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Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 12.02.2025
Deutsche Beteiligung an den EU-Missionen EUBAM Rafah und EUPOL COPPS
Hebestreit (BReg)
Das Bundeskabinett hat heute die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich deutsche Stellen an zwei zivilen Missionen der Europäischen Union beteiligen können, die in den palästinensischen Gebieten ablaufen könnten. Es geht um EUBAM Rafah und EUPOL COPPS. Beide Missionen bestehen bereits.
Unsere Regierung setzt sich in Nahost für eine friedliche und nachhaltige Konfliktbeilegung ein. Sie wissen, dass wir an der Perspektive einer Zweistaatenlösung festhalten. Dazu muss eine Sicherheitsarchitektur geschaffen werden, die eine Wiedererlangung der Kontrolle des Gazastreifens durch die Hamas verhindert. Dazu sollen diese beiden Missionen beitragen.
EUBAM Rafah wurde ursprünglich im Jahr 2005 im Rahmen des Grenzabkommens zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und Israel als zivile EU-Mission eingesetzt, um eine Präsenz als neutrale dritte Partei am Grenzübergang Rafah zu gewährleisten. Mit der Ende Januar von den EU-Mitgliedstaaten beschlossenen Wiedereinsetzung der Mission leistet die EU einen konkreten Beitrag zur Umsetzung und Verstetigung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Sie ermöglicht die Öffnung des Grenzübergangs Rafah zunächst für die Ausreise von Personen sowie die Rückkehr der palästinensischen Behörde nach Gaza und trägt so zum Kapazitätsaufbau der palästinensischen Behörde und zur Vertrauensbildung bei.
Die zivile EU-Mission EUPOL COPPS mit Sitz in Ramallah unterstützt die palästinensische Autonomiebehörde beim Aufbau von Institutionen eines künftigen palästinensischen Staates im Bereich der Sicherheit und des Justizwesens. Die Mission koordiniert das internationale Engagement in diesem Bereich und berät die palästinensische Behörde im Westjordanland.
Für EUBAM Rafah wurde die Personalobergrenze von 15 auf bis zu 25 Beamtinnen und Beamten von Bundespolizei, Landespolizei und Zoll angehoben. Für EUPOL COPPS wurde die Personalobergrenze von 10 auf bis zu 15 Bundes- und Länderbeamte angehoben. In beiden Missionen kann das Tragen einer Waffe zur Selbstverteidigung und zum Schutz von Missionsmitgliedern erlaubt werden. Dabei ist klar, dass die Sicherheit der Entsandten für die Bundesregierung höchste Priorität hat. Die Sicherheitslage im Gazastreifen bleibt auch nach Inkrafttreten der Waffenruhe zum jetzigen Zeitpunkt volatil. Deshalb wird sie entsprechend der etablierten Verfahren fortlaufend bewertet. Auf dieser Grundlage wird über eine dann konkrete Entsendung von Beamtinnen und Beamten entschieden.
[…]
Frage
Sie haben schon ziemlich viel gesagt, Herr Hebestreit. Wie geht es im besten Fall weiter? Worauf hofft man? Die Voraussetzungen, die Sie heute geschaffen haben, müssen vermutlich durch den Bundestag. Ich rede von EUPOL COPPS und den zwei Missionen. Für wann ist es im besten Fall zu erwarten, dass deutsche Polizisten an diesem Grenzübergang auftauchen könnten?
Hebestreit (BReg)
Da es eine zivile Mission ist, ist es meines Wissens nicht mandatspflichtig mit Blick auf den Deutschen Bundestag, sondern mit dem Kabinettsbeschluss ist die nationale Voraussetzung dafür geschaffen, dass wir uns an einer europäischen Mission beteiligen können. Wenn die Europäische Union zu der Entscheidung kommt, diese Mission zu aktivieren und einzusetzen und auch Personen dorthin zu schicken, dann können wir noch einmal überprüfen, ob wir aufgrund der Sicherheitslage sagen: Wir beteiligen uns konkret daran. ‑ Es ist insofern erst einmal die Entscheidung, Brüssel zu signalisieren: Wir sind dabei.
Herr Fischer hat mir eben heimlich zugeflüstert, die Mission laufe schon. Insofern kann er vielleicht noch ergänzen, wenn er noch tiefer im Bilde ist, als ich es bin.
