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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering anlässlich der Rückgabe sterblicher Überreste an Namibia

29.08.2018 - Rede

- es gilt das gesprochene Wort –

Harambee!

Das, so habe ich gelernt, bedeutet so viel wie „Lasst uns alle an einem Strang ziehen“, oder „gemeinsam in eine Richtung“. An dieses Wort musste ich denken, denn heute sind wir ja genau deswegen zusammen: Um der Gemeinsamkeit willen, mit den Verstorbenen und den Lebenden - und um eine Richtung zu finden, in die wir gemeinsam gehen.

Gestern Abend habe ich zum ersten Mal die Kultur der Vorfahren der Herero und Nama erlebt, die heute noch lebendig ist, in einer eindrucksvollen Totenwache. Dort wurde gemäß den Traditionen Abschied genommen. In tiefer Verbundenheit zu den Ahnen, mit spiritueller Kraft. Ich werde das nie vergessen. Danke, dass ich Teil davon sein durfte.

Auch der Gottesdienst eben hat mich tief bewegt, denn in diesem Raum sind Würde und Demut mit uns, um die menschlichen Gebeine, heute und auf ihrem Weg zurück in die Heimat, zu begleiten. In das Land ihrer Herkunft, das Zuhause ihrer Familien.

Zu den Familien, in denen der Schmerz auch heute, über einhundert Jahre später, noch tief ist. Schmerz ist Teil der Geschichte, deren Rad niemand zurückdrehen kann. Der heutige Tag kann hoffentlich einen Teil dazu beitragen, die Wunden, die diese Geschichte hinterlassen hat, zu heilen.

Nicht vergessen und uns erinnern, dass aus dem Schmerz der Vergangenheit ein Morgen wachsen kann - auch deswegen sind wir heute zusammen. Mit Ihnen allen zusammen zu sein, gemeinsam zu gedenken und gemeinsam zu erinnern, das ist ein hoffnungsvoller Weg - hin zu einer Zukunft in Versöhnung.

Erst die Erinnerung an die Toten macht die Zukunft lebendig.

„Gemeinsam“ heißt in diesem Falle mit der EKD und den namibischen Partnerkirchen, die als wichtige Partner unsere Zivilgesellschaften zusammenführen - Ihnen möchte ich für ihr Engagement der Aussöhnung und ebenso für den Gottesdienst heute danken.

„Gemeinsam“ heißt aber auch: mit den betroffenen Volksgruppen. Ich freue mich sehr, dass angesichts des heutigen feierlichen Anlasses einerseits Vielfalt erkennbar wird, aber auch Unterschiede zurückgestellt wurden: Denn wir haben ja eine gemeinsame namibische Delegation hier, die ich in den letzten beiden Tagen, bereits kennenlernen durfte. Auch Ihnen möchte ich für Ihr Kommen noch einmal herzlich danken.

Ihre einzelnen Beiträge zu dieser Gedenkveranstaltung sind Ausdruck von Meinungsvielfalt in einer Demokratie.

Der Respekt vor den Toten ist in jedem Falle ein starkes, ein einigendes Band. Ein Signal auch an die vielen weiteren Unterstützerinnen und Unterstützer aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Aktivisten, Vereine und Bürgergruppen, Künstlerinnen und Künstler, die ich heute nicht alle einzeln benennen kann, aber deren großes Engagement so wichtig war - und bleibt.

„Gemeinsam“, verehrte Damen und Herren, heißt jedoch nicht zuletzt auch: Mit der namibischen Regierung. Es ist mir eine große Ehre, den offiziellen Übergabeakt mit meiner namibischen Kollegin, Ministerin Hanse-Himarwa, vorzunehmen.

Liebe Ministerin! Liebe Katrina!

Wir haben seit Ihrer Ankunft am Montag auch einige Zeit zu zweit und mit der Delegation verbracht - und dabei auch intensiv über Schmerz und Versöhnung gesprochen. Unsere Wege führen uns hier zusammen, und vielleicht ist es ja auch ein gutes Zeichen, dass die Delegationen der heutigen Übergabe von deutscher und namibischer Seite von uns Frauen geleitet werden.

Die heutige Übergabe unterscheidet sich jedoch auch in anderer Weise von den vorhergegangenen. Ich meine: Es ist an der Zeit, einen Unterschied zu machen!

