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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 03.03.2025
Nahostkonflikt
Fischer (AA)
Guten Tag in die Runde. Es geht um die Verlängerung der Waffenruhe und der Vereinbarung über die Freilassung von Geiseln in Gaza:
Die Bundesregierung hat mit großer Sorge die Entscheidung der israelischen Regierung zur Kenntnis genommen, die Einfuhr aller humanitären Güter nach Gaza zu stoppen. Das passiert zu einem Zeitpunkt, zu dem die Zivilbevölkerung in Gaza noch immer darunter leidet, dass nicht ausreichend Notunterkünfte und medizinisches Gerät nach Gaza eingeführt werden können.
Die Gewährung oder die Versagung humanitären Zugangs ist kein legitimes Druckmittel in Verhandlungen. Vielmehr hat der Internationale Gerichtshof festgestellt, dass Israel seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen muss, indem es die ungehinderte Bereitstellung von dringend benötigter Grundversorgung und humanitärer Unterstützung im gesamten Gazastreifen sicherstellt.
Wir rufen die israelische Regierung auf, die Einfuhrbeschränkungen nach Gaza für alle Formen humanitärer Hilfe mit sofortiger Wirkung wieder aufzuheben. Der ungehinderte Zugang humanitärer Hilfe in den Gazastreifen muss jederzeit gewährleistet sein.
Die Hamas muss dem Leid und den Demütigungen der verbleibenden Geiseln und deren Angehörigen nun endlich ein Ende setzen und die Geiseln unverzüglich freilassen. Wir fordern beide Seiten auf, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren und den Fortbestand der Vereinbarungen zu Waffenstillstand und Geiselfreilassung zu sichern. Das schließt eine mögliche Verlängerung der Phase eins und einen Übergang in Phase zwei, also eine langfristige Waffenruhe, ein. Das alles ist unverzichtbar für die Freilassung weiterer Geiseln, für die Verbesserung der humanitären Lage der Menschen in Gaza und perspektivisch auch für den Wiederaufbau in Gaza und eine friedliche Zukunft in der Region.
Frage
Wie bewerten Sie das völkerrechtlich? Mein Stand ist, dass der Stopp des Hereinlassens humanitärer Hilfe ein Kriegsverbrechen ist.
Fischer (AA)
Ich habe dazu gesagt, was ich zu sagen habe, und ich kann das gern wiederholen. Die Gewährung oder die Versagung humanitären Zugangs ist kein legitimes Druckmittel in Verhandlungen, und der Internationale Gerichtshof hat festgestellt, dass Israel seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen muss, die ungehinderte Bereitstellung benötigter Grundversorgung und humanitärer Unterstützung im gesamten Gazastreifen sicherzustellen.
Zusatzfrage
Würden Sie widersprechen, dass es ein Kriegsverbrechen ist?
Fischer (AA)
Wie gesagt: Wir fordern Israel weiterhin klar auf, humanitäre Hilfe nach Gaza hereinzulassen. Das entspricht auch den Anforderungen, die der Internationale Gerichtshof in seinem Beschluss im Verfahren Südafrika gegen Israel aufgestellt hat ‑ und diesen Anforderungen ist zu folgen.
Frage
Auch an Herrn Hebestreit gefragt: Hat diese Ankündigung der israelischen Regierung Auswirkungen darauf, ob jetzt weiter Waffen von Deutschland nach Israel geliefert werden?
Hebestreit (BReg)
Sie wissen, dass der Bundessicherheitsrat über Waffenlieferungen entscheidet, wenn sie anstehen. Dazu kann ich im Augenblick nichts mitteilen. Hypothetische Fragen beantworten wir in diesem Zusammenhang sowieso nie.
Zusatzfrage
Steht da jetzt eine Entscheidung an? Gibt es einen Antrag seitens der Rüstungskonzerne, gerade Waffen nach Israel zu exportieren?
Hebestreit (BReg)
Sie wissen auch, dass wir über die Tagungen des Sicherheitsrates nie informieren ‑ das ist geheim eingestuft; das darf ich auch von dieser Stelle nicht ‑, dass wir aber im Nachgang solcher Sitzungen die ergangenen Genehmigungen zeitnah mitteilen. Das müssten Sie dann beobachten.
Frage
Vielleicht noch einmal auf die amerikanische Seite geblickt: Die unterstützen ja jetzt diesen Move der Israelis, also erstens den Stopp dieser Lieferung und zweitens das Wiederverhandeln ‑ so nenne ich das jetzt einmal ‑ des dreistufigen Plans. Wie bewerten Sie das? Ist das angesichts des Wochenendes eine logische Folge, oder sind Sie davon überrascht?
Fischer (AA)
Ich weiß nicht, ob das angesichts des Wochenendes eine logische Folge ist. Es ist natürlich sehr bedauerlich, dass die Verhandlungen über Phase zwei nicht in der vorgesehenen Zeit zum Abschluss gebracht werden konnten. Sie haben ‑ das ist ja auch öffentlich nachvollziehbar ‑ viel zu spät angefangen und wurden wie immer unterbrochen. Wir unterstützen Überlegungen zur Verlängerung von Phase eins zur zwischenzeitlichen Sicherung der Waffenruhe, aber gleichzeitig sollte an der ursprünglichen Vereinbarung zu Waffenruhe und Geiselfreilassung festgehalten werden. Sie zeigt einen Fahrplan auf, der die Basis für eine umfassende Freilassung aller Geiseln, den Zugang humanitärer Unterstützung und perspektivisch auch den Wiederaufbau Gazas vorzeichnet.
Wie gesagt: Wir fordern alle Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und den Fortbestand der Vereinbarungen und Geiselfreilassung einschließlich der möglichen Verlängerung der Phase eins und der Verhandlungen über Phase zwei und des Übergangs in die Phase zwei, also zu einer langfristigen Waffenruhe, sicherzustellen.
Frage
Was können Deutschland und Europa in dieser Situation tun, außer zu fordern?
Fischer (AA)
Wir sind mit den Beteiligten natürlich im Gespräch, sowohl mit der israelischen Seite als auch mit der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, aber auch mit den arabischen Partnern und den Golfstaaten. Sie wissen auch, dass jetzt ein Gipfel der Arabischen Liga stattfindet, der gegenwärtig dabei ist, einen Plan für eine Zukunft Gazas zu formulieren. In all diese Gespräche haben wir uns eingebracht.
