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Grußwort von Staatsministerin Michelle Müntefering bei der Veranstaltung der re:publica „OPEN - Museen im digitalen Wandel“ im Rahmen der Langen Nacht der Ideen
-- es gilt das gesprochene Wort --
„Schluss mit den Inhalten“ – so titelte Deutschlandfunk Kultur in einem Bericht über die Video-App „Dein Audioguide“, die der Lichtkünstler Olafur Eliasson für die Kunstsammlung Düsseldorf entwickelt hat.
Wie ein Meditations-Guru der Kunst empfiehlt er darin dem Nutzer den vollständigen Verzicht auf alle Informationen um ihn herum, und stattdessen die absolute Konzentration auf sich selbst.
Er präsentiert das Museum als geist- und erkenntnisfreien Raum.
Und er geht noch weiter und fordert: Schluss mit schlauen Erklärungen zu irgendwelchen Kunstwerken. Schluss mit Hinweisen dazu, was man beim Betrachten der ausgestellten Dinge alles zu bedenken hat.
Was wie ein Angriff auf die Museumswelt klingt, beinhaltet im Kern eine sehr ernstgemeinte Frage. Und ich glaube, dass das eine der zentralen Fragen ist, die wir diskutieren müssen:
Welche Rolle haben Museen und ihre klassische Funktion der Bildungs- und Kulturvermittlung in der digitalen Welt?
Wenn Rundgänge in Museen immer seltener durch Museumsführer, dafür umso öfter durch Audioguides und Apps erfolgen,
wenn es private und staatliche Museen möglich machen, ihre Bestände und Ausstellungen digital zu erkunden,
wenn die Menschen vom eigenen Wohnzimmer per virtuellem Rundgang historische Gebäude besuchen,
wenn sie sich ein Best-of ihrer Lieblingswerke zusammenstellen können
und wenn sie Kunst und Geschichte nicht mehr nur passiv nutzen, sondern selbst zu interaktiven Kuratoren werden.
Braucht es dann noch das Museum als physischen Ort?
Entsteht durch digitale Kommunikation eine andere Kultur- und Wissensvermittlung und wo sind ihre Grenzen?
Wie beeinflussen Apps und soziale Medien die Praxis des Ausstellens und Kuratierens?
Ich würde diese komplexen Fragen gern aufteilen wollen, nach dem Motto: „Wie isst man einen Elefanten? Stück für Stück.“ Hier sind es drei Teile.
Zuerst die Inhalte:
Das Konzept Museum, wie wir es heute kennen, ist bereits viele Jahrhunderte alt.
Ein Großteil der heutigen Berliner Museen - etwa auf der Museumsinsel - stammt aus dem 19. Jahrhundert.
Zu Anfang ging es vor allem darum, Wertvolles, Seltenes und Interessantes zu sammeln, zu erforschen und auszustellen – es ging also um das Objekt.
Im Laufe der Zeit kam immer stärker auch der Bildungs-, Vermittlungs- und Forschungsauftrag dazu.
Noch immer erfolgt die Vermittlung vor allem über die Betrachtung eines ausgestellten Objekts. Noch immer gehen die Menschen wegen des Objekts in ein Museum.
Sie wollen die Nofretete und den Pergamonaltar sehen. Hunderte Touristen drängeln sich vor der Mona Lisa im Louvre oder bestaunen das Dino-Skelett im Naturkundemuseum.
Und zugleich tun sich durch die Digitalisierung gerade hier neue Möglichkeiten auf.
Bei der Gelegenheit der Eröffnung der ersten internationalen Konferenz der Forschungsmuseen im Herbst 2018 war es mir möglich, ein spannendes Projekt des Naturkundemuseums zu sehen.
Dabei wurden Künstler beauftragt, eine virtuelle Welt zu erschaffen, die durch VR-Technologie erfahrbar gemacht wurde.
Man begibt sich in einen Dschungel, erlebt die exotischsten Pflanzen und Vögel, hört Stimmen und sieht Krokodile, in die man sich selbst mit einem Klick verwandeln kann.
Auf diese Weise werden die Objekte des Naturkundemuseums virtuell verknüpft.
Dieser Dschungel war von einem Künstler gestaltet: Gezeichnet, gemalt. Sound- und Videokunst wurde eingebunden.
Das ist ein für mich beeindruckendes Beispiel dafür, welche Möglichkeiten und Chancen die Digitalisierung bietet. Ich bin gespannt, was uns da noch erwartet, denn es war zunächst ein Prototyp.
Und das, was Eliasson 2014 mit seiner App so radikal forderte, findet mittlerweile eigentlich schon statt.
Nur eben nicht ohne Inhalte, sondern ganz im Gegenteil. Inhalte werden neu vermittelt, neu erzählt, sie werden durch neue Inhalte ergänzt, um gänzlich neue Erfahrungen zu schaffen.
Zweitens: neben der Frage, was passiert mit den Inhalten in der digitalen Welt, geht es natürlich auch um den Ort.
Die Sammlung und Ausstellung an dem einen Ort bedeutet bislang immer auch, dass diese Objekte von einem anderen Ort hierher verbracht und eben dort nicht mehr zur Verfügung stehen.
Sie kennen die gegenwärtige Debatte um Objekte aus kolonialem Kontext.
Die Digitalisierung gibt uns nun ganz neue Möglichkeiten, diese tradierte Fixierung auf das gesammelte und ausgestellte Objekt infrage zu stellen und stattdessen die Bewahrung und Vermittlung von Inhalten – verbunden mit einer neuen Verantwortung der Nutzer – als gesellschaftlichen Auftrag des Museums in den Mittelpunkt zu stellen.
