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Laudatio der Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik Michelle Müntefering auf Professor Dr. Achille Mbembe anlässlich der Verleihung des Gerda-Henkel-Preises

08.10.2018 - Rede

Herzlichen Dank, dass ich heute hier in Düsseldorf die Laudatio für Prof. Mbembe anlässlich der Verleihung des Gerda-Henkel-Preises halten darf.

Gratulieren kann ich heute gleich zwei Mal: Dem Preisträger und der Jury der Gerda-Henkel Stiftung - für ihre vorzügliche Wahl!

Liebe Jury der Gerda Henkel Stiftung: Sie unterstreichen eindrucksvoll den hohen wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Anspruch der Stiftung, den ich teile: Gerade in Zeiten des rasanten technologischen Wandels und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Umbrüche ist es wichtig, die zentrale Rolle der Geisteswissenschaften hervorzuheben!

Denn sie bilden die Grundlagen für die Auseinandersetzung mit Gesellschaft, sie geben Orientierung in einer Welt, in der wir immer mehr wissen können und doch immer unsicherer werden, was wir von all dem Wissen eigentlich wissen müssen.

Der diesjährige Preisträger hat das so ausgedrückt: „Wir brauchen eine Fortsetzung des Projekts der Aufklärung.“

In der Tat: Dieses große „Projekt der Aufklärung fortzusetzen“ – das sehe ich als gemeinsamen Auftrag von Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft: Also von uns allen, die wir hier heute Abend bei der Gerda Henkel Stiftung versammelt sind. Und ich freue mich auf diese so dringend nötige Diskussion, lieber Achille Mbembe, die wir auch am Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse weiterführen werden!

Als ich gefragt wurde, die Laudatio auf Professor Mbembe zu halten, habe ich kurz überlegt: Eine große Ehre - zweifellos.

Nun wird eine Laudatio aber meist von langjährigen Wegbegleitern aus dem engen Umfeld des Preisträgers gehalten.

Ich aber komme aus der Politik – nicht aus der Wissenschaft; und außerdem haben Achille Mbembe und ich uns gerade erst kennen gelernt.

  • Weil aber sein Werk so inspirierend für die aktuellen Fragen der Außen- und internationalen Kulturpolitik ist;
  • und weil aber diese erste, persönliche Begegnung mit Prof. Mbembe im Goethe Institut Südafrika für mich etwas ganz Besonderes war;
  • weil Achille Mbembe in den letzten Jahren häufig mit dem Auswärtigen Amt und dem Goethe Institut zusammengearbeitet hat und wir sozusagen immer näher aneinandergerückt sind:

So passt es dann eben doch recht gut.

Nicht zuletzt, lieber Achille Mbembe, haben wir beide ein gemeinsames Anliegen - oder soll ich sagen, ohne die Begrifflichkeit selbst einem Postkolonialismus-Test zu unterziehen - eine gemeinsame „Mission“?

Wenn man in diesen Tagen das bekannte Werk „Kritik der schwarzen Vernunft“ von Professor Mbembe bei der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) bestellen möchte, dann muss man etwas Geduld mitbringen: „Achtung! Verlängerung der Lieferzeiten. Aufgrund eines erhöhten Bestellaufkommens … verzögern sich die Bearbeitungszeiten“ – so stand es im September wochenlang auf der Internetseite der Bundeszentrale.

Das heißt aber gleichzeitig auch: Deutschland liest Mbembe - und das ist eine gute Nachricht!

Denn die „Kritik der schwarzen Vernunft“ machte Sie in Deutschland vor einigen Jahren als Vordenker des Postkolonialismus einem noch breiteren Publikum bekannt.

Falls Sie das Buch noch nicht gelesen haben: Ich habe den Lieferengpass der Bundeszentrale mitgeteilt und so hoffentlich für Nachschub gesorgt.

Heute Abend möchte ich jedoch vor allem an Ihr späteres Werk anknüpfen, nämlich das 2016 in Deutschland erschienene Buch „Ausgang aus der langen Nacht – Versuch über ein entkolonisiertes Afrika“.