Zusatzfrage
Aber Sie sind nicht in der Rolle eines Gastes ‑ oder wie auch immer man das nennen mag ‑ an diesen Gipfelgesprächen direkt beteiligt, sondern von der Seitenlinie her? Ist das richtig?
Fischer (AA)
Wir haben ja auf der Münchener Sicherheitskonferenz in verschiedenen Formaten mit den arabischen Partnern, aber auch mit den westlichen Staaten, über die Frage des Übergangs in die Phase zwei geredet. Wir haben gesehen, dass zum Beispiel die Eröffnung oder Wiederingangsetzung von EUBAM Rafah auf einen Vorschlag der Bundesaußenministerin zurückging, den sie schon von mehreren Monaten gemacht hat. Von daher würde ich schon sagen, dass wir da direkt involviert sind. Aber es ist immer wieder eine Anstrengung, den Berg hinaufzukommen und dazu beizutragen, dass sich die Dinge weiter in eine richtige Richtung bewegen. Dass wir jetzt gerade an einem gefährlichen Zeitpunkt sind, steht außer Frage. Aber genau deshalb habe ich mich hier geäußert, und genau deshalb wirken wir mit unseren Mitteln auf die verschiedenen Beteiligten ein.
Gespräch des US-Präsidenten mit dem Präsidenten der Ukraine/geopolitische Lage
Frage
Herr Hebestreit, zum Großkomplex Ukraine: Nach dem gestrigen Gipfel in London und vor dem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel schlagen nun der britische Premierminister und der französische Präsident eine einmonatige Waffenruhe in der Ukraine vor. Inwieweit ist die Bundesregierung in diese Pläne involviert, und würden Sie sich hinter diese Forderung nach einer Waffenruhe stellen?
Hebestreit (BReg)
Es war ein gutes und wichtiges Treffen, das gestern in London stattgefunden hat. Sie wissen, wer sich da auf Initiative des britischen Premiers zusammengefunden hat. Das reiht sich in eine ganze Reihe von internationalen Treffen ein, die es dazu in den letzten Wochen gegeben hat. Ich erinnere an den Sondergipfel oder den außerordentlichen Gipfel am 3. Februar in Brüssel, an das Treffen in Paris eine Woche später ‑ da gab es noch ein zweites Treffen in einer etwas anderen Zusammensetzung ‑, an das Treffen jetzt in London. Am Donnerstag wird es fortgesetzt mit einem außerordentlichen Gipfel in Brüssel. Das heißt, es gibt eine enge Abstimmung zwischen allen Beteiligten.
Sie haben auch mitbekommen, dass das wichtigste Thema gestern war, der Ukraine die Unterstützung aller Beteiligten zu signalisieren. Es ging darum, das noch einmal sehr deutlich zu machen und an der Stelle vielleicht die entstandenen Irritationen auszuräumen.
Der zweite Punkt war ganz klar, den Weg zu einer friedlicheren Entwicklung der Ukraine hin zu bahnen. Da gibt es eine enge Abstimmung, in die auch Deutschland eingebunden ist. Es gibt den Vorschlag ‑ das hat der Bundeskanzler gestern Abend in seinem Statement auch schon anklingen lassen ‑, dass die Angriffe zunächst einmal aus der Luft und von Seeseite ausgesetzt werden können. Wir haben es ja mit einer sehr langen Frontlinie zu tun, bei der ein Waffenstillstand sehr schwierig zu überwachen wäre. Viele stellen sich natürlich die Frage, wie so etwas denn abgesichert werden könnte. Wenn man in einen solchen vertrauensbildenden Prozess einsteigen könnte, dann würden sich daran die politischen Gespräche anschließen, in denen die russische Seite und die ukrainische Seite über das Weitere miteinander sprechen, sicherlich begleitet von den Vereinigten Staaten.
Und an dieser Stelle ‑ das haben Keir Starmer gestern Vormittag und der französische Präsident gestern Abend in Interviews auch öffentlich gemacht ‑ gibt es dann Ideen, wie Europa diesen Prozess unterstützen kann. Da geht es zentral um die Frage von Sicherheitsgarantien. Da hat der Bundeskanzler immer wieder zwei Sachen deutlich gemacht:
Das Eine ist, dass das transatlantisch organisiert sein muss. Das müssen also alle Beteiligten, die bisher die Ukraine unterstützen, weiterhin unterstützen. Und die größte Sicherheitsgarantie für die Ukraine wird eine starke Armee, ein starkes Militär, sein. Es gibt im Englischen den schönen Ausdruck „porcupine“, ins Deutsche übersetzt: die Stachelschwein-Variante. Das heißt, dass sich die Ukraine gegenüber möglichen künftigen Angriffen von Russland so stark gemacht hat, dass Russland davon Abstand nehmen würde. Dafür sind zweierlei nötig, nämlich eine starke ukrainische Armee und eine modern ausgestattete ukrainische Armee. Für beides würden sich der Westen, die jetzigen Verbündeten, mit zuständig fühlen. Vor allem geht es auch um Finanzfragen und um Ausrüstungsfragen. Denn im Augenblick gibt die Ukraine so viel für ihr Militär aus wie sie vor dem Krieg für ihren gesamten Staatshaushalt ausgegeben hat. Das ist also wirtschaftlich von der Ukraine nicht alleine zu tragen.
Dann werden sich weitere Diskussionen anschließen, wie man diese Sicherheitsgarantien ausgestalten kann. Da ist auch gestern wieder deutlich geworden, dass da noch sehr unterschiedliche Positionen innerhalb der Verbündeten herrschen. Aber diesen Prozess erleben wir jetzt in diesen Tagen und Wochen. Der geht voran, auf dass man sich auf ein Set von Maßnahmen wird einigen können.
Als letzten Punkt von gestern möchte ich erwähnen, dass es natürlich auch darum geht, die Stärkung des transatlantischen Bündnisses, des europäischen Pfeilers, voranzutreiben. Es ist eine klare Erwartung der amerikanischen Seite und auch eine klare Überzeugung der europäischen Seite, dass man da den europäischen Pfeiler stärkt.
