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Das letzte Wort haben immer die Wählerinnen und Wähler

06.11.2020 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit den Blättern der Funke-Mediengruppe über die Situation nach den US-Wahlen. Erschienen u.a. in der Berliner Morgenpost.

Joe Biden steuert auf die Mehrheit der Wahlmänner zu. Wie erleichtert sind Sie, Herr Maas?

Diese Wahl hat ungeheuer polarisiert. Das spiegelt auch das Wahlergebnis bislang wider. Dass es einen knappen Ausgang, auch mit rechtlichen Auseinandersetzungen geben könnte, haben viele Beobachter vorausgesagt. Deshalb: Die aktuelle Situation mag zwar nervenaufreibend sein, aber es ist das, was Demokratie am Ende ausmacht: Das letzte Wort haben immer die Wählerinnen und Wähler. Damit das Ergebnis, das ja noch nicht feststeht, akzeptiert wird, ist daher zunächst von allen Zurückhaltung gefragt.

Donald Trump versucht, den Wechsel im Weißen Haus über die Gerichte zu verhindern. Wie beurteilen Sie das?

Demokratie fußt auf dem Vertrauen in faire und freie Wahlen. Dieses Vertrauen dürfen Demokraten niemals beschädigen. Jetzt heißt es kühlen Kopf bewahren, bis ein unabhängig festgestelltes Ergebnis vorliegt. Wir vertrauen auf den Rechtsstaat Amerikas. Nur zur Erinnerung: Vor 20 Jahren haben 537 Stimmen in Florida den Ausschlag zum Sieg bei den Präsidentschaftswahlen gegeben. Und auch diesmal steht der Ausgang vielerorts auf Messers Schneide. „Sieg oder Wahlabbruch“ ist jedenfalls eine Losung, die aus der Sicht Vieler dem Verständnis von einem fairen Wahlvorgang widerspricht.

Wie stabil sind Demokratie und Rechtsstaat in Amerika?

Man sollte nicht vergessen: Die Polarisierung im politischen System der USA ist kein neues Phänomen, auch wenn sie sicher in den letzten Jahren eine neue Qualität erreicht hat. Die Institutionen können damit umgehen, das haben sie mehrfach unter Beweis gestellt. Eines haben wir Deutsche in den vergangenen Jahrzehnten von den USA gelernt: Demokratie braucht Regeln, die von all ihren Vertretern akzeptiert werden. Die Menschen in unseren beiden Ländern teilen den Glauben an die Demokratie, an die Freiheit und die Würde und damit auch das Wahlrecht des Einzelnen. Der Staat ist für die Menschen da - nicht umgekehrt.

Teilen Sie die Befürchtung, dass es auf den Straßen der USA zu Gewalt kommen könnte?

Anständige Verlierer sind für das Funktionieren einer Demokratie wichtiger als strahlende Sieger. Bei so knappen Mehrheitsverhältnissen kann man sich sehr leicht auf der Verliererseite finden. Das zeigt doch, wie wichtig es ist, daran zu arbeiten die politischen Gräben zu überwinden. Das Land ist politisch vielschichtig und divers, das hat diese Wahl unterstrichen. Je weniger der künftige Präsident dazu willens oder in der Lage ist, den Ton zu entschärfen, desto mehr werden die USA mit sich selbst beschäftigt bleiben. Amerika ist mehr als eine One-Man-Show. Wer in so einer Situation weiter Öl ins Feuer gießt, der handelt selbst unverantwortlich.

Wird das transatlantische Verhältnis mit Biden automatisch besser?

Einen Aufbruch zu alten Ufern wird es, unabhängig vom Wahlausgang, nicht geben. Das zeigt auch das knappe Wahlergebnis, auf das ein künftiger Präsident wohl Rücksicht nehmen wird - oder zumindest sollte. Das heißt wohl auch, dass die USA zunächst einmal nicht mit voller Energie auf die internationale Bühne zurückstreben werden. Was wir in jedem Fall schnell erreichen müssen ist, dass der Westen wieder als Team spielt. Wir können uns in vielen internationalen Krisen den Luxus eines transatlantischen Zuwartens nicht leisten. Dazu brauchen wir vor allem zwei Dinge: Absprachen und Verlässlichkeit. Der Atlantik selbst wird durch die Wahl weder enger noch breiter. Aber die Brücken die wir haben, müssen wir erneuern, damit sie für gemeinsame Herausforderungen belastbar bleiben. Wir werden sobald als möglich mit Vorschlägen auf die dann gewählte Regierung zugehen.

Dauerstreit mit Trump hat es über den Wehretat gegeben. Kann Deutschland sich jetzt mehr Zeit lassen mit der Steigerung der Rüstungsausgaben - oder die Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit sogar wieder zurückfahren?

Wir haben die letzten Jahre genutzt, um weiter an einem starken und souveränen Europa zu bauen. Deutschland hat seit dem Gipfel von Wales vor sechs Jahren die Verteidigungsausgaben um etwa die Hälfte erhöht. Deutschland hat bereits den drittgrößten Etat aller NATO-Partner. Zum gleichberechtigten transatlantischen Schulterschluss gibt es aber weiterhin Bereiche, da fehlt uns Europäern noch die Schulterhöhe, das wissen wir. Wir stehen deshalb zu den Beschlüssen, weil das in unserem eigenen Interesse ist.

Welche weltpolitischen Weichenstellungen, die Trump getroffen hat, sollte Biden korrigieren?

Die Welt braucht die USA als Ordnungsmacht, nicht als Chaosfaktor. Der Schnelltest für unsere künftigen Beziehungen, unabhängig vom Wahlausgang, ist sicherlich der Umgang mit der Corona-Pandemie. Wir brauchen die USA in der Weltgesundheitsorganisation, damit diese effektiv wirken kann. Zusammen könnten wir dafür sorgen, dass ein Impfstoff überall auf der Welt zur Verfügung steht. Und natürlich haben wir auch die Ankündigungen Joe Bidens mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dass er im Falle eines Wahlsiegs die USA unverzüglich in das Pariser Abkommen zurückführen will. Das Land mit den weltweit zweitgrößten Emissionen an Bord zu wissen, wäre ganz, ganz wichtig.

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