Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering beim Kulturpolitischen Bundeskongress

28.06.2019 - Rede

Heimat suchen – Heimat finden. Neue Herausforderungen für die internationale Kulturpolitik?

Zuerst gestatten Sie mir, diesen Titel einmal zu hinterfragen. Ich hörte, darüber haben Sie auch gestern diskutiert.

Ist die Frage der Beheimatung und die darin enthaltene Frage nach eigener Identifikation und Integration anderer wirklich ein zentrales Thema für unsere internationale Kulturpolitik?

Die Antwort könnte ein klares Nein sein. Nein, weil es nicht Ziel unserer Kulturpolitik ist, uns über die Abgrenzung zu definieren.

Nein, weil nicht die Repräsentation Deutschlands unsere Politik auszeichnet, sondern Dialog, Austausch und Zusammenarbeit.

Heimat ist Zugehörigkeit - aber sie gehört einem nicht. Keiner hat sie gepachtet, übrigens auch nicht Herr Seehofer. Für jeden von uns hat Heimat eine ganz eigene Bedeutung – sie ist also etwas Subjektives.

Für mich ist Heimat der Geruch von gebrannten Mandeln auf der Cranger Kirmes, Angeln am Kanal, ein Bier auf Schalke und das SPD-Sommerfest.

Heimat ist unsere Tradition, Heimat ist Geschichte: Ich sehe da übrigens auch viele Ähnlichkeiten zwischen Berlin und Herne, meiner Heimatstadt im Ruhrgebiet. Da kommen Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Sie sind über Generationen miteinander auf- und zusammengewachsen – und das ist auch ein Stück Identität.

Aber Identität ist etwas, was man sein kann und nicht etwas, was man zu sein hat. Heimat verengt nicht, sondern sie öffnet.

Und die Öffnung der eigenen Erfahrungen, des Ichs gegenüber anderen, gegenüber der Welt – genau das will auch unsere internationale Kulturpolitik.

Und ich meine, es kann keine abgrenzbare und unverrückbare kulturelle Identität geben. Unsere Identität setzt sich aus vielen Einflüssen zusammen.

Sie alle kennen den Buchtitel „Wer bin ich - und wenn ja wie viele?“ von Richard David Precht.

Unsere Kulturaußenpolitik steht unter dem Zeichen von Kooperation, von Koproduktion und des Zugangs zu Kultur und Bildung.

Dazu gehört vor allem auch der Einsatz für die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft weltweit.

Wir müssen also die Frage der Heimat in einem breiteren, umfassenderen Sinn betrachten, um sie mit den Zielen unserer Kulturpolitik zu vereinbaren.

Wir müssen auf die Welt als Ganzes schauen. Und fest steht auch: die Welt schaut auch auf uns.

Einige von Ihnen haben wahrscheinlich, während ich hier rede, zwischendurch auf ihr Handy geschaut.

Das ist voll ok: Wir bekommen die Nachrichten heute aus aller Welt in Echtzeit. Sie sehen die Proteste in Sudan, Trumps Tweets zu Iran ebenso wie das neueste Outfit von Lady Gaga und die Bilder der Freunde, die gerade in Costa Rica auf Back Packer Tour sind. Übrigens ein Land, das mittlerweile nahezu 100% der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bezieht.

In so einer Welt kann man das Außen und Innen nicht mehr voneinander trennen - das Kleine und das Große, die Kommunal- und die Außenpolitik - all das hängt zusammen. Sie haben darüber auf dem letzten Kongress hier gesprochen. Alexander von Humboldt, an den wir uns in diesem Jahr besonders erinnern, hätte wohl gesagt: „Alles ist Wechselwirkung“.

Die großen Fragen der Zeit – Digitalisierung, Migration, Klimawandel – da sind wir überzeugt, dass wir diese Fragen wir nicht alleine beantworten können.

Das müssen wir all denen entgegen halten, die meinen, sich zurückziehen zu können in ihr nationales Schneckenhaus. Und natürlich müssen all diese Fragen auch kulturell verhandelt werden.

Aber außenpolitisch sehen wir immer neue Krisen und Konflikte, und zwar nicht nur weltweit, sondern auch vor der eigenen europäischen Haustür.

Dazu kommt die Rückkehr des Wettstreits von Großmächten, die hervortretende Fragilität multilateraler Systeme und Vereinbarungen sowie das Hinterfragen von selbstverständlich geglaubten Allianzen und Partnerschaften.