Aber es bleibt dabei, dass das transatlantische Verhältnis maßgeblich für die Sicherheit in Europa ist. Das war in den letzten 75 Jahren so, und das soll auch fortan so bleiben.
Zusatzfrage
Inwiefern sind am Donnerstag substanzielle Beschlüsse zu erwarten?
Hebestreit (BReg)
Da am Donnerstag der britische Premierminister aufgrund von Entwicklungen, die bekanntlich vor einigen Jahren stattgefunden haben, nicht dabei sein wird, geht es am Donnerstag meines Wissens vor allem um die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie, vielleicht auch um Erleichterungen, wie man das anstellen kann. Dazu wird auch ein Bericht der Europäischen Kommissionspräsidentin erwartet.
Dann wird man weiterhin die Diskussionen, die wir jetzt führen, miteinander betreiben. Ob man am Ende schon zu einem Ergebnis kommen wird, da wäre ich im Augenblick skeptisch. Ich glaube, das wird sich eher in weiteren Treffen in den nächsten Wochen weiter materialisieren, auch aufgrund der Zusammensetzung derer, die am Donnerstag zusammenkommen, bzw. derjenigen, die nicht dabei sind.
Ich darf auch erinnern: Der kanadische Premierminister war gestern in Großbritannien dabei; anwesend waren auch der norwegische Ministerpräsident, der türkische Außenminister und natürlich der britische Premier. Das sind ja alles Leute, die am Donnerstag in Brüssel nicht vor Ort sein werden.
Frage
Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung bereit wäre einzuspringen, sollte es jetzt wirklich dazu kommen, dass die USA mit der Satellitenaufklärung für die Ukraine ausfällt. Wenn sich die Ankündigungen jetzt in die Richtung interpretieren ließen, könnte Deutschland dann mit entsprechenden militärischen Kapazitäten einspringen?
Hebestreit (BReg)
Also a) habe ich diese Ankündigung der USA so nicht vernommen, und b) würde ich die eigenen Fähigkeiten in all diesen Fragen nicht überschätzen. Ich glaube, das amerikanische Militär ist nicht umsonst das stärkste Militär der Welt. Das kann man nicht einfach eins zu eins so ersetzen. Das sollte sich auch niemand vormachen, dass das ginge.
Richtig ist, dass die Europäer schon jetzt sehr massiv die Ukraine unterstützen, allen voran Deutschland, und wir haben unsere Unterstützung ja auch für weitere Entwicklungen zugesagt. Insofern bleibt es dabei.
Ob man das eins zu eins oder nur anteilig würde ersetzen können, da bin ich nicht Experte genug, um das abschließend zu beurteilen. Aber skeptisch bliebe ich.
Zusatzfrage
Vielleicht dann an das Verteidigungsministerium gefragt, wenn Sie auf Ihre Expertise verweisen, Herr Hebestreit.
Müller (BMVg)
Der Regierungssprecher hat gerade alles gesagt. Er hat vorher auch ganz klar dargestellt, dass erst das große Konstrukt gedacht werden muss. Und ich bin immer der Meinung, dass man sich über Einzelfähigkeiten und Einzelmachbarkeiten so lange öffentlich zurückhalten sollte, bis man das Gesamtkonstrukt zusammen mit den Partnern und auch transatlantisch besprochen hat.
Hebestreit (BReg)
Ich möchte vielleicht noch anführen: Das Ziel aller Bemühungen ist schon ‑ das hat man gestern auch ganz stark gemerkt ‑, dass es weiterhin transatlantisch bleibt, dass also auch die Vereinigten Staaten der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg hilfreich zur Seite stehen.
Frage
Ich hätte auch zwei Fragen. Zum einen hat die EU-Außenbeauftragte ja in den Raum gestellt, dass die EU 20 Milliarden Euro an weiteren Militärhilfen außerhalb der Reihe verabschieden könnte. Da würde mich interessieren, wie die deutsche Position dazu ist und wann man da Ergebnisse auf deutscher Seite erwartet.
Die zweite Frage stellt sich angesichts der veränderten Umstände seit Freitag. Wir hatten ja am letzten Freitag darüber geredet, dass ein Kontakt zwischen der CDU und der derzeitigen Regierung auf Arbeitsebene besteht, um diese außenpolitischen Fragen zu koordinieren. Ist angesichts der veränderten Umstände der Kontakt zwischen dem Kanzler und dem derzeitigen Oppositionsführer vielleicht enger? Wird er enger miteinbezogen werden?
Hebestreit (BReg)
Zum ersten Teil würde ich die Gespräche in Brüssel abwarten. Ich habe das auch gelesen, was Frau Kallas gesagt hat. Das sind ja Mittel, die die Europäische Union wahrscheinlich von ihren Mitgliedsländern benötigt. Insofern ist das dann auch im Europäischen Rat richtig aufgehoben.
Zur zweiten Frage: Sie haben das sicherlich mitbekommen. Der Bundeskanzler hat am Freitagabend noch den Oppositionsführer angerufen. Sie haben nach der Situation im Oval Office telefoniert. Der Bundeskanzler hat für kommenden Mittwoch die Parteivorsitzenden der SPD, den Parteivorsitzenden der CDU und den Landesgruppenchef der CSU zu einem Gespräch im Kanzleramt eingeladen, auch um über das zu informieren, was gestern in London besprochen worden ist, und über das, was am Donnerstag in Brüssel besprochen werden wird.
Frage
Es gibt eine Verabredung ‑ so lese ich es in den Papieren ‑, vor dem Gipfel am Donnerstag eine schonungslose Defizitanalyse dessen durchzuführen, was die europäischen Armeen benötigen und brauchen, bevor man überhaupt zur Stärkung des europäischen Pfeilers kommt.
Zum Stichwort der schonungslosen Defizitanalyse frage ich das Verteidigungsministerium: Woran mangelt es der Bundeswehr vor allem?
Können Sie beziffern, wie teuer eine mögliche Aufrüstung und eine mögliche Stärkung dieses Pfeilers vonseiten der deutschen Bundesregierung sein würde?
