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Rede der Staatsministerin für internationale Kulturpolitik Michelle Müntefering zur Eröffnung des Global Summit of Research Museums
Beginnen wir da, wo auch für mich alles begann: Im Ruhrgebiet, der großen Bergbau-Region im Westen Deutschlands, in der in diesen Wochen zum letzten Mal Menschen unter Tage „einfahren“.
Im Deutschen Bergbau-Museum Bochum erleben die Besucherinnen und Besucher auch in Zukunft einen Blindschacht. Sie bekommen einen lebendigen Eindruck des Steinkohlebergbaus, der die ganze Region, das Leben der Menschen, und unser Land nachhaltig geprägt hat.
Auch heute hat der Bergbau in der ganzen Welt seine Auswirkungen auf das Leben, die Entwicklung und damit auf die Geschichte der Menschheit.
Aus dem Ruhrgebiet kommen bis heute die modernsten Abbau-Techniken: Die Fachhochschule, an der dies alles gelehrt wird, ist in Bochum übrigens sprichwörtlich einen Steinwurf entfernt.
Die Zeit hat sich jedoch nicht nur im Ruhrgebiet immens gewandelt, wo nun über Ewigkeitslasten und Nachsorge diskutiert wird.
Angesichts des rasanten Wandels in der Welt fragen wir uns heute: Ist auch unsere Vorstellung von Natur überholt, wo der Mensch die Natur so entscheidend prägt?
Das ist zumindest der Kern der Anthropozän-These, die einen Paradigmenwechsel nicht nur in den Naturwissenschaften ankündigt, sondern darüber hinaus in Kultur, Politik und Alltag nach neuen Wegen sucht.
Hier in Berlin wird das Anthropozän lebendig diskutiert: Das Haus der Kulturen der Welt hat bereits 2013-2014 ein Projekt aufgelegt zur „Kulturellen Grundlagenforschung mit den Mitteln der Kunst und der Wissenschaft“.
„Transdiziplinäre Denkprozesse“ ist eines der entscheidenden Stichwörter hierzu: Es geht darum, das ungeheure Wissen, das uns heute zur Verfügung steht, so zusammenzuführen, um daraus ein ganzheitliches Bild zu schaffen.
Und das ist angesichts des Zustands der Erde auch bitter nötig: Wenn wir den globalen Herausforderungen wie Digitalisierung und Migration, Klimawandel begegnen und Antworten finden wollen, können wir das nur als Menschheit insgesamt.
Deswegen brauchen wir den Blick in die Welt und den Blick der Welt auf uns.
Allen Disziplinen, jeder Profession kommt dabei die Aufgabe zu, auch die eigene Komfort-Zone zu verlassen, andere mit einzubeziehen - und am Ende: Ein größeres Publikum zu erreichen. Das gilt für Wissenschaft, Medien und Politik - aber auch für die Museen und ihre Rolle in unserer Gesellschaft.
Es geht um die Demokratisierung von Wissen, es geht um das tiefe Verständnis, dass Kunst und eben auch Wissenschaft Orte der Freiheit sind und diese Orte Freiheit brauchen, um zu blühen.
Und damit bin ich bei Ihnen, die eines verbindet: Forschung und Bildung mit dem Ziel, Wissen nicht nur zu sammeln und zu kategorisieren, sondern vor allem zu vermitteln und zugänglich zu machen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Begeisterung lese ich gerade das Buch „Big History“ von David Christian. Darin beschreibt er auf knapp 400 Seiten die Geschichte von fast 14 Mrd. Jahren. Er zeigt, dass Menschen nicht nur fähig sind, ihr Wissen ständig zu erweitern. Sie können es auch so ordnen, dass sich daraus Zusammenhänge erkennen und übersichtliche Karten einer extrem komplexen Wirklichkeit anfertigen lassen.
Genau das ist auch der Anspruch der Forschungsmuseen.