Und auch aus dieser Entwicklung entstandenen Unsicherheiten erklärt sich ein Stück weit die Renaissance des Begriffs Heimat - die Sehnsucht nach dem Bekannten, nach Zugehörigkeit, nach Einfachheit.

Für uns gilt es, dieser Vereinfachung unser Konzept der Gemeinschaft und dem Egoismus die Solidarität entgegenzustellen. In der Kulturarbeit mit „Kooperation und Koproduktion“ – und in der klassischen Außenpolitik mit „Diplomatie und Multilateralismus“.

Multilateralismus und Zusammenarbeit aber sind kein Selbstzweck. Weil wir etwas bewegen wollen.

Die Sustainable Development Goals, die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030, sind aus meiner Sicht die beste Richtlinie, die beste Positivagenda, für unser politisches Handeln.

Deutschland muss das noch viel stärker herausstellen, in allen Ressorts und Ministerien.

Im Jahr 2015 hat die Weltgemeinschaft die Agenda 2030 verabschiedet. Das ist ein Fahrplan für die Zukunft.

Ihr Leitziel ist es, weltweit menschenwürdiges Leben zu schaffen. Das umfasst ökonomische, ökologische und soziale Entwicklungsaspekte. Alle sind aufgefordert, ihr Tun und Handeln danach auszurichten.

Warum sage ich das? Weil die SDGs einen entscheidenden Gedanken der Entwicklungszusammenarbeit weiterentwickeln: Es braucht nicht nur Hilfe zur Entwicklung der Reichen für die Schwachen, es reicht auch nicht der Gedanke der Gleichheit, sondern: Wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung für unseren Planeten. Und nur wenn wir diese Verantwortung auch gemeinsam wahrnehmen, dann werden wir Wachstum und Wohlstand auch zum Nutzen aller fortentwickeln können.

Die SDGs richten sich deswegen auch an alle: die Regierungen weltweit, aber auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft.

Und deswegen ist die Frage des Zugangs, des Teilens und der gemeinsamen Verantwortung auch ein zentrales Thema unserer Kultur- und Bildungspolitik in einer Welt, die sich rasant wandelt.

Lassen Sie mich zurückkommen zum Titel, in Teilen:

1.) „Heimat suchen“

Fakt ist, dass weltweit so viele Menschen wie nie zuvor auf der Flucht sind. Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen waren im vergangenen Jahr mehr als 70 Mio. Menschen auf der Flucht.

Menschen, die ihr Zuhause verlieren, ihre Heimat, weil ihnen die Lebensgrundlagen entzogen werden, aufgrund von Umweltkatastrophen, von Krieg oder Verfolgung.

Diesen Menschen dabei zu helfen, neue Perspektiven zu finden und ihre Heimat auch wieder aufzubauen, auch das ist integraler Bestandteil unserer Kulturpolitik.

Es geht auch um den Schutz der kulturellen Freiheit und derjenigen, die ihn brauchen: kritische Künstler, Intellektuelle, Journalisten und Wissenschaftler.

Und deswegen wollen wir unsere Projekte hierzu in den nächsten Jahren hier noch weiter ausbauen:

Ich will mal zwei nennen:

Das Projekt „Stunde Null“ des Deutschen Archäologischen Instituts.

Hier geht es um Perspektiven für den Wiederaufbau in Syrien. Kulturerbe wird digitalisiert. Kulturerbe wird ganz konkret digitalisiert, um es für das Gedächtnis der Menschheit zu bewahren, und um es in Zeiten eines möglichen Wiederaufbaus, erneut erfahrbar zu machen.

Auch als Strategie gegen diejenigen, die von Ideologie getrieben, eben diese kulturellen Zeugnisse für immer auslöschen wollen.

Oder: Die Stipendien für bedrohte Künstler, Wissenschaftler und Journalisten im Rahmen der Philipp Schwartz- und der Martin-Roth-Initiative sowie der Deutschen Akademischen Flüchtlingsinitiative (DAFI) beim UNHCR.

Begonnen hat die Martin-Roth-Initiative am Gorki Theater in Berlin - dort haben Künstler eine Bühne bekommen und eine neue, eine temporäre Heimat gefunden. Und auch wir haben dabei wichtige Erfahrungen gesammelt.

Natürlich sind diese Programme auch Teil einer aus der Geschichte, aus unserer Geschichte gewachsenen Verantwortung, aber sie zeigen auch, was Vielfalt bewirken kann, wenn Menschen ihre Gedanken, ihre Kreativität einbringen können. Heimat suchen kann also im besten Falle gleichzeitig auch „Heimat finden“ sein.

