnot dauert weiterhin an. Friedrich Merz, der Bundeskanzler, hat vor zehn Tagen Kritik geübt. Welche Konsequenzen gibt es? In der letzten Woche hat man gesagt, dass weiterhin Waffen an Israel ausgeliefert werden. Welche Konsequenzen folgen aus dieser Kritik, die vor zehn Tagen getätigt wurde?

Meyer (BReg)

Sie haben Recht, dass der Bundeskanzler und die Bundesregierung insgesamt immer wieder auf die humanitäre Lage in Gaza hingewiesen haben. Sie haben auf allen diplomatischen Kanälen immer wieder eingefordert beziehungsweise eindeutig darum gebeten, die humanitäre Lage zu verbessern und insbesondere das Drohen einer Hungersnot im Gazastreifen zu verhindern. Wir tun das auf allen Kanälen. Das Außenministerium hat gerade auf die Reise des Außenministers hingewiesen, die auch ganz im Zeichen dieses Themas steht. Das bleibt weiterhin eine ganz klare Priorität unserer Politik auf allen Kanälen, die uns zur Verfügung stehen.

Stopp des Aktivistenschiffs „Madleen“ durch die israelische Marine

Frage

Ich habe eine Frage zu dem durch Israel in internationalen Gewässern angegriffenen Schiff. Viele Länder haben dieses Eingreifen Israels in internationalen Gewässern verurteilt und als unrechtsmäßig bezeichnet. Welche Position nimmt Deutschlands dazu ein?

Hinterseher (AA)

Darüber, wie dieser Vorfall genau ablief, haben wir keine eigenen Erkenntnisse. Ich denke, ich kann zur Einordnung ganz grundsätzlich sagen, dass wir die Berichte um das Segelschiff „Madleen“ natürlich sehr aufmerksam verfolgt und darüber hinaus auch auf unseren Kanälen informiert haben. Denn dabei ging es auch um eine deutsche Staatsangehörige.

Nach unserem Kenntnisstand sind alle Passagiere des Schiffs in Israel an Land gebracht worden. Sie hatten die Möglichkeit, danach direkt auszureisen. Einige haben davon Gebrauch gemacht, andere nicht. Diejenigen, die noch in Israel sind, also nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, müssen sich dort jetzt einem Ausreiseverfahren stellen. Für die Gruppe der Aktivistinnen und Aktivisten, die in Israel angekommen ist, war unter anderem ein Mitarbeiter unserer Botschaft in Tel Aviv vor Ort. Er hat mit der deutschen Staatsangehörigen dazu gesprochen. Die Gruppe der Aktivistinnen und Aktivisten stand außerdem in Kontakt mit Anwälten. Unsere Botschaft in Tel Aviv wird den Fall natürlich auch weiterhin verfolgen und hat konsularischen Zugang erbeten.

Zusatzfrage

Sie haben von den Aktivisten gesprochen. Die Aktivisten sind in Israel verhaftet worden. Sehen Sie das als legal an?

Hinterseher (AA)

Ich denke, ich habe dazu gerade ausgeführt. Es geht um ein Ausreiseverfahren, dem sich diejenigen, die in Israel angekommen sind, jetzt stellen. Einige haben von der Möglichkeit, direkt auszureisen, Gebrauch gemacht, andere nicht. Aber ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass wir uns zu konsularischen Einzelfällen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes ‑ das lässt ja Rückschlüsse zu ‑ nicht detaillierter äußern können.

Frage

Herr Hinterseher, Sie sagten eben, Sie hätten diplomatischen Zugang zur deutschen Staatsangehörigen erbeten. Bedeutet das, dass die Botschaft zurzeit keinen Zugang zu der deutschen Staatsangehörigen hat?

Hinterseher (AA)

Wie ich Ihnen gerade gesagt habe, hatten wir Kontakt bei der Einreise und bitten darum, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes jetzt von Details abzusehen. Wir setzen uns weiterhin für den konsularischen Zugang ein. Wie der letzte Stand ist und wann der letzte Kontakt bestand, kann ich Ihnen hier nicht sagen. Ich kann Ihnen das aber vielleicht nachreichen.

Zusatz

Darum bitte ich.

Frage

Das Schiff wurde von Israel in internationalen Gewässern besetzt und dann nach Israel gebracht. War das eigentlich legal, Herr Hinterseher?

Hinterseher (AA)

Ich denke, ich habe gerade ausgeführt, dass uns über den genauen Standort keine Informationen oder Erkenntnisse eigener Art vorliegen.

Wenn es darum geht, ob das, sollten es internationale Gewässer gewesen sein, rechtens wäre, so ist das grundsätzlich eine sehr komplexe Rechtsfrage. Eine Seeblockade kann unter bestimmten Voraussetzungen völkerrechtskonform sein, etwa wenn es darum geht, Waffenschmuggel oder dergleichen zu unterbinden. Deswegen ist die Frage nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten.

Aber noch einmal zur Einordnung: Dass Menschen versuchen, in dieser katastrophalen Lage im Gazastreifen zu helfen ‑ Sie wissen, wie schlecht die Lage ist ‑, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Aber das Problem besteht nicht darin, dass zu wenig Hilfsgüter vorhanden wären. Sie sind an der Sperranlage im Gazastreifen vorhanden. Die Vereinten Nationen sind vor Ort. Internationale Hilfsorganisationen sind vor Ort. Das sind Akteure mit entsprechenden Ressourcen, mit Expertise und mit Wissen, um genau diese Hilfe leisten zu können. Das Problem, an dem es im Moment scheitert, ist der Zugang. Deswegen drängen wir auch in Gesprächen mit der israelischen Regierung auf Zugang und sichere Verteilung von Hilfsgütern. Denn grundsätzlich sind für mehrere Monate ausreichende Hilfsgüter am Gazastreifen vorhanden.

