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„Japan ist für uns ein immer wichtigerer Wertepartner“

25.07.2018 - Interview

Anlässlich seiner Reise nach Japan und Südkorea sprach Außenminister Heiko Maas mit der japanischen Zeitung Yomiuri Shimbun.

Die Weltordnung verschiebt sich, lange Zeit gültige Bündnisse taugen plötzlich nicht mehr als Basis globaler Verantwortung, „der Westen“ bildet keine Einheit mehr. Sie selbst haben darauf hingewiesen, dass auf Basis gemeinsamer Werte neue Allianzen geschmiedet werden müssen. Steht Ihr Besuch in Japan in diesem Zusammenhang? Welche Rolle kann Japan in diesen neuen Bündnissen übernehmen? Auf welchen Ebenen können Deutschland und Japan einen solchen Schulterschluss vorantreiben?

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Japan sind seit langem sehr eng und vertrauensvoll. Daher würde ich nicht von einer neuen Allianz sprechen. Klar ist aber: Japan ist für uns ein immer wichtigerer Wertepartner, nicht nur in Ostasien. Wir ziehen in vielen Bereichen – wie beispielsweise dem regelbasierten Freihandel oder im Rahmen der G7 - an einem Strang. Ich möchte meinen Besuch hier in Tokyo dafür nutzen, diese Zusammenarbeit noch weiter zu verstärken, etwa durch die Vertiefung unseres strategischen Dialogs zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen.

Der Multilateralismus, der als Wert sowohl den Prinzipien der deutschen Außenpolitik als auch dem Gefüge der globalen Institutionen zugrunde liegt, ist zunehmend bedroht durch autokratische Tendenzen. Was bedeutet diese Auflösung der Wertebasis für Europa und für das Selbstverständnis Deutschlands?

Wenn Multilateralismus und freier Handel in Frage gestellt werden, ist unser gemeinsames Engagement für die Aufrechterhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung gefragt. Die gerade erfolgte Unterzeichnung des Abkommens zwischen der EU und Japan ist ein wichtiges Signal für dieses gemeinsame Engagement. Dadurch entsteht die weltweit größte Freihandelszone. Europa und Japan setzen damit Standards für den Welthandel. Genauso wichtig ist unsere Kooperation, um die WTO weiter zu stärken und zu modernisieren. Gemeinsam setzen wir uns auch für eine Reform des Sicherheitsrates ein. Nur so können wir die Effektivität und Legitimität der Vereinten Nationen sichern.

Auch Japan ist angewiesen auf die Erhaltung des Multilateralismus. In welchen Feldern können Deutschland und Japan konkret zusammenarbeiten, um sich dem entgegenzustellen? Welche Vorschläge werden Sie Ihrem japanischen Kollegen machen?

Wir sind überzeugt davon, dass kooperative Lösungen für gemeinsame Herausforderungen besser und nachhaltiger sind als nationale Alleingänge. Eine wichtige Grundlage für multilaterale Lösungen ist Vertrauen – Vertrauen darauf, dass internationale Regeln gelten und Verträge verlässlich eingehalten werden. Dies alles scheint keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein angesichts der gewaltigen Umbrüche, die die Weltordnung derzeit erlebt. Eine Politik der Berechenbarkeit, der Verlässlichkeit muss unsere Antwort sein.
Der Rückzug der USA aus den verschiedenen globalen Abkommen ruft zunehmend China als neuen internationalen Akteur auf den Plan. Kann China eine wichtige Rolle als politischer Partner in Klimafragen oder beim Iran-Abkommen übernehmen? Welche Grenzen sind einer solchen Partnerschaft gesetzt?

Unsere wichtigsten Partner außerhalb Europas sind und bleiben diejenigen, mit denen uns gemeinsame Werte, ein auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basierendes politisches System sowie eine marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsordnung verbinden. Japan, mit dem wir viele Gemeinsamkeiten teilen, ist dabei so etwas wie der „ideale Wertepartner“. Wir zählen aber auch die USA weiter zu den engsten Partnern und Verbündeten, vor allem in globalen Fragen.

Für die Lösung der großen globalen Herausforderungen ist es wichtig, dass alle Länder gemeinsam agieren. Das gilt insbesondere für diejenigen, die in der internationalen Ordnung in besonderer Verantwortung stehen – wie China mit einem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat. Insofern spielt China bereits jetzt eine wichtige Rolle. Es gibt zahlreiche Krisen und Konflikte, wo wir uns mehr chinesisches Engagement wünschen, nicht weniger. Gleichzeitig gibt es Themen, bei denen haben wir andere Ansichten als China. Das wird sich so schnell auch nicht ändern. Das gilt vor allem, aber nicht nur, bei Wertefragen – beim Thema Menschenrechte, bei der Rechtsstaatlichkeit.

Im Anschluss Ihres Besuchs in Japan reisen Sie nach Korea. Wie schätzen Sie die Lage in Nordkorea ein? Ist die Ankündigung einer vollständigen Denuklearisierung glaubwürdig, und was kann oder muss die internationale Gemeinschaft für die Umsetzung der Versprechen Nordkoreas tun? Welchen Part kann Deutschland konkret dabei übernehmen?

Allen Beteiligten ist klar, dass wir hier am Anfang eines langen und vermutlich sehr steinigen Weges stehen. Der Ausgang ist vollkommen offen. Zu oft ist die Internationale Gemeinschaft von Pjöngjang enttäuscht worden. Maßstab für unsere Beurteilung der Situation muss daher sein: Ist Nordkorea zu konkreten, verifizierbaren und unumkehrbaren Schritten zur Denuklearisierung bereit? Denn darum geht es letztendlich. Die Erklärung von Singapur zwischen Präsident Trump und Kim Jong-Un ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Jetzt wollen wir von Pjöngjang allerdings konkrete Taten sehen. Die Bundesregierung ist bereit, die diplomatischen Bemühungen hierfür zu unterstützen.

Der NATO-Gipfel hat wieder einmal gezeigt, dass Europa sich auf die Kooperation der USA nicht mehr verlassen kann. Wie muss und wie kann Deutschland bzw. Europa reagieren? Sollte Europa seine militärische Stärke aus ganz eigenem Interesse bündeln und ausweiten, um sich von Unwägbarkeiten wie den Drohungen des amerikanischen Präsidenten weniger abhängig zu machen?

Es ist kein Geheimnis, dass der politische Atlantik breiter geworden ist. Wir können uns auf das Weiße Haus nicht mehr uneingeschränkt verlassen. Daraus folgt auch, dass wir in Europa mehr in unsere Sicherheit und in die Ausrüstung investieren müssen. Aber: Mehr Waffen schaffen keineswegs automatisch mehr Sicherheit. Was wir vor allem brauchen, ist wieder mehr Respekt für Regeln und die internationale Ordnung. Und: Wir müssen uns in Europa noch enger zusammenschließen. Wir wollen die Partnerschaft mit den USA erhalten, aber wir brauchen eine neue Balance. Das können wir nur in einem selbstbewussten und souveränen Europa.

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