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Laudatio von Staatsministerin Müntefering für Leymah Gbowee anlässlich der Verleihung des Internationalen Demokratiepreises

16.11.2018 - Rede

„Man kann keine bleibenden Fußspuren hinterlassen, wenn man immer auf Zehenspitzen geht.“

Mit diesem Zitat von Ihnen, liebe Leymah Gbowee, möchte ich beginnen.

Denn Sie haben selbstverständlich bleibende Spuren hinterlassen.

Spuren, im Leben zahlreicher Frauen und natürlich in Liberia.

Dabei konnten Sie nicht auf Zehenspitzen gehen: Denn wenn man etwas bewegen und verändern will - tritt man dann nicht ganz automatisch auch dem einen oder anderen auf die Füße?

Sehr geehrte Frau Gbowee,

Sie gingen Ihren Lebensweg, so sieht es im Rückblick aus, mit festem Schritt und klarem Ziel. Obwohl auch Sie viele Abzweigungen und Umwege gegangen sind - und manchmal gehen mussten.

Sie waren gerade 17 Jahre alt, hatten große Pläne für ihre Zukunft, hatten die High School erfolgreich abgeschlossen und wollten Medizin studieren und dann Ärztin werden, als im Dezember 1989 in Liberia der Bürgerkrieg ausbrach.

Ein tiefer Einschnitt. Statt zu studieren mussten Sie gleich zwei Mal aus ihrem Heimatland fliehen und alles zurücklassen.

Als sie fast zehn Jahre später, 1998, nach Liberia zurückkehrten, als alleinerziehende Mutter, hatten sie nur noch sich selbst und ihre Kinder.

Das Schicksal der Flucht, das so viele Menschen verzweifeln lässt, - Sie ließen es nicht gelten.

Sondern: Sie nahmen Ihr Schicksal in die Hand - auch, um anderen zu helfen. So wurden Sie Sozialarbeiterin und arbeiteten als Trauma-Beraterin für die Opfer des Bürgerkrieges, darunter für die ehemaligen Kindersoldaten.

Mich beeindruckt auch, unter welchen schwierigen Umständen Sie Ihren Traum verfolgten:

„Wach auf und bringe die Frauen zusammen, um für Frieden zu beten“, schreiben Sie in Ihrer Autobiografie.

Das war im Frühjahr 2002.

Sie koordinierten damals, neben ihrem Hauptberuf, die Aktivitäten des erst einige Monate zuvor gegründeten „Verein zur Stärkung der Rolle von Frauen in der Friedensarbeit in Westafrika“, dem „Women in Peacebuilding Network (WIPNET)“.

Sehr verehrte Damen und Herren,

am Anfang waren es sieben Frauen und ein 10-$-Budget, mit dem die Preisträgerin ihren Traum verwirklichen wollte.

Den Traum von Frieden für Liberia.

Sie gründete die Bewegung „Liberia Mass Action for Peace“ und setzten so ein wichtiges Zeichen der Hoffnung für die Menschen im Land, die in einem Bürgerkrieg, der seit über zehn Jahren wütete und der mehr als 200.000 Menschen, darunter vielen Kindern, das Leben kostete, nicht auch noch sterben durfte.

Ein Bürgerkrieg, den wir uns hierzulande heute kaum vorstellen können: in dem sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen allgegenwärtig war und in dem sexuelle Gewalt auch gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wurde.

Grausamkeiten, die nicht nur in Liberia, auch hier die Schwächsten, am schlimmsten trafen - und die auch heute weltweit noch nicht überwunden sind.

Verehrte Gäste!

In Leymah Gbowees Friedensbewegung arbeiteten zum ersten Mal in der Geschichte Liberias christliche und muslimische Frauen verschiedener Ethnien und aus den verschiedensten sozialen Schichten zusammen.

Die Frauen versammelten sich in mehr als 50 Gemeinden Liberias.

Sie waren in weiß gekleidet und fanden sich zusammen, um zu beten und um für den Frieden zu demonstrieren.

In Monrovia, der Hauptstadt Liberias, waren es täglich Tausende Frauen, die trotz Hitze und Regen ihren friedlichen Protest anstimmten und täglich aufs Neue fortsetzten.

Dieser friedliche Protest der Frauen führte zunächst dazu, dass sich die liberianische Regierung unter Präsident Charles Taylor - immerhin - zu Friedensgesprächen mit den Rebellengruppen bereit erklärte.

Doch die Verhandlungen schleppten sich über Wochen ohne greifbare Ergebnisse hin, die Kämpfe in Liberia nahmen zu, die Rebellen rückten weiter vor.

In Monrovia kamen mehr als 1.000 Zivilisten ums Leben.

Die Frauen von Leymah Gbowee aber ließen sich nicht entmutigen.

Sie setzten ihren friedlichen Protest fort und erhöhten den Druck auf die Bürgerkriegsparteien.

Den Durchbruch brachte schließlich ein von Leymah Gbowee initiiertes „Sit-In“, eine Sitzdemonstration mehrerer Hundert Frauen, mit dem sie die Verhandlungsparteien am Verlassen des Verhandlungsraumes hinderten.

Erfolg brachte, eine, wie ich meine, weibliche Tugend: Geduld und Hartnäckigkeit.

Sie haben die Verhandelnden einfach nicht entkommen lassen.

Sie haben ihnen ihre Verantwortung für den Frieden vor Augen geführt und dazu gezwungen, eine Lösung zu finden.

Denn: Damit brachten Sie und ihre Frauen eine neue Dynamik in die Friedensgespräche!