2.) Heimat finden

Max Frisch hat einmal gesagt: „Heimat sind die Menschen, die wir verstehen und die uns verstehen“.

Wenn es in der internationalen Kulturpolitik auch ganz wesentlich darum geht, das gegenseitige Verstehen zwischen Gesellschaften und ihren Mitgliedern über Grenzen hinweg zu stärken, in einer inklusiven statt exklusiven Betrachtung - dann ist auch die internationale Kulturpolitik nach dieser Definition tatsächlich so etwas wie Heimatpolitik.

Und in einer globalisierten Welt, in denen Innen und Außen kaum zu unterscheiden sind, das Große und das Kleine wichtiger werden, da werden auch die Kommunen als internationale Akteure stärker.

Ich hatte diese Woche Gelegenheit, die 15. deutsch-russische Städtepartnerkonferenz in Aachen zu eröffnen. In Deutschland gibt es heute mehr als 7200 kommunale Partnerschaften, Freundschaften und Kontakte. Das ist eine beträchtliche Zahl. Diese Partnerschaften, zwischen und aus den Zivilgesellschaften erwachsen, ist ein immens wichtiges Netzwerk unserer Außenbeziehungen. Es ermöglicht Begegnung, eröffnet neue Perspektiven - und das ist das beste Mittel, um gegenseitiges Verständnis zu fördern.

Wir sollten diese „Außenpolitik von unten“ künftig noch stärker in den Blick nehmen - etwa indem wir im Auswärtigen Amt eine Anlaufstelle oder einen Ansprechpartner für dieses Netzwerk schaffen.

Dieser würde nicht nur den Städten und Kommunen mit Informationen zur Verfügung stehen, sondern es würden auch Rückmeldungen aus der internationalen Arbeit der Städte in unsere Außenpolitik gespiegelt.

Denn genau das ist Außenkulturpolitik - die „Außenpolitik der Gesellschaften“. Gesellschaften, die im besten Falle voneinander und miteinander lernen.

Ein moderner Heimatbegriff - so hat es Bundesaußenminister Heiko Maas 2018 formuliert - hat nicht in erster Linie mit Orten und Traditionen zu tun, sondern mit Ideen und Überzeugungen, die uns verbinden und die grenzenlos sein können. Es geht um einen gemeinsamen Wertekanon, den man sich aber auch gemeinsam immer wieder neu erarbeiten muss.

Unser Weltbild vom Fortschritt durch Freiheit und Widerspruch, Austausch und Verständigung steht jedoch in einem zunehmenden Wettbewerb mit anderen, autoritären Erzählungen.

Dabei bin ich überzeugt, dass wir nicht den erhobenen Zeigefinger und den Export deutscher Kultur brauchen, sondern vielmehr offenen Austausch und ehrlich gemeinte Kooperation.

In diesem Wettbewerb der Narrative wollen wir plausible Antworten auf die aktuellen Verunsicherungen und Ängste unserer Zeit finden. Im Kern geht es um die Frage, wie wir morgen in dieser Welt gemeinsam leben wollen.

Und weil es in Europa immer noch zwei Arten von Ländern gibt, die, die zu klein sind, um die Herausforderungen alleine zu bewältigen und solche, die noch nicht gemerkt haben, dass sie zu klein sind – deswegen wollen wir die europäische Kulturpolitik stärken.

Im Aachener Vertrag haben wir dazu etwas sehr Konkretes vereinbart: Gemeinsame Institute aus Goethe und Institut Francais. Als Nukleus europäischer Idee - aber offen und als Angebot für andere, mit einzusteigen und Kultur auch ganz praktisch europäisch zu machen.

Weil wir überzeugt sind, dass es uns langfristig nur gut geht, wenn es auch anderen gut geht. Und Einheit wird nicht durch Homogenität und den gleichen Pass gesichert, sondern durch gleiche Freiheitsrechte für alle.

Aber wir müssen auch unsere Gewissheiten immer wieder überprüfen und auf der Höhe der Zeit anpassen.

Die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes wird 2020 100 Jahre alt. Wir erarbeiten gerade eine neue Grundsatzstrategie, die zum 100. Geburtstag auch vorliegen soll.

Sie soll Antworten geben auf unsere Rolle im Wettbewerb der Narrative.

Darauf, wie wir die internationale Kulturpolitik bei der Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung stärker einbeziehen.