Müller (BMVg)
Wir haben intern Bedarfsanalysen, und diese sind sicherlich schonungslos und intensiv. Dafür haben wir eine eigene Abteilung, die Abteilung Planung, die genau das durchführt. Aber solange der politische Meinungsbildungsprozess über das weitere Vorgehen nicht entschieden und abgestimmt ist, werde ich mich hier mit Aussagen zu vermeintlichen Kosten oder genauen Fähigkeiten zurückhalten.
Wir haben in den letzten Monaten und Jahren verstärkt betont, dass wir in allen Dimensionen sicherlich Nachholbedarf haben. Das ist ganz klar aufgrund der Bedrohungssituation, die sehr intensiv ist. Das betrifft alle vier Dimensionen, Boden, Luft, Marine sowie Digitalisierung und Cyberraum. Bei diesen sehr grundsätzlichen Aussagen möchte ich es belassen.
Hebestreit (BReg)
Vielleicht kann ich das an einer Stelle ergänzen. Die Zeitenwenderede ist noch gar nicht so lange her, ziemlich genau drei Jahre. Das war am Beginn dieses Krieges. Die Wenigsten gingen davon aus, dass er uns auch jetzt noch, drei Jahre später, beschäftigen würde. Ein Sondervermögen ist auf den Weg gebracht worden, um viele Defizite, die sich in den letzten Jahrzehnten bei der Bundeswehr aufgetan haben, zu bekämpfen. Wir sehen, dass das dauert. Das Material ist oft nicht direkt abrufbar und nicht aus dem Regal zu bestellen. Klar ist auch, dass hundert Milliarden Euro zwar eine große Summe Geldes sind, aber auch eine Endlichkeit besitzen. Parallel dazu haben wir das Zwei-Prozent-Ziel der NATO in Angriff genommen und erfüllt. Jetzt gibt es auch aufgrund der veränderten Sicherheitslage ‑ sie hat sich in den letzten Monaten und Jahren noch einmal verschlechtert ‑ Diskussionen über weiteres Militärgerät und darüber, dass wir vielleicht auch noch strukturelle Fragen zu klären haben. In diesem Gesamtzusammenhang ist das zu sehen.
Der Begriff der schonungslosen Analyse‑ Sie haben nur zitiert ‑ in Ihrer Frage ‑ deshalb habe ich mich eingemischt ‑ klingt so, als sei das etwas, was jetzt wahnsinnig neu und plötzlich über uns hereingebrochen sei. So ist es nicht. Wir haben das schon im Blick, müssen aber natürlich immer wieder auch mit den finanziellen Gegebenheiten, die gesetzt worden sind, umgehen.
Zusatzfrage
Ich möchte anmerken, dass direkt nach der Zeitenwenderede eine ähnliche Frage wortwörtlich genauso beantwortet wurde: Wir müssen erst einmal gucken, wir müssen erst einmal schauen. ‑ Sie wissen ganz genau, dass es auch damals schon Analysen gegeben hat, die weit über das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro hinausgegangen sind.
Werden wir uns in der Politik danach richten, welche Fähigkeiten wir dringend brauchen und diese dann finanzieren, oder werden wir so wie vor drei Jahren eine gedeckelte Summe Geldes zur Verfügung stellen und dann schauen, was wir damit bekommen?
Hebestreit (BReg)
Zum Ersten widerspreche ich an der Stelle, ohne das weiter auszuführen, Ihrer Bemerkung, weil ich immer neue Worte für das wähle, was ich hier sage.
Zum Zweiten: Im Jahr 2017 betrug der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland etwa 37 Milliarden Euro. Inzwischen sind wir bei 80 Milliarden Euro, wenn wir die Mittel des Sondervermögens hinzuziehen. Die NATO-Quote beträgt sogar etwa 90 Milliarden Euro. Es hat sich also etwas massiv verändert.
Wir sehen auch, wie mühselig das ist. Eine der ersten Entscheidungen der neuen Bundesregierung war die Anschaffung von F-35-Kampfflugzeugen für die nukleare Teilhabe. Sie kommen frühestens in drei Jahren, wenn ich es richtig im Kopf habe, 2027 oder so. Diese Bestellungen sind ausgelöst worden, aber trotzdem dauert es so lange.
Das Nächste ist: Wir leben in einer Demokratie. Das heißt, das ist politisch bestimmt. Wir müssen immer wieder sehen, dass wir mit den Mitteln, die wir haben, auskommen und dass wir alle Anforderungen, die an das Gemeinwesen gestellt werden, befriedigen können. Sie kennen die Diskussion. Wir hatten einen Bundestagswahlkampf, in dem das heftig der Fall war. Für diejenigen, die kein solches Langzeitgedächtnis haben wie wir und vor allem ich, erinnere ich nur ganz kurz, daran, dass vor 14 Monaten vor diesem Gebäude ganz viele Traktoren hupend herumfuhren, weil zu Einsparungszwecken das Agrardieselprivileg gekürzt worden war.
Ein Staat muss immer mit den Mitteln haushalten, die er hat. Man kann die Mittel verändern, man kann Kredite aufnehmen, man kann Steuern erhöhen und Ähnliches tun. Das ist aber eine politische Entscheidung. Das können wir von dieser Stelle aus nicht groß beeinflussen. Auch ein Sondervermögen ‑ das ist ein anderes Wort für eine Sonderverschuldung ‑ muss irgendwann zurückgezahlt werden. Auch das ist etwas, was man sich gemeinsam miteinander versprechen muss. Denn ein Staat ist eine gemeinsame Veranstaltung. Insofern muss man, denke ich, zwischen dem Wünschenswerten, dem Notwendigen und dem Machbaren immer einen guten Weg finden.
Müller (BMVg)
Ich möchte noch ergänzen. Im vergangenen Jahr haben wir 60 Milliarden Euro in Verträge gegossen. Im Jahr davor lag die Summe etwas darunter, aber auch da gab es 55 25-Millionen-Euro-Vorlagen. Das zeigt im Grunde, dass es eine Dynamik gibt, die wir vorher nicht hatten.
Bundesminister Pistorius hat in den vergangenen beiden Jahren ständig betont, dass wir nicht nach Kassenlage entscheiden, sondern dass er mit dem Haus, mit der Abteilung Planung und dem Leitungsbereich, ganz klar das priorisiert hat, was dringend notwendig ist. Diese Priorisierung haben wir abgearbeitet. Ich denke, wir alle kennen die Listen. Ich brauche es hier nicht zu wiederholen. Es ist sehr viel dabei.