Zwei Wochen später, im August 2003, wurde ein umfassendes Friedensabkommen unterzeichnet und eine Übergangsregierung gebildet.

Charles Taylor ging ins Exil nach Nigeria.

Die Frauen blieben - und setzten sich weiter für den Friedensprozess ein, arbeiteten für die Einhaltung des Friedensabkommens und Abhaltung demokratischer Wahlen.

Das Ergebnis war überwältigend!

Im Spätherbst 2005 gab es tatsächlich friedliche und demokratische Wahlen in Liberia, aus denen Ellen Johnson Sirleaf als Siegerin und erste gewählte Präsidentin Afrikas hervorging.

Doch nun galt es, die tiefen Wunden zu heilen, die der Bürgerkrieg über Jahre hinterlassen hatte.

Leymah Gbowee ging in die liberianische Wahrheits- und Versöhnungskommission;

und sie gründete eine panafrikanische Organisation zur Förderung der strategischen Einbeziehung von Frauen in Friedensprozesse, mit einem neuen Programm, das junge Frauen an Friedensarbeit heranführen sollte.

Ihr Projekt der „Peace Huts“/„Friedenshütten“, die als Versammlungs- und Mediationsstätten für Frauen in ländlichen Gebieten errichtet wurden, fand weltweite Anerkennung.

Sehr verehrte Damen und Herren!

Leymah Gbowees Weg zur Friedensaktivistin, zur Trägerin des Friedensnobelpreises, war alles andere als vorgezeichnet.

Aber Leymah Gbowees Geschichte zeigt, was ein Mensch – eine Frau! - mit Beharrlichkeit und Mut sowie der Bereitschaft, in neue Richtungen zu denken und zu gehen und der Gabe, andere zu begeistern, erreichen kann.

Liebe Leymah Gbowee!

Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu diesem beindruckenden Lebensweg, für Ihren Einsatz, gratulieren zu dürfen. Sie haben wahrlich Spuren hinterlassen.

Und Sie gehen weiter - auch heute noch - als Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin.

Vielleicht hören wir ja gleich auch noch etwas über ihre Stiftung „Gbowee Peace Foundation Africa“, die Frauen und Mädchen in Liberia fördert.

Als VN-Botschafterin für die Ziele der „Nachhaltigen Entwicklung“ Sustainable Development Goals/SDGs inspirieren Sie, liebe Frau Gbowee, zudem viele, viele Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt, sich für eine nachhaltige Lebensweise und damit eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen unseres Planeten einzusetzen.

Für Ihr Engagement, das noch viel weiter reicht, wurden Sie mehrfach ausgezeichnet.

Weltweit ist sicherlich der Friedensnobelpreis der bekannteste Preis, den sie 2011 zusammen mit Ellen Johnson Sirleaf und der jemenitischen Journalistin Tawakkul Karman erhielten.

Dabei haben wir, wenn ich das sagen darf, sogar auch eine enge Verbindung in unserem politischen Engagement:

Es ist gerade schon gesagt worden: Vor gut drei Wochen habe ich für Deutschland an der offenen Debatte im UNO-Sicherheitsrat zur Umsetzung der Resolution 1325 in New York teilgenommen.

Diese Debatte dauerte fast einen ganzen Tag, es haben über 80 Rednerinnen und Redner gesprochen:

Ich meine, dass Frauen eine maßgebliche Rolle für Frieden und Sicherheit spielen, und hier weiterhin viel zu tun bleibt – das muss noch mehr das gemeinsame Anliegen aller Mitglieder der Vereinten Nationen werden.

Ich erlebe gerade auf diesem wunderbaren vielfältigen afrikanischen Kontinent viele starke Frauen, das hat mich in den letzten Monaten sehr beeindruckt.

Sie, liebe Leymah Gbowee, haben eine Vorreiterrolle bei der Einbeziehung von Frauen in Konfliktlösungen und Friedensprozesse gespielt.

Damit haben Sie auch den Weg gewiesen für andere Frauenbewegungen, wie z.B. in Zimbabwe oder der Demokratischen Republik Kongo.

Ich freue mich deswegen besonders, Sie heute hier erleben zu dürfen.

Denn Ihre wichtige Arbeit zeigt:

Die gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen in allen Phasen von Konflikten ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern ein Schlüsselelement für nachhaltige Friedenssicherung.

Das Thema Frauen, Frieden und Sicherheit wird die Bundesregierung auch zu einem ihrer Schwerpunkte im Sicherheitsrat machen.

Wir setzen uns national, regional und international dafür ein, dass Frauen gleichberechtigt auf allen Ebenen und in allen Phasen von Konflikten mitwirken können und engagieren uns für ein Ende von sexueller Gewalt in Konflikten.

Wir hoffen, den Ko-Vorsitz der informellen Arbeitsgruppe zu Frauen, Frieden und Sicherheit im Sicherheitsrat zu übernehmen und aktiv darauf hinarbeiten zu können, dass wir bis zum 20. Jubiläum der Resolution 1325 im Jahr 2020, sichtbare Fortschritte bei der Umsetzung der Resolution erreichen.

Verehrte Gäste,

„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“, sagte Willy Brandt und brachte damit die Sinnlosigkeit des Krieges auf den Punkt.

Wenn ich Leymah Gbowees Geschichte erzähle, dann will ich ergänzen: „…auch ohne Frauen ist alles nichts.“

Danke an den „Verein Internationaler Demokratiepreis“ - der eben das erkannt hat.

Und Ihnen, liebe Leymah Gbowee: Ganz herzlichen Glückwunsch!

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