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Grußwort Staatsministerin Michelle Müntefering zur Eröffnung der Ausstellung „PEST!“ im LWL-Museum für Archäologie/Westfälisches Landesmuseum Herne

19.09.2019 - Rede

Seuchen machen Angst. Sie treffen ganze Gesellschaften, können Räume begrenzen, zusammen pferchen, Ängste schüren und Spannungen verschärfen.
Sie widmen einer der größten Seuche der Menschheitsgeschichte eine ganze Ausstellung.
Hierfür wurden mehr als 300 Exponate von internationalen Leihgebern zusammengetragen.
Es ist damit die größte Ausstellung, die bisher über die Geschichte der Pest gezeigt worden ist.
Der Pest waren die Menschen lange Zeit ausgeliefert. Als der „Schwarze Tod“ über die ganze Welt zog, forderte er allein in Europa zwischen 30 und 50 Prozent aller Menschenleben.
Erst mit der Entdeckung des Pesterregers durch Alexandre Yersin im Jahr 1894 war der Weg frei für die Entwicklung wirksamer Medikamente.
Wenn wir uns anschauen, wie Gesellschaften die Pest bekämpften, lernen wir dabei einiges darüber, welche Normen, Werte und Ordnungsvorstellungen in jenen Gesellschaften verhandelt wurden.
Gleichzeitig kann uns die Geschichte der Pest aber auch etwas darüber erzählen, wie wir mit „dem anderen“ umgehen.
Um 1348 kam den Historikern zufolge das Gerücht auf – wahrscheinlich in Frankreich oder Spanien, Juden seien Brunnenvergifter und „Pestbringer“.
In Deutschland (damals noch das Heilige Römische Reich) fielen diese Gerüchte leider auf einen allzu fruchtbaren Boden. In den Jahren der Pest kam es zu ca. 100 Pogromen gegen Juden, die vertrieben, gefoltert, getötet wurden.
Die Seuche – das sind immer die „Anderen“ - eine perfekte Projektionsfläche auch für zeitgenössische Ängste. Das Resultat sind meist: Hass und Hetze.
Heute müssen wir wieder besonders aufmerksam sein, wenn öffentlich einzelne und Minderheiten an den Rand gedrängt, bedroht, beschimpft und verunglimpft oder an virtuellen Pranger gestellt werden.
Angst und Schrecken, das sind die Schlagworte, die wir noch heute mit der Pest verbinden. Sie hat sich als Bedrohung und Risiko in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben, auch wenn wir die Pest nicht mehr als unheilvollen Tod und Strafe Gottes begreifen.
Sie ist für uns heute vielmehr zu einem Synonym für grausame Handlungen wie Krieg und Hass sowie deren Folgen geworden.
Albert Camus lässt in seinem weltberühmten Roman „Die Pest“ seinen Chronisten erzählen, wie sich die Bewohner angesichts der Drohung von Krankheit und Tod und der restriktiven bürokratischen Erlasse verhalten.
Er beschreibt wie aus der Einschüchterung, wie aus Verzweiflung und Angst bei einigen der Mut und die Entschlossenheit zum Widerstand wachsen, auch wenn dieser aussichtslos ist.
Bürgerinnen und Bürger von Oran arbeiten als freiwillige Krankenpfleger und Hilfskräfte, obwohl hier die Ansteckungsgefahr noch größer ist. Und auch die Hauptfigur des Romans Dr. Rieux verkörpert die Lebenshaltung der Revolte.
Schon als der Roman 1947 erschien waren vielen Lesern die Parallelen zur Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten und zum Widerstand der Résistance, der auch Camus angehörte, augenscheinlich.
Gerade heute in einer globalisierten Welt ist die Seuchenbekämpfung wieder ein zentrales Thema, das uns einmal mehr vor große Herausforderungen stellt.
Und zum Glück möchte man sagen, lässt sich die internationale Wissenschaftscommunity oft gar nicht allzu von Politik beeindrucken.
Wenn also ein Präsident in Nordamerika den Klimawandel leugnet, sind es genau diese Netzwerke, die dann zusammenhalten und mit harten Fakten argumentieren.
Umso wichtiger ist es gerade für die internationale Politik, eben diesen Freiraum zu stärken, in dem Erkenntnisgewinn und vor allem der Austausch von Wissen im Mittelpunkt stehen.
Weltweit geraten Wissenschaftler und Forscher zunehmend unter Druck; die Mittel für ihre Forschung werden gekürzt, wenn sie politisch unbequem sind, Entlassungen bis hin zu persönlichen Repressalien nehmen ebenfalls zu.
Dem müssen wir uns entgegen stellen, müssen die Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Bildung verteidigen.
Das tun wir, indem wir die Freiräume schützen, indem wir den Austausch über die Alexander-von-Humboldt-Stiftung oder den Deutschen Akademischen Austauschdienst verstärken und indem wir über die Philipp-Schwartz-Initiative verfolgten Forschern und Wissenschaftlern - auch bei uns an der Ruhr-Universität - einen sicheren Zufluchtsort bieten, bis sie in ihre Heimat zurück kehren können.
Vor knapp einer Woche haben wir im Berliner Humboldt Forum den 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt erinnert.
Er war wohl der erste Universalgelehrte, der seine Erkenntnisse nicht nur vollständig teilte, er bewegte sich auch in einem weltweiten Netzwerk von Forschern und Gelehrten, von denen er Ratschläge einholte, um seine Theorien zu überprüfen.
Fast 50.000 Briefe soll er geschrieben haben.
Von ihm stammt auch der Satz: „Alles ist Wechselwirkung.“
