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Ansprache von Staatsministerin Michelle Müntefering anlässlich des kulturpolitischen Abends des Goethe-Instituts zu Ehren des Präsidenten des Goethe- Instituts, Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann

03.03.2020 - Rede

Es ist schon ein interessantes Phänomen: Einige der größten deutschen Dichter und Denker sind von Hause aus Naturwissenschaftler.

Novalis studierte an der Bergbauakademie in Freiberg. Büchner forschte über das Nervensystem der Barbe und stellte seine Erkenntnisse der Gesellschaft für Naturwissenschaft in Straßburg vor. Goethe war zwar Jurist, beschäftigte sich aber viel lieber mit Steinen und Mineralien.

Und einer der prägenden Gestalten der heutigen Kulturpolitik in Deutschland ist Physiker.

Was mir bisher entgangen war - jedoch kürzlich in einem Artikel über Sie gelesen habe, lieber Klaus-Dieter Lehmann, haben Sie sogar einmal ein Spektrometer entwickelt, mit dem Mondgestein untersucht wurde, das die Apollo-11-Mission zurück auf die Erde brachte. Mit Goethe teilen Sie also offenbar Ihre Vorliebe für Steine. Aber natürlich auch für Sprache und Literatur!

Darüber haben wir oft gesprochen. Und jedes Mal war es eine Bereicherung. Weil Sie ein Mensch sind, der Erkenntnis sucht – im Anderen.

Trotz Ihrer Erfolge als Physiker haben Sie dann ja auch noch Bibliothekswissenschaften studiert. Man kann wirklich sagen: Sie haben in Ihrem Leben immer wieder Grenzen überwunden, Neues geschaffen. Und: Sie haben in jeder Ihrer Funktionen Bleibendes hinterlassen.

Als Generaldirektor der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main haben Sie nach 1990 die Vereinigung mit der Deutschen Bücherei in Leipzig gemanagt – und die Deutsche Bibliothek zu einem Vorreiter der Digitalisierung gemacht. Ein großes Thema unserer Zeit, das wir auch kulturell buchstabieren müssen.

Als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben Sie mit dem Konzept des Humboldt-Forums viele Kritiker überzeugt. Mich übrigens auch. Als Juso war ich, das muss ich Ihnen gestehen, ziemlich skeptisch, ein altes Stadtschloss im Zentrum der Hauptstadt wieder aufzubauen. Doch die Idee, und der kulturpolitische Diskurs, darüber einen Ort des Dialogs mit der Welt zu gestalten, hat mich mit der Hülle versöhnt. Dass das Humboldt-Forum als „Fenster zur Welt“ bald eröffnet werden soll und mit dem Goethe Netzwerk sogar kooperiert, ist nicht zuletzt auch Ihr Verdienst.

Das ist wahrlich ein schönes Geburtstagsgeschenk. Denn jetzt steht es fest:

Das Goethe-Institut soll ein guter Schloss-Geist sein, der hier künftig sein kreatives Unwesen treibt.

Die Geschicke des Goethe-Instituts haben Sie entscheidend mitgeprägt. Sie haben das Goethe-Institut in schwieriger Zeit übernommen. Unter Ihrer Ägide hat sich das Goethe-Institut seit 2008 neu aufgestellt. Mit einer neuen, dezentralen Struktur und mehr Verantwortung für die Institute vor Ort. Aber auch inhaltlich.

Für mich waren diese Einmischung, diese Stellungnahme, diese Positionen als Jugendliche bereits wichtig – und sie sind es geblieben – und werden es bleiben!

Ich möchte hier nur vier Schlagwörter nennen, die ich ganz besonders mit Ihrem Wirken und unseren Diskussionen verbinde.

Freiräume offen halten: Wir leben leider in einer Zeit, in der die Freiräume weltweit kleiner werden. Journalistinnen und Journalisten werden verfolgt, Kunst wird zensiert, selbst in Europa können Kulturschaffende in manchen Ländern nicht frei arbeiten.

In einer solchen Zeit muss die Internationale Kultur- und Bildungspolitik alles dafür tun, um Freiräume zu erhalten. Sie darf nicht beliebig sein – sondern von Werten geleitet. Und: Die Goethe-Institute in aller Welt tun genau das. Zum Beispiel mit den Orten der Kultur in der Türkei. Wie wichtig das ist, zeigt die erneute Verhaftung Osman Kavalas. Auch für die Martin-Roth-Initiative haben Sie sich persönlich eingesetzt.

