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„Starke Frauen, starke Gesellschaften“ - Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering in der Veranstaltung zum Weltfrauentag 2020 im Auswärtigen Amt

03.03.2020 - Rede

Ich möchte Ihnen eine Geschichte von einem meiner Patenkinder erzählen. Sie war gerade acht Jahre alt, als ihre Mutter sie in Madrid durch eines der großen Museen schleppte. Am Ende fragte sie, wie es ihr denn gefallen hätte. Und das kleine Mädchen sagte: „Gut. Aber gab es denn keine Frauen, die gemalt haben?“

Ich finde bemerkenswert, dass dem Kind aufgefallen ist, dass etwas nicht stimmt.

Die Repräsentanz von Frauen in der Öffentlichkeit war und ist auch heute noch eine Katastrophe. Ja. Es wird besser. Aber der Fortschritt ist eine sehr langsame Schnecke. Und manchmal schleicht sie auch noch rückwärts.

Sicher, es hat in den letzten hundert Jahren viele engagierte Frauen gegeben, die sich für Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt haben. Marie Juchacz, die erste Frau, die im deutschen Parlament gesprochen hat, hängt auf einem Plakat - übergroß- in meinem Büro hier im Auswärtigen Amt.

Heute steht auch nicht mehr im Lexikon, wie vor 150 Jahren, dass Frauen „fühlende“, und Männer „denkende“ Wesen sind. Aber was die Klischees betrifft, sind wir noch nicht so viel weiter - um das zu erkennen braucht es nicht mal Altherrenwitze über das letzte Sturmtief.

Nancy Pelosi hat es in München so treffend gesagt: “We’re standing on the shoulders of Giants.”

Ich denke an all die Frauen, die gerade auch international vorangegangen sind: Michelle Bachelet, Margot Wallström, Phumzile Mlambo-Ngcuka, Leymah Gbowee und viele andere.

Doch nicht nur mit Blick auf mein Patenkind sehe ich auch die immensen Chancen einer neuen, oft jungen Generation von Frauen, die sich engagieren, die Verantwortung wahrnehmen. Auch hier im Auswärtigen Amt, liebe Frau Böhm. Frauen, die nicht getragen werden müssen, sondern die den Weg selbstständig weitergehen. Gestern Abend war ich auch bei den jungen Frauen vom CFFP, das uns gute Impulse für unsere Arbeit liefert.

Frauen zu stärken - dafür brauchen wir Vertrauen mit- und Solidarität zueinander.

Sonst kommen wir auch in die Hölle. Das wissen wir spätestens seit Madeleine Albright.

Liebe Frauen,

der Frauentag am Sonntag findet unter dem Motto “Each for equal” statt. Jeder für Gerechtigkeit. Ich finde gut, dass dieser Aufruf ein inklusiver ist. Alle mit einbezieht.

Vernunft hat kein Geschlecht. Die fortschrittlichen Männer werden gebraucht.

Und in der Tat: Es tut sich was. Immerhin wurde das Thema “Women, Peace and Security” auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz das erste Mal ins Hauptprogramm genommen.

Ich meine: Man merkt die zunehmende Bedeutung feministischer Politik auch daran, dass sich plötzlich auch vermehrt Männer dafür interessieren. Davon wollen wir sie nicht abhalten - im Gegenteil: Es geht heute längst darum, etwas längst erkanntes, erforschtes endlich auch zu verändern. Es geht weniger um Erkenntnis. Viel mehr um Umsetzung.

Gleichberechtigung findet nur statt, wenn sie in der ganzen Gesellschaft ankommt. Dazu gehört auch, dass wir Gerechtigkeitslücken gesetzlich schließen: Equal Pay muss eine Selbstverständlichkeit sein. Und wir dürfen es Unternehmen nicht durchgehen lassen, dass sie dreist sagen: Wir planen gar nicht, dass jemals eine Frau in unseren Vorstand kommt. Hier geht es um nichts weniger als die Verteilung von Macht.

Und die müssen Frauen ebenso selbstverständlich ausüben können wie Männer.