Fischer (AA)
Das kann ich tun. ‑ Zum einen ist es korrekt, es benötigt keinen Bundestagsbeschluss. Zum anderen ist es eine Mission, für deren Wiedereinsetzung sich die Außenministerin in den letzten Monaten sehr intensiv eingesetzt hat. Das Engagement hat sich auch in dem Dreiphasenplan von Biden niedergeschlagen, in dem die Wiedereinsetzung der Mission EUBAM Rafah als Bestandteil der ersten Phase des Friedensplans aufgeführt wird.
Seit dem 1. Februar ist der Grenzübergang Rafah für sechs Stunden pro Tag für die Ausreise von Schwerverletzten und deren Begleitpersonen geöffnet. Laut Europäischem Auswärtigen Dienst, der das koordiniert, erfolgten in der ersten Februarwoche bereits mehr medizinische Evakuierungen als aus ganz Gaza zwischen Mai 2024 und Beginn der Waffenruhe. Die Sicherheitslage ist fragil, entwickelt sich aber positiv. Das sind erst einmal gute Nachrichten.
Eine gute Nachricht ist auch, dass die palästinensische Behörde mit der Wiedereinsetzung der EUBAM-Rafah-Mission wieder am Grenzübergang Rafa präsent ist und dort Kontrollen durchführt. Die Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde verläuft dort reibungslos.
Das alles trägt zur Vertrauensbildung zwischen den Parteien bei, ganz konkret zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde, Israel und Ägypten. Damit leistet die EU-Mission einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens in Gaza, auch mit Blick auf eine Verstetigung der Waffenruhe.
Frage
Sie haben jetzt von einer Wiedereinsetzung von EUBAM Rafah gesprochen. Seit wann war sie ausgesetzt? Was sind die Hintergründe? Ich nehme an, das hat mit dem Krieg dort zu tun.
Fischer (AA)
Die Mission EUBAM Rafah ist schon relativ lange ausgesetzt. Sie wurde 2005 eingesetzt. Von damals stammt auch der Kabinettsbeschluss, der heute sozusagen aktualisiert worden ist. Sie wurde schon 2007 suspendiert und war in einer Art schlafenden Wartezustands. Jetzt ist sie mit dem Biden-Friedensplan und den entsprechenden Beschlüssen auf europäischer Seite wieder aktiviert worden, um den Grenzübergang zu sichern, die medizinischen Evakuierungen in dieser Phase zu ermöglichen und perspektivisch auch den Grenzübergang Rafah wieder für humanitäre Hilfe zu öffnen.
Reise der Bundesaußenministerin nach Paris und München
Fischer (AA)
Außenministerin Annalena Baerbock reist heute Nachmittag nach Paris zu einem Treffen im sogenannten Berliner Format. Sie wird in Paris zunächst an einem gemeinsamen Treffen mit den Außenministern Frankreichs, Polens, Italiens und Spaniens, sowie der Hohen Vertreterin der EU, Kaja Kallas, und dem EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius teilnehmen, um über die weitere Unterstützung der Ukraine und die Stärkung der europäischen Verteidigung zu beraten. Es handelt sich dabei um ein erweitertes Format. Auch die Außenminister der Ukraine und des Vereinigten Königreichs werden an Teilen des Treffens teilnehmen. Das Treffen schließt an die Gespräche im selben Format in Warschau im November und in Berlin im Dezember an.
In den Gesprächen wird es darum gehen, ein Zeichen der fortwährenden und dauerhaften Unterstützung für die Ukraine zu setzen. Auch die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der neuen US-Administration wird Thema der Gespräche sein. Denn allen Teilnehmenden ist klar: Europa muss jetzt noch mehr für die eigene Sicherheit und Verteidigung tun. ‑ Zudem werden die Außenministerinnen und Außenminister auch ganz konkret besprechen, wie weitere substanzielle militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe für die Ukraine mobilisiert werden kann. Die Ergebnisse des Austausches bereiten auch den Boden für die Gespräche im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz, die am Freitag beginnt.
Am Donnerstag wird die Außenministerin auf Einladung ihres französischen Außenministerkollegen an einer Konferenz zu Syrien teilnehmen. Dabei handelt es sich um ein Nachfolgetreffen zu Syrien-Konferenzen, die im Dezember im jordanischen Akaba sowie im Januar in Riad stattgefunden haben. Auf der Konferenz sind wichtige Partner Syriens und Vertreter der Staaten der Region mit Vertretern der syrischen Übergangsregierung im Gespräch. Ziel der Konferenz ist es, einen friedlichen und inklusiven Übergangsprozess nach dem Sturz des Assad-Regimes zu unterstützen und zur Stabilisierung des Landes beizutragen. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen die politische Zukunft Syriens, die Sicherheit im Land und in der Region, die Koordination internationaler Hilfe sowie Fragen der Aufarbeitung von Verbrechen des Bürgerkriegs.