Ein Europa des Zusammenhalts: Die stärkere europäische Zusammenarbeit jenseits nationalstaatlicher Repräsentationsansprüche war Ihnen immer ein Anliegen.

Mit dem Aufbau deutsch-französischer Kulturinstitute sind wir auf diesem Weg ein gutes Stück vorangekommen. Ein Nukleus für eine gemeinsame, transnationale Europäische Kulturpolitik entsteht, die es weiter zu entwickeln gilt.

Aufarbeitung des Kolonialismus: Der Koalitionsvertrag benennt erstmals die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte als Teil des „demokratischen Grundkonsenses“. Das ist auch höchste Zeit. Viel zu lange haben wir uns um dieses Thema herumgedrückt.

Aber den Kolonialismus aufarbeiten können wir eben nur zusammen mit unseren Partnern in Afrika und anderen Kontinenten. Alles andere wäre eine reine Nabelschau. Sie haben sich in diese Diskussion eingemischt: Das Goethe-Institut hat hier in den vergangenen Jahren viel geleistet. Beispielsweise mit den „Museumsgesprächen“. Die Diskussionen in Ouagadougou, Kigali, Daressalam, Accra, Johannesburg, Kinshasa und Windhuk haben wichtige Impulse für die Frage der Zukunft von Museen im postkolonialen Afrika gegeben.

Auch zu kritischen Fragen wie dem Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten.

Neue Technologien und digitaler Wandel: Als Naturwissenschaftler haben Sie immer auch ein waches Interesse an technischen oder durch neue Technik ermöglichten Neuerungen behalten. Das Goethe-Institut hat sich unter Ihrer Leitung dafür geöffnet und oft auch an vorderster Front dafür engagiert. Ich denke hier zum Beispiel an die die Veranstaltungen zum Thema Entwicklung Künstlicher Intelligenz in vielen Goethe-Instituten oder an das Ihnen besonders wichtige Thema Nachhaltigkeit.

Das sind alles sehr unterschiedliche und vielseitige Themen: Aber sie hängen doch auch miteinander zusammen. In einem Beitrag im Tagesspiegel haben Sie einmal gesagt, das Kennzeichen der Globalisierung sei es, dass das Innen und Außen zunehmend verschmelzen. Johannes Ebert hat es gerade gesagt: diese Verschmelzung von Innen und Außen ist wohl geradezu das Leitmotiv Ihrer Präsidentschaft.

Das Goethe-Institut heute ist mehr als ein Vermittler deutscher Kultur im Ausland. Und das muss es auch sein. Es muss Mittler zwischen unserem Land und den Kulturen der Welt sein.

In beide Richtungen. Es muss die vielfältigen Erfahrungen aus der Welt auch in Deutschland einbringen. Es muss durch Austausch zu einer weltoffenen und freiheitlichen Gesellschaft auch in Deutschland beitragen. Zu einer Gesellschaft gegen Ausgrenzung und gegen Hass.

Um sich den rückwärtsgewandten Nationalisten entgegenzustellen, braucht es vereinte Kräfte. Wissenschaft und Kunst können eben auch gemeinsam mit Verantwortung übernehmen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Ein kommendes Thema für die Internationale Kulturpolitik ist aus meiner Sicht deswegen auch die Stärkung der Science Diplomacy.

Es gilt: Kulturpolitik hat eben auch etwas mit Haltung zu tun. Sie haben genau das immer in besonderer Weise verkörpert. Gerade in den letzten Wochen haben Sie sehr klare Worte gegen den Terror von rechts gefunden. Dafür danke ich Ihnen, auch ganz persönlich.

Vielleicht hat auch Ihre eigene Lebensgeschichte zu dieser Haltung beigetragen.

Als Kind mussten Sie aus Breslau fliehen.1945 verließen Sie die Stadt mit dem letzten möglichen Flüchtlingszug. Sie wissen, was es heißt, auf der Flucht zu sein und sich ein neues Leben aufbauen zu müssen.

Wahrscheinlich ist deshalb in Ihrem Herzen auch der Gedanke so tief verwurzelt, dass Kultur dazu beitragen kann, Menschen einander näher zu bringen. Dass Kultur und Bildung möglichst allen Menschen offenstehen sollte.