Es ist gut, dass Franziska Giffey und Christine Lambrecht gesetzliche Bestimmungen für mehr weibliche Vorstände in großen Unternehmen fordern. Und: Es ist ja wohl nicht zu viel verlangt, wenn in Vorständen zumindest eine Frau sitzen soll. Das ist die Absicht. Es geht nicht einmal um eine Quote, sondern um eine Mindestbesetzung. Dass es bei einem so moderaten Vorschlag so viel Gegenwind gibt, finde ich ziemlich bezeichnend.

Doch auch die Wahrnehmung von Frauen - auf allen Ebenen - muss sich endlich verändern. Dafür müssen aber alle auch einen spezifischen Blick dafür entwickeln, in welche Rollen Frauen immer noch gesteckt werden - und was ihre eigentlichen Bedürfnisse sind.

In der Gesellschaft sieht es noch viel zu oft so aus - ein Beispiel: Im Krankenhaus auf Station ein Mann, eine Frau. Beide tragen einen weißen Kittel. Raten Sie mal, wie die Patienten die beiden wohl ansprechen? Klar - die Frau ist die „Schwester“. Der Mann automatisch der „Herr Doktor.“

Das hängt auch damit zusammen, dass wir diese Zusammenhänge immer noch unterstellen: laut Harvard Assoziationstest verknüpfen zwei Drittel Karriere mit Männlichkeit. Was mir Hoffnung macht: Mein Patenkind wäre nicht darauf reingefallen.

Klar, wir sind hier nicht im Krankenhaus, sondern im Auswärtigen Amt. Doch gerade auch Diplomatinnen und Diplomaten müssen sensibel sein. Auch füreinander. Der Umgang mit Frauen in der Öffentlichkeit ist immer wieder und an vielen Stellen unmöglich. Es gibt unzählige Beispiele.

Ein kleines, persönliches Erlebnis dazu: Die Überschrift in einem bekannten deutschen Magazin zu einem Portrait über mich: „Pin Up für Genossen“.

Natürlich hat all das Auswirkungen. Lohnunterschiede, wenig Repräsentanz - wir kennen das alles.

Es wird Zeit, das zu ändern. Die Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee, die ich treffen konnte, hat einmal gesagt:

„Man kann keine bleibenden Fußspuren hinterlassen, wenn man immer auf Zehenspitzen geht.“ Sie hat Recht. Die Zeit bloßer Appelle ist vorbei.

Frauenrechte sind eine der drängendsten politischen Fragen unserer Zeit. Auf der ganzen Welt. Das hat Außenminister Heiko Maas heute Morgen gesagt.

Das stimmt: Auch deswegen, weil Frauenrechte eine grundlegende Frage der Demokratie sind.

Gerade da, wo es um Macht, Repräsentanz und Einfluss geht, sind die Zahlen deutlich. Die sind nicht gut: die Außenpolitik braucht dringend mehr starke Frauen.

Wenn wir bei unserem internationalen Engagement glaubwürdig sein wollen, müssen wir auch bei uns für mehr Geschlechtergerechtigkeit sorgen. Wir haben es vorhin gehört: wir haben gerade einmal die zweite Staatssekretärin in 150 Jahren Geschichte. Und die Bildergalerie auf Staatsminister-Ebene könnte auch ein paar mehr weibliche Gesichter vertragen.

Gut, dass sich der Anteil der Leiterinnen unserer Auslandsvertretungen erhöht hat, auf Abteilungsleiterebene in der Zentrale haben wir inzwischen auf ein Drittel.

Und: Gut, dass wir seit nun fast zwei Jahren einen Frauenverein im AA haben, dessen Schirmherrin ich sein darf.

Richtige Richtung. Aber weitere Ideen zum Vorankommen, meine ich, sind willkommen: Warum sollte die paritätische Leitung der Staatssekretäre künftig nicht zur Regel werden?

Warum sollten wir nicht erfolgreiche Modelle anderer Staaten übernehmen?