Sie soll zeigen, wie wir zivilgesellschaftliche Akteure noch besser einbinden können.

Und sie soll zeigen, was die Digitalisierung für unsere Arbeit bedeutet. Weil auch der digitale Raum ähnlich wie der geographische Raum Teil unserer Außenpolitik ist.

Auch hier müssen wir uns für eine aktive Politik der Meinungsfreiheit einsetzen.

Um diese Themen und Handlungsansätze umsetzen zu können, zählen wir auch weiterhin auf die Unterstützung aus dem Deutschen Bundestag. Die Abgeordneten haben uns in den letzten Jahren maßgeblich unterstützt. Sie haben mit den notwendigen Mitteln wichtige neue Impulse gesetzt.

Darauf sind wir auch weiter angewiesen, auch weil dies deutlich macht, wie sehr die internationale Kulturpolitik als wesentliche Säule unserer Außenpolitik gesehen wird.

Denn gerade in Zeiten der Umwälzungen und Verunsicherungen brauchen wir eine aktive und fortschrittliche Kultur- und Bildungspolitik.

Wir müssen und wollen uns weiterentwickeln. Gemeinsam.

Angesichts des enormen Veränderungsdrucks auf allen Ebenen - von technologischen Entwicklungen bis hin zu globalen Machtverschiebungen, ist das auch nötig.

Sehr verehrte Damen und Herren,
das war bis hierhin lokal bis global.

Doch lassen Sie mich zum Schluss noch etwas sagen über unsere Kulturzusammenarbeit mit einem besonderen Teil der Welt, mit Afrika.

Ich habe im Wahlkreis als Abgeordnete vor Ort öfter erlebt, dass im Zusammenhang mit der Entwicklungspolitik in den Diskussionen gefragt wurde: Was haben wir mit Afrika zu tun?

Gerade da muss Politik deutlich machen, denn die Tatsache ist: ziemlich viel. Afrika ist unser Nachbarkontinent.

Und ich meine, ein Kontinent, den wir besser verstehen müssen. Und dazu gehört für mich als erstes seine Vielfalt.

Es ist hier ähnlich wie mit Europa: „Das Afrika“ gibt es nicht - es ist kein Block, sondern die afrikanischen Länder und Völker sind mindestens so unterschiedlich wie die europäischen.

Der Kontinent ist gewaltig. Ca. 8000 mal 8000 Kilometer in den weitesten Ausdehnungen. Da passt Europa mehrfach rein.

Und: Wir unterscheiden ja – mit Verlaub – auch zwischen Helsinki und Palermo – und da sind weit weniger Kilometer dazwischen als bei Tunis und Kapstadt.

Hinzu kommt: Auf dem afrikanischen Kontinent leben 1,3 Milliarden Menschen. In 32 Jahren sollen es doppelt so viele sein. Und wenn das Wachstum der Wirtschaft mit dem der Bevölkerung nicht mithalten kann, dann steigt auch die Armut.

Es gibt afrikanische Länder, die ihre Herausforderungen trotz Jahren der Entwicklungszusammenarbeit nicht bewältigt haben - es gibt aber auch Länder und Beispiele, die Mut machen.

Bevor ich das erste Mal nach Afrika, nach Nigeria gereist bin, habe ich mir einen Rat besonders zu Herzen genommen: Alles zu vergessen, was man meint zu wissen. Und das war gut.

Nigeria hat mich überrascht. In einer von Deutschland geförderten Start-Up-Werkstatt, die ich besucht habe, habe ich zwei junge Männer getroffen, die an einer Dünger-Drohne arbeiten.

Sie sagten mir, sie würden die Sprinkleranlagen ersetzen wollen, weil sie mit den Drohnen Wasser und Pestizide viel zielgenauer einsetzen könnten. Das hat mich beeindruckt.

Daraufhin habe ich gelernt: Diese Sprinkler, die wurden mal von zwei Juden im Kibbutz erfunden, die sind damit Milliardäre geworden. Heute sitzen da die beiden Jungs in der Millionenmetropole Lagos, in Afrika.

Diese junge Generation, die unheimlich kreativ ist, zu unterstützen, das sehe ich als einen der Hauptansatzpunkte: Weil das die Generation ist, die in Zukunft einen Unterschied machen muss.

Und weil die reine Logik der Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr trägt. Wir brauchen den Austausch der jungen Generation mit Afrika noch viel mehr, wenn wir uns auf die Zukunft konzentrieren wollen. Investitionen, auch gerade in nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung braucht es dringend.