Ich bin froh, dass dieser Unterschied nun auch immer sichtbarer wird: Zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit demokratischer Grundkonsens.

Der Koalitionsvertrag dieser Regierung ist der erste, der die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte mit all ihren dunklen Kapiteln explizit vorsieht.

Das ist ein starkes Bekenntnis zu einer Vergangenheit, die zwar mit dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft mehrere Generationen zurückliegt, deren Auswirkungen aber bis heute spürbar sind.

Als Staatsministerin im Auswärtigen Amt und als Mitglied des Deutschen Bundestages und ja auch nicht zuletzt als Vertreterin einer jüngeren Generation bin ich davon überzeugt: Wir müssen uns auch diesem Teil unserer Geschichte mit all ihren Facetten stellen und uns ihrer bewusst werden. Denn, bei der Aufarbeitung des kolonialen Erbes hat Deutschland noch einiges nachzuholen.

Doch wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, aber auch zu unserer moralisch-ethischen Verantwortung und zu der historischen Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Die damaligen im deutschen Namen begangenen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde, auch wenn dieser Begriff erst später mit rechtlichen Normen unterlegt wurde.

Wir sprechen deshalb mit unseren Partnern in Namibia auch über die Einordnung dieses Begriffs in den politisch-historischen Kontext. Wir wissen in unserer Gesellschaft noch viel zu wenig über diese Vergangenheit. Es ist nun an uns, diese erinnerungspolitische Gedächtnislücke zu schließen.

Bewusstseinsbildung geht aber nicht nur durch eine Regierung allein. Oder gar durch zwei Regierungen.

Wir brauchen dafür auch hier die ganze Gesellschaft: der Parlamente, Bundesländer, Wissenschaft, Schulen, Kirchen und die Zivilgesellschaft insgesamt. Das große Interesse an der heutigen Veranstaltung zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Lassen Sie mich auch das betonen: Gerade heute, angesichts eines wieder aufkommenden Nationalismus und Populismus in der Welt, in Europa und auch bei uns in Deutschland, ist es umso wichtiger, Position zu beziehen und sich klar zu bekennen! Zur eigenen Vergangenheit ebenso wie zu Menschenrechten und Frieden, die aus Gemeinsamkeit erwachsen sind.

Demokratie, die hinterfragt, ist nicht schwach, sondern stark. Ebenso wie eine kritik- und dialogfähige Gesellschaft. Umso stärker sind wir, wenn unsere Gesellschaften miteinander hinterfragen, miteinander aufarbeiten und erinnern. Diesen Dialog mit den afrikanischen Ländern, mit Namibia im Besonderen, den wollen, den brauchen wir.

Deswegen ist auch der laufende Dialog zur Vergangenheitsbewältigung ein weiterer Fortschritt. Der heutige Bundespräsident und damalige Bundesaußenminister, Frank-Walter Steinmeier, hat diesen 2014 mit seiner namibischen Amtskollegin angestoßen.

Die beiden Sondergesandten sind heute hier bei uns. Sie wissen genau, wie weit wir gekommen sind - bei der Einordnung all der schwerwiegenden Fragen, auf die wir Antworten finden wollen. Ebenso wie für die auf die Zukunft gerichteten Ideen, die den Bedürfnissen der Nachfahren der besonders betroffenen Gemeinschaften Rechnung tragen sollen.

Ich kann den Ergebnissen nicht vorgreifen, aber an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich sagen: Deutschland steht fest zu seiner historischen Verantwortung. Wir wollen eine bessere Zukunft zwischen unseren Ländern ermöglichen.

Heute wollen wir für diese Zukunft einen weiteren Grundstein legen, indem wir die menschlichen Gebeine von 27 Menschen endlich in die Obhut der Ihren zu übergeben.

Wir kennen die Familiengeschichten der Menschen heute nicht mehr genau, deren menschliche Gebeine nun zurückkehren. Wir wissen nicht, ob sie Töchter und Söhne hinterlassen haben, ob sie Schwestern oder Brüder waren, welche Namen sie trugen. Aber sicher ist: Sie hatten eine Familie, sie gehörten zu ihrem Volk, sie gehörten zu ihrem Land. Sie waren Menschen.

