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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart
„Auf den Brettern, die die Welt bedeuten – wie Internationale Kulturpolitik auch in Stuttgart beginnt“
Es ist mir eine große Freude, heute hier bei Ihrer Jahresfeier Sie alle, aber besonders auch die neuen Studentinnen und Studenten an der HDMK begrüßen zu dürfen, denen ich vor allem erst einmal ganz herzlich gratulieren möchte. Sie werden hier in den kommenden Jahren eine erstklassige Ausbildung erhalten, die in Deutschland zu den besten zählt und sich auch im internationalen Wettbewerb behauptet. Die HDMK hat einen außergewöhnlich guten Ruf.
Ihre Hochschule hat: eine lange Tradition und seit ihrer Gründung 1857 viele hervorragende Künstler hervorgebracht. Hier haben Sie alle Entfaltungsmöglichkeiten. Denn die HDMK ist international ausgerichtet, aber ebenso fest in der Region verankert.
Ich habe mir sagen lassen, dass die Hochschule außerdem jährlich über 400 Veranstaltungen durchführt. Das macht sie auch zu einem der beliebtesten Kulturorte hier in der Region. Schade, dass Berlin und das Ruhrgebiet einige Bahnstunden entfernt sind. Ich wäre sonst gerne häufiger hier zu Gast!
Sie jedenfalls haben den Bewerbungs- und Auswahlprozess erfolgreich bestanden, der wie mir scheint, noch schwieriger ist als der im Auswärtigen Amt für den diplomatischen Dienst: Über 2800 Bewerbungen pro Jahr auf nur 100 Studienplätze. Das zeigt: Sie verfügen entweder über außergewöhnliches Talent - oder, oftmals ebenso wirksam: Sie lassen einfach nicht locker. Sie werden hier in dieser Diamantenschleiferei jedenfalls gut vorbereitet werden für die Bretter, für die Bühnen dieser Welt. Das ist ein Privileg und dafür wünsche Ich Ihnen allen die besten Erfahrungen und viel Erfolg.
Mit Talenten ist das ja so eine Sache - ganz ohne geht es dann eben auch nicht. Als mich vor unserer Veranstaltung eine Journalistin nach meiner Liebe zur Klassik fragte, da habe ich zugegeben: Trotz elf Jahren Geigenunterrichts würde mein Spiel wahrscheinlich gegen die UN-Menschenrechtskonvention verstoßen.
Im Schul- und Stadtjugendorchester saß ich jedenfalls in der dritten Geige ganz hinten und habe bei Aufführungen immer versucht, den Bogen nur ganz sanft auf die Seiten zu legen. Dafür aber habe ich von Anfang an schon die Schnitzeljagden auf den Orchesterfahrten organisiert - und kannte natürlich immer die neuesten Bratschen-Witze: „Bratsche links, Bogen rechts.“ Im Chor ging es mir da schon viel besser.
Ich bin jedenfalls froh, wenn es für die Musik schon nicht gereicht hat, dass ich heute zumindest als Rednerin und dazu als Staatsministerin für die Internationale Kulturpolitik vor Ihnen stehen kann. Denn dieser Bereich beschreibt die dritte Säule unserer Außenpolitik, neben der Diplomatie und den Wirtschaftsbeziehungen - eine Außenpolitik der Gesellschaften.
Aber warum erzähle ich das?
1. Weil die Liebe zur Musik natürlich etwas Persönliches ist und geblieben ist. Die Partituren aus der Schulzeit sind bis heute tief eingeprägt. Ein Musikstück, das man kennt, ist ein Geschenk, das sich heilend auf die Seele legt: Das Weihnachtsoratorium, das Brahms- oder Mozart-Requiem, der Elias, die Matthäus Passion, Carmina natürlich, die Iphigenie in Aulis, die Entführung, Brechts Dreigroschenoper oder Schuberts Lieder. Es sind Gefühlswelten aus Jugendtagen, die ich immer wieder neue begehen kann und in mir trage. Heute höre ich auch gerne Weltmusik, etwa den Pianisten Fazil Say, den ich als Künstler während der Gezi-Proteste in der Türkei entdeckt habe. Seine Ilk Sakilar (neue Lieder, Vertonung von Nazim Hikmet Gedichten) etwa wäre eine Empfehlung, wenn ich die hier abgeben darf (im besagten Interview ist mir das natürlich nicht ad hoc eingefallen).
