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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering bei Jugend debattiert international in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, Jahresabschlussveranstaltung 2020

01.10.2020 - Rede

„Diktaturen sind Einbahnstraßen. In Demokratien herrscht Gegenverkehr“. Das sagte der italienische Schriftsteller Alberto Moravia. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Denn in einer Demokratie fahren tatsächlich nicht alle stromlinienförmig in dieselbe Richtung. Es gibt nicht die eine richtige Meinung. Sondern Demokratie heißt: sich einzumischen, zu streiten, zu debattieren. Aber eben auch: zuzuhören und Widerspruch zu ertragen.

Das kann manchmal anstrengend sein. Auf einer großen Einbahnstraße fährt es sich sicherlich einfacher als im Gewusel einer großen Innenstadt. Alles schön geordnet und übersichtlich. Aber: Auf einer Einbahnstraße kann man eben auch nicht abbiegen, wenn es in die falsche Richtung geht.

Beim demokratischen Gegenverkehr muss man auch auf seine Mitfahrer achten. Das Ringen um das beste Argument funktioniert eben nur, wenn man sich gegenseitig zuhört; wenn man sich mit dem Standpunkt des anderen auseinandersetzt.

Demokratie heißt Austausch. Wer in seiner Echokammer sitzt und seine eigenen Worte in immer größerer Lautstärke wiederholt bekommt, der wird schnell taub. Leider wird im Moment der Monolog der Schwerhörigen unüberhörbar lauter.

Immer mehr Menschen versuchen, diejenigen, die eine andere Meinung haben als sie selbst, auch niederzuschreien anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Dialog, Austausch und das Abwägen von Interessen und Standpunkten: Das braucht die Demokratie. Es ist aber auch die Voraussetzung dafür, dass wir als globale Gemeinschaft die riesigen Herausforderungen bewältigen können, vor denen wir gerade stehen.

Das gilt für Corona, das gilt aber natürlich genauso für den Klimawandel oder den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlage.

Deshalb ist es wichtig, dass wir weltweit nicht nur über Einbahnstraßen, sondern auch über alternative Antriebe diskutieren. Ansonsten enden wir alle bald in der Sackgasse einer zerstörten Umwelt.

Auch in Europa ist die Bereitschaft zum Austausch und zur gemeinsamen Suche nach Lösungen die Voraussetzung dafür, dass wir vorankommen. Es braucht mehr als einen gemeinsamen Wirtschaftsraum oder die Zusammenarbeit von Regierungen. Es braucht den Austausch der Menschen und gerade auch der jungen Generation in Europa.

Es braucht einen Debattenraum über die Zukunft unseres Kontinents.

Das ist auch eines der Ziele, die wir uns für die EU-Ratspräsidentschaft im Juli vorgenommen haben. Ein Teil davon ist das Kulturprogramm, das ich Ihnen und Euch allen noch einmal ganz besonders an Herz legen möchte.

Der Künstler Olafur Eliasson hat eine App entwickelt, den Earth Speakr. Diese App kann man herunterladen, was ich sehr empfehle. Darin sollen vor allem Kinder und Jugendliche zu Wort kommen, indem sie ihre Gesichter virtuell mit der Natur verbinden und prägnante Standpunkte und Meinungen uns darüber mitteilen, über diese digitale App, über dieses digitale Kunstwerk. Und wer, wenn nicht Sie, wer, wenn nicht Ihr, könnt mit euren Ideen einen Beitrag für die Zukunft Europas miteinander teilen.

Liebe Schülerinnen und Schüler,
um einen europäischen Debattenraum geht es auch heute. Mit diesem Wettbewerb, mit „Jugend debattiert“ geben Euch die Partner des Projektes die Möglichkeit, euch einzubringen und miteinander ins Gespräch zu bringen.

Debattenwettbewerbe sind an sich schon herausfordernd. Ich selbst habe daran einmal teilgenommen und treffe noch heute Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich gesellschaftlich engagieren, nicht zuletzt auch als Abgeordnete im Bundestag.

Also, wo auch immer Ihr euer Talent und die Erfahrungen aus dem Wettbewerb einbringt, es möge euch auf Eurem weiteren Lebensweg helfen.

Und ich habe auch eine Bitte: Tragt den Wert einer freien Debatte, einen fairen und offenen Debatte, des Austausches auch nach außen. Es kann nur gut gehen, wenn man sich gegenseitig ernst nimmt und aufeinander hört.

Wir haben es gerade gehört: Ja, im Internet wird der Ton rauer und leider auch im Deutschen Bundestag, wo ich gerade herkomme. Ich wünsche mir, dass wir als Demokratinnen und Demokraten streiten miteinander, aber vor allem für eine friedliche Welt und ein gutes Miteinander auf diesem Planeten, denn davon haben wir nur einen.

Ich möchte allen danken, vor allem auch Euren Lehrerinnen und Lehrern! All denen, die den Austausch befördern, die zusammenkommen und sich aktiv einbringen. Das ganze PASCH-Netzwerk ist dabei.

Wir haben mittlerweile über 600.000 Schülerinnen und Schülern in diesem Pasch-Netzwerk. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich, dass Ihr euch auch persönlich begegnen könnt.

Jedenfalls wäre ohne das großartige Engagement der Lehrerinnen und Lehrern das alles so nicht möglich.

Zu guter Letzt noch einmal ein großes Dankeschön an alle, die geholfen haben: die drei Projektpartner, die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen, das Goethe-Institut und die Gemeinnützige Hertie Stiftung. Dank an das ganze Netzwerk und an die, die heute diese digitale Konferenz möglich machen.

Seit der Ersten Runde von Jugend debattiert International in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist die Zahl der teilnehmenden Länder mittlerweile auf inzwischen 14 angewachsen.

Das geht natürlich auch nur, weil Deutsch als Fremdsprache immer noch attraktiv ist. Und das ist etwas, was mich besonders freut. Wir haben gerade in dem Zitat von Mark Twain gehört, dass das Erlernen der deutschen Sprache gar nicht so einfach sei. Ich hoffe, dass Sie und Ihr euch mit der deutschen Sprache gut zurecht kommt und euch darüber auch mit Deutschland verbunden fühlt.

Ich wünsche uns allen eine lebhafte und anregende Debatte zu den zwei spannenden Themen. Aber vor allem wünsche ich Euch eine Debatte ohne Einbahnstraße. Sondern eine Debatte mit dem Mut zum Querdenken.

Herzliche Grüße aus Berlin!

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