Mit einer autobiographischen Passage von Prof. Mbembe daraus möchte ich beginnen:

„Juli. Ich wurde tatsächlich an einem Julitag geboren, als sich der Monat gen Ende neigte, in einem afrikanischen Landstrich, den man erst spät Kamerun genannt hat - in Erinnerung an das Entzücken, das die portugiesischen Seeleute im 15. Jahrhundert befiel, als sie in der Nähe von Douala den Fluss hinauffuhren und sich an der Menge der Krustentiere gar nicht sattsehen konnten….Ich bin im Umkreis dieses namenlosen Landstrichs aufgewachsen, denn muss man, wenn der Name, den er trägt, in gewissem Sinne bloß dem Staunen von jemand anders entspringt, nicht von einem lexikalischen Fehlgriff sprechen?“

Geboren 1957 in Zentral-Kamerun, im besagten „namenlosen Landstrich“, bezeichnet sich Achille Mbembe als „im weiteren Sinne ein Produkt der Frühphase des Postkolonialismus“.

Er beschreibt eindringlich das Schicksal der kamerunischen Freiheitskämpfer, die hingerichtet und ermordet wurden - auch Familienmitglieder waren darunter:

„Den im Kampf um die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gefallenen Toten eine Grabstätte zu verweigern und sie zu verbannen, dieser ursprüngliche Akt der Grausamkeit gegenüber einem ‚Bruder‘, wurde sehr früh nicht nur zum Hauptgegenstand meiner akademischen Arbeit, sondern …auch zu dem Prisma, durch das meine Kritik an Afrika (…) konkrete Form angenommen und sich entwickelt hat.“

Wie sehr diese Ereignisse den weiteren Werdegang von Achille Mbembe prägen und ihn zu dem großen, kritischen, alle Aspekte des Kolonialismus hinterfragenden Intellektuellen machen – das ist der Kern seines Werkes.

Nach Studienbeginn in Kamerun 1978 ging Achille Mbembe Anfang der 80er Jahre nach Frankreich, an die weltberühmte Sorbonne in Paris, mit anschließender Promotion.

Dazu der Preisträger:

„Ich habe in meiner Heimat mit meinem Studium begonnen, es aber in Paris beendet, so wie andere nach London und nach Oxford gehen. (...) In meinen Pariser Jahren habe ich gelernt, dass Völker und Staaten durch ein hohes Alter allein nicht unbedingt vernünftig, geschweige denn anständig werden. In allen alten Kulturen – und vor allem in alten Kolonialkulturen – liegt hinter der Fassade aus Vernunft und Höflichkeit eine dunkle Seite verborgen.“

Dabei strebt Achille Mbembe nach der „neuen Aufklärung“ – auch: die Brüche und Widersprüche aufzudecken, die dunklen Seiten ins Licht zu ziehen.

Aus dem Dunkel der Nacht ins Licht zu treten, mehr noch, Verborgenes sichtbar zu machen, es zu beleuchten, das ist Mbembes Werk.

Auch in Bezug auf Europa, - das vermeintlich aufgeklärte, „anständige Europa“ in seinen Widersprüchen zwischen den universellen Werten der europäischen Aufklärung und dem europäischen Kolonialismus, der eben diese Werte mit Füßen trat.

Für mich und alle, die sich nicht scheuen, genauer hinzusehen, ist Achille Mbembe ein Lichtmacher aus Afrika. Und: ein Lichtmacher im Geiste.

Seine wissenschaftliche Karriere, sein Lebenslauf, - sie sind beeindruckend.

Nach Frankreich folgten mehrere Jahre in den USA: An der Columbia in New York, bei Brookings in Washington, der Universität in Pennsylvania, Berkley, Yale und Duke, in Dakar im Senegal und: 2011 schließlich der Ruf an die renommierte Witwatersrand University in Johannesburg in Südafrika, wo Prof. Mbembe bis heute lehrt.

Erlauben Sie mir nun einen größeren geographischen bzw. thematischen Sprung: In die Außenpolitik, nach Afrika und vor allem in die internationale Kulturpolitik.

Zunächst nach Afrika: „Es wird immer deutlicher“, so Achille Mbembe 2015, „dass die Zukunft Afrikas über die Zukunft des gesamten Planeten entscheidet. (...)“. Man kann davon ausgehen, dass das „21. Jahrhundert das Jahrhundert Afrikas wird“.

