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Grußwort von Staatsministerin Müntefering zum Exile Media Forum der Körber Stiftung

24.11.2020 - Rede

„Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle.“

Diese Sätze schrieb Hannah Arendt 1943 in ihrem vielbeachteten Essay “We Refugees”. Die jüdische Theoretikerin und Publizistin emigrierte 1933 aus Deutschland. Sie ging ins Exil nach Paris, später nach New York, wo sie für Magazine und Verlage schrieb und lektorierte.

Ihre Migrationserfahrung teilte sie mit Tausenden Exilanten, die vor den Nationalsozialisten und den grausamsten Verbrechen der Menschheit, der Shoah, fliehen mussten. Darunter etwa 10.000 Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Arendt beschreibt, was es bedeutet, in der Fremde neu anfangen zu müssen. “We Refugees” ist ein beeindruckendes Zeitdokument und ist doch zeitlos.

Verfolgung und Vertreibung, Entwurzelung und Neuanfang sind Themen, die weiter schmerzlich aktuell sind.

Darüber zu schreiben, ist und bleibt immens wichtig. Denn nur so können wir vom Heute erfahren, von den Geschichten und Schicksalen. Und Schreiben kann auch helfen, zu verarbeiten.

Beispielhaft wurde das in dem Projekt #jetztschreibenwir, das der Tagesspiegel in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung umgesetzt hat.

Exiljournalistinnen und –journalisten aus Syrien, der Türkei, Gambia und Ägypten berichteten dabei über ihre Erlebnisse von Flucht und Ankunft.

Ihr Blick richtete sich aber auch auf ihre neue europäische Heimat. Ihre Berichte helfen uns dabei, zu verstehen, woher sie kommen. Aber sie lassen uns auch erahnen, was sie bei uns erwartet.

Das heutige Exile Media Forum der Körber-Stiftung, die dieses Format schon zum 3. Mal ausrichtet, gibt exilierten JournalistInnen eine Stimme. Schenken wir Ihnen Gehör!

Denn sie haben uns etwas zu sagen:

Sie wissen um das hohe und fragile Gut der Meinungs- und Pressefreiheit. Viele von ihnen haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, aufgrund eines kritischen Tweets, eines Blogposts oder eines Enthüllungsartikels systematisch bedroht, angeklagt, inhaftiert und verfolgt zu werden.

Sie haben am eigenen Leib erfahren, wie wenig Meinungs- und Pressefreiheit in vielen Ländern dieser Welt geschützt sind. Und dass diese Errungenschaften eben keine Selbstverständlichkeit sind.

Aber fragen wir uns auch: wie erleben Sie den Journalismus bei uns in Deutschland, in Europa? Wie vielfältig, sicher und wie relevant ist die journalistische Arbeit in ihrer neuen Heimat?

Wie schnell sich Selbstverständlichkeiten verschieben können, erleben wir derzeit alle hautnah. Die Corona-Krise hat unser aller Alltag umgekrempelt. Wir haben von analog auf digital gestellt. Aber die Krise prägt auch unsere Debattenkultur. Und sie stellt den Journalismus vor besondere Herausforderungen.

Nachher werden wir den Journalisten Abdolrahman Omaren aus Syrien hören. Er koordiniert die arabische Redaktion von „Amal, Berlin!“. Ende März berichtete er im Berliner Tagesspiegel, wie seine Neuköllner Community auf die Anfänge der Pandemie reagierte. Sein folgender Aufruf hat auch acht Monate später nichts an Dringlichkeit eingebüßt:

„Wichtig ist, der Epidemie entgegenzutreten und die Infektionsketten zu durchtrennen. Das ist die Aufgabe, die wir jetzt alle haben, unabhängig von unserer Herkunft, Ethnie, Religion, Farbe oder allem, was die Menschen unterscheidet.“

Die Corona-Pandemie zeigt, wie lebenswichtig der freie Zugang zu faktenbasierter Berichterstattung aus vertrauensvollen Quellen ist. Im Zuge von Covid-19 wurden Meinungs- und Pressefreiheit in vielen Ländern weiter eingeschränkt. Journalistinnen und Journalisten, die sich offen und kritisch gegen staatliche Zensur und Propaganda wenden, müssen mit Hetze und Zensur – im schlimmsten Fall – mit Verfolgung, Inhaftierung und Bedrohung rechnen. Und sie können wegen geschlossener Grenzen nicht ins Ausland fliehen. Corona als bequemer Vorwand, gegen unbequeme Stimmen vorzugehen. Das darf nicht sein.