Aber natürlich haben wir weiterhin Nachholbedarf; das haben wir auch betont. Deswegen hat er von Anfang an gesagt, dass das zur Verfügung stehende Geld absehbar nicht ausreichen wird. Natürlich brauchen wir weiterhin eine verlässliche und vor allen Dingen nachhaltige und belastbare Finanzierung der Truppe, sonst können wir die zukünftigen sicherheitsstrategischen Herausforderungen nur schwer bewältigen.
Frage
Ich würde gern zwei Dinge verstehen. Meine erste Frage: Herr Hebestreit, was wird unter der Initiative zum Thema von Frieden in der Luft und zur See tatsächlich verstanden? Die Dimension Luft hat sich gerade im Laufe des Ukrainekrieges ein bisschen verändert. Heißt das, dass auch keinerlei Drohnen mehr fliegen dürfen, oder wie ist das aus Ihrer Sicht zu interpretieren?
Hebestreit (BReg)
Ja, das wäre die kurze Antwort. Die etwas ausführlichere wäre: Es hat gestern auch in London eine Rolle gespielt, dass man etwas Überprüfbares hat ‑ das wären nicht nur Kampfjets, wenn Sie das meinten, sondern alles, was an Drohnen, an Marschflugkörpern, Raketen oder so im Augenblick in der Luft ist, fliegt und gegeneinander eingesetzt wird ‑ und dass das unterbleibt. Das ist sehr einfach überprüfbar. Es ist messbar. Es wäre ein klares Signal, auf so etwas zu verzichten, und es wäre eine echte Erleichterung für die Zivilbevölkerung in der Ukraine.
Einen Punkt habe ich vergessen. Ich habe Luft und See genannt, aber gestern hat insbesondere auch eine Rolle gespielt, dass man aufhört, die Zivilbevölkerung mit Blick auf die Energieinfrastruktur besonders zu treffen.
Zusatzfrage
Es wird interessant, den Ukrainern zu erklären, dass sie sich in den Schützengräben gegen die Armeedrohnen nicht mehr selbst verteidigen können. Aber das will ich nicht als zweite Frage stellen.
Die möglichen Kapazitätsausfälle seitens der USA, insbesondere was Transportmöglichkeiten angeht, müssen in Ihren Finanzplanungen eine ganz besondere Rolle spielen. Inwieweit ist das in Ihre bisherige Planung bereits eingerechnet worden? Ich vermute, Herr Müller ist am ehesten in der Lage, das zu beantworten. Denn die Möglichkeit, dass diese Kapazitätslücken entstehen könnten, stand vor zwei oder drei Jahren noch nicht im Raum.
Müller (BMVg)
Welche Transportkapazitäten meinen Sie konkret?
Zusatz
Beispielsweise Lufttransporte, aber auch Transporte zur See und zu Land. Bei all diesen Kapazitäten spielen die Amerikaner eine massive Rolle.
Müller (BMVg)
Meinen Sie, für die Ukraine?
Zusatz
Wohin auch immer, wenn es um die eigenen Fähigkeiten hier geht.
Müller (BMVg)
Wir haben gerade schon dargestellt, dass wir nicht über ungelegte Eier reden werden. Wir haben noch keine belastbare Aussage, was wie passieren wird. Davor spekuliere ich nicht darüber, was mit welchen gegebenenfalls vorhandenen Mitteln zu ersetzen wäre.
Hebestreit (BReg)
Ich habe mehrfach betont, dass wir immer noch davon ausgehen, dass wir in all diesen Fragen transatlantisch agieren. Die Stärkung des europäischen Pfeilers bedeutet, dass man sich perspektivisch auch eigene Fähigkeiten schafft. Diese werden das nicht eins zu eins ersetzen, es aber ergänzen können. Das wird aber erst einmal im Bündnis diskutiert und als Anforderung formuliert. Da läuft im Augenblick ein Prozess, wie Sie wissen, der im Frühsommer beendet werden soll. Dann muss man sehen, wie man ihn umsetzt.
Frage
Sie haben die Ziele, was die europäische Zusammenarbeit angeht, klar umschrieben. Inwieweit kann Deutschland jetzt, noch bevor die neue Regierung steht, Verpflichtungen eingehen? Wann genau wird es Klarheit über eine deutsche Zusage geben? Wann wäre es also nicht mehr zu früh, und wovon ist das abhängig?
Hebestreit (BReg)
Im Augenblick ist es vor allem von der weiteren Entwicklung in der Ukraine bzw. im Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland abhängig.
Sie haben von mir von dieser Stelle aus schon mehrfach gehört, dass die jetzige Regierung voll handlungsfähig ist. Sie bleibt handlungsfähig, bis die nächste Regierung gefunden und vereidigt sein wird. Es gibt ‑ auch das habe ich in der vergangenen Woche schon mehrfach gesagt ‑ eine regelmäßige Konsultation mit dem Oppositionsführer. Das passiert sowohl auf Arbeitsebene als auch direkt zwischen dem Bundeskanzler und dem Oppositionsführer, wenn dies nötig ist. Dabei kann man sich natürlich immer wieder abstimmen. Im Augenblick sieht es so aus, als könnte die Partei des Bundeskanzlers womöglich an der künftigen Bundesregierung beteiligt sein. Auch dort gibt es eine enge Abstimmung. Es gibt also kein Loch, sodass man über Monate nicht handlungsfähig wäre. Sie sehen auch, wie schnell man zusammenkommt, wenn es nötig ist.
