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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering auf der Holocaust Survivors Night der Jewish Claims Conference

04.12.2018 - Rede

Sdráßtwujti!

Als der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000 vor das israelische Parlament, die Knesset, trat, sagte er: „Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte. Ich bitte um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen.“

Diese Bitte um Vergebung galt und gilt den Toten, und sie gilt Ihnen, die Sie den Holocaust, das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, überlebt haben.

Für Sie veranstaltet die Jewish Claims Conference heute zum zweiten Mal die Holocaust Survivors Night.

Sie fällt in die Zeit von Chanukka. Viele Jahre Ihres damals noch jungen Lebens haben Sie Chanukka nicht feiern können. Es gab überhaupt kein jüdisches Fest, das Sie feiern konnten.

Sie kämpften ums nackte Überleben.

Jeder Tag, den Sie weiterlebten, war ein Geschenk.

Jeder Tag gab einen kleinen Hoffnungsschimmer, gemeinsam das mit Worten gar nicht Darstellbare durchzustehen: Eltern die kleine Flamme der Hoffnung, dass wenigstens die Kinder überleben würden.

Deutsche haben die Verbrechen an Jüdinnen und Juden geplant und aufs Grausamste umgesetzt.

Und: Zu viele Täter gingen straffrei aus.

Die strafrechtliche Aufarbeitung ist das Eine.

Die individuelle Entschädigung das Andere. Lassen Sie mich hier ganz klar sagen: Die Bundesregierung bekennt sich uneingeschränkt zu den Hilfen für die Opfer des Nationalsozialismus und steht den Menschen vor Ort zur Seite, gerade auch bei der Überwindung bürokratischer Hürden.

Die Bemühungen der Bundesregierung umfassen neben der materiellen Übernahme von Verantwortung – seit Jahrzehnten –auch eine entscheidende moralische Komponente:

Es geht um die Anerkennung und Würdigung aller persönlichen Einzelschicksale, die gehört und bewahrt werden wollen.

Es geht um die immerwährende Mahnung an uns alle. Diese mahnende Rolle, das Nicht-Vergessen sind deutsche Staatsräson geworden.

Die Erinnerung an den Holocaust halten wir wach und vermitteln: Gerade wir Deutschen tragen eine besondere Verantwortung dafür, dass Antisemitismus keinen Raum gewinnt, dass solche unbeschreiblichen Verbrechen sich nicht wiederholen, niemals und nirgends.

„Es gibt kein Leben ohne Erinnerung. Das Schicksal der nachwachsenden Generationen verbindet sich immer mit dem der Toten.“

– auch dieses Bekenntnis stammt aus der vielbeachteten Rede Johannes Raus aus dem Jahr 2000.

Heute können jedes Jahr mit dem Johannes Rau Stipendium junge Israelis für eine gewisse Zeit nach Deutschland kommen und hier in Gastfamilien leben. Es geht uns genau darum sich gemeinsam mit der Vergangenheit auseinandersetzen und auch gemeinsam Zukunft zu suchen!

Und dazu gehört besonders, dass wir in jeder Generation Jugendliche und junge Erwachsene dafür sensibilisieren.

In jeder deutschen Schule gehört die Holocaust-Erinnerung heute zum festen Unterrichtsprogramm.

Paul Celans eindringliches Gedicht die „Todesfuge“ etwa, ist für eine ganze Generation zur immerwährenden Mahnung geworden, auch für mich ganz persönlich.

Mit dem neuen Programm „Jugend erinnert“, für das ich mich persönlich im AA eingesetzt habe, wollen wir noch mehr jungen Menschen den Zugang zu Gedenkorten im In-und Ausland ermöglichen – auch in Zukunft.

Das Auswärtige Amt bemüht sich darum, die Erinnerung an das jüdische Leben vor allem in Osteuropa zu bewahren. Es fördert beispielsweise die Pflege jüdischer Friedhöfe in der Ukraine. Die Erinnerung an das reiche schriftstellerische Erbe vor allem in der Bukowina und in Galizien.

Auch hier nenne ich noch einmal Paul Celan - einen Autor der mich bereits in jungen Jahren maßgeblich prägte und meinen Weg in die Politik mit bereitete – aber auch Rose Ausländer oder Hermann Kesten.

An all jene Autoren erinnern wir im Rahmen der Bukowinisch-Galizischen Literaturstraße.

Das Leo-Baeck-Institut in New York erhält regelmäßig Mittel, um besonders an das Leben von Jüdinnen und Juden, die Deutschland verlassen mussten oder im Holocaust umgekommen sind, zu erinnern.

So hilft die Kunst die Wunden zu heilen, die der Verstand geschlagen hat.

Besonders hervorheben möchte ich zudem die Kooperation mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Vergangene Woche erst konnte ich den Leiter, Herrn Avner Shalev treffen.

Auch mit Yad Vaschem sind wir im engen Austausch, wie wir Erinnerungsarbeit in der Zukunft gestalten können.

Alle unsere Bemühungen haben vor allem ein Ziel: Nie wieder!

Und doch müssen wir feststellen, dass antisemitische Einstellungen in unserer Gesellschaft immer noch vorhanden sind und sie werden wieder sichtbarer.

Und deshalb ist es so wichtig, dass alle staatlichen Stellen und die Gesellschaft zusammenstehen gegen jeden Antisemitismus.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Seit zwei Tagen steht am Brandenburger Tor wieder der Chanukka-Leuchter.

Jeden Tag wird ein weiteres Licht angezündet, so wie das jetzt gleich auch hier geschehen wird. Kerzen als Zeichen der Hoffnung. Sie bringen Licht in die Dunkelheit; ein neues, sichtbares Zeichen der Hoffnung, mehr noch, es ist ein Geschenk, wenn heute wieder Jüdinnen und Juden in Deutschland leben.

Ein Geschenk an die Menschheit, an die Menschlichkeit, das ich erlebe in meiner Nachbarschaft, der Oranienburgerstraße, wo auch hebräisch zu hören ist.

Ich wünsche mir, dass in Zukunft keine Sicherheitsleute, keine Zäune mehr die jüdische Schule in meiner Nachbarschaft bewachen müssen, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland und in der Welt selbstverständlich und sicher sind. Das ist Aufgabe meiner Generation, die sich bewusst ist: Nie wieder!

Liebe Damen und Herren,
Chanukka ist ein fröhliches Fest!

Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag, ein langes Leben und Chanukka Sameach.

Schelaju wam prijatnowa wetschera, dolgich let schisni i Hanuka Sameah.

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