Bereits in seinem letzten Jahresbericht hatte „Reporter ohne Grenzen“ festgestellt: Die Situation der Pressefreiheit hat sich weltweit insgesamt weiter verschlechtert.

Das können wir nicht hinnehmen. Bedrohte und gefährdete Journalistinnen und Journalisten verdienen unsere Hilfe und unseren Schutz.

Und darum begrüße ich Initiativen wie die Exil-Projekte der Körber-Stiftung, ebenso wie das Mentoring-Programm der „Neuen Deutsche Medienmacher“.

Journalistinnen und Journalisten erhalten die Möglichkeit, in Deutschland zu arbeiten und vor allem sicher zu leben.

Meine Damen und Herren,

während der Nazi-Diktatur fanden verfolgte Deutsche Zuflucht in anderen Staaten. Deutschland trägt daher heute eine ganz besondere historische Verantwortung, Verfolgte und Entrechtete zu schützen.

Heute unterstützt auch das Auswärtige Amt über die Internationale Kulturpolitik journalistische Freiräume. 2016 haben wir die Philipp Schwartz-Initiative ins Leben gerufen. Sie gibt ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, denen in ihrer Heimat Krieg oder Verfolgung drohen, die Möglichkeit, ihre Arbeit an einer deutschen Universität oder Forschungseinrichtung fortzusetzen.

Genauso unterstützen wir freie Medien etwa mit der Deutsche Welle Akademie - und mit der gerade gegründeten Elisabeth-Selbert-Initiative Personen, die sich für Menschenrechte einsetzen und wegen eben dieser Arbeit verfolgt werden.

Denn: Freiheit von Wort und Meinung sind unerlässliche Voraussetzungen für Demokratie.

Verehrte Damen und Herren,

ein Ort, an dem man bis heute spüren kann, was Exil-Geschichte und Schreibkunst im Exil bedeutet, ist das ehemalige Wohnhaus von Thomas Mann in Los Angeles. Von hier aus nahm Thomas Mann die über 50 BBC Interviews gegen Hitler und das NS-Regime auf.

Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht, Alfred Döblin und Theodor W. Adorno – sie alle wohnten in der Nachbarschaft und waren gerne zu Gast. Sie stehen stellvertretend für all diejenigen, deren Stimmen bis heute nachhallen.

Inzwischen haben wir eben jenen Ort wiederbelebt. Im Rahmen eines Residenzprogramms ziehen mit den Thomas-Mann-Fellows die Denker von heute in sein Haus ein.

Sie forschen zu Zukunftsfragen, die auf beiden Seiten des Atlantiks und in der Welt von Bedeutung sind. Flucht und Migration gehören dazu. Denn diese Fragen zählen zu den elementaren Themen, die unsere globale Gegenwart beschäftigen.

Exiljournalistinnen und –journalisten können dabei eine wichtige Mittlerrolle einnehmen. Aber viele von ihnen leben zunächst im Limbo – sie suchen im Exil ihren Platz zwischen den Kulturen, Ländern und Sprachen. Als Journalisten trifft sie letzteres besonders hart: Denn wie kann ein Schreiber neu anfangen, wenn ihm zu Beginn buchstäblich die Worte fehlen?

Eben diese Frage beschäftigte schon Hannah Arendt in ihrem Essay.

Auch deshalb sollten wir den Text wieder zur Hand nehmen.

Für mich steht fest: Wir können helfen, Stimmen vielfältig hörbar zu machen.

In unsicheren Zeiten, in denen Nationalismus erstarkt, Medienschaffende als „Lügenpresse“ diffamiert werden und sich die Grenzen des Sagbaren im Twitter-Takt verschieben, brauchen wir ihre Stimmen und Geschichten.

Sie erinnern uns daran, dass wir nicht aufgeben dürfen, uns einzumischen und am Diskurs aktiv mitzuwirken. Dass wir rechtzeitig aktiv werden müssen, wo Presse- und Meinungsfreiheit verächtlich gemacht und Lügen zu alternativen Fakten umdeklariert werden.

Von Aktivität und Einsatz lebt auch Ihre Konferenz - Ich wünsche Ihnen spannende Diskussionen beim Exile Media Forum!

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