Im Anschluss an die Syrien-Konferenz wird die Außenministerin nach München reisen, um dort am Freitag an der Münchner Sicherheitskonferenz teilzunehmen.
[…]
Frage
Herr Fischer, Sie hatten es schon recht ausführlich dargestellt. Aber könnten Sie noch ergänzen, was genau das Ziel der Syrien-Konferenz ist, das Sie erreichen wollen?
Fischer (AA)
Ich meine, ich hätte mich zu den Zielen tatsächlich schon geäußert. Es geht um die politische Zukunft Syriens. Es geht darum, wie die Sicherheit im Land und in der Region gewährleistet werden kann. Es geht um Fragen der Koordinierung der internationalen Hilfe für Syrien und auch um das Thema der Aufarbeitung der Verbrechen des Bürgerkriegs. Das übergreifende Thema ist natürlich die Frage, wie wir als internationale Gemeinschaft einen friedlichen und inklusiven Übergangsprozess nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien unterstützen können. Der Unterschied zu den vorangegangenen Konferenzen in Akaba und Riad ist der, dass dieses Mal auch Vertreter der syrischen Übergangsregierung teilnehmen.
Arbeitsweise des Auswärtigen Amtes im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahl
Frage
Vielleicht darf ich das Thema für eine Lernfrage ein klein wenig ausweiten. Herr Fischer, wie arbeitet eigentlich das Auswärtige Amt in einer Zeit, in der absehbar ist, dass demnächst möglicherweise ein anderer Minister oder eine andere Ministerin, vielleicht auch ein anderer politischer Kurs im Hinblick auf Syrien und andere Konfliktgebiete vorgegeben wird? Ist das sozusagen eine “lame-duck”-Situation, in der sozusagen nur noch Tagesgeschäft bearbeitet und vorbereitet wird, oder tun Sie im Inneren so, als gebe es solch einen wahrscheinlichen politischen Wechsel gar nicht?
Fischer (AA)
Das Schöne an den Wahlen ist, dass die Wählerinnen und Wähler entscheiden und nicht wir. Für uns ist die Situation genauso wie für die anderen Ministerien. Wir sind eine voll handlungs- und geschäftsfähige Regierung, und in diesem Sinne agieren wir auch auf internationaler Ebene.
Hebestreit (BReg)
Vielleicht kann ich das auch für die anderen ergänzend sagen. Sie hatten ja eine Lernfrage angekündigt.
Am 23. Februar sind Wahlen. An diese Wahlen wird sich ein Regierungsbildungsprozess anschließen. Das wird seine Zeit dauern. Trotzdem ist der Staat natürlich voll handlungsfähig. Die jetzige Regierung ist auf alle Fälle auch nach Konstituierung des Deutschen Bundestages geschäftsführend im Amt, hat volle Handlungsfähigkeit und handelt auch weiterhin. Das gilt genauso für die vielen Beamtinnen und Beamten, ob das nun im Auswärtigen Amt, im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, im Finanzministerium oder im Kanzleramt ist. Das sind staatliche Stellen, die sind nicht parteipolitisch gebrandet.
Wenn sich irgendwann eine neue Regierung herausgebildet hat, gibt es, bevor sie in Amt und Würden ist, ein gutes Maß an Zusammenarbeit, damit es zu einem ordentlichen Übergang kommt. Das haben wir erlebt, als die heutige Bundesregierung 2021 ins Amt gekommen ist, und so wird sich das auch künftig zeigen. Es gibt da keine Lücke, in der die Beamtinnen und Beamten, die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, die Ministerinnen und Minister oder auch der Bundeskanzler nicht agieren können.
Zusatzfrage
Das ist, wenn ich es so sagen darf, eine halbe Antwort. ‑ Die Lebenserfahrung in der politischen Beobachtung sagt ja, dass es vor Wahlen und möglichen politischen Richtungsänderungen prinzipiell zwei mögliche Strategien gibt, wie Apparate und Ministerien arbeiten. Die eine Strategie ist, zu sagen: Wir treffen keine Entscheidung ‑ ‑ ‑
Vorsitzende Buschow
Ich habe eine wahnsinnig lange Liste an Fragen und Themen und würde Sie um eine kurze Lernfrage bitten.