Ich freue mich sehr, Vertreter von Forschungsmuseen aus über 20 Ländern aus aller Welt hier begrüßen zu können. Das zeigt, dass Sammlung und Erhalt, Forschung und Wissensvermittlung gemeinsame Anliegen sind, die uns über die Grenzen von Ländern und Kulturkreisen hinweg wichtig sind.
Der Global Summit ist hierfür ein wichtiger Schritt – der Auftakt zu einer weltumspannenden Vernetzung der Forschungsmuseen.
Dass der Global Summit mit Konferenzen in London und Washington fortgesetzt wird, zeigt – gerade in Zeiten, in denen Tendenzen der nationalen Abschottung wachsen – dass der Wunsch nach globaler Kooperation groß ist. Zu dieser großartigen Initiative gratuliere ich den Organisatoren – dem Museum für Naturkunde, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Smithsonian Institution Washington, dem Natural History Museum London und dem British Museum London. Und ich versichere Ihnen die Unterstützung des Auswärtigen Amts. Denn die Idee, Akteure unterschiedlichster Länder auf der Grundlage gemeinsamer wissenschaftlicher Interessen zusammenzubringen, ist auch genau im Sinne unserer „Science Diplomacy“.
Ich bin davon überzeugt, dass grenzüberschreitender wissenschaftlicher Austausch die Grundlage für einen Zugewinn an Wissen, für Modernisierung und Innovation ist. Dass so kulturelle Vorurteile abgebaut, Brücken zwischen Gesellschaften gestärkt und langfristige Beziehungen mit Freunden und Partnern geschaffen werden. Dass so der Wert von Wissenschaftsfreiheit deutlich gemacht und Freiräume für Forschende geschaffen werden.
Es ist schwer zu glauben, aber einige Leute behaupten, dass der Klimawandel nicht von Menschen gemacht ist und dass Kultur und Wissenschaft ohne internationalen Austausch funktionieren. Nach deren Logik wäre die Erde eine Scheibe. Dabei rücken sie so weit nach rechts, dass sie aufpassen müssen, nicht vom Ende der Scheibe herabzufallen. Diese Form des Nationalismus ist pure Dummheit.
Deshalb: Unser Fokus ist nicht nur Kooperation, sondern auch Ko-Produktion. Wir meinen keinen Kultur-Export, wir wollen nicht besser wissen, sondern wir wollen gemeinsam mit anderen besser machen.
Kooperation sollte also nicht nur zwischen Regierungen, sondern auch zwischen Gesellschaften stattfinden. Dies zu ermöglichen ist eine zentrale Aufgabe unserer internationalen Kultur- und Bildungspolitik. Die nannte der frühere Bundeskanzler Willy Brandt übrigens: Die Arbeit an der Weltvernunft. Eine Arbeit, die wir heute doch so dringend brauchen.
Die Wissenschaftsdiplomatie ist dabei mit ihren internationalen Netzwerken entscheidend. Deswegen arbeiten wir mit unseren Mittlerorganisationen wie dem DAAD und der Alexander-von-Humboldt Stiftung, der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und den Akteuren der Zivilgesellschaft wie beispielsweise den Stiftungen, aber auch mit der Wirtschaft zusammen.
Lassen Sie mich vier Punkte darstellen, die in unserer internationalen Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsarbeit von großer Bedeutung sind:
Erstens: Die internationale Kultur- und Wissenschaftspolitik stärkt die Freiheit und Kooperation.
Unglücklicherweise scheinen die Freiräume für Kulturschaffende, Forscher, Intellektuelle und Journalisten kleiner zu werden. Kurz gesagt: Wir müssen helfen, Freiheit zu stärken.
Deshalb bauen wir unsere Programme für verfolgte Künstler und Wissenschaftler aus. Wir setzen die Philipp-Schwartz-Initiative fort, die vertriebenen und verfolgten Wissenschaftlern die Möglichkeit gibt, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Diese Initiative ist Vorbild für ein Programm, welches Freiräume für verfolgte Künstlerinnen und Künstler schaffen soll. Zugleich schaffen wir mit Surplace-Stipendienprogramme für Geflüchtete der Deutschen Flüchtlingsinitiative Albert Einstein (DAFI) und dem DAAD-Programm „Leadership for Syria“ Möglichkeiten, die wissenschaftliche Ausbildung im Aufnahmeland oder hier in Deutschland fortzusetzen. Seit Beginn dieser Programme konnten wir fast 7.000 Menschen auf diese Weise eine Perspektive geben, ein Lichtblick auf bessere Lebensumstände in der Zukunft.
