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Rede von Staatsministerin Müntefering zum Festakt zur Bekanntgabe der Verlängerung des Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheimer-Stipendienprogramms

23.09.2019 - Rede

Ich begrüße Sie alle zu einem Abend, der ein Licht werfen soll, auf das was in den vergangenen Jahren hier geleistet worden ist an Arbeit. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich hier im Auswärtigen Amt.

Ganz zu Anfang möchte ich an Johannes Rau erinnern, der für mich persönlich politisch prägend war, der aber auch Wichtiges geleistet hat für die Arbeit, mit der Sie alle vertraut sind.

„Ganz Deutschland wird ein wichtiger Teil der eigenen Geschichte zurückgegeben.“ – bekannte der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2001 bezogen auf die gerade eröffnete Berliner Repräsentanz des Leo-Baeck-Institutes. Seine Worte stehen stellvertretend für eine Entwicklung, die bis heute fortdauert und mich mit tiefster Dankbarkeit erfüllt: Jüdisches Leben in aller seiner Vielfalt kehrt nach Deutschland zurück.

Im Besonderen gilt dies für die akademische Dimension: Lernen und Lehren, betonte Ernst Ludwig Ehrlich stets, das sei die Essenz des Judentums. Und diesen zwei Grundsäulen hat der Namensgeber von ELES sein Leben und Wirken in Deutschland und Europa gewidmet. Gerade im Jahr des zehnjährigen Bestehens des Studienwerks freue ich mich sagen zu können: Das Vermächtnis von Ernst Ludwig Ehrlich lebt weiter und an diesem Geschenk erfreuen wir uns alle.

Neben dem 10. Geburtstag des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks feiern wir in diesem Jahr auch den 20. Geburtstag des Abraham Geiger Kollegs. Daher ist es mit eine besondere Freude, gerade in diesem Jahr die Verlängerung und den Ausbau des Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramms im Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk bekanntzugeben!

Jubiläen wie diese laden dazu ein, zurückzuschauen. Und der Blick lohnt sich: 2006 durften wir Zeuge sein, wie Geschichte geschrieben wurde.

Das erste Mal seit der Shoa wurden in Deutschland wieder Rabinnerinnen und Rabbiner ordiniert. 35 Absolventinnen hat das Abraham Geiger Kolleg seitdem in die Welt geschickt. Und auch das 2010 ins Leben gerufene Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim Stipendienprogramm hat bisher mehr als 30 Studierende gefördert, von denen 10 bereits als Rabbinerinnen und Rabbiner, Kantorinnen und Kantoren tätig sind. Ich hoffe, es werden zukünftig noch viel mehr.

Denn mit diesem so einzigartigen Stipendienprogramm können wir einen Beitrag zur Stärkung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Europa leisten, der gleichzeitig auch den Bildungsstandort Deutschland stärkt. Mehr noch: Das Stipendienprogramm steht auch für die Stärke unserer pluralistischen Demokratie: Die Förderung jüdischer Geistlicher ist Ausdruck unserer Überzeugung, dass unsere Gesellschaft durch Vielfalt gewinnt, und in der Vielfalt nicht nur Gegenwart, sondern ihre Zukunft sieht.

Im Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramm fördern wir die Ausbildung für die verschiedenen Strömungen des Judentums. Diese Förderung umfasst Stipendien und die Einladung von weltweit renommierten jüdischen Geistlichen und Hochschullehrerinnen und –lehrern nach Deutschland. Als in Deutschland ausgebildete Rabbinerinnen und Rabbiner, Kantorinnen und Kantoren tragen die Geförderten und Ehemaligen in den Ländern und an den Orten, an denen sie später wirken, auch zu einer differenzierten Wahrnehmung des heutigen Deutschlands bei.

Und dass es heute in Deutschland wieder Orte für exzellente Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern gibt, verstehe ich dabei nicht nur als einen Teil von Geschichte, die unserem Land zurückgegeben wird, sondern schlicht als ein kleines Wunder.