Zusatzfrage
Ich versuche, es kurz zu machen. ‑ Man kann so entscheiden, dass einer möglichen neuen Regierung nichts vorweggenommen wird, und man kann auch so entscheiden, dass man sagt: Denen setzen wir jetzt aber mal etwas vor, das sie dann bestimmen wird. Was von beiden gilt?
Hebestreit (BReg)
Beides nicht.
Zusatzfrage
Sondern?
Fischer (AA)
Sie hatten ja ganz konkret zu Syrien gefragt. Ich glaube, die Syrien-Politik der Bundesregierung trifft auf große Unterstützung bei allen Parteien im Bundestag. Ich glaube, es versteht sich von selbst, dass wir unser Bestes tun, dazu beizutragen, dass in dem Land ein friedlicher Übergang gelingt und ein besseres Leben für die Menschen in Syrien ermöglicht wird.
Hebestreit (BReg)
Ich möchte noch allgemein sagen, dass es ein hohes Maß an Übereinstimmung und auch Kontinuität in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gibt, und das unabhängig von möglichen Veränderungen an der Staatsspitze in den letzten 40 Jahren, die ich sehr genau überblicke ‑ bei Ihnen sind es vielleicht sogar 45.
Fischer (AA)
Und Deutschland wird ein verlässlicher Partner bleiben.
Möglicher Bau eines Biosicherheitslabors der US-Armee in Rheinland-Pfalz
Frage
Meine Frage fällt vermutlich in den Verantwortungsbereich des Bauministeriums: Die US-Armee baut derzeit laut der verantwortlichen Baufirma HT Group im Pfälzischen Weilerbach ein Biosicherheitslabor der Schutzstufe 3 auf. In dem Labor sollen hochinfektiöse Erreger oder Substanzen der Risikogruppe 3 untersucht werden. Darunter fallen unter anderem Coronavirus, Vogelgrippe, Hantavirus oder Denguevirus. Mich würde dazu der Wissensstand der Bundesregierung interessieren: Kann die Bundesregierung bestätigen, dass die USA in Deutschland ein Biosicherheitslabor für Erreger der Risikogruppe 3 errichten? Ich denke einmal, das fällt in die Verantwortungsbereiche des Bauministeriums und des Gesundheitsministerium.
Steffen (BMWSB)
Ich weiß, dass es in Rheinland-Pfalz eine Kooperation gibt, was ein Militärkrankenhaus der USA anbetrifft, aber zu dem, was Sie sagen, liegen mir keine Kenntnisse vor.
Zusatzfrage
Das besagte Biolabor der Schutzstufe 3 soll im Rahmen dieses Krankenhausbaus errichtet werden. ‑ Dann vielleicht noch eine grundsätzliche Verständnisfrage: Die Baufirma und die US-Amerikaner haben das ja schon bestätigt, deswegen gehe ich einmal davon aus, dass das so ist. Wurde die Bundesregierung um Erlaubnis gebeten? Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, ein US-Biolabor auf deutschem Boden zu kontrollieren? Wie gesagt, dort würden Substanzen der Risikogruppe 3 untersucht werden; wenn es da zu Unfällen käme etc., wäre das ja nicht unbedeutend. Deswegen die Frage: Gab es eine Anfrage dazu, und welche Kontrollmöglichkeiten hat die Bundesregierung?
Vorsitzende Buschow
An welches Ministerium richten Sie die Frage?
Zusatz
An das Ministerium, das für die Bewilligung eines US-Biolabors in Deutschland zuständig wäre.
Vorsitzende Buschow
Das bislang von hier vorn noch nicht bestätigt wurde. ‑ Wer kann darauf antworten?
Steffen (BMWSB)
Im Baugesetzbuch ist das nicht geregelt.
Zusatzfrage
Das Auswärtige Amt vielleicht?
Fischer (AA)
Ich habe dem derzeit nichts hinzuzufügen.
Vorsitzende Buschow
Dann, fürchte ich, muss die Frage unbeantwortet bleiben.
Zusatz
Aber der Regierungssprecher kann doch sicherlich sagen, wer im Fall von Biolaboren aus US-Provenance in Deutschland etwas zu sagen hat? Ich würde jedenfalls denken, dass das in den Wissensbereich des Regierungssprechers fällt.