Denn das ist eine Verantwortung, die sich aus unserer Geschichte ergibt - eine Verantwortung, die uns durch die Menschen, denen wir Schutz geben, privilegiert und bereichert, weil diese Menschen zu uns kommen und etwas mitbringen. Und eine Verantwortung, die daher rührt, dass deutsche Intellektuelle, Künstler und Wissenschaftler weltweit Zuflucht fanden, als sie von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.
Zweitens: Forschungsmuseen spielen eine wichtige Rolle beim Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten.
Ein Thema, dem wir uns global – und in Deutschland annehmen müssen. Die Bundeskanzlerin selbst hat die Bedeutung des Themas jüngst in einer Rede unterstrichen.
Dabei kommt der Staatsministerin für Kultur und Medien vor allem die Aufgabe zu, die Herkunft von Kulturgütern aus kolonialem Erbe in Museen und Sammlungen zu fördern. Der Auftrag an das Auswärtige Amt geht deutlich weiter, indem wir „die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika verstärken und einen stärkeren Kulturaustausch befördern, insbesondere durch die Aufarbeitung des Kolonialismus sowie den Aufbau von Museen und Kultureinrichtungen in Afrika.“
Diesen Auftrag setzen wir bereits um. Das Goethe-Institut organisiert „Museumgespräche“ in Afrika in Kigali, Kinshasa, Ouagadougou, Accra, Johannesburg und Windhuk. Die Ergebnisse dieses Museumsdialogs sollen in einer Konferenz 2019 in Kinshasa zusammengetragen und mit Diskursen aus anderen Teilen der Welt vernetzt werden. Daneben unterstützen wir die wissenschaftliche Zusammenarbeit in diesem Bereich beispielsweise den Austausch zwischen dem „Museum für Naturkunde“ und dem Nationalmuseum Tansania.
Dabei können wir nicht mit fertigen europäischen Konzepten daherkommen, sondern müssen den Dialog und die Kooperation mit den Partnern in den Herkunftsstaaten und Herkunftsgesellschaften suchen. Wir wollen gemeinsam überlegen, wie wir den Umgang mit diesen sensiblen Kulturgütern gestalten und den Zugang zu ihnen ermöglichen können.
Dabei bin ich überzeugt: Wir brauchen neue Formen des Umgangs, des Austausches und der Kooperation zwischen Nord und Süd! Und: wir müssen teilen lernen. Denn ich meine: Wir müssen begreifen, dass es uns langfristig nur gut geht, wenn es auch anderen gut geht. Dabei stehen wir erst am Anfang eines gemeinsamen und sicherlich nicht einfachen Prozesses, der zeigen wird, wie sich Deutschlands und Europas Verhältnis zur Welt – insbesondere zum globalen Süden – wandelt. Das tun wir, indem wir die Herkunftsgeschichte der Kulturgüter aus kolonialen Kontexten offen diskutieren und dabei viele, auch unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lassen, um nicht nur DIE eine Geschichte zu erzählen. Denn längst ist Europa nicht mehr das Weltdeutungszentrum, wie es Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, einmal treffend sagte.
Drittens: Deutschland muss als Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationsstandort international noch sichtbarer und attraktiver werden.
Gerade weil wir uns in einem globalen Wettbewerb der Ideen, einem Wettbewerb um die besten Köpfe befinden, kommt es darauf an, die Wissenschafts- und Innovationskraft Deutschlands zu stärken. Das tun wir weltweit.
