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Grußwort von Staatsministerin Michelle Müntefering bei der SPD-Wissenschaftskonferenz

10.11.2020 - Rede

Es gibt Bücher, in denen gerinnt das Gefühl einer ganzen Generation zu wenigen Worten. Das „Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama ist so ein Buch. Es beschreibt den Optimismus der 1990er Jahre.

Man glaubte sich in einer Welt, die sich immer weiter zu demokratisieren scheint. Vernunft und Fortschritt haben scheinbar gesiegt.

Heute ist das Ende der Geschichte selbst Geschichte. Die regelbasierte internationale Ordnung steht unter Druck wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Und auch wenn das Jahresende nun vielen Hoffnung macht: auch unter Joe Biden werden nicht die alten Zeiten zurückkehren.

Auch der Trumpismus wird nicht einfach so verschwinden.

Für die deutsche und die europäische Politik heißt die größte Herausforderung aber auch deswegen: die Zukunft des Multilateralismus. Einfacher ausgedrückt: Gewinnt die Kooperation oder der Egoismus?

Für mich ist ganz klar, in dieser Welt gewinnt die dritte Säule der Außenpolitik, neben der klassischen Diplomatie und den Wirtschaftsbeziehungen, massiv an Bedeutung.

Die internationale Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die Politik der Gesellschaften, sie brauchen wir an unserer Seite, wenn Vernunft und Demokratie sich dauerhaft durchsetzen sollen.

Wir müssen das Netz des Austauschs so eng knüpfen, dass es auch dann hält, wenn Autokraten daran reißen.

Deshalb haben wir im Auswärtigen Amt in dieser Legislaturperiode einen Strategieprozess gestartet, um unsere AKBP neu auszurichten.

Die Überschrift muss lauten: planetares Denken für globales Handeln. Wir wollen eine Weltgesellschaftspolitik entwickeln, einen „Multilateralismus der Zivilgesellschaften“ im 21. Jh.

Wissenschaftsaustausch ist dabei ein zentraler, vielleicht sogar der zentrale Pfeiler.

Denn Wissenschaft steht genau dafür: Kooperation über Grenzen hinweg, Austausch, Netzwerke, Offenheit, für den Willen, Herausforderungen wie Klimawandel gemeinsam anzupacken.

Bis zum Ende der Legislaturperiode müssen wir hier konkrete Ergebnisse haben.

Mir geht es darum, heute mit Euch und Ihnen den Blick über den Tellerrand hinaus zu richten.

Mit dem Wandel hin zur Science Diplomacy wollen wir die Außenwissenschaftspolitik zu Wissenschaftsdiplomatie weiter entwickeln. Und das ist nicht einfach alter Wein in neuen Schläuchen.

Es ist ein echter Paradigmenwechsel. In einem Satz zusammengefasst:

Der Fokus geht weg vom Blick auf uns selbst hin zum Blick auf die Welt.

Es geht nicht mehr allein darum, den Studienstandort Deutschland im Ausland zu bewerben.

Es geht darum, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran mitwirken können, die globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu meistern.

In einem Bild gesprochen: wir wollen weg vom Staubsauger, der Talente nach Deutschland zieht, die dann auch in ihren Herkunftsländern fehlen, hin zu einem Ventilator, der den weltweiten Strom von Ideen und Konzepten beständig am Laufen hält.

Das Lebenselixier von Wissenschaft ist der Zweifel. Einer ihrer zentralen Instrumente ist die Falsifikation. Wissenschaft ist kritisch.

Deshalb ist es klar, dass Autokraten häufig ein Problem mit Wissenschaft haben. Sie akzeptieren es nicht, dass die Wahrheit sich nicht nach ihren politischen Wünschen richtet.

Sie halten sich lieber an die Vogelstraußtaktik. Die Wälder brennen? Die Arktis schmilzt? Lieber abtauchen und nicht hinschauen.

Wissenschaft funktioniert aber so nicht. Deswegen ist Wissenschaft auch das beste Mittel gegen Desinformation und Lüge. Wahrheit ist kein Kaugummi, das sich ewig dehnen lässt.

Der Klimawandel ist eben eine Tatsache und keine Meinung. So sehr das Politiker wie Donald Trump und Jair Bolsonaro auch leugnen mögen.

Es ist deshalb kein Zufall, dass die Wissenschaftsfreiheit an vielen Orten auf der Welt bedroht ist. Die Medien und die Wissenschaft sind häufig das erste Opfer des autoritären Ungeistes.