Hebestreit (BReg)
Bei aller Freude über die Allzuständigkeit und auch die Allwissenheit, die Sie mir zuschreiben: Ich bin kein Journalist, insofern muss ich mich immer erst schlau machen, bevor ich Dinge behaupte.
Zuruf
(akustisch unverständlich)
Hebestreit (BReg)
Behaupte!
Nahostkonflikt
Frage Jessen
Die Frage geht an das Auswärtige Amt zur Situation in Gaza. Die Hamas hat angekündigt, die für Sonnabend vorgesehene Geiselrückgabe nicht zu tätigen. Damit steht sozusagen der Beginn der zweiten Phase der Waffenruhe auf dem Prüfstand oder auf der Kippe. Wie beurteilt das Auswärtige Amt die Situation?
Fischer (AA)
Vielleicht zunächst einmal: Wir haben alle mit Erleichterung gesehen, dass die letzte Geiselfreilassung am Wochenende funktioniert hat und unter den drei freigelassenen Geiseln auch ein Mann mit Deutschlandbezug war.
Umso unverantwortlicher und besorgniserregender ist die Ankündigung der Hamas, die vorgesehene Freilassung weiterer Geiseln auszusetzen. Gleichzeitig sind wir besorgt über die zunehmenden Spannungen in und um Gaza herum. Wir sehen ja auch, dass auf der israelischen Grenze zu Gaza militärische Vorbereitungen dafür getroffen werden, gegebenenfalls die Kämpfe wieder aufzunehmen. Nicht zuletzt deswegen hat sich die Ministerin gestern auch öffentlich geäußert und erklärt, dass das Abkommen an einem seidenen Faden hängt. Aus unserer Sicht muss alles getan werden, um die Vereinbarung jetzt wieder zu stabilisieren, damit am Wochenende die nächsten drei Geiseln aus den Händen der Hamas freigelassen werden, der Waffenstillstand aufrechterhalten bleibt und auch die humanitäre Hilfe weiter in den Gazastreifen kommen kann.
Denn dieser Waffenstillstand ist ein großer Erfolg, und wir müssen ihn stabilisieren, auch um zu einer langfristigen Lösung zu kommen. Sie sehen, dass von verschiedenen Seiten daran gearbeitet wird. Wir beteiligen uns. Es ist die Rede von einem arabischen Friedensplan. Das Thema wird auch jetzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rolle spielen.
All das infrage zu stellen, das wäre, wie gesagt, unverantwortlich ‑ deshalb unser Appell, unsere Aufforderung an die Hamas, sich an die Vereinbarung des Waffenstillstandsabkommens zu halten und an der für Samstag geplanten Freilassung der nächsten drei israelischen Geiseln festzuhalten. Sie wissen: Das liegt auch in unserem nationalen Interesse, weil unter den festgehaltenen Geiseln auch Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit sind.
Zusatzfrage
Ägypten als eine der vermittelnden Nationen auf arabischer Seite kritisiert, dass Israel, das in der vergangenen Woche mit den Verhandlungen über Phase zwei der Waffenruhe hätte beginnen sollen, diese Verhandlungen bislang nicht begonnen hat. Entspricht das Ihrem Kenntnisstand? Mit diesem Nichteintritt in Verhandlungen über Phase zwei argumentiert ja auch die Hamas. Entspricht das Ihrem Kenntnisstand? Was erwartet die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, von Israel?
Fischer (AA)
Zunächst einmal erwarten wir von der Hamas, dass sie die drei Geiseln, die sie weiterhin in ihren Händen hält, am Samstag freilässt. Gleichzeitig hat es Gespräche über die Phase zwei gegeben. Sie wissen, dass eine israelische Delegation in Katar war. Wir flankieren diese Gespräche und appellieren an alle Seiten, mit Hochdruck daran zu arbeiten, diese Chance auf eine Verstetigung des Waffenstillstands nicht zu verspielen. Denn es geht hier weiter um das Schicksal von mehreren Dutzend Geiseln, die die Hamas seit dem 7. Oktober 2023 festhält. Gleichzeitig geht es darum, dass die palästinensische Zivilbevölkerung ausreichend versorgt werden kann und eine Existenz- und Lebensgrundlage hat. Natürlich geht es auch darum, wie wir dann auf der Grundlage eines verstetigten Waffenstillstands, also des Übertritts in Phase zwei, in den Wiederaufbau einsteigen und letztlich eine Lösung finden können, bei der Israelis und gleichzeitig Palästinenser in Sicherheit leben können. Denn Sie wissen es: Ohne dass Palästinenser in Sicherheit leben, wird es keine Sicherheit für Israel geben, und ohne dass Israel in Sicherheit lebt, wird es auch keine Sicherheit in den palästinensischen Gebieten geben.
