Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering anlässlich der Übergabe der UNESCO-Urkunde zur Aufnahme von Haithabu und dem Danewerk in die Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt

30.06.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort! --

Über die Wikinger werden ja recht furchterregende Dinge gesagt:

dass die Barbaren des Mittelalters vor über tausend Jahren ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt haben,

die Dörfer eroberten, mordeten, Kirchen und Klöster plünderten

- und alles, was sie nicht mitnehmen konnten einfach niederbrannten.

Zugleich aber hat sich bis heute eine Faszination für diese Wikinger erhalten, deren Geschichte eng mit der Seefahrt verbunden ist, die mit ihren wendigen Langschiffen an Küsten und Ufern und über verzweigte Flusssysteme bis in die heutige Ukraine gelangten, ans Schwarze Meer - und sogar bis nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul.

Sie gingen auf Raubzüge, aber trieben auch Handel und ab dem 11. Jahrhundert wurden sie sogar langsam sesshaft - nicht zuletzt hier in Haithabu.

Hier tauschten sie Honig, Wachs, Bernstein, Felle, Tierhäute und Waffen gegen Edelmetalle, Seide, Brokat, Gewürze, Helme und Rüstungen.

Also alles, was der Norden Europas hergab gegen das, was in Mitteleuropa gehandelt wurde.

Wenngleich sie gemordet und zerstört haben, so prägten sie Europa doch maßgeblich mit.

Sie waren dabei keine Einheit, „Die Wikinger“ gab es also gar nicht, sondern sie setzten sich vielmehr aus vielen Volksgruppen zusammen; vielleicht waren es auch die ersten Kulturen, die grenzüberschreitend, transnational agierten und das heutige Europa in seiner ganzen Dimension schon damals räumlich durchdrangen.

Denn sie schafften europaweite Handelsrouten zwischen Nord- und Kontinentaleuropa und noch heute geben uns ihre Spuren wie hier in Haithabu und am Danewerk Auskunft über ihre handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnisse, die schon damals sehr ausgeprägt waren.

Ich war gerade im Museum und konnte mir anschauen, wie die Menschen im Frühmittelalter gelebt und gearbeitet haben.

Das wird hier in Haitabu lebendig, wenn man die Werkstatt im Kammmacherhaus sieht, oder das Haus des Fischers mit dem Räucherofen.

Fast kann man noch den Fisch riechen.

Mancher wird sich hier vielleicht auch die Nase reiben - und an die liebenswerten Figuren aus den Kinderbüchern und -Filmen über „Wickie und die starken Männer“ denken.

Traditionen, Bräuche und Handwerke, die unsere Zivilisation bis heute prägen, zeigen sich hier jedenfalls deutlich - man kann sich hineinversetzen in eine andere Zeit.

So wird Haithabu zu einem Ort, der uns verstehen lässt, dass unsere Gesellschaft und unser Alltag von vielen unterschiedlichen kulturellen Einflüssen durchdrungen sind.

Es wird deutlich, dass es keine abgrenzbare und unverrückbare kulturelle Identität geben kann.

Denn: Unsere Identität setzt sich aus vielen Einflüssen zusammen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute bei Ihnen zu sein und die Aufnahme von Haithabu und dem Danewerk in die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt mit Ihnen feiern zu können.

Das ist etwas Besonderes.

Auf den Tag genau vor einem Jahr hat das Welterbekomitee der UNESCO Haithabu und das Danewerk als Welterbe anerkannt und folgte damit der Empfehlung des Internationalen Rates für Denkmalpflege.

Der Weg hierher war lang, von Höhen und Tiefen geprägt: Als Teil der internationalen Nominierung „Stätten der Wikingerzeit“ lagen Haithabu und das Danewerk im Jahr 2015 erstmals dem Welterbekomitee zur Entscheidung vor.

Das ursprüngliche Konzept war sehr europäisch, grenzüberschreitend: Gemeinsam mit Dänemark, Island, Lettland und Norwegen wurden die beiden schleswig-holsteinischen Komponenten – Haithabu und Danewerk – in einem Antrag verbunden.

Trotzdem war der internationale Rat davon zunächst nicht überzeugt und das Welterbekomitee wies den Antrag zur Überarbeitung zurück.

Einige haben sich davon entmutigen lassen, und die internationale Kooperation zerbrach.

Das war bedauerlich.