Aber auch die Kraft der Kultur ist gewaltig. Künstlerinnen und Künstler, die sich ausdrücken und ihre Bilder zeigen, Filmemacher und Schriftsteller, die ihre Geschichten erzählen - von denen wir so viel lernen können.

Die Internationale Kulturpolitik ist zu Recht die dritte Säule deutscher Außenpolitik, neben der klassischen Diplomatie und den Wirtschaftsbeziehungen.

Denn: Zur Gestaltung der Zukunft gehört auch die Aufarbeitung der Vergangenheit. Wir müssen uns selbst auch mit den Augen der anderen sehen. Unterdrückung und Ausbeutung ist Teil unserer europäischen Geschichte mit Afrika.

Ich habe in der Schule so gut wie nichts gelernt über den Kolonialismus. Aber da gehört die Debatte hin.

Wie wollen wir verstehen, uns verstehen, wenn wir nichts voneinander wissen?

Wenn wir wirklich auf der viel zitierten Augenhöhe mit unseren afrikanischen Partnern für die Zukunft arbeiten wollen, dann müssen wir Vergangenheit und Gegenwart zusammenführen. Dieser Teil unserer Geschichte ist ein Schlüssel zum Verständnis des Kontinents.

Lassen Sie mich ein letztes Beispiel erzählen. In Berlin bin ich in einer Ausstellung auf ein Video-Kunstwerk gestoßen. Darin sieht man einen Baum.

Dieser Baum steht an der Stelle, am Hafen, von der die Menschen früher auf die Schiffe verladen wurden. Jeder von ihnen musste zweihundertmal um diesen Baum herum laufen, um seine Seele, sein Leben zurückzulassen - und von da an Sklave zu sein.

Der Künstler lässt nun im Video wieder einen Mann um den Baum laufen, immer wieder – diesmal rückwärts.

Ich bin froh, dass wir diese Kunstwerke, dass wir diesen Austausch haben. Das wir davon lernen können, auch in dieser Art und Weise der künstlerischen Auseinandersetzung.

Deshalb bin ich auch froh, dass all diese Aspekte auch in unseren neuen afrikapolitischen Leitlinien festgehalten sind, die wir in diesem Jahr erst als Bundesregierung verabschiedet haben.

Wir haben damit unsere Afrikapolitik gerade neu ausgerichtet und priorisiert. Für uns ist klar: Deutschland wird Afrika auch in Zukunft ein verlässlicher Partner sein. Unser Anspruch ist, dass wir umfassende partnerschaftliche Beziehungen auf Augenhöhe wollen, die aber auch der Komplexität des Kontinents gerecht werden.

Es liegt in unserem Interesse, zur Stabilität und zu einem Abbau des Entwicklungs- und Wohlstandsgefälles zwischen Afrika und Europa beizutragen. Dazu müssen wir auch von und mit Afrika lernen.

Der Koalitionsvertrag stellt auch die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika und die Aufarbeitung des Kolonialismus zum ersten Mal als demokratischen Grundkonsens heraus.

Unser Wohlergehen ist eng mit dem unseres Nachbarn Afrikas verbunden. Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist Teil eines Ansatzes für ein neues, für ein gegenseitiges Verständnis. Das schaffen wir durch kulturellen Austausch, vor allem aber auch die gleichberechtigte Einbindung der Herkunftsgesellschaften.

Wir wollen mehr Zusammenarbeit, mehr Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsaustausch bspw. bei Museumskooperationen. Zum Beispiel mit dem Instrument einer Agentur für internationale Museumskooperation.

Denn in der Kolonialismusfrage geht es nicht nur um die Beseitigung von historischem Unrecht. Sondern gerade auch um das Schaffen einer gemeinsamen Zukunft.

Sehr verehrte Damen und Herren,
zusammengefasst:

Die richtige oder die falsche Heimat gibt es nicht. Es gibt eine Heimat in Afrika und es gibt eine Heimat im Ruhrgebiet.

Es kommt darauf an, dass Menschen ein gutes Leben miteinander führen können. Und deswegen ist diese Debatte am Ende eine Debatte um die Zukunft der Demokratie.

Die Teilhabe und das Recht der Menschen teilzuhaben an der Gestaltung der Welt.

Dafür brauchen wir Verantwortung, Leidenschaft und Augenmaß.

Herzlichen Dank!

Schlagworte

nach oben