Das Menschsein, die Würde, hat man ihnen damals genommen - denn die Umstände, unter denen ihre menschlichen Gebeine nach Deutschland gekommen waren, sind zumeist grausame Geschichten ohne jeden Respekt gegenüber dem anderen, seinen Traditionen und Bräuchen, seiner Kultur.

Ich bin in den letzten Tagen in die Archive des Auswärtigen Amtes gegangen, in die ehemaligen Tresore der damaligen Reichsbank, um mir alte Dokumente der Zeit anzusehen. Dokumentation aus einer Zeit, in der das Gedankengut vieler in Deutschland und in Europa von einer zutiefst rassistischen imperialen Überheblichkeit geprägt war.

Viele menschliche Gebeine wurden zu vorgeblich wissenschaftlichen Forschungen verwendet, es ging um Rassenreinheit, um Eugenik, um die Untermauerung rassischer Überlegenheit gegenüber den kolonialisierten Völkern.

Diese pseudowissenschaftliche Legitimierung eines kolonialen Herrschaftsanspruchs ging weit über Namibia und Deutschland hinaus: Heute wissen wir, wie verabscheuungswürdig, wie falsch er ist.

Noch immer befinden sich weitere menschliche Gebeine von Mitgliedern der indigenen Gemeinschaften in deutschen Sammlungen. Da, wo es mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft möglich ist, müssen wir auch ihre Schicksale aufklären. Wir sind es der Würde der Menschen und wir sind es den Menschen selbst schuldig, unser Bestes zu tun.

Essentiell ist dabei die genaue Zuordnung zu den jeweiligen Gemeinschaften. Deswegen werden wir auch die Provenienzforschung ausbauen. Es ist wichtig, dass die betroffenen Institute ihre Bestände jetzt erforschen und die Herkunft klären.

Auch die Stimmen der heutigen Vertreter der Betroffenen müssen weiter Gehör finden - das ist auch in den Gesprächen der letzten Tage immer wieder deutlich geworden. Nur gemeinsam können alle Beteiligten die Herausforderungen angehen, wie mit menschlichen Gebeinen angemessen und in Würde umgegangen werden kann und soll.

Mir ist bewusst, dass einige weitere Institute sich gerne an der heutigen Zeremonie beteiligt hätten. Das empfinde ich als ermutigend. Ich bin sicher, dass nach erfolgreicher, weiterer Provenienzarbeit weiteren Übergaben nichts im Wege steht.

Sehr verehrte Damen und Herren,

wir kennen ihre Familien nicht, und doch sind die Toten heute bei uns. Wir kennen ihre Nachfahren, die Sie in Ihren Erinnerungen, Ihren Familiengeschichten, die von Leid und Schmerz erzählen, lebendig halten.

Wir sind sehr dankbar für die hervorragende Zusammenarbeit mit dem namibischen Kulturministerium. Sie, Frau Ministerin, haben die Einbindung der Traditional Chiefs sichergestellt. Unzählige andere werden in Namibia auf die menschlichen Gebeine der Verstorbenen warten, auch um mit ihnen in innerer Einkehr beisammen zu sein. Sie wissen: Mir ist es ein großes und auch ein persönliches Anliegen, sie nach Windhuk zu begleiten.

Harambee, Frau Ministerin, soll auch für Deutschland und Namibia gelten - gemeinsam in eine Richtung gehen. Ich wünsche mir: Diese Richtung heißt Zukunft.

Sie sehen am großen Andrang, am Interesse heute, wie vielen es auch in Deutschland ein wichtiges Bedürfnis ist, den Verstorbenen ihren Respekt zu bezeugen. Es ist ein Respekt, der ebenso unzähligen anderen Opfern von Gewalt in der Kolonialzeit gilt. Und der ihnen zu Lebzeiten verwehrt blieb. Möge die Heimkehr der hier Liegenden nach so langer Zeit zurück in die heimische Erde auch einen Beitrag für sie leisten, ihren Frieden zu finden.

Ich verbeuge mich in tiefer Trauer. Das schreckliche Unrecht, das unsere Vorfahren begangen haben, kann ich nicht rückgängig machen. Doch bitte ich Sie aus tiefstem Herzen um Verzeihung.

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