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Gemeinsam stärker als das Virus

04.04.2020 - Namensbeitrag

Gemeinsamer Beitrag von Staatsministerin Michelle Müntefering und den Ministern Dario Franceschini (Italien) und Rodríguez Uribes (Spanien), erschienen im Tagespiegel.

Wie halten wir es aus, persönliche Kontakte einzuschränken? Wie schützen wir nicht nur uns, sondern auch andere? Wie sorgen wir uns um uns und unsere Familien, ohne andere zu vergessen?

Diese Fragen richten sich in diesen Tagen an jeden Einzelnen von uns und genauso stellen sie sich allen Regierungen: Handeln wir gemeinsam oder denkt jeder, wenn es ernst wird, zu allererst an sich selbst? Die Corona-Krise ist ein Stresstest für die europäische Gemeinschaft. Die Wahl zwischen Egoismus und Solidarität wird auch die Zukunft Europas entscheiden.

Die Bekämpfung des Virus wird zeigen, ob sich die gefährlichste Krankheit Europas erneut ausbreiten kann: die Krankheit nationaler Egoismen, die in Europas Geschichte schon Millionen Menschen das Leben kostete.

Dabei lernen wir doch in diesen Tagen schmerzhaft, dass die Pandemie, die uns alle herausfordert, weder Staatsbürgerschaft noch Nationalität kennt. Das Virus ist unser gemeinsamer, unsichtbarer Feind.

Wenn zu seiner Eindämmung aktuell Grenzen geschlossen und physische Kontakte auf ein Minimum begrenzt werden müssen, bedeutet dies, dass wir in dieser Zeit den gesellschaftlichen Dialog und Zusammenhalt in Europa umso stärker suchen und festigen müssen.

Denn nun, da wir zum Schutz unserer Gesundheit unsere Freizügigkeit für eine Weile aufgeben, spüren wir, wie viel die gesellschaftlichen Freiheiten bedeuten und was uns ohne sie fehlte: das lebendige Miteinander.

Die Kultur der Solidarität ist in dieser Krise die beste Abwehrkraft. Eine solidarische Gemeinschaft hilft uns - in unserer Nachbarschaft ebenso wie in der Europäischen Gemeinschaft - dabei, diese schwierige Zeit zu überstehen.

Es ist möglich, aus der Geschichte zu lernen, so wie wir jetzt die Erkenntnisse der Wissenschaft für unser politisches Handeln nutzbar machen können: Die Voraussetzungen dafür haben wir. Es kommt darauf an, diese Krise gemeinsam zu überstehen, und auch darauf, wie wir dies tun.

Die Kraft unserer internationalen Kultur- und Bildungspolitik kann gerade jetzt einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, indem sie hilft, in der Stunde der Not weiter zusammenrücken.

Seit vielen Jahren arbeiten wir in Europa über Grenzen hinweg. Wir haben die kulturelle Zusammenarbeit ebenso wie die Wissenschaftsdiplomatie ausgebaut und gefestigt. Wir forschen gemeinsam über den Klimawandel und Ressourcenknappheit, wir musizieren, lernen und leben miteinander.

Es ist richtig und wichtig, dass wir in unseren Ländern frühzeitig finanzielle Hilfen beschlossen haben, die auch den zahlreichen in ihrer Existenz bedrohten Kreativen und Kulturinstitutionen zu Gute kommen. Das ist die Grundlage, um nach der Krise wieder das gemeinsame Erleben von Kunst und Kultur möglich zu machen. Auch wenn wir bereits heute schon ahnen, dass diese Zeit tiefe Spuren hinterlassen wird, so sind wir doch sicher, dass sich auch künftig die Vorhänge in den Opernhäusern und auf den Bühnen der Theater wieder öffnen, dass Menschen in Kinosälen den Geschichten auf den Leinwänden folgen werden, junge Leute auf Festivals wieder miteinander tanzen und sich in den Armen liegen.

In der Zwischenzeit erleben wir den digitalen Wandel und den Einfluss der digitalen Techniken in einer globalen Gesellschaft, in der Menschen sich ganz neu verbinden und ihr Publikum erweitern, aber auch, wie Kultur Lösungen anbieten kann. Diese neuen Formate sind weit mehr als Überlebenshilfe in der Krise. In ihnen liegt die Chance, grenzüberschreitend neue Zugänge zu Kultur und Bildung zu eröffnen sowie an der Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit zu arbeiten. Wir haben uns deshalb darauf verständigt, die Entwicklung und Unterstützung digitaler Formen in der internationalen Kulturpolitik gemeinsam weiterzudenken. Wir werden hierfür Kultur- und Kreativschaffende aus unseren Ländern in der zweiten Jahreshälfte zu einem virtuellen Diskussionsforum einladen.

Die vielen kreativen Ideen, die jetzt mitten in unseren Zivilgesellschaften geboren werden und in ganz Europa gerade auch im digitalen Raum entstehen, machen uns Mut und zeigen uns, wie wir diese Zeit überstehen können. Die Zivilgesellschaft beweist mit ihren Impulsen, dass wir die digitalen Räume zum gemeinsamen Nutzen entwickeln können: weg vom Egoismus und hin zu mehr Solidarität. Ein Gedanke, an dem sich alle Mitglieds-Staaten jetzt orientieren müssen. Dann wird auch die Europäische Idee diese Krise überstehen und gestärkt aus ihr hervorgehen.

Wir ahnen, wir haben beschwerliche Wege vor uns. Wie tiefgreifend die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft genau sind, können wir noch nicht erfassen. Noch wissen wir nicht, wie viele Menschen, die uns lieb sind, die wir kennen, die zu uns gehören und mit denen wir diesen Erdteil teilen, wir verlieren werden. Fassungslos und traurig stehen wir vereint vor dem Andenken derer, denen das Virus das Leben nahm.

Was wären wir also in dieser Zeit, ohne die Bücher, Filme und Musik, in die wir uns flüchten, an die wir uns anlehnen können? Was wären unsere Gesellschaften ohne die, die sie erschaffen haben? Ohne Künstlerinnen und Künstler.

Umso entschlossener sind wir, das Wertvollste zu beschützen: das Vertrauen in ein solidarisches Miteinander und die Kraft der Kultur.

  • Dario Franceschini, Minister für Kulturgüter, kulturelle Aktivitäten und Tourismus, Italien
  • Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Deutschland
  • José Manuel Rodríguez Uribes, Minister für Kultur und Sport, Spanien

www.tagesspiegel.de

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