Deshalb haben wir die Philipp-Schwartz-Initiative ins Leben gerufen. Mit diesem Programm ermöglichen wir es bedrohten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ihre wissenschaftliche Arbeit in Deutschland fortzuführen, wenn sie in ihrem eigenen Land nicht mehr frei forschen können.

Als ich einige geflohene Wissenschaftler an der Ruhr-Uni in Bochum getroffen habe, war mir sofort klar: Diese Menschen sind auch eine Bereicherung. Sie bringen so vieles mit.

Programme wie diese werden in Zukunft noch wichtiger. Deshalb sollten wir sie perspektivisch weiter ausbauen.

Außerdem haben wir mit der Deutschen Akademischen Flüchtlingsinitiative ein Programm aufgelegt, mit dem wir Geflüchteten mit Stipendien Zukunftsperspektiven bieten. Das ist nicht nur Investition in Köpfe, in Bindung an Deutschland, es ist auch Teil von Konfliktlösung.

Zweitens, wir stehen vor globalen Herausforderungen. Deswegen wollen wir unsere Wissenschaftsdiplomatie konsequent an den Zielen der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ausrichten.

Ein schönes Beispiel, wie AKBP einen Beitrag zu der Erreichung der Agenda 2030 beitragen kann, ist das Anthropozän-Projekt, das das HKW zusammen mit Max-Planck in Mississippi im Rahmen des Deutschlandjahrs in den USA durchgeführt haben.

WissenschaftlerInnen, und KüstlerInnen haben in und am Mississippi Delta Stationen aufgebaut, in denen sie ihre Arbeiten verknüpften und dadurch sichtbar machten, wie sehr der Mensch das Ökosystem verändert.

Wir brauchen diesen Austausch noch viel mehr und bauen dazu europäische Wissenschaftsnetzwerke auf, in denen sich ExpertInnen für Fragen wie dem Klimaschutz oder die Bekämpfung globaler Ungleichheit einsetzen. Wir planen bereits acht neue Globale DAAD-Zentren und Humboldt-Forschungshubs zu Klima- und Gesundheitsforschung.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich erlebe junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt als eine gut ausgebildete Generation, die wir aber noch stärker miteinander ins Gespräch bringen müssen, auch zu gesellschaftlichen Fragen, wie es etwa die Alexander-von-Humboldt-Stiftung macht.

Klar, wenn man den Nobelpreis haben will, bleibt für Jusos wenig Zeit. Verstehe ich.

Aber klar ist auch: wir können auf diese klugen Köpfe nicht verzichten, wenn wir drüber diskutieren, wie wir morgen leben wollen.

Und: Wenn wir zum Beispiel in den Vereinten Nationen über Nachhaltigkeit sprechen, gehört die Wissenschaft an den Tisch!

Was mir außerdem wichtig ist: Als AA fördern wir die Zusammenarbeit mit Afrika gezielt über den DAAD mit Fachzentren und das Masterstudienprogramm Leadership for Africa.

Sehr geehrte Damen und Herren,
die aktuelle Situation ist gerade für den Wissenschaftsaustausch eine besondere Herausforderung. Weil es bei der Bewältigung von Corona auf die Wissenschaft besonders ankommt. Und weil Wissenschaft in besonderer Weise auf den Austausch angewiesen ist, der durch die Pandemie gerade stark erschwert wird. Deshalb haben wir mit einem Hilfsfonds für unsere Partner reagiert.

Und: Die Kolleginnen und Kollegen im Amt tun außerdem alles, um Studierende und WissenschaftlerInnen in dieser schwierigen Situation zu unterstützen. Also auch die ausländischen Studierenden in Deutschland. Das ist wichtig. Weder Integration noch Studienerfolg darf in Deutschland durch Corona gefährdet werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Sound der 90er Jahre ist verklungen. Es hat sich gezeigt: Das Ende der Geschichte war nur ein ziemlich kurzes Kapitel. Das Buch unserer Generation ist noch nicht geschrieben.

Mehrere Titel stehen zur Auswahl. Einer lautet: „Time to get tough“. Er stammt von Donald Trump. Ein anderer heißt: „Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität“. Er stammt von Amartaya Sen, dem diesjährigen Preisträger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Und ich finde, so könnte auch ein Seminar-Titel der Friedrich-Ebert Stiftung lauten.

Es liegt an uns, welches Buch im Papierkorb der Geschichte landet. Eins aber ist klar: Wenn Gerechtigkeit und Solidarität die Lettern unseres Jahrhunderts werden sollen, dann brauchen wir den Austausch an Wissen und Ideen mehr denn je.

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