Umso mehr freue ich mich über Ihre Beiträge heute und wenn ich übernächste Woche in Boston das Leipziger Gewandhausorchester im Rahmen unseres Deutschlandjahres in den USA erleben kann.
Das wird ein besonderes Highlight zum Abschluss unseres Deutschlandjahres mit über 1000 Veranstaltungen in den Staaten - das gemeinsame Konzert der Boston Symphoniker und des Leipziger Gewandhausorchesters, der Bundespräsident wird als unser Schirmherr dort sein. Seit über 100 Jahren besteht eine Verbindung zwischen den weltbekannten Orchestern in Leipzig und Boston. Mit diesem Konzert wird das Ereignis 30 Jahre Mauerfall musikalisch zelebriert und gleichzeitig der Abschluss des Deutschlandjahres USA feierlich eingeläutet.
Die Konzerthalle des Boston Symphony Orchestra wurde übrigens nach dem Vorbild des Gewandhauses errichtet. Seit der Saison 2017/2018 hat diese Verbindung eine spannende neue Komponente erhalten: die beiden Orchester „teilen“ sich den Dirigenten, den bekannten lettischen Künstler Andris Nelsons. Vor diesem Hintergrund haben die Orchester auch eine strategische Partnerschaft beschlossen. Das Motto des Deutschlandjahres „Wunderbar Together“ werden wir auf diese Weise einmal mehr tatsächlich erfahren können. Wie wohltuend, auf so vielen Ebenen, gerade in Zeiten, in denen ein anderer Präsident über Twitter und Fox-News regiert und es scheint, als sei von unserer historischen Verbundenheit - zumindest auf diplomatischer Ebene nicht mehr viel übrig.
2. die ganzheitliche Bildung junger Menschen ist entscheidend, weil sie zur Kritikfähigkeit - zu aktiver und passiver - beiträgt. Und damit auch zu unserer demokratischen Grundordnung. Gerade in Zeiten, in denen wir so viele Spezialisten haben, braucht es Menschen, die die Zusammenhänge kennen und erkennen.
Geistes- und Naturwissenschaften sind deswegen selbstverständlich gleichberechtigt. Und natürlich: Es wurden auch große Geister im Verlauf der Geschichte instrumentalisiert. Es ist jedoch auch kein Zufall, dass gerade in diesen Zeiten, in denen Autokratie und Nationalismus auf dem Vormarsch sind, an vielen Stellen die Förderung im Bereich der Geisteswissenschaften massiv gekürzt wird - das sehen wir in Brasilien, aber leider etwa auch in den USA. Die Naturwissenschaften und ihre Forscherinnen und Forscher sind aber ebenfalls gefährdet. Wenn gar der Einfluss des Menschen auf das Klima bezweifelt wird.
Für Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen und Künstler, die verfolgt werden, haben wir zudem zwei Initiativen aufgelegt, die Martin Roth und Philipp Schwarz Initiative. Mit unseren Partnern, der Alexander Von Humboldt Stiftung, dem ifa hier in Stuttgart (lieber Ronald Grätz) und dem Goethe-Institut geben wir verfolgten Wissenschaftlern und Künstlern etwa aus Syrien, ein Stipendium und eine Zuflucht, eine Heimat bei uns.
Theater sind dabei, Kultureinrichtungen und Universitäten im ganzen Land. Das übrigens ist ein gutes Beispiel dafür, was wir mit unserer internationalen Kulturpolitik wollen und tun. Denn Deutschland weiß um seine Verantwortung in der Welt, wir helfen - und wir wissen ebenso um die Bedeutung dieser zivilgesellschaftlichen Dimension.
Kunst und Kultur waren immer international, Sie haben immer profitiert von gegenseitigem Austausch. Genau das ist auch unsere Grundüberzeugung. Heute gibt es diejenigen die meinen, wenn jeder an sich selbst denkt ist an jeden gedacht. Wir meinen, wir können zusammen mehr erreichen. Und wir wissen eins: Die Künstler, die zu uns kommen, bringen etwas Wertvolles mit. Ihre Kreativität, ihre Ideen, ihr Können. Dieses Stipendium bei uns in Deutschland kostet sie übrigens nichts!
Da bin ich bei einem wichtigen Punkt. Ich hatte wahnsinniges Glück, dass mich die Musik und die Kunst in der Schule erreichten. In der Kindheit des Ruhrgebiets kamen Bach und Cage nicht selbstverständlich vor.