Und: „Der beste Weg, sich Afrika zu nähern, ist auf das Unerwartete vorbereitet zu sein.“

Ein Rat, den ich mir vor meiner ersten Afrikareise zu Herzen genommen habe: alles zu vergessen, was man über Afrika zu wissen meint - auf das Unerwartete vorbereitet sein.

„Europa“, so Prof. Mbembe, „ist nicht mehr das Zentrum der Welt“. Afrika hingegen befinde sich aufgrund der demographischen Verschiebungen und Wanderbewegungen in einer „großen Transformation“, einem „Umbruch, zu dem die Kolonialzeit im Vergleich wie ein Intermezzo wirken wird“.

Ohne nun näher den „Afropolitanismus“ Prof. Mbembes und die Rolle Südafrikas als das „sichtbarste Labor“ für eine „afropolitane Kultur“ zu beleuchten - das würde den Rahmen dieses Abends sprengen - so möchte ich doch wenigstens den Schlussappell von Professor Mbembe noch zitieren: „Afrika sollte seinen Blick auf etwas Neues richten. Es sollte die Bühne betreten und zum ersten Mal tun, was früher nicht möglich gewesen ist. Und das wird es in dem Bewusstsein tun müssen, dass dadurch für es selbst und für die Menschheit neue Zeiten anbrechen.“

Das sind klare Aussagen, eine Aufforderung an Afrika - und starker Tobak für Europa!

Bei der Afrikapolitik sind wir in Deutschland mitten in der Diskussion - zu einer Zeit, in der die Zukunft Europas längst nicht klar im Lichte erscheint.

Klar jedoch ist: Eine neue Zeit ist angebrochen, eine postkoloniale Zeit: Für Zusammenarbeit, Aufarbeitung und Augenhöhe!

Unsere deutsche Diskussion darüber, wie wir Europa im 21. Jahrhundert definieren, hat Bundesaußenminister Heiko Maas formuliert: EUROPE UNITED.

Bezogen auf Afrika gibt der Koalitionsvertrag der deutschen Regierungsparteien dem Auswärtigen Amt zudem einen deutlichen Auftrag: Die Afrikapolitik der Bundesregierung, unter Beteiligung weiterer Fachressorts, zu formulieren - mit dem Ziel einer echten Partnerschaft mit Afrika.

Daran arbeiten wir; auch in der Internationalen Kulturpolitik.

Dass Achille Mbembe dabei an unserer Seite ist, das hilft.

Das Werk Achille Mbembes empfehle ich allen, die daran jetzt arbeiten.

Und allen, die sich mehr Klarheit im Umgang mit Afrika wünschen.

Die internationale Kulturpolitik ist dabei einmal mehr vorangegangen, auch dank Ihnen, Herr Mbembe. Sie haben unsere Kulturarbeit bereichert mit Vorträgen, Interviews, Aufsätzen und Gesprächsrunden - im Goethe Institut Johannesburg, durch die Teilnahme an den „Berliner Korrespondenzen“ (2016) oder kürzlich der „Hamburger Konferenz zum Umgang mit Kulturgütern aus kolonialem Kontext“ (2018).

Aus einem Ansprechpartner, einem streitbaren Gast, ist ein Freund im Geiste geworden. Darauf bin ich als Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik ganz besonders stolz.

Denn, wenn ich zu Anfang die „gemeinsame Mission“ erwähnt habe, dann meine ich das auch in dem Wissen: Um etwas zu erreichen braucht man Gleichgesinnte und Verbündete.

Diese Verbundenheit empfinde ich, wenn ich von Achille Mbembe lese:

„Kunst und Kultur (werden) in verschiedenen Teilen der Welt vom transnationalen Austausch bestimmt. (...) Die gesamte Welt ist unser Erbe. (...) Kultureller Ausdruck, Kreativität und Innovation bedeuten heute nicht mehr, an toten Bräuchen festzuhalten, sondern vielfältige Wege auszuhandeln, die Welt zu bewohnen.“

Das könnte so auch in unserem Grundsatzprogramm der internationalen Kulturpolitik stehen, das wir gerade erarbeiten und 2020 zum 100-jährigen Bestehen der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes veröffentlichen wollen!

