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Grußwort von Staatsministerin Michelle Müntefering zur Gedenkveranstaltung der sog. „Polen Aktion“

29.10.2018 - Rede

-- Es gilt das gesprochene Wort --

„Am 28.10. wurden wir hier in Berlin ab 6 Uhr aus den Betten heraus von der Polizei verhaftet und in der Kaserne Kleine Alexanderstraße aus den Bezirken Berlin Mitte, Norden und Tiergarten zum Abtransport gesammelt. […] Wir fuhren in Zügen […] Infolge der Strapazen und des ungeheuren seelischen Kummers gab und gibt es hier viele Tote (auch durch Selbstmord), Ohnmächtige, Wahnsinnige und sonstige schwer Erkrankte.“

Diese Ausschnitte aus einem Brief klingen bekannt und sind es doch nicht. Sie erinnern uns an das unfassbare Leid, das Nazideutschland über Millionen von Menschen gebracht hat:

Menschen, die aus ihrem Lebensmittelpunkt gerissen, in Züge gepfercht und am Ende grausam ermordet wurden. Der zitierte Brief trägt jedoch nicht, wie man vermuten würde, einen Poststempel aus der Zeit zwischen 1941 und 1945.

Nein, im Brief an seinen Neffen in den USA schildert der Geiger Max Karp Ereignisse aus dem Herbst 1938.

Sehr geehrte Frau Dr. Siegemund,

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin Pau,

Sehr geehrte Frau Pop,

Sehr geehrter Herr Dr. Joffe,

Sehr geehrte Frau Berger,

Sehr geehrte Frau Dr. Bothe,

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin dankbar, dass wir mit der heutigen Gedenkveranstaltung an die sogenannte „Polenaktion“ vor 80 Jahren erinnern. Viel zu wenig war bislang über diese systematische Ausweisung von polnischen Jüdinnen und Juden Ende Oktober 1938 bekannt, an der auch das damalige Auswärtige Amt maßgeblich beteiligt war.

Als das polnische Parlament als Reaktion auf die deutsche Annexion Österreichs beschloss, den länger als fünf Jahre dauerhaft im Ausland lebenden polnischen Staatsangehörigen ihre Staatsangehörigkeit abzuerkennen, ließ der diplomatische Protest nicht lange auf sich warten.

Kurz nachdem die Deutsche Botschaft Warschau an Berlin berichtet hatte, dass das polnische Innenministerium das Gesetz per Erlass umsetzte, kam die sorgfältig vorbereitete Abschiebeaktion ins Rollen. Diverse Behörden, auch das damalige Auswärtige Amt, waren beteiligt an diesem Zeugnis massiver staatlicher Verfolgung und Gewalt.

Die Polenaktion von 1938 trug bereits die Grundzüge der späteren Deportationen und der systematischen Vernichtung der europäischen Juden.

Der damalige Staatssekretär Ernst von Weizsäcker verhehlte seine Gesinnung nicht, als sich später gegenüber dem polnischen Botschafter rechtfertigte:

„Worauf wir uns bestimmt nicht einlassen könnten, sei, dass uns im Wege der Ausbürgerung ein Klumpen von 40-50.000 staatenlosen ehemaligen polnischen Juden in den Schoß fiele“.

Es ist wichtig, dass wir uns im heutigen Auswärtigen Amt immer wieder dieser Vergangenheit stellen und unserer Verantwortung für Gegenwart und Zukunft gewahr werden.

Es liegt an uns, gemeinsam mit unseren Partnern in Politik wie Zivilgesellschaft weltweit für den Schutz der Menschenrechte einzutreten und mit aller Kraft gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung in unseren Gesellschaften vorzugehen.

Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die schrecklichen Nachrichten aus Pittsburgh vom Wochenende zeigen, dass wir in unserer Erinnerungsarbeit nicht nachlassen dürfen.

Die hiesige Ausstellung leistet hierzu einen wichtigen Beitrag, indem sie die „Polenaktion“ stärker im kollektiven Gedächtnis verankert.

Neben dem erlittenen Leid führt sie uns vor Augen, das Menschen in dieser Ausnahmesituation auch solidarisch gehandelt haben.

Binnen weniger Stunden kamen am 28./29.10.1938 mehr als 8000 Vertriebene im Grenzort Zbąszyń an. Durch die Hilfe polnischer Familien, wie internationaler Hilfsorganisationen gelang es, eine Infrastruktur zur Versorgung aufzubauen. Später konnte so auch die Aufnahme an anderen Orten organisiert werden.

Mit dem heutigen Gedenken tragen wir dazu bei, dass ein wichtiges Datum der deutsch-polnischen Geschichte eine angemessene Würdigung erfährt. Gerade zwischen unseren beiden Ländern ist die Erinnerung an unsere gemeinsame Geschichte besonders wichtig. Sie beeinflusst zu einem großen Teil die Beziehungen zwischen unseren Ländern und das Bild, das wir uns voneinander machen.

Noch mehr als bisher, etwa durch das neue Bundesprogramm „Jugend erinnert“, wollen wir jungen Menschen aus unseren Ländern die Möglichkeit geben mehr übereinander und die Sicht des anderen auf Vergangenheit und Gegenwart zu erfahren.

So können Brücken entstehen, die gerade für uns als Nachbarn so wichtig sind.

Lassen Sie mich abschließend der Stiftung Neue Synagoge Berlin- Centrum Judaicum, der Freien Universität Berlin, dem Aktiven Museum und allen weiteren Partnern der Ausstellung und der heutigen Gedenkfeier meinen besonderen Dank aussprechen.

Ich freue mich, dass wir als Auswärtiges Amt dazu beitragen konnten, dass wir heute mit Zeitzeug_Innen bzw. ihren Angehörigen persönliche Erinnerungen teilen können und wünsche uns allen wertvolle Einblicke.

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