Dieses Erleben darf aber nicht vom Glück abhängen oder gar vom Geldbeutel der Eltern. Es muss jedem Kind möglich sein, Zugang zu kultureller Bildung zu bekommen. Sie alle brauchen echte Chancen, an einer solchen Hochschule aufgenommen zu werden, wie es ihre ist; auch wenn Zuhause keine Bücher im Regal standen. Die Hürden fangen aber bereits beim Selbstvertrauen an und hören mit dem Auswahlgespräch mit den Professoren auch nicht auf. Es gibt eine Initiative in Deutschland, die Kindern aus Arbeiterfamilien hilft, sich für eine Uni zu bewerben. Das ist „Arbeiterkind.de“. Ein alter Schulfreund, der damals im Orchester die Klarinette spielte, sagte letztens zu mir: Wir bräuchten auch einen Verein „kulturkind.de“ Ich meine, er hat recht!
3. Orchester ist viel mehr, als das gemeinsame Spielen von Instrumenten.
Musik ist mehr als die Wiedergabe von Tönen in bestimmter Reihenfolge. Beethoven, dessen 250. Geburtstag wir im kommenden Jahr feiern, etwa hat über das Streichquartett gesagt, es sei eine „Unterhaltung von vier Personen“. Denken wir nur an Fidelio (vielleicht nicht gerade an das dort vermittelte Frauenbild), doch an das Stück „Mir ist so wunderbar“. Vier Leute, alle singen das gleiche. Wenn ich mich recht erinnere (korrigieren Sie mich): Eine ist verliebt. Einer ist seine Tochter los - und einem ist sowieso wunderbar - alleine schon weil er ein Tenor ist. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, gibt es kein Chaos. Musik öffnet Räume in uns.
Man könnte sagen, Kunst und Kultur tragen das Wesen des Politischen bereits in sich. Sie sind allein schon dadurch politisch, dass es sie gibt. Denn sie stehen auch für die Freiheit des Geistes, der Offenheit der Gedanken. Darum sind die künstlerischen Grundfreiheiten auch in unserem Grundgesetz besonders geschützt.
Beethoven war dazu natürlich auch ein politischer Komponist. Er war nicht nur begeistert von der Französischen Revolution, sondern wollte auch etwas bewirken, etwas aussagen, etwas hinterlassen. Das erkennt man auch an Überschriften wie: „Muss es sein? Es muss sein.“ Das klingt fast nach Lutherischer These, die er zwar nicht an die Tür nagelt, aber doch dem Dirigenten diktiert.
Der falsche Horneinsatz hingegen führt mich im adornoschen Sinne zu gesellschaftskritischen Überlegungen. Um den Falschen Horneinsatz zu verstehen, brauchen wir ja eine Vorstellung davon, dass es einen richtigen gibt. Man könnte also sagen: Es gibt keinen falschen Horneinsatz im richtigen Stück. Eine Aufforderung an die Möglichkeiten des guten Lebens? Ich gebe zu, das ist eine weitgehende und eigensinnige Interpretation.
Verehrte Damen und Herren,
Sie haben es bemerkt - den Titel für meine heutige Ansprache habe ich dem Gedicht„An die Freunde“von Friedrich Schiller entliehen, den Beethoven verehrte.
„Sehn wir doch das Große aller Zeiten
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
Sinnvoll still an uns vorübergehn.
Alles wiederholt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie.“
Doch die Welt und die Bühne verändern sich. Insofern ist das Beethoven-Jahr auch eine Chance darüber zu sprechen, was Freiheit und Demokratie heute für uns bedeuten. Und darüber, was diese Bühne von uns verlangt. Wie wir unsere Werte, unser Zusammenleben in der Demokratie, im Rechtsstaat, in Freiheit also - verteidigen können.
Beethovens 9. Symphonie ist ja so das Hoffnungswerk schlechthin, die „Ode an die Freude“ ist seit 1985 die offizielle Hymne der Europäischen Union. Ein Aufruf für Menschlichkeit, menschliche Nähe, Friedfertigkeit und die Liebe zur Natur. Wie wirkmächtig war und ist sie auch fast 200 Jahre später, nachdem Beethoven den Idealen der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit gewaltigen Ausdruck verlieh, ja sie verewigte, und damit nicht nur musikalisch - den Übergang in eine neue Ära.
Wenn wir wollen, dass eines Tages „Alle Menschen Brüder“ werden, dann müssen wir etwas tun.