Was allerdings die Frage angeht, was man jetzt faktisch beitragen kann, ist der erste Schritt, über den wir im Augenblick reden, die Frage, wie wir es hinbekommen, dass die Kämpfe zumindest unterbrochen werden und dass der Beschuss mit Raketen, Marschflugkörpern und Ähnlichem auf die Ukraine aufhört. Dahin müssen wir kommen. Dann ist die Frage, wie man das miteinander diskutiert. Einzelne Länder haben sich schon erklärt; andere haben andere Ansätze gebracht. Das muss in einen Gesamtzusammenhang eingebettet werden. Das passiert nun mit hohem Druck, beispielsweise am Donnerstag. Aber dazu wird es in den nächsten Wochen weitere Gespräche geben, an denen sich auch Deutschland sehr aktiv beteiligt. Der Bundeskanzler hat, wie gesagt, auch gestern in London sehr deutlich gemacht, was die deutsche Position ist, sowohl auf dem eigentlichen Treffen als auch in der Residenz des Botschafters, als er seinen O-Ton gegeben hat. Das hat er natürlich ‑ ich habe das Telefonat mit Herrn Merz erwähnt ‑ nicht aus dem hohlen Bauch heraus getan.
Zusatzfrage
Wie erklären Sie, dass andere Länder jetzt schon sagen können, ob es zum Beispiel “boots on the ground” geben wird, aber Deutschland eben nicht?
Hebestreit (BReg)
Den Punkt, warum Deutschland an der Stelle skeptisch ist, habe ich hier mehrfach dargelegt. Dass andere das anders beurteilen, mag auch in der Tradition dieser Länder liegen. Ich darf auch immer wieder darauf verweisen, dass wir eine Parlamentsarmee haben und ein Bundestagsmandat für jeden Auslandseinsatz brauchen. Wenn er “out of area” ist, was in der Ukraine der Fall wäre, dann braucht man sogar ein völkerrechtliches Mandat. So sieht es unsere Verfassung vor. Das alles sind also hohe Anforderungen, die man prüfen muss. Man muss auch sehen, ob das der richtige Weg ist und ob man die Mittel und Wege hat, um einen solchen Schritt an der Stelle zu gehen.
Ich nehme das im Augenblick als eine Diskussion wahr, die mit allen Beteiligten sehr konstruktiv geführt wird. Es war sehr gut, dass man sich gestern in London getroffen hat, dass man das Treffen in Paris hatte und jetzt das zweite in Brüssel haben wird. Ich kann mich an keine so enge Abfolge internationaler Treffen in den letzten Jahren erinnern wie in diesem Fall. Insofern sehen Sie die Priorität, die dem eingeräumt wird.
Frage
Ich möchte zur Finanzierungsdebatte, die wir in Deutschland haben, gern das Finanzministerium fragen. Jetzt ist ein Sondervermögen für schuldenfinanzierte, deutlich höhere Verteidigungsausgaben in der Diskussion, daneben möglicherweise ein Sondervermögen für Infrastruktur.
Wie steht Ihr Haus grundsätzlich zu diesen Ideen?
Wetter (BMF)
Vielen Dank für Ihre Frage. Das sind Debatten, die im politischen Raum laufen. Dazu wollen wir uns nicht äußern.
Zusatzfrage
Die Einschätzung des Finanzministeriums ist dafür maßgeblich und wichtig. Es sind nicht nur Debatten im politischen Raum, sondern sie betreffen die Regierungsbildung und die veränderte Verteidigungslage. Ich will daher nachhaken: Hat Ihr Haus eine Haltung dazu? Plädieren Sie für die Einsetzung eines Sondervermögens?
Daran anschließend folgende Frage: Wie stehen Sie dazu, ein mögliches Sondervermögen noch mit dem alten Bundestag zu beschließen?
Wetter (BMF)
Wenn Sie mögen, kann ich mich gern zum rechtlichen Rahmen der Sondervermögen äußern. Dazu kann ich sagen: Grundsätzlich kann nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes die Regelobergrenze der Schuldenbremse im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, ausgesetzt werden. Das war bereits zum Beispiel im Fall der Coronapandemie so.
Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 15. November 2023 wurde klargestellt, dass ein sachlicher Veranlassungszusammenhang zwischen der Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenze erforderlich ist. Das bezieht sich auf die Schuldenregel. Es wurde gesagt, im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen aufgrund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Wichtig ist, dass eine solche Aussetzung der Kreditobergrenze immer nur für ein Jahr gilt.
Zum Sondervermögen: Das Sondervermögen der Bundeswehr ist schon vorhanden. Es ist in Artikel 87a Absatz 1a im Grundgesetz festgelegt. Für die Errichtung von Sondervermögen war in dem Fall eine Grundgesetzänderung mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments notwendig. Ebenso bräuchte eine Anpassung oder Gesetzänderung im Zusammenhang mit Sondervermögen jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Hebestreit (BReg)
Vielleicht kann ich ein wenig ergänzen. Wir sind eine rot-grüne Minderheitsregierung, die noch gut drei Wochen als rot-grüne Minderheitsregierung im Amt ist. Danach sind wir geschäftsführend im Amt, weil sich der neue Bundestag konstituieren soll. Ich meine, das ist für den 25. März geplant.
So lange ist auch der Bundestag noch voll beschlussfähig. Ich habe gerade eben eine Meldung des Inhalts gesehen, dass der Oppositionsführer zu einer Sondersitzung für den 10. März einladen möchte. Im Augenblick ist es Sache des Bundestages und der Fraktionen des Deutschen Bundestages, diese Fragen miteinander zu diskutieren. Das Bundesministerium der Finanzen ist dabei Dienstleister, kann also rechtlichen Beistand geben und Informationen über die Finanzlage und Ähnliches aufbringen. Das hat es auch getan. Wie ich den Bildern entnommen habe, war der Bundesminister der Finanzen bei den Sondierungen am Freitag mit dabei.
Diese Entscheidungen würden die künftige Bundesregierung massiv binden. Das könnte die jetzige Bundesregierung gar nicht tun, ohne sich mit der künftigen Bundesregierung ins Benehmen zu setzen. In dem Fall ist es sogar umgekehrt. Die Sondierenden sind diejenigen, die die Grundlagen dafür schaffen wollen, wie sie die nächste Regierung auch finanziell miteinander aufstellen wollen. Dann besteht die Möglichkeit, dass der jetzige Bundestag noch einmal zusammenkommt, um die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, ein oder mehrere Sondervermögen zu schaffen oder einen Überschreitungsbeschluss zu treffen.
Die dritte Möglichkeit wäre, eine grundsätzliche Reform der Schuldenregel zu machen. Das ist aber etwas, was die Fraktionen im Deutschen Bundestag miteinander verhandeln müssten, und an die müssten Sie dann ihre Fragen stellen.