Festnahmen von Regimekritikern in Russland

Frage

An das Auswärtige Amt: In Russland wurde gestern ein weiterer Regimekritiker der liberalen Jabloko-Partei festgenommen. Die Zahl der politischen Gefangenen in Russland steuert auf 1000 zu. Wie schätzen Sie die innenpolitische Lage in Russland in diesem Kontext ein?

Hinterseher (AA)

Wir verurteilen die Verhaftung von Lew Schlosberg auf das Schärfste. Wir stellen fest, dass in Russland bewusst eine Atmosphäre der Angst und der Isolation geschaffen wird, vor allem für kritische Stimmen. Es wird versucht, jede Stimme, die sich für ein demokratischeres und freieres Russland einsetzt, zum Schweigen zu bringen. Wir stellen auch fest, dass Russland politisches ‑ vor allem kritisches politisches ‑ und zivilgesellschaftliches Engagement kriminalisiert und verfolgt. Immer mehr Regierungsorganisationen werden verboten ‑ das ist ein Prozess, der sich schon über Jahre hinzieht. Kritische Journalistinnen und Journalisten werden festgenommen; unabhängige Medien wandern ins Ausland ab, werden verdrängt. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben sich diese Tendenzen, glaube ich, noch einmal potenziert bzw. verschärft, und es gibt eine ausgeweitete Strafverfolgung aus politischen Gründen.

All das ist natürlich etwas, was wir mit allergrößter Sorge verfolgen. Wir haben Russland wiederholt aufgefordert, alle politischen Gefangenen unverzüglich und bedingungslos freizulassen, und das tun wir auch weiterhin. Wir nutzen die zugegebenermaßen wenigen Kanäle, die noch bestehen, um das auch der russischen Seite klar und deutlich zu machen. Ich würde an dieser Stelle auch gerne sagen wollen, dass es umso bewundernswerter ist, dass eben bei Weitem nicht alle Russinnen und Russen mit der Politik ihrer Regierung einverstanden sind und nach wie vor dagegen opponieren. Wir bemühen uns, wo es geht, diese Kontakte zur Zivilgesellschaft auch zu halten und die versuchte Isolation zu durchbrechen. Das wird zugegebenermaßen immer schwieriger. Es gibt im Exil eine sehr breit gefächerte russische Opposition, die sich für Veränderungen in Russland einsetzt, und auch mit diesen Vertreterinnen und Vertretern stehen wir im Austausch.

NATO-Osterweiterung

Frage

Außenminister Wadephul hat bei der letzten Fragestunde des Bundestages am 4. Juni auf die Frage, wieso das Versprechen der Kohl-Regierung gegenüber der Sowjetunion, keine NATO-Osterweiterung vorzunehmen, gebrochen wurde, erklärt, dass es nie eine solche entsprechende Aussage gegeben hätte. Jetzt gibt es in der realen Welt neben den ganzen dokumentierten Aussagen von Genscher und Baker die protokollierte Erklärung des damaligen Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes, Jürgen Chrobog, vom 6. März 1991, also nach der sogenannten Wiedervereinigung, in der er erklärt, ich zitiere ‑ ‑ ‑

Vorsitzender Detjen

Kurz, bitte!

Zusatzfrage

Ganz kurz! - Wir haben in den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen deutlich gemacht, dass wir die NATO nicht über die Elbe hinaus ausdehnen. Wir können daher Polen und den anderen keine NATO-Mitgliedschaft anbieten.

Da würde mich interessieren: Ist dem Minister diese offizielle Aussage eines der damals ranghöchsten deutschen Diplomaten bekannt? Wenn ja, wieso bleibt er bei seiner Behauptung, dass es diese Zusagen nie gegeben hätte?

Hinterseher (AA)

Ich glaube, ich habe an dieser Stelle nicht die Aussagen des Ministers zu kommentieren. Das möchte ich auch nicht tun. Aber ich glaube, dass die NATO-Osterweiterung keine Frage Deutschlands war, sondern eine Frage der Staaten, die im Rahmen der NATO-Osterweiterung genau diesen Schutz in einem Defensivbündnis gesucht haben, und deren souveräne Entscheidung war. Insofern wurde diese souveräne Entscheidung dann eben auch innerhalb des NATO-Bündnisses einstimmig angenommen, und ich glaube, das gilt nach wie vor.

Zusatzfrage

Gut, aber meine Frage ging ja darum, dass der amtierende deutsche Außenminister etwas in sehr absoluten Worten gegenüber dem Bundestag formuliert hat, das so in der Form einfach nicht haltbar ist. Es gibt auch weitere Aussagen. Ich kann Ihnen zum Beispiel den damaligen US-Spitzendiplomaten ‑ ‑ ‑

Vorsitzender Detjen

Sie machen jetzt ein riesiges Fass auf! Dazu gibt es viel Literatur!

Zusatz

Ja, aber das ist ja auch keine Kleinigkeit!

Vorsitzender Detjen

Ja, bloß sind wir jetzt in den letzten zwei Minuten der Regierungspressekonferenz!

Hinterseher (AA)

Sie liefern die Interpretation ja schon mit. Insofern würde ich es Ihnen überlassen, das zu interpretieren. Wie gesagt, die Aussagen stehen für sich. Sie dürfen weiter interpretieren, und Sie haben es ja hier schon getan. Wir teilen das natürlich nicht.

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