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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering bei der dritten Fachtagung „Europa kreativ? Anforderungen an eine europäische Kulturpolitik“

28.02.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Bereits zum dritten Mal hat die FES-Fachkonferenz nun getagt. Es wird nicht das letzte Mal sein.

Die Themenvielfalt, die heute zum Ausdruck gekommen ist, zeigt, wie wichtig, wie dringend nötig es ist, die großen Fragen unserer Zeit, wie Digitalisierung, Migration, Klimawandel, auch kulturell zu verhandeln.

Denn: Wir sind überzeugt, diese Fragen können wir nicht allein beantworten.

Wir brauchen gemeinsames Herangehen. Gemeinsame Lösungen - und dafür eben auch gemeinsame Vorstellungen.

Sehr verehrte Damen und Herren,

als ich das erste Mal mit Frank-Walter Steinmeier unterwegs war - ich war gerade in den Bundestag gewählt und er zum zweiten Male Außenminister - da hatten wir einen Schriftsteller an Bord.

Rajvindher Singh, Lyriker, in Berlin lebend, und – für die Jüngeren unter uns – die Stimme von Big Bang Theory-Star Rajej Kouthrapalli.

Er sagte damals, nachts, auf dem Rückflug von Neu Delhi nach Berlin, Außenpolitik bräuchte so etwas wie ein 6-Augen-Prinzip.

Die eigenen Augen, die Augen des Anderen - und ein Augenpaar, das gemeinsam drauf schaut.

Wer heute das Buch „Flugschreiber“ von Frank-Walter Steinmeier aufschlägt, findet darin ein Kapitel, das den Namen trägt: Das 6-Augen-Prinzip.

Das zeigt nicht nur sehr schön, wie Künstlerinnen und Künstler auch ganz direkt - wenn auch nicht die Politik, dann jedoch Politiker - Einfluss nehmen.

Wie Gedanken sich verbreiten und dazu beitragen, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen.

Und es zeigt auch, was eigentlich notwendig ist: Eigene Haltung, Verständnis für den anderen und die nötige Distanz, etwas zu schaffen aus oder in dem Raum dazwischen.

Im Auswärtigen Amt betrachten wir diese Räume, die den Austausch und auch das Ringen um Argumente erst möglich machen, als Freiräume.

Auch deswegen habe ich vor einem Jahr den Titel über meine Arbeit gesetzt: Freiheit stärken.

Denn: Diese Räume werden heute vielleicht dringender gebraucht denn je: Denn die Politik steht vor der Aufgabe, nicht weniger als das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Staaten - aber auch der Demokratie wiederherzustellen - oder doch mindestens zu stärken.

Denn der aufkommende Nationalismus ist eine reale Gefahr für all die Freiheiten und Fortschritte, die besonders durch die europäische Integration gelungen sind.

Weltweit sehen wir uns der Herausforderung gegenüber: autoritäre Mächte wie China, Russland, aber auch arab. Staaten investieren viel in ihre Narrative.

Unsere Antwort ist: „Europe United“. Auch in der Kulturpolitik!

Gerade jetzt, wenn sich langjährige Partner zurückziehen und Krisen und Konflikte in der Welt zunehmen, müssen wir Europas Zusammenhalt stärken.

Deshalb ist die von Heiko Maas geprägte Formel „Europe United“ nicht nur eine Antwort auf „Brexit“ und „America First“, sondern weil wir überzeugt sind: Wir erreichen zusammen mehr.

Und das heißt nicht, dass in Europa immer alle einer Meinung sein müssen.

„Europe United“ bedeutet, dass wir mit Unterschieden konstruktiv umgehen und bereit sind, aus Vielfalt etwas Gemeinsames entstehen zu lassen.

Und das gemeinsam mit anderen.

Ein Beispiel: Im Aachener Vertrag haben wir zum ersten Mal gemeinsame deutsch-französische Kulturinstitute vereinbart.

Ein wirklicher Zusammenschluss vom Goethe-Institut und Institut français. Mit 10 Instituten bis 2020 gehen wir voran, und wir laden andere ein, diesen Weg mit uns zu gehen.