Doch es hat sich etwas verändert in den vergangenen Jahren. Antisemitismus, den es in diesem Land immer gab und leider immer noch gibt, wird wieder lauter und aggressiver. Vor allem im Internet findet diese Hetze einen Boden, auf dem sie gedeiht.

Und auch Hemmschwellen sinken immer weiter und weiter - Worten folgen viel zu oft Taten.

Sehr verehrte Damen und Herren,
wenn Mitbürger, wie jüngst Rabbi Teichtal auf offener Straße angegriffen werden, sobald sie öffentlich ihre Religion zeigen, dann ist das beschämend für unser Land.

Wir haben eine besondere und herausragende Verantwortung für den Schutz und die Unterstützung jüdischen Lebens in Deutschland. Wir müssen jeglicher Form des Antisemitismus noch entschiedener entgegentreten. Das ist eine Aufgabe für Politik und Zivilgesellschaft.

Als einen solchen Beitrag sehe ich z.B. das Programm „Jugend Erinnert“, das ich im letzten Jahr mitinitiiert habe.

Jugendlichen aus allen gesellschaftlichen Milieus werden Fahrten zu Gedenkstätten im In- und Ausland ermöglicht, und neue Formen der Bildungsarbeit in NS-Gedenkstätten entstehen, um so Tendenzen des Vergessens und Verdrängens entgegenzuwirken.

Das ist ein Baustein.

Mehr Verantwortung zu übernehmen bedeutet auch, dass wir darüber nachdenken müssen, dezidiert antisemitische Verbrechen härter zu bestrafen, wie es der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein unlängst forderte.

Denn gerade in Zeiten, in denen rechtspopulistische Parteien in Deutschland und Europa erschreckende Erfolge feiern, muss unser Bekenntnis zur Zukunft jüdischen Lebens umso deutlicher werden.

Wie eine solche Zukunft gemacht wird, durfte ich bei meinem Besuch bei ELES vor einigen Wochen sehen. Das Studienwerk hat mich mit seinen Programmen und Formaten nachhaltig beeindruckt – vor allem der stets mutige, und unverstellte Blick in die Zukunft.

Lieber Herr Frank, auch Ihnen sei an dieser Stelle dezidiert für Ihr unermüdliches Engagement gedankt. Und ich darf sagen, ich freue mich auf einen weiterhin intensiven Austausch.

Auf Austausch setzen wir im Auswärtige Amt: auf enge Beziehungen: zwischen Ländern, zwischen Institutionen, aber vor allem zwischen Menschen. Und auch hier entfaltet das Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramm seine Wirkung: Die 30 Alumnae, Alumni und Studierenden des Programms kommen aus 13 verschiedenen Ländern und arbeiten inzwischen in Großbritannien, Frankreich, Österreich, Luxemburg, Südafrika, Israel und den USA. Hier arbeiten sie im Dienst ihrer Gemeinden auch an weltweit wirksamen Bindungen, stärken Verstehen und Verständnis zwischen unseren Gesellschaften.

Wir können heute mit großer Freude nicht nur sehen, sondern auch hören, was das Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramm bewirkt: So freue ich mich sehr, stellvertretend für die vielen Studierenden, dass Sie, liebe Kantorin Sveta Kundisch für die musikalische Gestaltung des Festaktes zugesagt haben.

Liebe Kantorin Kundisch, was für ein spannender Lebensweg bereits hinter Ihnen liegt:

Sie haben sich nach der Ausbildung ganz bewusst gegen eine Karriere als Opernsängerin entschieden und haben Ihre Wurzeln in den Mittelpunkt ihres Schaffens gelegt. So sind Sie ans Abraham Geiger Kolleg gekommen, um sich dort zur Kantorin ausbilden zu lassen. 2018 wurden Sie als Kantorin eingesetzt, und seitdem amtieren Sie in der jüdischen Gemeinde in Braunschweig und konzertieren. Sie geben die große Vielfalt jüdischer Musiktradition in Ihrer Gemeinde und in Ihren Konzerten weiter.

