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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Deutsch-Französischen Konferenz „Winning Peace“ am 11. Oktober 2018 in Berlin

12.10.2018 - Rede

Sehr geehrter Carl Bildt,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
liebe Gäste,

„Nie war Europa stärker, reicher, schöner, nie glaubte es inniger an eine noch bessere Zukunft.“
Kaum zu glauben, aber mit diesen Worten erinnerte sich Stefan Zweig in seinem Buch „Die Welt von gestern“ an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Voll Zuversicht hatte Zweig gemeinsam mit Mitstreitern, darunter seinen französischen Schriftstellerkollegen Georges Duhamel und Romain Rolland für ein einiges Europa gekämpft.

Als Stefan Zweig seine Zeilen schrieb, wusste er aber schon um den Epochenbruch ab 1914, um die Barbarei des Ersten und später auch des Zweiten Weltkrieges. Sein einstiges Weltvertrauen war mittlerweile großer Verzweiflung gewichen.

Heute, 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, ist seine Vision eines einigen Europas längst Realität geworden. Aus einem Europa der Kriege ist ein Europa des Friedens geworden. Das ist alles andere als selbstverständlich.
Deshalb ist es mir eine besondere Freude, Sie heute auch im Namen meines französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian begrüßen zu können.

Wir, Franzosen und Deutsche, wurden einst „Erbfeinde“ genannt. Heute aber kommen wir als enge Freunde zusammen. Ohne die Bereitschaft der Franzosen zur Versöhnung wäre das so nicht möglich gewesen.

Man kann heute sagen: Wir haben den Frieden gewonnen.
Doch bis dahin war es ein weiter und auch ein teils unheilvoller Weg.

Vor allem darum geht es in den kommenden zwei Tagen. Um die Frage: Wie beendet man Konflikte so, dass Frieden nicht nur geschlossen wird, sondern vor allen Dingen, auch nachhaltig Bestand hat? Dass ein Zustand hergestellt wird, der nicht bereits den Keim neuer Feindseligkeiten in sich trägt? Das ist ein Thema, das uns noch lange begleiten wird.

Es freut mich deshalb, eine so große Anzahl renommierter Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Medien, Politik und Praxis zu dieser Konferenz begrüßen zu können, damit Sie mit uns all diese Themen diskutieren.
Ich danke ganz besonders der Freien Universität Berlin dafür, dass sie diese Veranstaltung ausrichtet sowie allen weiteren Mitgliedern der Steuerungsgruppe, die diese über die vergangenen Monate inhaltlich vorbereitet und ganz wesentlich unterstützt haben.
Und ich danke Ihnen, sehr geehrter Carl Bildt dass Sie heute hier sind und gleich zu uns sprechen werden. In Ihren vielfältigen diplomatischen Funktionen haben Sie maßgeblich zur Bewältigung schwieriger internationaler Konflikte beigetragen, solcher, die auch leider heute noch gegenwärtig sind.

Denn auch das ist eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg. Dieser war eben kein „war to end all wars“, wie das einmal der englische Schriftsteller und Historiker Herbert G. Wells zu Kriegsbeginn meinte. Nein, aus ihm wurde der „Große Krieg“, der erste globalisierte, industriell geführte Massenkrieg in der Geschichte der Menschheit.

Über 17 Millionen Menschen verloren ihr Leben; viele weitere Millionen wurden verletzt, verstümmelt oder vertrieben. Unermessliches Leid, das wir nievergessen werden und das wir vor allen Dingen auch nie vergessen dürfen.

Nach Ende der Kampfhandlungen herrschte letztlich nur ein äußerer Frieden. Es gelang einfach nicht, einen Frieden auch in den Köpfen und in den Herzen der Menschen herzustellen. Und nur wenige Jahre später begann Deutschland einen noch furchtbareren Krieg, der die Welt abermals in den Abgrund stürzte.
Meine Damen und Herren,
es gab und es gibt hierzulande Stimmen, die glauben, einen sogenannten Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen zu können.
Die meinen, die Vergangenheit wie eine lästige Bürde einfach abschütteln zu können. Dieser Ansicht muss man entschieden widersprechen.
Zukunft braucht Erinnern! Die Geschichte ist ein unauslöschlicher Teil unserer Identität. Sie mahnt und sie lehrt uns, für heute , aber auch für morgen.

100 Jahre mögen eine lange Zeit sein, aber die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs sind noch heute in der ganzen Welt zu spüren.
Mit dem Zerfall der alten Imperien entstanden neue Staaten. Alte Krisenherde wurden hinterlassen und neue wurden geschaffen, darunter in uns immer noch herausfordernden Konfliktregionen, ob auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten oder im Kaukasus.
Auch um heute den Krieg in Syrien oder den islamistischen Terrorismus der Gegenwart zu analysieren, kommen wir nicht umhin, die Vergangenheit mit in den Blick zu nehmen.

Vor 100 Jahren wurden aber nicht nur territoriale Grenzen neu gezogen, sondern es wurden auch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse angestoßen sowie erstmals die Kernelemente unserer heutigen liberalen Weltordnung formuliert.