Im Museum Berggruen, dessen Gründung Sie als Präsident der SPK zusammen mit Heinz Berggruen vorangetrieben haben, ist ein Film zu sehen, in dem Sie sich mit Berggruen über die Möglichkeit unterhalten, das Museum durchgehend für das Publikum zu öffnen, also auch am Montag.

Beim Zuschauen spürt man sofort, wie wichtig es Ihnen ist, den Zugang zu Kultur und Bildung so offen wie möglich zu gestalten. Auch wenn Sie sich mit ihrem Anliegen in diesem Fall mal nicht durchsetzen konnten – im Falle des Humboldt-Forums wird diese Idee wohl endgültig umgesetzt.

Lieber Herr Lehmann,

es ist erstaunlich, mit welcher Leidenschaft und Energie Sie in den letzten Jahrzehnten das Kulturleben in Deutschland und darüber hinaus geprägt haben. Nicht nur an den verschiedenen beruflichen Wirkungsorten, sondern auch in fast schon unzähligen Gremien und Vereinen. Da kann man sich schon fragen, woher Sie eigentlich diese Energie nehmen.

Aber die Lösung ist verblüffend einfach: Sie haben ja eigentlich nur aller vier Jahre Geburtstag, sind also viermal langsamer gealtert. Über sich selbst haben Sie dazu gesagt: „Dieser Tag ist die Korrektur des Sonnenjahres gegenüber diesem nüchternen Kalenderjahr. Und ich bin auf der hellen Seite des Lebens.“

Dass Sie ein Schaltjahrgeburtstagskind sind, reicht als Erklärung für Ihre enormen Leistungen am Ende aber wohl doch nicht ganz aus. Vermutlich ist es doch vor allem Ihre menschliche Wärme, vereint mit Humor, intellektueller Brillanz und großer Menschenkenntnis, die Ihnen Ihren großen beruflichen Erfolg, überragende Anerkennung im In- und Ausland, aber vor allem viele Sympathien eingebracht hat.

Viele Partner in aller Welt beneiden uns um das weltumspannende Netz von fast 160 Instituten und noch viel mehr ausgezeichneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die solche anspruchsvollen und faszinierenden Projekte ermöglichen. Im November dieses Jahres werden Sie dieses von Ihnen nicht nur gepflegte, sondern aktiv weiterentwickelte Netz in bestem Zustand in neue Hände legen.

Bis dahin ist noch ein wenig Zeit, die Sie sicherlich bis zur letzten Sekunde ausnutzen werden, um schnell noch die ein oder andere richtungsweisende Idee auf den Weg zu bringen.

Der Schaukelstuhl war Ihnen schon immer viel zu bequem. Ihr ruhiges Wesen hat Ihren Tatendrang nie begrenzt.

Vielleicht hängt diese Eigenschaft mit ihrer innigen Beziehung zu Japan zusammen? Japanische Sinnsprüche zeichnen sich durch Kürze und Prägnanz aus. Eines davon besagt: Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden.

Ich hoffe, dass Sie diese Kunst in der Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt und auch mit mir nur wenig einsetzen mussten.

Kreativität jedenfalls ist mit Ihnen immer an der Tagesordnung. Und gerade deshalb ist unsere Zusammenarbeit für mich auch so bereichernd.

Für das gesamte Auswärtige Amt und auch von Außenminister Heiko Maas, der sich schon bei Ihnen gemeldet hat, sage ich heute: Danke für den gemeinsamen Weg, den gemeinsamen, guten Geist.

Ganz persönlich, lieber Klaus-Dieter Lehmann: Danke für die Offenheit, die Nachdenklichkeit, für die klare Haltung - und das immer währende beharrliche Streiten für unsere Demokratie.

Herlinde Kölbl hat es gerade auf den Punkt gebracht: Sie sind ein wunderbarer Mensch. Das sagen, und das zeigen auch die Gäste heute Abend hier.

Lieber Herr Lehmann,

älter werden ist die beste Möglichkeit, länger zu leben. Auch das können Sie gut. Zum 80. Geburtstag: Herzlichen Glückwunsch.

Die Verabredung ist klar: Zum Schaltjahr wird gefeiert. Und zwischendurch sehen wir uns auf der hellen Seite des Lebens.

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