So wie in ihrem Lebensweg stehen Internationalität und Vielfalt auch im Zentrum unseres gemeinsamen Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramms. Ich freue mich sehr, dass wir mit weiteren Stipendien nicht nur an den bisherigen Erfolg des Programms anknüpfen, sondern auch, dass wir das Programm durch zusätzliche Förderstrukturen ausbauen können.

Insbesondere wollen wir die Internationalität des Programmes weiter stärken:

In Zukunft soll unter anderem die Kooperation mit Ausbildungsstätten in Moskau und Sao Paulo vertieft werden. Und bereits in diesem Jahr konnten wir den ersten Austausch von Studierenden aus den USA und Deutschland initiieren. Bei wechselseitigen Besuchen lernen künftige Rabbinerinnen und Rabbiner, Kantorinnen und Kantoren, gemeinsam, aber auch von einander: über jüdisches Leben in Deutschland und Europa, und jüdisches Leben in den USA.

„Lernen und Lehren“, Ernst Ludwig Ehrlichs Leitgedanke, ist auch hier bei diesem Element des Stipendienprogramms prägend. Und es geht um Begegnungen, um Bindungen. Um einen Austausch derer, die an der Schnittstelle von Religion und Gesellschaft in der Gegenwart die Zukunft gestalten.

Meine Damen und Herren,
Im politischen Raum werden die Begriffe „Religion“ und „Problem“ gelegentlich in einem Atemzug genannt.

Religionen gelten allzu oft entweder als Konfliktquellen oder -beschleuniger oder aber als diskriminierte und verfolgte Minderheiten, viel zu selten jedoch als echte Partner auf Augenhöhe. Dabei haben Religionsvertreterinnen und -vertreter oft ein gleichsam seismographisches Gespür für Entwicklungen in ihrem Land und können diese an vielen Stellen beeinflussen. Denn ohne das Verständnis spiritueller und religiöser Kulturen und ohne den Blick auf die nicht-staatlichen Akteure in den Gesellschaften anderer Länder bleibt unser Wissen lückenhaft.

Religionsgemeinschaften sind die weltweit größten transnationalen zivilgesellschaftlichen Akteure: 84 Prozent der Weltbevölkerung bekennen sich zu einer Religion. Die Öffnung unserer Außenpolitik für mehr Impulse aus der Zivilgesellschaft ergänzt die klassische Außenpolitik zwischen Staaten um eine transnationale Politik der Gesellschaften. Mit einem eigenen Referat, das sich mit den Aspekte der Religionen in der Außenpolitik befasst, hat das Auswärtige Amt diese Situation erkannt und widmet sich diesem Themenfeld seit einigen Jahren vertieft.

Sehr geehrte Damen und Herren,
da lohnt der Blick in die heiligen Überlieferungen.„Wer ist weise?“ Fragt etwa der Talmud, und antwortet direkt: „Derjenige, der die Konsequenzen sieht!“ (Middot 32a).

Die Konsequenzen zu sehen, bedeutet aber nicht, die Zukunft vorherzusehen, sondern vielmehr zu verstehen, dass wir große Kraft haben, die Zukunft zu gestalten. Dafür gilt es aber eine weitverbreitete „Kurzsichtigkeit“ zu überwinden. Und ich glaube das gilt für alle Bereiche unseres Seins.

Indem wir das Benno-Jacob- und Bertha-Pappenheim-Stipendienprogramm weiter ausbauen, leisten wir einen Beitrag dazu, solche Kurzsichtigkeit zu lindern und in die Kraft der Zukunft zu investieren.

In diesem Sinne freue mich sehr, dass Sie heute alle hier zu uns ins Auswärtige Amt gekommen sind, um diesen Anlass zu feiern, und freue mich, dass jetzt Herr Schuster bei uns ist, dem ich versprochen habe nach mir zu sprechen.

Lieber Herr Schuster, vielen Dank das Sie hier bei uns sind.

Und Ihnen allen: Alles Gute für die Zukunft.

Vielen Dank!

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