Die Lehre, die der amerikanische Präsident Woodrow Wilson schon 1918 zog, ist immer noch gültig: Nur eine stabile multilaterale Ordnung, der sich die Staatengemeinschaft verpflichtet fühlt, kann weltweit für Frieden und für Ausgleich garantieren.

Doch wir erleben heute, wie alte Gewissheiten wegbrechen. Bewährte Prinzipien und Grundlagen unserer internationalen Beziehungen werden wieder in Frage gestellt: der Multilateralismus, das Völkerrecht und die universelle Gültigkeit von Menschenrechten.

Wir erleben derzeit auch, wie Geschichte instrumentalisiert wird. Mit dem Erstarken nationalistischer Strömungen hat die Vergangenheit auch hier in Europa als Legitimation politischer Entscheidungen an Bedeutung gewonnen. Völkische Denkweisen werden wieder benutzt, um Abgrenzung und Nationalismus zu schüren.

Wir dürfen das nicht zulassen! Wir müssen eintreten für Freiheit, für Toleranz und für Gerechtigkeit.

Meine Damen und Herren,
Erinnern ist in diesem Sinne immer auch ein Auftrag . Auch wenn wir in einer sich ständig verändernden Welt leben, an die wir uns anpassen müssen:
Das Wissen um unsere unheilvolle Geschichte, das Wissen auch um die deutsche Verantwortung für millionenfaches Leid, sollte dabei ein Leitfaden für unser politisches Handeln bleiben.

Denn auch dies ist eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg, der ja nicht zuletzt aus einem Versagen der Diplomatie erwuchs: Der Grat, der uns von einer Rückkehr in dumpfe Vergangenheit trennt, der ist heute vielleicht schmaler geworden als einige glauben.

Und dabei dürfen wir nicht tatenlos bleiben. Wir müssen aktiv bewahren, was wir aufgebaut haben. Wir müssen nichts anderes als Verantwortung zeigen und auch Haltung einnehmen.
Wir wollen deshalb, wir als Deutschland, unsere Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ab dem nächsten Jahr dazu nutzen, diese gewachsene Verantwortung auch wahrzunehmen und zwar sichtbar – im Übrigen in enger Abstimmung mit unseren französischen Freundinnen und Freunden.

Meine Damen und Herren,
„Nach diesem Kriege darf es keinen Krieg mehr geben! Ja, es ist genug!“
Der französische Schriftsteller Henri Barbusse hatte das bereits 1916 geschrieben, schockiert über das Grauen und die Brutalität des Ersten Weltkriegs.

Heute wissen wir, sein Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen.
Aber dennoch, für junge Menschen und auch für meine Generation, ist Frieden in Europa heute selbstverständlich. Aber klar ist auch: der Frieden ist nur da, weil wir aus der gemeinsamen Geschichte gemeinsam gelernt haben.

In Zeiten, in denen populistische Propaganda wieder zunimmt, ist eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur wichtiger denn je.

Deshalb freue ich mich, dass bereits nächsten Monat in Berlin junge Menschen aus 52 Ländern zur deutsch-französischen Jugendbegegnung „Youth for Peace“ nach Berlin kommen werden. Wir knüpfen damit an die bilateralen Jugendbegegnungen an, die es schon 2014 und 2016 am Hartmannsweilerkopf und in Verdun gegeben hat und wir wollen das fortführen.

Und bereits nächste Woche werden mehrere Hundert junge Leute aus ganz Europa sowie seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft im Rahmen des Geschichtsfestivals „Crossroads of History“ in Berlin zusammenkommen, um sich austauschen.
Sie sind die Zukunft, um zu bewahren, wovon Stefan Zweig nur träumen konnte: ein einiges Europa, ein Europe United.

Meine Damen und Herren,
wir sind heute auch zusammengekommen, um den Millionen Toten, den Verwundeten und den Traumatisierten des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Sie sind uns eine Mahnung.

Sie sind uns eine Mahnung, nicht in alte Denkmuster zurückzufallen. Nicht Abschottung als Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit zu sehen.
Nicht gleichgültig zu bleiben, wenn eine Rückkehr zu Nationalismus und Protektionismus gepredigt wird.
Die Europäische Union ist ein in der Weltgeschichte einzigartiges Beispiel für eine erfolgreiche Konfliktlösung.

Auf die Lehren, die wir aus unser gemeinsamen Geschichte gezogen haben, auf die Errungenschaften, auf die können wir wahrhaft stolz sein. Und sie – im Wissen um das Vergangene – zu schützen und voranzubringen ist eine wichtige Aufgabe, die wir alle haben, nicht nur diejenigen, die heute in der Politik aktiv sind. Sondern es ist etwas, meine sehr verehrten Damen und Herren, was unsere gesamte Gesellschaft betrifft.

In diesem Sinne wünsche ich unserer Tagung, unserer Veranstaltung intensive Gespräche, aber auch, dass sie einen Beitrag dazu leistet, dass nicht nur Experten, sondern dass die Zivilgesellschaften unserer beiden Länder teilnehmen an dem, was wir für notwendig halten: nämlich dem Erinnern und den daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Herzlichen Dank und noch einmal herzlich willkommen!


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