Ich will ein weiteres, gutes Projekt nennen, das Ihnen heute auch vorgestellt wurde: Das Freiraum-Projekt des Goethe Instituts, das ich in Brüssel bei meinem Antrittsbesuch kennen lernen konnte.

Dabei werden zwei Städte in Europa, die mindestens 1000 km voneinander entfernt liegen, per Zufall miteinander verbunden.

42 Goethe-Institute haben so gemeinsam mit Partnern aus Kunst und Zivilgesellschaft rund 40 Orte in Europa zusammen gebracht.

Die Aufgabe: Die jeweiligen Partnerstädte setzen sich mit den Problemen und Aufgaben des anderen auseinander.

Aftab Khan, der mit hier ist, hat Ihnen heute das Tandem-Projekt zwischen Carlisle in Großbritannien und Thessaloniki in Griechenland präsentiert.

Es ging darum, Isolation zu überwinden, nationale Grenzen im Denken und Handeln. Entstanden sind tolle Formate wie ein „Speak-easy-Event“ und eine „Carlisle-Thessaloniki-Plattform“.

Auf diese Weise wurde Gemeinsames aber auch Unterschiede zwischen beiden Städten herausgearbeitet.

Bei allen Freiraum-Projekten geht es letztlich um die Frage, wie es um die Freiheit in Europa bestellt ist.

Und das vor dem Hintergrund, dass sich Europa gerade sehr verändert. Populistische und nationalistische Strömungen haben Zulauf.

Das nationale Schneckenhaus verspricht denen einen Rückzugsort, die in Europa eher ein Übel als ein faszinierendes Friedensprojekt sehen.

Und an dieser Stelle ist auch die Kultur gefragt. Deshalb ist es gut, dass das Goethe-Institut gemeinsam mit Theatern, Kunstzentren, aber auch NGOs, Universitäten und mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen genau diese Frage beleuchtet hat:

Was bedeutet Freiheit im heutigen Europa?

Wenn auch Sie, genauso wie ich, daran interessiert sind, Antworten auf diese Frage zu finden, kommen Sie doch vorbei: vom 12. bis 17. März 2019 werden die Ergebnisse dieses Prozesses im Zentrum für Kunst und Urbanistik in Berlin gezeigt.

Ich lade Sie alle herzlich ein!

Ich finde – und deswegen habe ich es auch erwähnt – dieses Projekt verkörpert das, was die heutige Veranstaltung zum Ausdruck bringt: „Europe as a place for future“.

Was also kann und muss europäische Kulturpolitik tun, damit Europa eine Zukunft hat?

Im Auswärtigen Amt tun wir bereits eine ganze Menge. Zugleich gibt es aber auch politisch noch einiges zu tun.

  • Das erfolgreiche Programm „Kreatives Europa“ sollte fortgesetzt und seine Mittel für die grenzüberschreitende europäische Kultur verdoppelt werden;
  • Die Jugendbegegnungen, aber auch Städtepartnerschaften als ein wichtiges europäisches Netzwerk sollten stärker unterstützt werden;
  • Europaweit sollten Mindeststandards eingeführt werden, die eine soziale Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern gewährleisten;
  • Und wir wollen unsere gemeinsame europäische kulturelle Identität und kulturelles Erbe erhalten und uns aktiv mit unserer Geschichte in Europa – mit all ihren Brüchen – auseinandersetzen.

Das sind alles Aufgaben, die nicht in einer Legislatur zu stemmen sind - die wir aber gerade jetzt ganz besonders forcieren.

Im Auswärtigen Amt schauen wir zudem über die Wahlen zum Europäischen Parlament hinaus auch auf das Jahr 2020.

Denn im zweiten Halbjahr 2020 hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft.

Damit können wir bei wichtigen Verhandlungen auch treibende Kraft sein und eine kulturpolitische Agenda setzen.

Die Bundesregierung und das Auswärtige Amt als ihre zentrale europapolitische Institution stellen dabei ein Leitmotiv in den Mittelpunkt:

Wir wollen ein einiges und auch ein starkes Europa.

Wir wollen gemeinsame Werte und das Wissen vermitteln, dass nur ein geeintes und starkes Europa in der Welt überhaupt eine Rolle spielen kann.