Ähnlich Professor Mbembes Blick auf die deutschen Goethe Institute, die Begegnungen zwischen Menschen erleichtern, Räume schaffen, wo sich Fähigkeiten entwickeln können, Orte des Dialogs sind und ermöglichen, Erinnerungsprozesse in eine Projektion auf die Zukunft umzuwandeln.

Darauf aufbauend hat Prof. Mbembe einen weiteren, zentralen Gedanken entwickelt, der mich im Inneren bewegt, und den ich teile:

Eben den Gedanken des Teilens!

In meinen Worten, lieber Professor Mbembe: Leben ist nichts, solange wir es nicht mit anderen teilen.

Den Gedanken des Teilens bezieht Achille Mbembe auch auf die hochaktuelle Diskussion um die Kulturgüter aus kolonialem Kontext:

„Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der jeder und alles wieder nach Hause zurück muss?“, fragten Sie auf der „Hamburger Konferenz“.

Und auch die Antwort sind Sie uns nicht schuldig geblieben: Statt allein Restitution anzustreben, sollten wir auch über Konzepte des Teilens nachdenken, mit dem Ziel, nicht nur die Objekte vom Eigentumsdenken zu befreien, sondern auch die Menschen.

Was also heißt Teilen im 21. Jahrhundert?

Ich meine: Wir müssen begreifen: Uns wird es langfristig nur gut gehen, wenn es auch anderen gutgeht.

Das ist der Kern der internationalen Kulturpolitik, die auf Zusammenarbeit und Verständigung, setzt - und die Idee des Multilateralismus!

In der „Kritik der schwarzen Vernunft“ entwickelt Achille Mbembe das, was man einen radikal neu zu denkenden, postkolonialen Humanismus nennen könnte - oder aber um mit Willy Brandt zu sprechen, die Idee eines „Weltbürgertums“.

„(...) Es (...) ist ganz vergeblich, Grenzen zu ziehen, Mauern zu bauen, zu klassifizieren, zu hierarchisieren oder solche von der Menschheit auszugrenzen, die man abwerten möchte, die man verachtet, die uns nicht ähnlich sind oder mit denen wir uns, wie wir meinen, niemals verstehen werden. Es gibt nur die eine Welt, und auf die haben wir alle ein Anrecht.“

Willy Brandt legte mit der Nord-Süd-Kommission den Bericht: „Das Überleben sichern“ vor.

Er forderte damals angesichts der zunehmenden Globalisierung von Gefahren und Herausforderungen die „Notwendigkeit des Umdenkens“: „Es muss möglich sein, der Idee von einer weltumfassenden Gemeinschaft Raum zu geben oder zumindest eine weltweite gemeinsame Verantwortung zu entwickeln.“

Die internationale Kulturpolitik nannte Willy Brandt übrigens „Arbeit an der Weltvernunft“ - eine weitere Parallele. Wir spüren, wie sehr solche Stimmen heute gebraucht werden.

1948 – vor 70 Jahren – und ein Jahr vor der Verabschiedung des deutschen Grundgesetzes, entstand die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, die für mich, trotz aller Rückschläge, doch immer für echten Fortschritt der Menschheitsgeschichte steht. Denn sie garantiert die Gleichwertigkeit der Menschen.

Das wird das Fundament deutscher Außenpolitik bleiben, wenn Deutschland ab 2019 für zwei Jahre im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen täglich Verantwortung tragen wird für diese eine, gemeinsame Welt.

Verantwortung tragen wir heute alle; als Bürger und Demokraten. Ich bin ganz sicher, nicht nur Achille Mbembe kann sich Willy Brandt anschließen, wenn dieser sagt:

„Die Gestaltung unser aller Zukunft ist zu wichtig, um sie allein Regierungen und Experten zu überlassen.“

Lieber Achille Mbembe: Die Welt braucht Vor-, Weiter-, und Nachdenker wie Sie. Menschen, die Licht ins Dunkle bringen, wenn die Welt düster zu werden scheint. Sie sind ein „Lichtmacher aus Afrika“ und für Afrika - das macht mir und vielen Menschen auf der Welt, neue Hoffnung auf ein Zusammenleben in Frieden.

Herzlichen Glückwunsch zum diesjährigen Gerda-Henkel-Preis!

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