Denn wir sehen, auch Europa ist vor der Rückkehr zu Nationalismus, Abschottung und Populismus nicht gefeit. Das hat spätestens die Brexit-Abstimmung gezeigt. Es reicht auch ein Blick auf all die rechts-nationalistischen Parteien, die ihren Weg in die Parlamente der Staaten gefunden haben. Und wir stehen ein: Für ein Vereintes Europa, für Multilateralismus!
Doch hier stößt die klassische Diplomatie auch an ihre Grenzen. Denn hier müssen auch Gesellschaften überzeugt werden. Hier braucht es Vermittlung und Verständigung in und zwischen den Gesellschaften.
Genau das tut die internationale Kulturpolitik: Wenn Musik Räume in uns schafft, öffnet sie Räume zwischen uns. Räume für Austausch. Und: Wo Austausch möglich ist, hat auch der Frieden eine Chance.
Wir schauen deswegen auf die Welt als Ganzes. Und fest steht auch: die Welt schaut auch auf uns.
Einige von Ihnen haben wahrscheinlich, während ich hier rede, zwischendurch auf ihr Handy geschaut.
Das ist voll ok: Wir bekommen die Nachrichten heute aus aller Welt in Echtzeit. Sie sehen die Proteste in Sudan, Trumps Tweets zu Erdogan ebenso wie das neueste Outfit von Lady Gaga und die Bilder der Freunde, die gerade in Costa Rica auf Back Packer Tour sind. Übrigens ein Land, das mittlerweile nahezu 100% der Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bezieht.
In dieser Welt kann man das Außen und Innen nicht mehr voneinander trennen - das Kleine und das Große, die Kommunal- und die Außenpolitik - all das hängt zusammen. Die großen Fragen der Zeit – Digitalisierung, Migration, Klimawandel – wir sind überzeugt, dass wir diese Fragen nicht alleine beantworten können.
Das müssen wir all denen entgegen halten, die meinen, sich zurückziehen zu können in ihr nationales Schneckenhaus. Und natürlich müssen all diese Fragen auch kulturell verhandelt werden.
Außenpolitik muss in dieser globalisierten Welt stärker eine Antwort geben auf die Frage: In was für einer Welt wollen wir leben?
Wie wir mit unserem Planeten umgehen, was wir aus den Möglichkeiten der Digitalisierung machen - das wie ist die Frage der Kultur. Politik ist eben nicht nur die Verfasstheit von Staaten, sondern auch das Miteinander der Menschen.
Verehrte Damen und Herren,
wenn Deutschland im nächsten Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird auch die Kulturpolitik eine ganz besonders wichtige Rolle spielen. Für die Gestaltung des Kulturprogramms haben wir den in Berlin lebenden dänischen/isländischen Künstler Ólafur Eliasson ausgewählt. Und daran lässt sich schon erahnen: Es wird nicht darum gehen, dass wir allen zeigen wollen, was wir können und wissen. Sondern es wird darum gehen, die europäischen Gesellschaften, insbesondere auch die Jugendlichen und jungen Leute partizipativ einzubinden, und mit kreativen Mitteln gemeinsam dem nachzuspüren, was Europa ausmacht, was es ausmachen könnte und sollte.
Ich bin sicher, dass wird ein interessantes Experiment. Mehr darf ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Ich hätte mir auch gewünscht, dass Ursula Von der Leyen auch in der Kommission das Thema Kultur stark gemacht hätte. Vielleicht besteht ja noch die Möglichkeit, in der Verzögerung, die sich nun ergibt, das zu verändern.
Sehr verehrte Damen und Herren,
es geht um den Zusammenhalt, um unser Miteinander. Es geht um Kooperation und Koproduktion, um gemeinsam zu den besten Ergebnissen zu kommen. Ich bin überzeugt: Ob KünstlerInnen, ForscherInnen oder PolitikerInnen - für uns alle geht es jetzt darum, wieder ein größeres Publikum erreichen. Die Menschen mit Ideen und Schaffenskraft zu begeistern. Und ich bin sicher: Sie helfen mit. Das wünsche ich mir zumindest ganz persönlich: Noch viele aktive Künstlerinnen und Künstler zu treffen - nicht zur Unterhaltung, sondern zum kritischen Diskurs.
Übrigens: Beethoven hat auch ganz schön viel Quatsch gemacht. Und gerade das war vielleicht das Beste an ihm: Er war nicht perfekt, sondern ein Mensch, der tatsächlich etwas Unsterbliches hinterlassen hat.
Glück auf!