Wir wollen Zuversicht vermitteln und Freude am Mitgestalten, ganz besonders bei jungen Europäern, der nächsten Generation.

Das geht durch ein öffentlichkeitswirksames Kulturprogramm, Ja, aber eines, das nicht nur in Brüssel stattfindet.

Es geht um das Selbstverständnis Deutschlands als europäisches Land.

Einige der kulturpolitischen Themen werden uns sicher auch von der neuen Kommission und dem neuen Parlament vorgegeben werden.

Andere können wir selber setzen, zum Beispiel

  • das eines sozialen Kulturbegriffs, der gesellschaftliche Integration und Partizipation ermöglichen soll,
  • oder den Ansatz der internationalen Kulturbeziehungen, der anders als die klassische Public Diplomacy auf eine Außenpolitik der Zivilgesellschaften setzt und Koproduktion anstelle von nationaler Repräsentation.

Schon deshalb ist es wichtig, dass die SPD in der Bundesregierung dieses wichtige Feld der internationalen Kulturpolitik besetzt.

Auch weil wir in diesem Bereich schon viel erreicht haben.

Ihr wisst, dass es Willy Brandt war, der die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säule deutscher Außenpolitik stark gemacht hat.

Mit unserer Unterstützung soll in den nächsten Monaten ein „Strategischer Ansatz der EU für die internationalen Kulturbeziehungen“ im Rat verabschiedet werden.

Das Goethe-Institut kooperiert außerhalb Europas intensiv mit seinen europäischen Partnern. Das entspricht auch dem Wunsch des Europäischen Parlaments und des Deutschen Bundestages.

Beide erwarten – völlig zu Recht -, dass die Kultur zu einem wichtigen Teil der europäischen Auswärtigen Politik wird.

Dabei arbeiten wir eng mit unseren europäischen Partnern. Das mit dem Goethe-Institut in der Türkei gestartete Projekt „Spaces of Culture“ ist ausdrücklich auf die Kooperation mit europäischen und lokalen türkischen Partnern ausgerichtet.

So schaffen wir kulturelle Freiräume und stoßen Initiativen an. So entsteht ein Klima, in dem nicht der Gedanke nationaler Repräsentation, sondern der der Kooperation, des gemeinsamen Schaffens bestimmend ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

2020 ist aber nicht nur wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ein Fixpunkt unserer Kulturpolitik.

Es gibt auch wichtige Jubiläen: 2020 feiert das Auswärtige Amts sein 150jähriges Bestehen; gleichzeitig wird seine Abteilung für Kultur- und Kommunikation 100 Jahre alt.

Das ist für uns ein guter Anlass, die grundlegende Strategie der Bundesregierung für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, die „Konzeption 2000“, die dann 20 Jahre alt sein wird, durch eine neue Strategie zu ersetzen. So etwas wie ein neues Grundsatzprogramm muss her.

Darin wollen wir die Frage beantworten, wie wir unsere internationale Kultur- und Bildungspolitik für die nächsten Jahre aufstellen.

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass die Grenzen zwischen Innen und Außen mehr und mehr verschwimmen.

Das, was im Ausland passiert, wirkt zunehmend auf unsere eigene Gesellschaft und auch umgekehrt.

Angesichts der am Anfang angesprochenen großen Fragen unserer Zeit können wir uns längst nicht mehr allein auf den nationalen Raum beschränken.

Die Realität ist schlicht eine andere.

Es ist also Zeit für eine Kulturpolitik, bei der es darum geht, die alten nationalstaatlichen Begrenzungen zu überwinden!

Es geht darum, Formate und Orte zu schaffen, an denen verschiedene Gesellschaftsmodelle auch miteinander ins Gespräch miteinander kommen, Normen und Konflikte in einer multilateralen und verflochtenen „Weltgesellschaft“ verhandelt werden.

Dafür eröffnet die internationale Kultur- und Bildungspolitik neue Möglichkeiten und Wirkräume, die wir nutzen wollen.

Es geht darum, eine Idee zu skizzieren, wie europäischer Zusammenhalt und wie unsere Gemeinsamkeit auch in Europa und der Welt in Zukunft aussehen können.

Wir sind dabei, bis 2020 Ideen für eine solche organisatorische und inhaltliche Neuausrichtung zu entwickeln.