Ich meine: Das Auswärtige Amt braucht eine Feministische Agenda mit konkreten Vorhaben. Der Bericht, der heute vorgestellt wird, ist da ein echter Fortschritt und eine gute Grundlage.

Denn: International müssen wir jetzt das Erreichte verteidigen. Es ist kein Wunder, dass gerade die Rechten den feministischen Diskurs besonders angreifen und seine Mitstreiterinnen zu diskreditieren versuchen. Im Bundestag kann man es inzwischen regelmäßig erleben.

Ich merke es fast jeden Tag in meinen Gesprächen und wir sehen es bei den Verhandlungen, im Menschenrechtsrat, der VN-Generalversammlung.

Im Jahr 2000 - ich hatte gerade mein Abitur in der Tasche - wurde die Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“, einstimmig im Sicherheitsrat beschlossen.

15 Ja-Stimmen, keine einzige Enthaltung. Ich habe meine großen Zweifel, ob uns das heute noch einmal gelingen würde. Denn die Gegner der Gleichberechtigung sind auf dem Vormarsch.

Dabei geht Gleichberechtigung weit über die Frage der Menschenrechte hinaus.

Wir arbeiten weiter. Dafür haben wir in diesem Jahr genug Gelegenheit. Wir wollen vorankommen.

Bärbel Kofler hat heute Morgen von ihren Erfahrungen mit Frauenorganisationen berichtet. Lassen Sie mich auch kurz von einer Begebenheit erzählen, von einer Reise in der letzten Woche nach Kenia.

Wir kamen mit einem großen Tross um den Bundespräsidenten im Norden von Kenia an, in ein Flüchtlingscamp. Zwei Frauen kochten an großen Töpfen das Essen. Fünf Töpfe braucht es am Tag, erzählten die Frauen den mitreisenden Journalisten.

Alle staunten und machten Bilder. Niemandem fiel das offensichtliche auf: Die Frauen kochten über offenem Feuer. Ein Umstand, der jährlich hunderttausende Frauen alleine in Subsahara Afrika das Leben kostet. Das zeigt doch, wie wenig gendergerecht wir auf die Dinge schauen.

Ich meine, alle Camps, die durch die Organisationen der internationalen Gemeinschaft oder Hilfsorganisationen gefördert werden, sollten Standards hierfür haben. Denn das ist es, was Umsetzung ganz konkret heißt.

Auch deswegen ist die Zivilgesellschaft so wichtig: Zum Beispiel auch die Kirchen. Gerade wenn es um den Dialog der Frauenrechte, um Familienplanung etwa, geht. Es ist gut, dass wir auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft einen Schwerpunkt unserer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat legen.

Und wir werden sie weiter einbeziehen, insbesondere die Frauenorganisationen, auch wenn die Frauenrechtskonvention in New York leider für viele ausfallen muss.

Meine Damen (und Herren),

Fortschritt ist nicht selbstverständlich. Aber er kann gelingen. Ich glaube an Fortschritt durch Widerspruch!

Dafür brauchen wir Engagierte. Auf allen Ebenen, in der Zivilgesellschaft und im Haus - von den Referaten bis in die Leitung. Demokratie braucht Demokraten. Das war und bleibt richtig.

Umso mehr ist dies heute auch ein Tag, all den Kolleginnen und Kollegen zu danken, die Stunden, Tage, nächtelang in unserem Sinne verhandeln. Die uns als Politikerinnen ausrüsten mit guten Gedanken und fachlichen Informationen. Das ist viel wert.

Ich schaue hier jetzt die Abteilung OR an.

Ich meine das aber auch mit Blick auf das Auswärtige Amt insgesamt.

Um die Kultur des Widerspruchs bemühe ich mich auch künftig stets nach Kräften.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Geschichte kennt keinen Automatismus. Wir selbst entscheiden, wie diese Welt sich entwickelt.

20 Jahre nach Verabschiedung der Resolution 1325 sollte klar sein: Feministische Außenpolitik ist Friedenspolitik.

Feminism is making the world a better place.

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