Das offenbart den Reichtum, den wir aus diesem Austausch gewinnen. Ein Reichtum an Wissen und Erkenntnis, den wir zum Wohle des Menschen einsetzen sollten, um die globalen Probleme zu lösen.
Auch die Weltgesundheit ist so eine große Aufgabe, die wir nur gemeinsam lösen können - denn Krankheiten machen an nationalen Grenzen nicht halt. Und ganz ohne die Politik geht es dann eben doch nicht.
Ich konnte erst im letzten Jahr in Südafrika einen der führenden Ebola-Forscher kennenlernen, ein Mediziner gefördert durch die Alexander von Humboldt Stiftung, der den ersten Ausbruch vor einigen Jahren entdeckte. Die Ebola-Krise 2014 in der Demokratischen Republik Kongo hatte über 11.000 Toten zur Folge.
2014/15 wurden – auch und maßgeblich auf deutsches Betreiben – Reformmaßnahmen eingeleitet, etwa bei Früherkennung oder der Krisenreaktionsfähigkeit der World Health Organisation (WHO).
Als Ebola im Mai 2018 ein weiteres Mal ausbrach und in lokalen Gesundheitsstationen erste Verdachtsfälle auftraten, entsandte die WHO, Ärzte ohne Grenzen und das Gesundheitsministerium der Dem. Rep. Kongo direkt ein Team zur Entnahme von Proben, die schnellstmöglich eine laborgestützte Diagnose lieferten - ganze drei Tage nach dem ersten Verdacht verkündete die WHO den Ausbruch.
Trotz verbesserter Vorsorge und Reaktion hat sich aber jedoch auch gezeigt: Gerade bei der Erhebung, Verarbeitung und dem Teilen von Daten und Erkenntnissen müssen wir als Internationale Gemeinschaft noch enger und effizienter zusammenarbeiten.
Eine Evaluierung der Ausbruchsbekämpfung bleibt daher eine wichtige Aufgabe, um gegen künftige Pandemien noch besser gerüstet zu sein.
Das Auswärtige Amt wird die Auswertung des Zusammenwirkens internationaler Institutionen daher aktiv begleiten.
Die von WHO und Weltbank kürzlich ins Leben gerufene „Unabhängige Expertengruppe zur Überwachung der globalen Gesundheitssicherheit“ (Global Preparedness Monitoring Board, GPMB) kann hier künftig eine wichtige Rolle spielen.
Sehr verehrte Damen und Herren,
dass die Pest heute in Europa und anderen Regionen der Welt als überwunden gilt, ist gleichermaßen das Ergebnis von Wissenschaft und Forschung wie von gesellschaftspolitischen Entscheidungen und Innovationen über Grenzen hinweg.
Zuerst waren es Quarantänebestimmungen, die in vielen Städten Europas übernommen wurden, sobald diese als wirksames Mittel gegen die Verbreitung der Pest angesehen wurden.
Dann wurde, im 14. Jahrhundert in Venedig, der sogenannte Pestbrief eingeführt, um die Herkunft der Reisenden aus pestfreien Gebieten zu bescheinigen und damit Eintritt in die Stadt zu gewähren.
Eben jener Pestbrief gilt als Vorläufer des modernen Reisepasses.
Seuchen, das zeigt dieses Beispiel deutlich, haben nicht nur eine gesundheitliche Dimension, sondern immer auch eine Soziale.
Und natürlich können und müssen wir uns auch als Bürgerinnen und Bürger dazu verhalten. Das Thema Impfung ist und bleibt dabei ein wichtiges.
Ich meine: Wir können aus dieser Geschichte jede Menge lernen – in Bezug auf wichtige Fragen unserer Gegenwart und in Bezug auf uns als Gesellschaft als Ganzes.
So gesehen ist diese Ausstellung auch als Teil einer aktuellen Debatte zu sehen.
Und das ist der Grund, warum wir mit unserer Politik im Auswärtigen Amt auf Kraft und Austausch von Diskurs und Ideen setzen. Wir investieren - mit unserer internationalen Kulturpolitik in Frieden und Kooperation, indem wir Menschen zusammenbringen und Brücken zwischen Gesellschaften schlagen.
Diese Ideen bewegen sich oft in einem globalen Kontext. Ihre Ausstellung zeigt diesen Gedanken beispielhaft - denn es sind ja vor allem Ideen, die Menschen verbinden – zum Beispiel, wie heute Abend, in Museen und Ausstellungen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Albert Camus’ Roman kann auch als ständige Revolte gegenüber der Sinnlosigkeit der Welt gelesen werden. Denn er zeigt - und das ist eine wirklich starke Botschaft: egal wie groß die Probleme, egal wie absurd und abstrakt die Bedrohung: Es sind wir Menschen, die mit unseren Beziehungen zueinander Sinn herstellen und einen Unterschied machen können.
Die Ausstellung „Pest!“ geht in die Tiefe und sie geht den entscheidenden Fragen nach: zur Geschichte und Verlauf der Seuche bis hin zur der Frage, welche unterschiedlichen Strategien die Menschen im Angesicht existentieller Krisen ergriffen.
Sie nimmt die Versuche der Bewältigung ebenso in den Blick wie die Verarbeitung der Pesterlebnisse in Kunst und Literatur.
Ich danke dem Ausstellungsteam, den Institutionen und Förderern, die an dieser gelungenen und respektvollen Präsentation Anteil haben.
Ich wünsche der Ausstellung als Schirmherrin zahlreiche Besucherinnen und Besucher, die in der Geschichte einer Seuche die Bedeutung medizinischer Errungenschaften und den Nutzen der internationalen Kooperation erkennen können.
Ich wünsche Ihnen spannende Einblicke und möchte schließen mit den optimistischen Worten, die Albert Camus seiner Hauptfigur Dr. Rieux in den Mund legt.
Dieser sagt, er wisse: „was man in Plagen lernt, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt“.
Herzlichen Dank.

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