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Rede von Staatssekretär Andreas Michaelis beim Festempfang in der polnischen Botschaft zum polnischen Nationalfeiertag

06.05.2019 - Rede

Am 6. Mai beging die Botschaft der Republik Polen in Berlin den polnischen Nationalfeiertag. Staatssekretär Andreas Michaelis übermittelte Botschafter Przyłębski die Glückwünsche der Bundesregierung zum 228. Jahrestag der Verabschiedung der ersten polnischen Verfassung von 1791.

Staatssekretär Andreas Michaelis beim Festempfang zum polnischen Nationalfeiertag
Staatssekretär Andreas Michaelis beim Festempfang zum polnischen Nationalfeiertag© Botschaft der Republik Polen in Deutschland

-- es gilt das gesprochene Wort --

Ich wünsche Ihnen im Namen der Bundesregierung und meines Hauses, aber auch ganz persönlich von Herzen alles Gute zum Nationalfeiertag der Republik Polen! Ich freue mich, mit Ihnen zusammen den 228. Jahrestag der polnischen Verfassung zu feiern.

Die Verfassung vom 3. Mai 1791 steht aus meiner Sicht für gleich zwei besondere Charakterzüge Ihres Landes. Ich habe mir eine Ausgabe als Gedankenstütze mitgebracht, da ich anders als die Mehrheit im Raum sie noch nicht auswendig kann.

Zum einen sehe ich in der Verfassung von 1791 die tiefen Wurzeln polnischer Fortschrittlichkeit. Polens Verfassung war nicht nur die erste demokratische Verfassung in Europa, sondern auch – nach den USA – die zweite weltweit! Schaut man in den Text der Verfassung, so erkennt man den Geist der Aufklärung und moderne Ideen der Gewaltenteilung. Und das lange bevor ein Verfassungsgeber diesseits der Oder auf solche Gedanken gekommen wäre. Da heißt es zum Beispiel in Kapitel acht: „Die richterliche Gewalt kann weder von der gesetzgebenden, noch vom Könige ausgeübt werden, sondern von den zu diesem Ende gegründeten und erwählten Magistraturen.“ Und der König musste den Eid auf diese Verfassung leisten, auch er war gebunden an die Stärke des Rechts!

Zum anderen ist die Verfassung ein Fanal der polnischen Freiheitsliebe. Wenn man sie liest, merkt man wie kriegsmüde und bedroht sich ein Polen fühlte, dass über Jahrzehnte unter dem Druck seiner expansionistischen Nachbarn zu leiden hatte, allen voran Preußen und Russland. Die Verfassung von 1791 ging mit diesem Druck pragmatisch um: Dem Kurfürst von Sachsen wurde der Thron in Erbfolge angetragen, um [so in Kapitel sieben] „Fremde von dem Streben nach dem Throne zurückzuhalten“ und um „Polen zur einmütigen Beschützung der Nationalfreiheit zurückzuführen“.

Die Verfassung von 1791 war der Versuch, durch Demokratisierung das Unheil der Teilung abzuwenden. Es kam, wie wir wissen, anders. Schon 1795 war Polen für 123 Jahre von der politischen Landkarte verschwunden. Erst 1918, nach den Schrecken des ersten Weltkriegs, wurde Polen wiedergeboren – letztes Jahr haben wir das gemeinsam mit unseren beiden Staatsoberhäuptern gefeiert.

In der Summe steht der heutige Tag für den Wunsch Polens, in Sicherheit und Wohlstand friedlich und selbstbestimmt mit den Nachbarn zusammenzuleben. In derselben Tradition sehe ich drei weitere Jahrestage die 2019 zu feiern sind:

  • 30 Jahre Friedliche Revolutionen, Runder Tisch und (halb)freie Wahlen in Polen,
  • 20 Jahre NATO-Beitritt,
  • 15 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union.

Wir Deutschen sind voller Bewunderung für die Entwicklung, die Ihr Land in den letzten 30 Jahren durchgemacht hat! Wir sind dankbar, dass wir diesen Weg mit Ihnen gemeinsam gehen konnten als Freunde, Nachbarn, Partner und Alliierte. Polen ist ein unabdingbarer Partner für uns in Europa und im transatlantischen Bündnis. Nur mit Polen können wir Europa so gestalten, wie es unseren gemeinsamen Interessen entspricht!