Denn Austausch und Dialog waren schon immer der Motor für gesellschaftliche, wirtschaftliche und urbane Entwicklungen in Europa.

In Schleswig-Holstein aber bewies man norddeutsche Standfestigkeit und machte mit aller Überzeugung alleine weiter. Wenn wir im Auswärtigen Amt seinerzeit ein wenig dazu beitragen konnten, würde uns das sehr freuen.

Denn diese Bewerbung ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gut die Länder und das Auswärtige Amt über die gemeinsame Koordinierungsstelle Welterbe zusammenarbeiten.

Letztlich hat ihr Antrag das Welterbekomitee überzeugt:

Nämlich der Einblick, den Haithabu und die Wallanlagen des Danewerks in die Handelsnetze und in den interkulturellen Austausch zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert geben und der Einblick in die Entwicklung der nordeuropäischen Städte und die skandinavische Gesellschaft in dieser Zeit.

Kurzum: wie das Leben und die Kultur der Menschen damals aussahen und wie diese Einflüsse uns noch heute prägen.

Der erfolgreiche Antrag zeigt, dass unsere historischen Stätten vor allem dann zum gemeinsamen Erbe der Welt werden, wenn der Austausch zwischen Kulturen und Regionen zum Wesenskern gehört.

Umso mehr freue ich mich, dass eine nun auch andere dänisch-deutsche UNESCO-Bewerbung auf gutem Weg ist:

die Dachorganisation der deutschen Minderheit in Dänemark, der Bund Deutscher Nordschleswiger und die dänischen Minderheit in Deutschland, (Sydslesvigsk Forening) haben sich darum beworben, dass das Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheiten im deutsch-dänischen Grenzland als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt und in das Register guter Praxisbeispiele eingetragen wird.

Vielleicht kann in absehbarer Zeit ja wieder eine UNESCO-Urkunde im deutsch-dänischen Grenzgebiet übergeben werden.

Mir gefällt es ausgesprochen gut hier - ich wäre also bereit, wenn Sie mich dann einladen.

Sehr verehrte Damen und Herren,
das Erbe der Welt vor unseren Augen zu haben, im Sommerurlaub wieder zu Besichtigungen aufzubrechen - das erscheint uns manchmal wie eine Selbstverständlichkeit.

Aber das ist es nicht. Der Brand von Notre Dame in Paris hat gezeigt, wie verletzlich unser historisches Erbe ist.

Und die Zerstörung von Kulturgütern, etwa in Syrien, von fanatischer Ideologie getrieben, zielt darauf, das Menschheitsgedächtnis kultureller Identität auszulöschen.

Umso wichtiger ist es, das wir unser kulturelles Erbe pflegen und an die nächste Generation weitergeben.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Welterbestätten wie Haithabu und das Danewerk sind Orte, die uns zeigen, woher wir kommen, auf welchen Schultern wir stehen, wie die Entwicklung der Menschheit stattfand.

Stätten wie diese schärfen den Blick auf die großen Zusammenhänge der Weltkultur und lassen uns spüren:

Wir brauchen solche Zeugnisse der Geschichte, um uns in der Welt von heute zu verorten und zurecht zu finden.

Gerade in einer Welt, die in Unordnung geraten ist, können uns diese Stätten Orientierung geben für Rückbesinnung und den Aufbruch in ein besseres Morgen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Wenn wir heute die Aufnahme von Haithabu und dem Danewerk in die Weltkulturerbeliste der UNESCO beurkunden, dann ist das ein wirklicher Grund zur Freude.

Mein Dank gilt all denen, die über Jahre mit nie nachlassender Leidenschaft, viel Zeit, guten Nerven und großer Beharrlichkeit für die Anerkennung geworben und gearbeitet haben.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
es ist mir eine große Ehre, Ihnen nun im Namen der UNESCO und der Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat des Welterbe-Übereinkommens die Urkunde zur Eintragung von Haithabu und dem Danewerk in die UNESCO-Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt überreichen zu können.

Herzlichen Glückwunsch an alle Bürgerinnen und Bürger zur Anerkennung von Haithabu und Danewerk als Welterbe!

Ich wünsche Ihnen und allen, die künftig hierher kommen:

Gehen wir mit diesem Kulturerbe pfleglich um. Es ist unser gemeinsames - nun auch ausdrücklich beurkundet.

Schlagworte

nach oben