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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering zur Eröffnung der Ausstellung „Verfolgen und Aufklären. Die erste Generation der Holocaustforschung“

30.01.2019 - Rede

Ich habe heute die große Ehre zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Außenminister Heiko Maas hat mich gebeten, ihn hier zu vertreten. Sehr gerne wäre er heute Nachmittag hier bei Ihnen gewesen, er ist jetzt gerade im Bundestag.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden. 500.000 Sinti und Roma.

Über 200.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen. Mehr als 5.000 homosexuelle Männer. Sie alle wurden Opfer des größten Verbrechens in der Geschichte – der Shoa Ihnen gedenken wir in diesen Tagen. Bitte Sie um eine Schweigeminute.

Vielen Dank!

Meine Damen und Herren,

die Zahlen der Opfer, vor allem aber die Verbrechen an der Menschlichkeit sprengen jede Vorstellungskraft.

Und sie verbergen die einzelnen Schicksale dahinter.

Dies war ein Kalkül der nationalsozialistischen Verbrecher: die Individualität der Opfer auszulöschen. Ihnen ihre Individualität nehmen, ihre Namen. Mit dem Mord an Millionen von Juden sollte der Einzelne dahinter verschwinden.

Wir verdanken den frühen Holocaust-Forscherinnen und Forschern, dass genau dies nicht gelungen ist.

Sie sammelten, zum Teil unter Einsatz ihres Lebens, noch während des Geschehens Zeugnisse.

Sie sammelten Zeugnisse für die Verbrechen im Nationalsozialismus: authentische Berichte über die Menschen hinter den Zahlen. Ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Namen.

Meine Damen und Herren,

die frühen Holocaust-Forscherinnen und -Forscher waren Pioniere, stellten sich gegen das Verdrängen.

Und doch:

Viel zu viele der nationalsozialistischen Verbrechen blieben ungesühnt.

Doch dank dieser Pioniere konnten zumindest einige der Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Sie sicherten Beweise und ermöglichten damit Strafverfolgung.

Sie setzten sich auch gegen die Bemühungen der Tatbeteiligten, die Spuren ihrer monströsen Verbrechen zu verwischen.

Und dieser Bemühungen gab es viele.

Es gab sogar ein eigenes Sonderkommando, das die Spuren des millionenfachen Massenmordes in Treblinka, Sobibór und Belzec zu verbergen versuchte. Leichen wurden ausgegraben, verbrannt und ihre Knochen anschließend zermahlen.

Auch diesem entsetzlichen Treiben stellen die frühen Holocaust-Forscher Aufklärung entgegen.

Im Untergrund führten sie mit den wenigen Überlebenden, die bei den Aufständen in Treblinka und Sobibór entkamen, Interviews.

Sie sammelten Material, das später der Verfolgung der Tatbeteiligten diente und den wenigen Hinterbliebenen erste Anknüpfungspunkte für Aufklärung der Verbrechen und Erinnerung bot.

Von diesem Bemühen um Erinnerung, Dokumentation und Strafverfolgung erzählt diese Ausstellung.

Ich danke insbesondere dem Haus der Wannseekonferenz und den Studentinnen und Studenten des Touro Colleges, die diese zusammen mit der Wiener Library erarbeitet haben.

Meine Damen und Herren,

die Ausstellung erzählt von Menschen, wie etwa Gerhard Riegner, der versuchte mit einem Telegramm im Sommer 1942 die Alliierten wach zu rütteln. Er stieß auf Skepsis und Unglauben - es dauerte fast ein halbes Jahr, bis das Morden öffentlich verurteilt und thematisiert wurde.

Trotzdem geschah kaum etwas. Es blieb meist mutigen Einzelnen überlassen, Jüdinnen und Juden zu verstecken - selbst als das Ausmaß des Mordens schon nicht mehr angezweifelt werden konnte.

Meine Damen und Herren,

Der Holocaust ist singulär. Für uns gilt und muss gelten: Nie wieder!

Deutschland arbeitet heute aktiv an Bemühungen der Internationalen Gemeinschaft zur Prävention von Völkermord mit.

  • Wir wollen als nichtständiges Mitglied 2019/20 im Sicherheitsrat dazu beitragen, dass diese Aufgabe im Sicherheitsrat immer präsent ist.
  • Gerade aus der eigenen historischen Erfahrung wissen wir: Die Bedeutung der strafrechtlichen Ahndung von Völkermord für die zukünftige Prävention ist groß.
  • Wir sind konsequenter Befürworter der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs, den wir seit seiner Schaffung kontinuierlich unterstützen.
  • Und an den Orten, wo der Internationale Strafgerichtshof leider nicht wirken kann, setzen wir uns dafür ein, dass unabhängige internationale Untersuchungsmechanismen zur Aufklärung beitragen und einer möglichen späteren Strafverfolgung den Weg ebnen.

Die Ausstellung sehe ich auch in diesem Zusammenhang.

Sie soll deshalb auch an Orten gezeigt werden, an denen heute über Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Gericht gesessen wird.

Beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, den Vereinten Nationen in New York, beim Menschenrechtsrat in Genf oder dem Europaparlament. Auch die OSZE in Wien hat bereits konkretes Interesse signalisiert.

Das ist wichtig, da die Ausstellung auch etwas darüber erzählt, wie diese Verbrechen geschehen konnten, während die „Welt“ zuschaute und sich abwandte.

Auch hieran müssen wir uns erinnern, wenn heute in der Welt Massenverbrechen verübt werden.

Meine Damen und Herren,

aus den Verbrechen der Vorfahren erwächst Verantwortung, eine Verantwortung der Erinnerung, die wir als Deutsche immer tragen werden. Diese Erinnerung und der daraus erwachsende Anspruch „Nie wieder“ aber ist keine Selbstverständlichkeit.

Jede Generation muss sich das Erinnern erarbeiten. Das ist eine besondere Herausforderung, vor allem dann, wenn die, die von dem Gesehenen berichten können von uns gehen.

Was können wir, was kann meine Generation tun? Diese Frage habe ich mir gestellt als wir vor gut einem Jahr in Koalitionsverhandlungen saßen.

Was damals als Idee begann, ist gestern von Außenminister Maas und Familienministerin Giffey offiziell gestartet worden: Das Bundesprogramm „Jugend erinnert“.

Damit stellen wir zusätzlich Mittel bereit, um unsere Erinnerungskultur auch für die kommende Generation zugänglich zu machen: zum Beispiel für internationale Jugendbegegnungen in Gedenkstätten.

Genauso wollen wir neue Formen wie die Digitalisierung der Berichte der Überlebenden unterstützen.

Denn wir werden uns auch in Zukunft erinnern. Auch dank der frühen Holocaust-Forscherforscher und – ausdrücklich auch der -Forscherinnen, die in der Ausstellung besonders gewürdigt werden. Sie haben geholfen, hinter den Zahlen die Individualität der einzelnen Schicksale zu erhalten.

Ihr Engagement kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Denn wir müssen aus der Geschichte lernen – und gemeinsam Zukunft gestalten!

Vielen Dank!

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