Der Prozess läuft, bei dem sich viele Partner engagieren und mit einbringen, und ich kann die Ergebnisse nicht vorhersagen.

Klar ist für mich aber schon jetzt:

Am Ende muss auch eine europäisch ausgerichtete Kulturpolitik stehen, die von den neuen digitalen und kommunikativen Möglichkeiten Gebrauch macht und die auf die Einbindung der Zivilgesellschaft setzt.

Weil das der Kern von internationaler Kulturpolitik ist: Sie ist die Außenpolitik der Gesellschaften.

Die aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft kommt gerade auch im Bereich der Erinnerungs- und Gedenkpolitik besonders zum Tragen – ebenfalls ein Thema der heutigen Tagung.

Das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren bildet für Deutschland und seine europäischen Partner einen Schwerpunkt der Gedenk- und Erinnerungsarbeit.

Ich bin überzeugt, dass das ein wichtiger Bereich ist: Zukunft braucht Erinnerung. Es kommt darauf an, gerade auch an die jüngeren Generationen die Lehren aus der Vergangenheit weiterzugeben.

Wir sehen gerade wieder in vielen Ländern Europas, ja auch in Deutschland, wie versucht wird, auch Geschichte für rückwärtsgewandte, für nationalistische Politik einzuspannen.

Sie alle haben die Umfragen gesehen, nach denen 40 Prozent der jüngeren Deutschen wenig oder gar nichts über den Holocaust bzw. die Shoah wissen. Das muss uns sehr besorgen.

Wir müssen und wollen daher die Gedenk- und Erinnerungsarbeit weiter stärken!

Dabei muss es uns darum gehen, auch die Narrative unserer europäischen Nachbarn und Partner mit in den Blick zu nehmen. Nur wenn wir einander zuhören und verstehen lernen, kann Gedenken und Erinnerung dazu beitragen, Gräben zu schließen, anstatt diese zu vertiefen.

Ziel der vielen Projekte, die auch mit Unterstützung des Auswärtigen Amts in ganz Europa und in der Welt realisiert wurden, war daher die Stärkung eines gemeinsamen europäischen Gedenkens. Ein Gedenken, das über die einzelnen nationalen Narrative hinausreicht.

Uns war es wichtig, auch Perspektiven, die bislang vernachlässigt wurden, mit einzubringen.

Zum Beispiel der Zusammenhang zwischen dem Ersten Weltkrieg, dem Kolonialismus und Postkolonialismus.

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

das Jahr 2020 ist gar nicht mehr allzu weit weg.

Während wir in diesem Jahr 30 Jahre Mauerfall und friedliche Revolutionen in Osteuropa begehen und feiern können, kommen 2020 die Erinnerung an 75 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg und 30 Jahre Wiedervereinigung auf uns zu.

Das alles sind auch europäische Themen. Und sie sind Anlass, an den weiten Weg und die Errungenschaften des europäischen Friedens- und Einigungsprozesses zu erinnern.

Ja natürlich können gerade wir Deutsche froh und dankbar sein, von Beginn an Teil dieses Prozesses gewesen zu sein.

Nun sollten wir ein Motor für Europa sein.

Entscheidend dafür ist: Wir müssen Europa stärker für alle Bürgerinnen und Bürger, für alle Europäerinnen und Europäer spürbar und erfahrbar machen.

Gerade auch für jene, die bisher weniger an diesen Errungenschaften partizipieren.

Wir brauchen eine echte Bildung zu und für Europa! Die Gedenk- und Erinnerungspolitik als Teil der Kulturpolitik spielt dabei eine entscheidende Rolle!

Deswegen danke ich der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Einladung und insbesondere Franziska Richter und dem FES-Team für die Organisation der Konferenz.

Die FES ist an vielen Stellen unterwegs, wichtig ganz besonders auch für die politische und demokratische Bildung.

Deswegen wünsche ich mir, dass wir gemeinsam daran arbeiten.

Ob wir weiter wirtschaftlich erfolgreich sind, Wohlstand und Frieden sichern können, hängt auch davon ab, ob die Idee des Zusammenhalts in Europa überzeugt.

Und das geht nicht ohne Kunst und Kultur.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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