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„Digitale Souveränität Europas ist überfällig“

04.12.2019 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Gespräch mit der Zeit.

Wenn Sie eine Prognose abgeben müssten: Wird der chinesischen Mobilfunkanbieter Huawei am Ausbau des neuen Internetstandards 5G in Deutschland beteiligt werden?

Zumindest nicht in dem Umfang, wie sich das Einige heute vorstellen.

Was spricht dagegen, Huawei stärker zu beteiligen?

Die Dimension des Problems. Es geht hier nicht um ein einzelnes Unternehmen, sondern die grundsätzliche Frage, welche Anforderung wir an Firmen stellen, die in Deutschland kritische Infrastruktur aufbauen oder betreiben. Mit 5G erreichen wir eine komplett neue Stufe der Digitalisierung. Über den neuen Mobilfunkstandard wird sie noch tiefer in unser tägliches Leben eindringen. Die derzeitigen Sicherheitsbestimmungen reichen nicht aus, um unter diesen Umständen eine mögliche Einflussnahme abzuwehren.

Wie würde denn Einfluss genommen werden?

Nehmen Sie nur die Medizintechnik, Kraftwerke, das autonome Fahren oder die Vernetzung in der industriellen Produktion. Das wird alles über 5G organisiert. Wer die Hardware und die Software zu Verfügung stellt, kann also großen Schaden anrichten. Wir dürfen nicht naiv sein. Es geht nicht nur um Spionage, sondern potenziell auch um Sabotage.

Was folgt daraus?

Die Sicherheit unserer digitalen Infrastruktur muss im Zentrum stehen. Es wird bereits an einem neuen Katalog mit technischen Sicherheitsanforderungen gearbeitet. Ich bin aber der Meinung, dass es zwingend notwendig auch eine politische Vertrauensprüfung geben muss.

Sie zweifeln also an der Vertrauenswürdigkeit von Huawei?

Ich hätte gerne die Möglichkeit, die Vertrauenswürdigkeit zu prüfen. Das gilt für Huawei wie für jedes andere Unternehmen, das sich am Ausbau des 5G-Netzes beteiligen möchte.

Huawei sagt: Man kann uns vertrauen, wir spionieren nicht.

Die Frage ist, welchen rechtlichen Vorschriften ein Unternehmen unterworfen ist. Es muss geprüft werden, ob Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind, Informationen und Daten, die geschützt werden müssen, zu Hause abzuliefern. In China bei Huawei ist das der Fall. Das müssen wir uns dann schon genauestens anschauen.

Anschauen oder verbieten?

Wenn die Prüfung zum Ergebnis kommt, dass unsere deutschen Sicherheitsinteressen verletzt werden, dann muss dem betreffenden Unternehmen eine Beteiligung an kritischen Kernkomponenten von vornherein verweigert werden.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier argumentiert, dass auch die Amerikaner spionieren und man Huawei nicht voreilig ausschließen sollte.

Das rechtliche Umfeld in den USA ist natürlich ein komplett anderes. Dort können sich die Unternehmen insbesondere gegen die Vereinnahmung ihrer Daten durch staatliche Stellen juristisch zur Wehr setzen. Dortige Digitalkonzerne haben sich schon bis zum obersten Gerichtshof durchgeklagt, um die Daten ihrer Kunden zu schützen.

Wenn der Staat in China Zugriff auf die Daten hat: Steht das Ergebnis einer solchen Prüfung nicht eigentlich schon fest?

Jedem Land steht es natürlich grundsätzlich frei, seine Gesetze zu ändern und die Möglichkeiten eines Datenmissbrauchs zu verhindern. Maßstab unserer Prüfung sollte allerdings immer sein, ob eine Gefahr für unsere digitale Infrastruktur besteht. Da dürfen wir kein Risiko eingehen.

Wer würde denn eine solche Prüfung übernehmen?

Da es sich um eine politische Frage handelt, sollte das ein politisch legitimiertes Gremium sein. Die Nachrichtendienste und Regulierungsbehörden könnten beraten. Dazu braucht es eine Gesetzesänderung, und die Zeit drängt: Es dürfen durch den Netzausbau keine Tatsachen geschaffen werden, bevor der Bundestag eine Entscheidung getroffen hat.