Zusatzfrage
Eine kurze Verständnisfrage in derselben Richtung: Sie haben jetzt sehr einseitig die Hamas verurteilt. Aber die Hamas hat neben dem, was der Kollege erwähnt hat, auch gesagt, dass unter anderem ein weiterer Verstoß von israelischer Seite darin liegt, dass große Gütermengen an vereinbarten humanitären Gütern, unter anderem Hunderte von Notunterkünften bzw. Notzelten, nicht geliefert werden. Zumindest ein kürzlich erschienener „New York Times“-Artikel hat das in der Form bestätigt, die klassischen anonymen “high officials” im Washingtoner Umkreis, die sozusagen die Hamas-Version bestätigt haben. Da würde mich auch interessieren: Wie ist denn da der Wissensstand der Bundesregierung? Wie bewertet Sie dieses Zurückhalten von elementaren humanitären Gütern durch Israel?
Fischer (AA)
Dazu sind mehrere Dinge zu sagen. Das eine ist, dass wir gesehen haben, dass die Geiselfreilassung am Samstag funktioniert hat. Daraufhin hat Israel auch einen weiteren Schritt der vereinbarten Waffenruhe umgesetzt und sich aus dem Netzarim-Korridor zurückgezogen, womit dann auch Hilfslieferungen in den Norden Gazas wieder möglich werden oder besser möglich werden. Gleichzeitig kommt mehr humanitäre Hilfe nach Gaza herein als in den letzten Monaten. Mittlerweile wird sozusagen auch das Ziel von 600 Lkw pro Tag übertroffen. Die Versorgungslage verbessert sich.
Ja, es gibt Probleme bei einzelnen Kategorien von, wie Israel es nennen würde, Dual-Use-Gütern. Daran, dass die auch wieder hereinkommen, arbeiten wir als internationale Gemeinschaft. Aber gleichzeitig muss man sich ja die Frage stellen: Ist es das wert, diesen Waffenstillstand in Gefahr geraten zu lassen und die Geiseln weiter unter unmenschlichen Bedingungen festzuhalten, während alle darauf hinarbeiten, dass die Vereinbarungen aus der Waffenstillstandsvereinbarung von beiden Seiten eingehalten werden?
Zusatz
Gut, aber die Frage ist ja tatsächlich, wer hier vertragsbrüchig geworden ist. Im Gegensatz zur aktuellen Darstellung von Ihnen oder durch das AA sieht man das selbst in den USA anders und zeigt mit dem Finger eher auf Israel als auf die Hamas. Da wäre eine Klarstellung von Ihnen ja schon noch ganz sinnvoll oder zielführend.
Fischer (AA)
Sie sprechen von irgendwelchen Quellen, die ohne Namen in irgendwelchen Zeitungen auftauchen. Ich habe die Äußerungen zum Beispiel des amerikanischen Präsidenten Trump anders in Erinnerung, als Sie jetzt die amerikanische Haltung wiedergeben. Ich glaube, was die amerikanische Haltung ist, entspricht wahrscheinlich eher dem, was der amerikanische Präsident zum Ausdruck bringt, der nämlich die Hamas verantwortlich gemacht hat.
Gleichzeitig ist es ja so, dass ich gesagt habe, dass es Herausforderungen bei der Lieferung von Dual-Use-Gütern gibt, und diese müssen behoben werden. Diese Dual-Use-Güter ‑ in diesem Fall Unterkünfte ‑ sollen aus unserer Sicht so schnell wie möglich nach Gaza hereinkommen. Gleichzeitig ist es aber so, dass momentan mehr als 600 Lkw voll humanitärer Hilfe jeden Tag nach Gaza gehen und sich die dramatisch schlechte Versorgungslage der Menschen dort seit dem Beginn des Waffenstillstands deutlichst zum Besseren gewendet hat. Diese Fortschritte, die es ja zweifellos gibt, sollte niemand aufs Spiegel setzen.