Insofern ist das Bundesministerium der Finanzen an der Stelle dienstleistend und handlungsweisend, was rechtliche Fragen angeht, und ansonsten müssen das in diesem sehr besonderen Fall kurz vor Ende dieser Legislaturperiode die Fraktionen im Deutschen Bundestag machen.
Frage
Herr Hebestreit, ist die politische Eruption des Wochenendes Anlass für den Bundeskanzler, seine Position im Hinblick auf die Freigabe des Drei-Milliarden-Euro-Hilfspakets für die Ukraine zu revidieren, das heißt, sie jetzt doch freizugeben, ohne dass zuvor die Schuldenbremse aufgehoben wird? Das war ja zu Weihnachten die Kondition.
Hebestreit (BReg)
Kurze Antwort: Nein. Längere Antwort: Nicht die Schuldenbremse wird aufgehoben, sondern da ging es um einen Überschreitungsbeschluss, also eine Gegenfinanzierung. Das, was wir jetzt die letzten zehn Minuten besprochen haben, hat ja sowohl, was die Dimension angeht, als auch, was die Wirksamkeit angeht, eine deutlich andere Wirkung, wenn ich das so sagen darf. Insofern, glaube ich, ist das die Diskussion, die im Augenblick geführt wird. So nehme ich das auch wahr. Insofern bleibt das handlungsleitend.
Zusatzfrage
Zu den weiteren sich ändernden Bedingungen gehört, dass Trump und Putin offenbar Gespräche über die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 2 führen, wobei die USA als Zwischenhändler für russisches Gas auftreten würde, was Europa dann sozusagen von den USA und Russland in Doppelfunktion abhängig machen würde. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung von diesen Plänen und wie steht sie dazu?
Hebestreit (BReg)
Die Bundesregierung hat die Berichte, die es dazu über das Wochenende gegeben hat, erstaunt zur Kenntnis genommen, hat aber keine eigenen Erkenntnisse, die sie hier beitragen könnte.
Fischer (AA)
Wenn ich ergänzen darf: Im Bereich Gas hat sich Deutschland ja komplett von direkten russischen Importen unabhängig gemacht, und auch die Europäische Union hat ihren Import um fast zwei Drittel reduziert. Wir haben uns in der Europäischen Union mit dem RePowerEU-Programm darauf verständigt, uns von russischen Energieimporten komplett unabhängig zu machen, und diesen Weg wollen wir weitergehen.
Zusatzfrage
Bedeutet das, dass selbst wenn dann, wenn Putin und Trump Nord Stream 2 wieder in eigener Regie übernähmen, dies für die deutsche Gasversorgung keinerlei Auswirkungen hätte?
Fischer (AA)
Ich glaube, wir haben dazu gesagt, was zu sagen ist.
Hebestreit (BReg)
Ich darf vielleicht noch handlungsleitend darauf hinweisen, dass die Nord-Stream-2-Pipeline meines Wissens nicht zertifiziert ist und damit auch gar nicht genutzt werden könnte.
Frage
Ich weiß, Sie mögen keine spekulativen Fragen, aber wäre es denn möglich, diese Pipeline ohne Zustimmung der Bundesregierung in Betrieb zu nehmen?
Hebestreit (BReg)
Ich habe ja auf die Zertifizierung hingewiesen. Das läuft meines Wissens über das BMWK ‑ ich weiß nicht, welche nachgeordnete Behörde da dann zuständig ist. Das wäre, glaube ich, schon ein Faktor, der dazu beiträgt, dass man das nicht gegen den Willen der Bundesregierung auf den Weg bringen würde.
Da Sie das Thema spekulative Fragen schon angesprochen haben, möchte ich auch noch sagen: Es gibt dazu jetzt, wie ich finde, hochspekulative Zeitungsberichte. Was da dran ist, muss sich dann einmal zeigen. Deshalb würde ich das ungern damit adeln, dass wir dem ernsthaft größeren Raum einräumen.
[…]
Frage
(zu dem Gespräch des US-Präsidenten mit dem Präsidenten der Ukraine) Ich möchte einmal ein bisschen von den Bäumen weggehen und auf den Wald gucken: Gestern kam von der Außenministerin mit Blick auf das, was wir am Wochenende erlebt haben, also die Abkehr von Amerika als Schutzmacht Europas, der Begriff „Jahrhundertmoment“. Herr Fischer, Frau Baerbock meinte, dass die Welt sich gerade komplett neu sortiere und dass wir einen historischen Moment erleben. Gab es denn schon erste Kontakte vonseiten der Europäer oder vonseiten Berlins zur Arabischen Liga und zur Afrikanischen Union, weil diese neue Blöcke bzw. neue Weltmächte sein könnten?
Herr Hebestreit, können Sie uns vielleicht einmal einen Blick in den Maschinenraum geben: Wie hat der Kanzler die schockierende Szene im Oval Office am Freitag erlebt? Können Sie uns da einmal einen Einblick geben?
Fischer (AA)
Diese Verschiebung der geopolitischen Lage in der Welt, die wir wahrnehmen, hat sich ja schon seit Längerem abgezeichnet. Wir haben deshalb als Bundesregierung bereits seit Längerem an neuen, gestärkten Bündnissen mit all denen in der Welt gearbeitet, die weiter für eine regelbasierte Ordnung einstehen. Uns ist auch klar, dass uns als Europäerinnen und Europäern dabei eine wichtige Rolle zukommt.
Gleichzeitig ‑ auch das hat die Außenministerin unterstrichen ‑ bleibt das transatlantische Verhältnis wichtig, und wir werden auch weiterhin an dem transatlantischen Verhältnis festhalten. Die Außenministerin hat am Samstag auch noch einmal unterstrichen, dass das, was wir als Investition in unsere europäische Sicherheit sehen, gleichzeitig auch eine Investition in unsere transatlantische Partnerschaft ist.
Zusatzfrage
Das war jetzt aber nicht die Frage.
Fischer (AA)
Das war aber meine Antwort.
Hebestreit (BReg)
Zum Blick in den Maschinenraum: Der Bundeskanzler hat sich das angeguckt, und danach hat er mit mehreren Menschen telefoniert, unter anderem mit mir und mit Herrn Merz.