Dieser Punkt betrifft also die Frage nach dem Verhältnis zu Objekten, ihrer Aneignung und Universalität.
Er behandelt letztlich auch die Frage nach Verantwortung.
Und er fordert dazu auf, das in vielen Museen nach wie vor präsente Konzept von Erwerb und Darstellung originärer Objekte auf seine aufklärerische Notwendigkeit hin zu hinterfragen.
Wenn zum Beispiel mithilfe von Verfahren des 3D-Scans museale Objekte reproduziert werden können, sodass sie vom Original nicht mehr zu unterscheiden sind: müssen sie dann noch um die Welt reisen? Oder können sie nicht viel mehr überall auf der Welt bestaunt werden?
Die Ausstellung, die Erzählung über das Objekt und die Vermittlung von Erkenntnis rücken mehr und mehr in den Fokus.
Drittens: neben Inhalten und Ort – braucht es natürlich auch den Nutzer.
Und da wird es politisch. Es braucht die Erweiterung des Zugangs zu Wissen und Bildung. Ich meine: Idealerweise trägt Digitalisierung dazu bei, Museen zu inklusiveren und demokratischeren Institutionen zu machen.
Wenn die Schätze und Daten musealer Einrichtungen digital zugänglich gemacht werden, dann können sie auch von Wissenschaftlern weltweit untersucht und erforscht werden. Bislang exklusives Wissen wird auf diese Weise geteilt.
Der digitale Zugang hebt räumliche und zeitliche Grenzen auf - auch soziale Barrieren: Menschen können direkt erreicht werden, unabhängig vom Wohnort, mit der ganzen Familie.
Natürlich ist zu wünschen, dass das Museum als sozialer Ort bestehen bleibt - der „dritte Ort“, wie es der amerikanische Soziologe Ray Oldenburg in seiner Theorie nennt. Orte, an denen Menschen zusammen kommen, sich wohl fühlen und begegnen können – jenseits ihrer Privatsphäre und des Arbeitsplatzes.
Diese Orte selbst aber werden sich verändern. Denn es wird nicht mehr nur die eine Art der Präsentation und Darstellung geben. Besucher werden vielmehr mithilfe digitaler Möglichkeiten ihre eigenen Ausstellungen kuratieren, sie müssen nicht länger bloße Rezipienten des Präsentierten bleiben. Sie können zu Mitgestaltern werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
es geht um die Demokratisierung von Wissen. Deshalb müssen wir weiter gehen und den Betrachter - neudeutsch den “User” - in eine neue, eigene Verantwortung setzen: Eine Verantwortung um den Erkenntnisgewinn durch die Erfahrung von Kunst, zu dem wir selbst gelangen müssen. Olafur Eliasson nennt es: „Das eigene Sehen zu sehen und das eigene Fühlen zu fühlen“.
Museen waren schon immer mehr als nur Ausstellungshäuser. Ihr Auftrag reicht viel weiter als das Ausstellen, Beschaffen, das Bewahren und das Erforschen materieller und immaterieller Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt – analog und eben auch digital.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Digitalisierung hat begonnen: Ob die Erweiterung analoger Ausstellungen, die Entwicklung neuer Vermittlungsformate durch Apps und Gaming bis hin zu digitalen Ausstellungen.
Die Digitalisierung bringt auf jeden Fall die Chance auf neuen Schwung in die Museen, lockt auch jüngere Generationen an und interessiert sie auch für Kunst.
Das veränderte Nutzungsverhalten aufzunehmen, kurz: Auch den User zu erreichen, das ist auch eine politische Aufgabe. Daher sind wir im Auswärtigen Amt gerade dabei, mit unseren Mittler- und Partnerorganisationen eine neue Strategie für die internationale Kulturpolitik zu erarbeiten. Sie soll 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Das Thema Digitalisierung ist hierbei eine zentrale Frage, denn es durchdringt sämtliche Bereiche unserer Arbeit und die unserer Mittlerorganisationen wie etwa des Goethe-Instituts und des Deutschen Archäologischen Instituts.
Ein zweites Beispiel betrifft den Aufbau einer internationalen Museumsagentur. Wir wollen dabei helfen, grenzüberschreitende Projekte und Kooperationen deutscher Museen zu unterstützen. Auch bei digitalen Themen.
Dieses „Über-die-Grenzen-gehen“ brauchen wir in transdiziplinären Denkprozessen, auch um das ganze Wissen, das uns zur Verfügung steht, so zusammenzuführen, damit daraus ein ganzheitliches Bild - und eben auch gesellschaftlicher Nutzen entstehen kann.
Und genau darum geht es mir: Die großen Fragen der Zeit können wir nur als Menschheit insgesamt beantworten, sie müssen auch kulturell verhandelt werden.
Deswegen brauchen wir den Blick in die Welt und den Blick der Welt auf uns. Und auch den der Museen.
Es geht um das tiefe Verständnis, dass Kunst und eben auch Wissenschaft Orte der Freiheit sind und diese Orte Freiheit brauchen, um zu blühen.
Es geht um die Erfahrung von Kunst im digitalen Zeitalter. Diese Räume, die sich uns eröffnen, entstehen nicht zuletzt durch unsere Ideen, durch die Hilfe von Technik - und wenn es nach uns geht - durch die Kooperation und Ko-Produktion von Menschen rund um den Erdball.
Deswegen freue ich mich, dass re:publica dieses Thema im Rahmen der Langen Nacht der Ideen aufgegriffen hat und darüber mit Ihnen hier diskutiert.
Ich wünsche Ihnen einen spannenden Abend und ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren weitreichende Veränderungen in den Museen sehen werden. Das ist eine Chance für die Demokratisierung von Wissen.
Herzlichen Dank!