Mit dem Netzwerk der Wissenschafts- und Innovationshäuser (DWIH) docken wir an die Wissenschaftshubs der Welt an, mit transnationalen Bildungsprojekten – Beispiele: Chinesisch-Deutsche Hochschulkolleg, Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul, Fachzentren in Afrika – unterstützen wir das Empowerment und schaffen wichtigen Kompetenztransfer. Nicht zuletzt wollen wir, dass mehr Studierende nach Deutschland kommen und zugleich mehr Deutsche weltweit studieren. Dabei sind wir auf einem guten Weg: im Jahr 2018 kamen bereits 358.000 ausländische Studierende nach Deutschland, das mittlerweile zu den fünf beliebtesten Zielen ausländischer Studierender gehört.
Und wir setzen auf Afrika und darauf, den Hochschul- und Wissenschaftsstandort Afrika zu stärken. In einer zukunftsgerichteten Partnerschaft mit Afrika fördern wir Stipendien und ein breites Lektorennetzwerk. Wir gründen Fachzentren für wissenschaftliche Kooperationen und wir planen den Aufbau einer Fachhochschule Ostafrika und einer Lehrerakademie in Ägypten. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für eine qualifizierte und anwendungsorientierte Ausbildung und schaffen zusätzlich neue berufliche Perspektiven.
Viertens: Wenn Forschungsmuseen Wissen vermitteln und möglichst vielen zugänglich zu machen, dann sind das hervorragende Beispiele dafür, wie wir Bildungs- sowie Forschungs- und Wissenschaftspolitik in der Praxis zusammendenken können.
Das heißt, dass wir unsere Bildungsnetzwerke in einen Zusammenhang mit Bildungsbiographien bringen, die die schulische Bildung über die berufliche Bildung bis hin zur akademischen Ausbildung erfassen. Ich denke hier zum Beispiel an die 1.200 PASCH-Schulen mit mehr als 600.000 Schülern weltweit.
Mit dem Aus- und Aufbau von Fachhochschulen gehen wir diesen Weg bereits. Der DAAD ist mit 140.000 Geförderte im Jahr 2017 weltweit die größte Austauschförderorganisation. Und die Alexander von Humboldt-Stiftung ist mit 30.000 Alumnis und 55 Nobelpreisträgern unter den ehemals geförderten Studierenden ein Aushängeschild der Förderung von jungen Forschern auf Spitzen-Niveau. Nun geht es darum, diese Kompetenzen im Bereich des Studentenaustauschs- und der Hochschulkooperationen als einen ganzheitlichen Ansatz oder wie wir oft sagen, einen lebenslangen Ansatz von Bildungsbiografien zusammen zu führen.
„Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit“ schrieb Alexander von Humboldt in seinem „Kosmos“. Und in der Tat: Ich bin immer wieder tief beeindruckt von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ich auf der ganzen Welt treffe. Viele von ihnen sind Mitglieder der Humboldt-Familie. Von ihnen zu lernen und ganz neue Dinge zu erfahren ist vielleicht das schönste am Beruf der Politikerin.
Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam dazu beitragen, dass noch viel mehr Menschen Wissen mit- und aufnehmen können.
Die Forschungsmuseen sind dabei ganz entscheidend, denn sie sind eben keine „Elfenbeintürme“, sondern Orte der sozialen Interaktion. Ich denke hier an die Programme für Kinder, die Besucher von morgen, die Museumscafés, die Buchläden und viele Veranstaltungen. Sie machen Begegnungen möglich. Sie entfalten soziale Kraft. Hier können die Menschen nicht nur Wissen tanken, sondern so wie bei uns im Ruhrgebiet - auch über Gesellschaft mehr erfahren.
Und das, meine Damen und Herren, ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten Rollen, die Museen heute für unsere Gesellschaft spielen können: Wir brauchen Weltheimatmuseen für Weltbürger.
Ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine Konferenz voller Wissensaustausch und neuen Erkenntnissen, anregenden Diskussionen und Ideen für neue Kooperationen.
Es ist mir eine Freude, den ersten Global Summit of Research Museums hier in Berlin zu eröffnen.
Vielen Dank.