Zusatzfrage
Geben Sie uns doch einmal einen Einblick, wie da kommuniziert wurde. War der Kanzler auch so schockiert wie vielleicht der Rest der Welt?
Hebestreit (BReg)
Ich will das gar nicht weiter bewerten oder ‑ wie haben Sie das genannt? ‑ mehr Einblick geben. Ich war nicht bei ihm, als er es gesehen hat. Die Tatsache, dass er am Freitagabend mich und andere postwendend angerufen hat, zeigt, dass es ihm auf jeden Fall auffiel, dass das geschehen ist.
Frage
Ganz kurz noch einmal zurück zu den Bäumen, Herr Hebestreit: Habe ich das richtig verstanden, dass der Kanzler nach wie vor nicht erwägt, den Oppositionsführer am Donnerstag mit zum Gipfel zu nehmen?
Hebestreit (BReg)
Ja, und ich verweise auf meine Aussagen von Freitag und von Mittwoch ‑ und am Samstag habe ich, glaube ich, auch mit etwa einer Million Journalistinnen und Journalisten in Berlin dazu telefoniert. Da ich es auch Herrn Detjen gerade noch einmal erklären musste: Auch die Bundeskanzlerin a. D. hat den heutigen Bundeskanzler nirgendwohin zu einer Reise mitgenommen; vielmehr war er in seiner Funktion als Bundesminister der Finanzen dabei, und dann war er in diesem einen Gespräch. ‑ Das noch einmal zur Erinnerung, weil das ansonsten ja auch Herrn Merz kleinmacht.
Natürlich kann Herr Merz in dem Moment, wo er Bundeskanzler ist, in jedem internationalen Forum voll inhaltlich präsent sein und agieren. Es gibt da kein Regierungspraktikum, wie ich das genannt habe. Das gab es auch nicht für Frau Merkel, als sie von Herrn Schröder übernommen hat, das gab es auch nicht von Herrn Schröder, als er von Herrn Kohl übernommen hat, und auch nicht bei Herrn Kohl und Herrn Schmidt usw.
Ich verstehe das journalistische Fieber an dieser Stelle, aber es gibt nun einmal auch Institutionen. Ich habe deshalb auch darauf verwiesen, dass beispielsweise die Europäische Union eine Ansammlung von 27 Demokratien ist. Da wird also regelmäßig gewählt, und es kommt auch häufiger zu Regierungswechseln. Es gibt oft auch Regierungsbildungen, die sich über mehrere Monate hinziehen. ‑ An dieser Stelle kann ich gleich auch unsere Glückwünsche an den österreichischen Bundeskanzler, Herrn Stocker, ausrichten. Ich glaube, 150 Tage liegen zwischen der Wahl in Österreich und seiner Vereidigung heute.
Das sind also alles Phasen, die in Europa und auf internationaler Ebene üblich und gewohnt sind. Dass es in Deutschland eine eher überschaubare Anzahl von Regierungswechseln gibt, ist vielleicht die Begründung dafür, dass man da journalistisch so aufgeregt zu sein scheint. Das ist aber Tagesgeschäft, und wenn der neue Bundeskanzler, die neue Bundeskanzlerin, ein neuer Ministerpräsident oder eine neue Ministerpräsidentin auftaucht, dann werden diese freundlich begrüßt und sofort in den Kreis aller aufgenommen. Solange der Bundeskanzler noch nicht gewählt ist und noch nicht bestimmt ist und noch keine Regierung gefunden ist, wird der alte Bundeskanzler immerhin freundlich, nett und auch inhaltlich voll agierend behandelt. Das ist also Tagesgeschäft, und die Aufregung scheint mir hier größer zu sein als auf der internationalen Bühne.
Ich sage das deswegen so ausführlich, weil ich dann ab heute immer auf diesen Satz bzw. auf diese vielen Sätze verweisen kann. Allen, die sich dann noch bei mir melden, werde ich sagen: Am Montag, dem 3. März, in der Regierungspressekonferenz habe ich es noch einmal ausführlich dargelegt.
Zusammensetzung der Wirtschaftsdelegationen bei Reisen der Bundesaußenministerin
Frage
Herr Fischer, ich beziehe mich auf einen Bericht von abgeordnetenwatch.de, der aufzeigt, dass ausgerechnet das Auswärtige Amt ziemlich intransparent in Bezug darauf ist, welche Wirtschaftsdelegation, welche Unternehmensvertreter bzw. ‑vertreterinnen die Außenministerin begleiten. Warum halten Sie das bestmöglich geheim? Warum geben Sie da keine Liste heraus? Das kennen wir ja von anderen Ministerien auch, wenn die reisen.
Fischer (AA)
Das kann ich mir nicht vorstellen. Vom Prinzip her ist das Verfahren bei uns, dass in dem Moment, in dem eine Reise abgeschlossen ist und wir wissen, wer an der Reise teilgenommen hat, wir auch bekannt geben, wer daran teilgenommen hat.
Zusatz
Aber abgeordnetenwatch.de hat sich auf die gesamte Legislaturperiode bezogen und hat alle Ministerien angeschrieben, und ausgerechnet beim AA hieß es, das Ministerium schicke zwar eine Liste von Unternehmen, aus der aber nicht zitiert werden dürfe. Nicht einmal der Grund für die Geheimhaltung werde vom AA genannt. Das ist doch intransparent.
Fischer (AA)
Dem gehe ich noch einmal nach. Vom Prinzip her ist das ja keine geheime Sache. Es sind ‑ das wissen Sie ja ‑ ja auch Journalistinnen und Journalisten bei unseren Reisen dabei. Die sehen ja, wer mit ihnen im Flugzeug sitzt. Insofern müssen wir das überprüfen. Es gibt keinen Grund, wenn ich das hier so sagen kann, die Namen der Teilnehmenden geheim zu halten. Vor Reisen ist das immer ein bisschen schwierig, weil man nicht weiß, wer am Ende im Flugzeug sitzen wird, aber wenn die Reise dann stattgefunden hat, ist das eigentlich unproblematisch.
Zusatz
Darum hatte ich mich gewundert.
Fischer (AA)
Ja, zu Recht.