Im Wirtschaftsministerium sieht man die Dinge anders. Warum?

Weil es andere Interessen gibt, was ich für legitim halte. Huawei ist ein günstiger Anbieter und natürlich möchten alle den Netzausbau möglichst rasch und kostengünstig über die Bühne bringen. Doch die Balance zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Erwägungen muss stimmen.

Ist Ihnen also Sicherheit wichtiger als der Wohlstand?

Im Gegenteil: Das Thema Sicherheit erlangt mit 5G eine neue Bedeutung. 5G wird das Nervensystem unserer digitalen Gesellschaft und Wirtschaft. Wenn wir heute aus Kostengründen Sicherheitsrisiken eingehen, werden wir dafür in Zukunft sehr teuer bezahlen.

Weshalb?

Weil sonst wirtschaftliche Abhängigkeiten entstehen, die dem freien Wettbewerb schaden. Für die deutschen Unternehmen ist die Sicherheit ihrer Daten enorm wichtig, um international bestehen zu können.

Am Ende muss sich die Bundesregierung auf eine gemeinsame Position einigen. Wo steht die Kanzlerin?

Das müssten Sie sie bitte selbst fragen. Ich hoffe jedenfalls, dass wir in den kommenden Wochen einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen können.

Die Chinesen argumentieren: In Wahrheit sollen Aufträge europäischen Unternehmen zugeschanzt werden.

Das wäre die Konsequenz einer solchen Entscheidung, nicht das Ziel. Aber völlig klar: Wir müssen uns in Europa stärker um unsere digitale Souveränität kümmern. Da geht es nicht um eine europäische Alternative zu Facebook, sondern um Netze, Knotenpunkte oder Datenspeicherungen in Clouds. Bei einem so wichtigen Thema wie dem Schutz der digitalen Infrastruktur sollten wir unsere eigenen Interessen definieren und schützen.

Gilt das auch für andere Wirtschaftsbereiche? Ist es zum Beispiel mit europäischen Werten vereinbar, wenn Volkswagen in der Provinz Xinjang Autos herstellt, obwohl Berichte über die Unterdrückung der dort ansässigen muslimischen Minderheit der Uiguren bekannt geworden sind.

Menschenrechte sind nicht verhandelbar und universell gültig. Darüber sprechen wir mit der chinesischen Seite immer wieder. Wenn hunderttausende Uiguren in Lagern festgehalten werden, dann kann auch kein Unternehmen davor die Augen verschließen. Was es jetzt braucht ist Transparenz und einen unabhängigen Zugang zu der Region, auch von der Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Auch die Unternehmen stellen sich nach meinem Eindruck die Frage, wie angemessen ihr jeweiliges Engagement ist. Genau wie sich Volkswagen die Frage gestellt hat, ob es angesichts der militärischen Offensive der türkischen Armee in Syrien legitim ist, in der Türkei ein großes Werk zu bauen oder eben nicht.

Die Gegner einer scharfen Prüfung von Huawei sagen: Wenn die Bundesregierung gegenüber den Chinesen zu aggressiv auftritt wird Peking im Gegenzug deutsche Unternehmen aus dem chinesischen Markt drängen.

Das Argument wird immer vorgebracht, wenn Entscheidungen im Raum stehen, die China nicht gefallen könnten. Wir dürfen uns aber nicht unter Druck setzen lassen, wenn es darum geht, das Richtige zu tun, um unsere Interessen zu schützen.

Weil Sie glauben, dass wir den Preis dafür dann eben bezahlen müssen? Oder weil die Chinesen bluffen?

Die chinesische Führung will vor allem den Wohlstand im eigenen Land mehren. Und das funktioniert nicht, wenn man sich abschottet.

Sind wir zu abhängig von China?

Es geht hier nicht nur um China. Wir haben es beim Thema Digitalisierung mit zwei Polen zu tun: Auf der einen Seite das Silicon Valley mit seinem Focus auf reiner Profitmaximierung. Auf der anderen Seite das chinesische Modell, das auch politische Abhängigkeiten beinhaltet. Eine Strategie für die digitale Souveränität Europas ist überfällig.

Interview: Marc Brost und Mark Schieritz

www.zeit.de

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