Der Wunsch, in Sicherheit und Wohlstand friedlich und selbstbestimmt mit den Nachbarn zusammenzuleben, eint uns. Das ist immer noch die wichtigste Triebfeder für das europäische Projekt. Denn Aussöhnung, Verständigung und Freundschaft werden uns umso besser gelingen, je mehr wir gemeinsame Probleme auch gemeinsam angehen.

Nicht nur in diesem Punkt sind wir sind uns viel ähnlicher, als dies gelegentlich in den Medien dargestellt wird. Wir sollten daher endlich aufhören, Deutschland als „Westeuropa“ und Polen als „Osteuropa“ zu bezeichnen. Unsere beiden Länder zeichnet gerade aus, dass wir im Zentrum, im Herzen Europas liegen. Das sollte unsere Weltsicht weit mehr prägen als die überkommene Trennung Ost-West. Und wenn ich mit meinen polnischen Counterparts spreche, habe ich das beruhigende Gefühl, dass sich diese Sicht der Dinge Stück für Stück durchsetzt.

Das gilt auch für unsere Chefs. Die Liste der gegenseitigen Besuche ist lang, wie es sich gehört, wenn man Tür an Tür lebt: Außenminister Maas ist ein häufiger Gast in Polen, genauso wie Außenminister Czaputowicz in Berlin – allein in den wenigen Wochen bis zur Sommerpause dürfen wir ihn noch zweimal in Berlin begrüßen, und beide Male wird es um Europa gehen. Beide Minister haben im April in Warschau einen gemeinsamen Bürgerdialog absolviert. Wichtige Jahrestage zur Erinnerung an die deutsche Schreckensherrschaft im besetzten Polen verbringen wir gemeinsam. Und im November werden wir den Fall der Berliner Mauer gemeinsam feiern.

Gedenken und Erinnerung ist eine wichtige Komponente unserer Beziehung. Aber genauso wichtig ist der Blick nach vorn, denn dort gibt es viel zu tun. Erlauben Sie mir drei Beispiele:

Deutschland hat Polen gebeten, den Vorsitz im Berliner Prozess zu übernehmen. Im Juli wird Polen in Posen ein Gipfeltreffen zum Westlichen Balkan ausrichten. Dafür sind wir sehr dankbar. Es zeigt, dass wir in konkreten Bereichen der Außenpolitik sehr effizient zusammenarbeiten.

Im Gegenzug hat Polen Deutschland zur Teilnahme an der Drei Meere-Initiative eingeladen. Auch hierfür sind wir dankbar. Anfang Juni wird es beim Gipfel in Laibach darum gehen, die Infrastruktur in unseren östlichen Nachbarländern mit Hilfe der EU, aber auch mit Unterstützung unserer transatlantischen Freunde zu verbessern. Auch deutsche Unternehmen sind beteiligt.

Und drittens haben wir das wiederholt für tot erklärte Weimarer Dreieck wiederbelebt. Seit zwei Jahren treffen sich die Europa-Staatssekretäre Deutschlands, Frankreichs und Polens regelmäßig. Wir verfolgen gemeinsame Interessen in der Sicherheitspolitik und in der Ostpolitik.

Ich kann und will nicht leugnen, dass es eine Reihe von Punkten gibt, in denen wir uns – ebenfalls typisch für Nachbarschaftsverhältnisse – uneins sind. Mir ist aber wichtig festzuhalten, dass uns unterschiedliche Sichtweisen, wechselseitige Forderungen, unerfüllte Erwartungen nicht aus der Bahn werfen. Wir halten sie aus, und wir werden weiter daran arbeiten, aus Streitigkeiten Lösungen zu machen. Seit den letzten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen haben wir eine gemeinsame Positivagenda. Die wollen wir gemeinsam umsetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ein Feiertag ist zum Feiern da. Ich lade Sie daher ein, sich heute ganz auf das Positive zu konzentrieren: auf das Erreichte, das Bestehende, das noch Wachsende in unseren bilateralen Beziehungen!

Vielen Dank!

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